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Titel
Capital Ideas. The IMF and the Rise of Financial Liberalization


Autor(en)
Chwieroth, Jeffrey M.
Erschienen
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
£ 20.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friederike Sattler, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München

In "Capital Ideas" geht Jeffrey M. Chwieroth der Frage nach, warum sich innerhalb des 1944 zur verbesserten internationalen Abstimmung der Währungspolitik ins Leben gerufenen Internationalen Währungsfonds (IWF) seit den 1970er-Jahren die Idee der Vorteilhaftigkeit einer möglichst weitgehenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs durchsetzen konnte, obwohl dies von den Regierungen seiner Mitgliedsstaaten nicht forciert wurde. Chwieroth kommt zu dem Ergebnis, dies sei vor allem mit Professionalisierungsprozessen und innerorganisatorischem Normenwandel, also im Wesentlichen mit endogenen Faktoren, nicht mit äußeren politischen Einflussnahmen zu erklären. Die Untersuchung kombiniert ideen-, politik- und wirtschaftsgeschichtliche mit organisationssoziologischen Ansätzen und beruht auf einer sorgfältigen Auswertung der verfügbaren Sekundär- und Primärquellen (das heißt vor allem englischsprachiger Forschungsliteratur, gedruckter Berichte und Archivunterlagen über die und aus der Tätigkeit der IWF-Gremien), ferner auf Erhebungen zur Publikationstätigkeit von Absolventen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten amerikanischer Universitäten sowie auf zahlreichen Interviews mit früheren und noch aktiven Mitarbeitern des IWF. Wer also in erster Linie an wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und politischen Interessenkonflikten, an der Finanzierungsstruktur oder der umstrittenen Kreditvergabepraxis des IWF interessiert ist, sollte nicht zu diesem Buch greifen.

Chwieroth geht es vielmehr darum, empirisch genau nachzuvollziehen, wie sich der innere Normenwandel von der Befürwortung strenger Kapitalkontrollen zu der Überzeugung vollzog, eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs sei grundsätzlich vorteilhaft. Dazu nimmt er fünf miteinander verknüpfte Prozesse in den Blick: erstens die ideen- und verhaltensprägende Professionalisierung der Mitarbeiter, die ganz überwiegend aus Ökonomen bestand; zweitens die administrative Rekrutierungspraxis zur Gewinnung neuen Personals; drittens Erfahrungs- und damit verbundene graduelle Anpassungsprozesse in der alltäglichen Arbeitspraxis; viertens tiefgreifende, mit einer Änderung von Zielvorstellungen verbundene Lernprozesse; fünftens die gezielte "Normenunternehmerschaft" strategisch operierender Akteure, womit die aktive Verbreitung der "norm of capital freedom" sowie ihre jeweils konkrete – durchaus unterschiedliche – Interpretation und Anwendung gemeint sind.

Die Ausarbeitung des theoretischen Rahmens erfolgt in dezidiert kritischer Auseinandersetzung mit der vorliegenden Forschungsliteratur zur Geschichte internationaler Organisationen im Allgemeinen und zum IWF im Besonderen: Hat diese sich bislang vor allem auf die interessengeleitete Einflussnahme der Mitgliedsstaaten und der hinter ihnen stehenden nationalen Finanzindustrien konzentriert, so setzt sich Chwieroth betont von diesen Ansätzen ab, um seine Argumentationslinie der Bedeutung des innerorganisatorischen Normenwandels zu verfolgen. Die gegebenen Machtstrukturen und den zweifellos großen politischen Einfluss der USA, aber auch Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Japans negiert er keineswegs, misst aber der Organisationskultur des IWF einen ganz eigenständigen Stellenwert bei. Als deren wesentliche Merkmale beschreibt Chwieroth klare Hierarchien für das Management und den gesamten Mitarbeiterstab, eine dezidiert technokratische Ausrichtung der Mitarbeiter, die bürokratische Behandlung der gestellten Aufgaben mit der Folge einer tendenziellen Gleichförmigkeit der Empfehlungen für Reformen in Empfängerländern, und nicht zuletzt eine auffallend schnelle Assimilierung neuer Mitarbeiter, die mit einer sehr starken Homogenisierung der Diskussionskultur und der Verhaltensstandards verbunden ist.

Ausgehend von einer knappen, aber differenzierten Skizze der Evolution des ökonomischen Denkens über Kapitalkontrollen vom späten 19. bis zum späten 20. Jahrhundert, analysiert Chwieroth im dritten Kapitel die Wirkung des professionellen Trainings in den für die Rekrutierung des IWF-Personals besonders bedeutenden wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten amerikanischer Universitäten. Anhand der Publikationen der an diesen Fakultäten lehrenden und lernenden Personen aus den Jahren 1963 bis 1980 und seiner Umfrageergebnisse kann er nachweisen, dass ein klarer positiver Zusammenhang zwischen den dort jeweils vorherrschenden ökonomischen Lehrmeinungen und den individuellen Überzeugungen der dort ausgebildeten Personen besteht; dies gilt insbesondere für die Denkschulen des "liberalen Kontinuums", in denen die Vorteilhaftigkeit des freien Kapitalverkehrs besonders betont wurde.

