F. Metasch: Exulanten in Dresden

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Titel
Exulanten in Dresden. Einwanderung und Integration von Glaubensflüchtlingen im 17. und 18. Jahrhundert


Autor(en)
Metasch, Frank
Reihe
Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 34
Erschienen
Anzahl Seiten
321 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Lisa, Leipzig

Migration, Einwanderung und Integration – diese tagespolitisch höchst aktuellen Themen spiegeln sich auch im verstärkten Interesse für die migrationshistorische Forschung. So erlebt auch die Migrationsforschung zur Frühen Neuzeit eine Konjunktur. In letzter Zeit entstanden gleich drei Dissertationen1 zu einem speziellen Kapitel der frühneuzeitlichen Migration – den böhmischen Exulanten, einer großen, bis vor kurzen wenig beachteten Gruppe von Glaubensflüchtlingen. Die Autoren nähern sich diesem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei sie das einst von Werner Wilhelm Schnabel thematisierte Phänomen „Exulantenmythos“2 weiter elaborieren. In der intensiven Auseinandersetzung mit dem Exulantenparadigma – der protestantischen Standhaftigkeit, Glaubenstreue und nicht zuletzt des Märtyrertums – sowie in der Infragestellung des traditionellen und teilweise bis heute tradierten Exulantenbildes einer homogenen Gruppe glaubenstreuer Protestanten und deren unterschiedlicher Instrumentalisierungen liegt ein großer Beitrag all dieser Arbeiten.

In der hier anzuzeigenden Studie befasst sich Frank Metasch mit Glaubensflüchtlingen, die im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Dresden kamen. Mit seiner auf der Mikroebene angesiedelten Untersuchung thematisiert er neben der qualitativen und quantitativen Analyse der Einwanderung in die sächsische Residenzstadt vor allem Fragen nach der Integration der Zuwanderer in die Aufnahmegesellschaft. Diesbezüglich erforscht er drei große Themenkomplexe/Handlungsfelder, in deren Rahmen der Kurfürst, bzw. die Stadtoberen versuchten, die Einwanderer an sich zu binden und zu kontrollieren: die rechtliche, die wirtschaftliche und die kirchliche Integration. Diese verschiedenen Arten der Integration untersucht Metasch auf der Ebene greifbarer formaler Akte, wie die Verleihung des Bürgerrechts (rechtliche Integration), den Beitritt zu einer Innung (wirtschaftliche Integration) oder die Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Gemeinde (kirchliche Integration). Zwar werden auch andere Einwanderer aus den habsburgischen Erblanden kurz erwähnt, doch fokussiert Metasch fast ausschließlich, die zahlenmäßig eindeutig dominierenden Exulanten aus Böhmen.

Die Einführungskapitel umreißen kursorisch die konfessionspolitische Situation in den Auswanderungsländern (S. 29-49) und fassen die Entwicklungslinien im politisch-konfessionellen wie territorialen Verwaltungsbereich des Kurfürstentums und seiner Residenzstadt Dresden zusammen (S. 51-62). In den folgenden Kapiteln wird die Einwanderung aus den habsburgischen Gebieten in der Zeitspanne von 1600 bis 1730 quantitativ und qualitativ untersucht und in die sächsische Aufnahmepolitik eingebettet. Die Migration nach Sachsen wird zuerst nach politisch-militärischen Ereignissen in einzelne Phasen unterteilt. Der Wert einer nach großen Kriegsereignissen erfolgten Periodisierung der Einwanderung bleibt ohne weitere Erklärung etwas fraglich, denn Metasch unterscheidet konsequent nur zwischen der Einwanderung im und nach dem Dreißigjährigen Krieg. Dieser Zweiteilung bedient er sich auch immer wieder in der späteren Analyse und sie erweist sich als sehr sinnvoll, da in allen drei untersuchten Themenkomplexen immer wieder deutliche Unterschiede zwischen diesen beiden Phasen feststellbar sind. In der Analyse der Sozialstruktur (S. 117-143) kann er trotz großer quantitativer Diskrepanz (mehr als die Hälfte aller Exulanten kamen in den 1620er- und 1630er-Jahren nach Dresden) und unausgewogener Quellenlage, eine klare Verschiebung von Vertretern der dominierenden Ober- und Mittelschicht in den 1620er- und 1630er-Jahren hin zu immer stärker überwiegenden städtischen und ländlichen Unterschichten seit 1650 nachweisen.

Im eigentlichen Untersuchungsteil seiner Studie widmet sich Metasch gesondert der rechtlichen, der wirtschaftlichen und der kirchlichen Integration der Exulanten und wertet dafür Quellen offizieller Provenienz aus. Der rechtliche Status der Zuwanderer (S. 145-167) entschied erheblich über ihre Partizipationsmöglichkeiten in der Aufnahmegesellschaft und regulierte die Rahmenbedingungen ihrer Integration. Metasch liefert eine gute Übersicht über das Wesen der zwei wichtigsten Instrumente rechtlicher Bindung: das Bürgerrecht und die Schutzverwandschaft sowie deren konkrete Anwendung bei den Exulanten in Dresden. So zeigt er, dass die Stadtverwaltung aus juristischen und steuerlichen Gründen sehr daran interessiert war, die Einwanderer einzubürgern. Mittels der Bedingungen zur Bürgerrechtsannahme war es möglich, die Zusammensetzung der Stadt gut zu kontrollieren. Ungewollte Personen, wie zum Beispiel Nicht-Vermögende, konnten ausgeschlossen werden.

In den Untersuchungen der wirtschaftlichen Integration der Exulanten (S. 169-187) geht Metasch der Frage nach den Zugangsmöglichkeiten der Zuwanderer zu den Innungen (als Hauptindikator der Integration) nach. Er untersucht die Reaktionen der Einheimischen auf die entstehende Konkurrenz sowie die Bedeutung der Exulanten für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Metasch belegt, dass es den Kriegszuwanderern, die darauf angewiesen waren, ihren Unterhalt zu sichern, grundsätzlich gut gelang, sich in die bürgerliche Berufslandschaft einzubringen. Er kann ein breites Spektrum der von Exulanten ausgeübten Berufe nachweisen. Die so beschriebene Situation änderte sich bei den Nachkriegsexulanten, deren sozialer Status deutlich niedriger war. Außerdem erweist es sich für die Zeit nach 1638 (letztes Exulantenverzeichnis) als schwierig, die Exulanten in Form einer Extragruppe quellenmäßig zu fassen. Doch verdeutlicht die Analyse der seit Mitte des 17. Jahrhunderts existierenden böhmischen Gemeinde eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage späterer Exulanten. Die meisten der Gemeindemitglieder bestritten im Laufe der Zeit (ab Ende des 17. Jahrhunderts) ihren Unterhalt vornehmlich als Gärtner oder Tagelöhner und viele waren auf Almosen angewiesen. Die Konflikte mit den Einheimischen, so Metasch, überschritten hingegen nicht den Rahmen gewöhnlicher Auseinandersetzungen. Außerdem seien diese meist nicht primär auf die Exulanten, sondern viel mehr auf die Eingriffe des Kurfürsten in städtische und zünftige Privilegien zurückzuführen. Der Kurfürst beschnitt zeitweise die Befugnisse des Magistrats, indem er für sich beanspruchte, über die Niederlassung der Exulanten selber zu entscheiden. Auch setzte er sich mehrfach durch spezielle Zugeständnisse an einzelne Exulanten über die bestehenden Innungs- oder Stadtstatuten hinweg. Schließlich polemisiert Metasch mit der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute tradierten These von Christian Adolph Pescheck3, nach der die böhmischen Exulanten einen deutlichen Beitrag für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach dem Krieg geleistet hätten. Diesen Beitrag sieht Metasch weder in der Etablierung neuer Gewerbe noch in der Einführung bedeutender Innovationen, sondern in dem Ausgleich kriegsbedingter Lücken, und zwar als qualifizierte Fachkräfte einerseits und billige Lohnarbeiter andererseits (S. 186).

Die kirchliche Integration der Exulanten (S. 189-230) hatte einen hohen Stellenwert, da sich das lutherisch-orthodoxe Sachsen vor der Verbreitung heterodoxer Einflüsse durch die Zuwanderer fürchtete. Es war den Behörden immer ein besonderes Anliegen, die Neuankömmlinge in dieser Hinsicht zu kontrollieren und gegebenenfalls auch zu disziplinieren. Da die nach Dresden kommenden Exulanten der Kriegszeit, wie Metasch feststellt, überwiegend deutschsprachig waren, erwies sich deren Integration in die bestehenden Kirchengemeinden eher als problemlos. Erst die späteren Exulanten, die immer häufiger tschechischsprachig waren, stellten die Behörden vor ein Problem bei der kirchlichen Einbindung und Kontrolle. So gab es in Dresden nicht nur die ersten nachweisbaren offiziell genehmigten Privatgottesdienste Sachsens, was mit wachsender Zahl der tschechischsprachigen Exulanten schließlich zur Entstehung der böhmischen Gemeinde führte. Vor allem in der fundierten Bearbeitung der Geschichte der böhmischen Gemeinde, eines bis dahin nur am Rande beachteten Themas, leistet Metasch einen wichtigen Beitrag zur Forschung. In dem umfangreichen Anhang zu seiner Studie (S. 235-274) finden sich erstmals in gebündelter Form biographische Skizzen des böhmischen Kirchenpersonals in Dresden. Es gelang ihm, bis auf eine Ausnahme alle böhmischen Pfarrer und Kantoren zu identifizieren und deren Amtszeiten zu rekonstruieren.

Frank Metasch hat sich als Ziel gesetzt, ein systematisches und komplexes Bild der habsburgischen, vor allem böhmischen Migration nach Dresden nachzuzeichnen und damit eine Forschungslücke zur Einwanderung der Stadt zu schließen. Da der Forschungsstand bislang hauptsächlich durch Darstellungen zum 19. Jahrhundert bestimmt wird, gelang ihm dies in drei Richtungen: mit einem fundierten und gut strukturierten Überblick über die Einwanderung nach Dresden, mit dem Ergänzen und Korrigieren älterer Annahmen sowie und vor allem mit einer systematischen Untersuchung der böhmischen Exulantengemeinde.

Anmerkungen:
1 Neben der hier besprochenen Druckfassung einer Dresdner Dissertation (TU 2006) sind dies die Arbeiten von: Alexander Schunka, Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Hamburg 2006; Wulf Wäntig, Grenzerfahrungen. Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert, Konstanz 2007.
2 Werner Wilhelm Schnabel, Österreichische Exulanten in oberdeutschen Reichsstädten: zur Migration von Führungsschichten im 17. Jahrhundert, München 1992, S. 13-26.
3 Christian Adoplh Pescheck, Die böhmischen Exulanten in Sachsen. Zur Beantwortung der von der Fürstlich Jablonowski'schen Gesellschaft gestellten historischen Preisfrage: “Untersuchung der bis zur mitte des XVII. Jahrhunderts stattgefundenen Übersiedlung aus Böhmen nach Sachsen und die Folgen , welche diese für Sachsens Cultur gehabt haben“, Leipzig 1857.

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