In den folgenden, chronologisch aufgebauten Kapiteln zeichnet Chwieroth den auf die Kontrolle oder Liberalisierung des Kapitalverkehrs bezogenen inneren Normenwandel der IWF-Mitarbeiter von den ersten Nachkriegsjahren bis in die Gegenwart hinein detailliert nach. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der ersten Weltwirtschaftskrise 1929/31 und dem Zweiten Weltkrieg dominierte in den späten 1940er-und den 1950er-Jahren ganz eindeutig die vom Keynesianismus geprägte Überzeugung, dass Kapitalkontrollen wegen des immer wieder zu beobachtenden Marktversagens nicht nur grundsätzlich notwendig, sondern auch wirtschaftlich vorteilhaft seien. Vom Personal, das oft bis in die 1980er-Jahre hinein in wichtigen Positionen beim IWF verblieb, wurde die Legitimität von Kapitalkontrollen selbst dann hochgehalten, wenn das den geänderten Präferenzen wichtiger Mitgliedsstaaten, wie vor allem der USA oder der Bundesrepublik Deutschland, widersprach.

Doch bereits in den 1960er-Jahren begann der keynesianische Grundkonsens zu erodieren: Die USA drängten nun immer stärker darauf, Kapitalkontrollen in den IWF-Regularien, den "Articles of Agreement", nur noch als zeitlich befristete Maßnahmen zur Beschränkung kurzfristiger, spekulativ bedingter Kapitalbewegungen zu verankern. Auch IWF-Mitarbeiter zeigten sich zunehmend aufgeschlossen für den bedingten Übergang zu mehr freiem Kapitalverkehr, hielten aber grundsätzlich an ihren keynesianisch geprägten Überzeugungen fest. Selbst im Zuge der Diskussionen um die Reform des internationalen Währungssystems in den 1970er-Jahren, als die USA immer stärker auf die Verankerung der Liberalisierung in den "Articles of Agreement" drängten und dabei auch erste Verhandlungserfolge zu verzeichnen hatten, zeigte die Mehrheit der IWF-Mitarbeiter wenig Neigung zu einem substanziellen Meinungswandel.

Umso erstaunlicher scheint es deshalb auf den ersten Blick, dass es in den 1980er-und 1990er-Jahren dann doch zu einem tiefgreifenden Normenwandel kam. Chwieroth führt dies überzeugend auf den in den frühen 1980er-Jahren vollzogenen Generationenwechsel im IWF-Mitarbeiterstab zurück. Dadurch gelangten immer mehr akademisch geschulte Ökonomen in verantwortliche Positionen, die den Keynesianismus wissenschaftlich-intellektuell für überholt hielten und nicht mehr an der Vorteilhaftigkeit der Liberalisierung an sich zweifelten, weil sie Märkte – zumindest in langfristiger Perspektive – grundsätzlich für effizient hielten. Dies spiegelt die verschiedenen Strömungen des ökonomischen Denkens an den wichtigsten amerikanischen Universitäten ebenso wider wie die damit verknüpften unterschiedlichen Interpretationen der Erfahrungen derjenigen Empfängerländer von IWF-Krediten, denen in den 1980er-und 1990er-Jahren der Übergang zur Liberalisierung empfohlen, wenn nicht aufgezwungen wurde.

Die feste Verankerung der "norm of capital freedom" in den IWF-Regularien scheiterte indes in den späten 1990er-Jahren an der Krise der asiatischen Finanzmärkte. Dadurch erhielten neue, nun wieder stärker keynesianisch inspirierte Ansätze, die für eine strengere Kontrolle zumindest der kurzfristigen Kapitalströme eintraten, einen gewissen Auftrieb, konnten sich aber letztlich nicht durchsetzen. Im Nachhinein wurde die "Asien-Krise" von den IWF-Mitarbeitern lediglich als Ergebnis einer zu schnellen Liberalisierung interpretiert, nicht als Krise der Liberalisierung an sich. Die im eigenen Professionalisierungsprozess erworbene Überzeugung, dass Liberalisierung grundsätzlich vorteilhaft sei, blieb Grundlage für zahlreiche weitere Reformempfehlungen an Entwicklungs- und Schwellenländer, trotz wachsender Kritik aus eben diesen Ländern, die sich auf negative praktische Erfahrungen stützte. Bis zur gegenwärtigen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Chwieroth in einem ausführlichen Epilog behandelt, ist deshalb von einer erstaunlichen, ziemlich lernresistenten Normenkontinuität innerhalb des IWF zu sprechen, die erst heute möglicherweise in eine Phase der Neuorientierung mündet.

Chwieroths Studie liefert vielfältige, empirisch untermauerte Einsichten in den vor allem mit Professionalisierungs- und Rekrutierungsprozessen verknüpften inneren Normenwandel im Internationalen Währungsfonds. Sie macht deutlich, dass der IWF nicht nur als Instrument seiner Mitglieder zu betrachten ist, sondern dass seiner Organisationskultur tatsächlich ein ganz eigenständiger Stellenwert für die Umsetzung währungs- und wirtschaftspolitischer Ziele zukommt. Mit seinem innovativen und konsequent umgesetzten methodischen Ansatz gibt Chwieroth zugleich einen wichtigen Anstoß für die Erforschung anderer internationaler Organisationen. Darüber hinaus zeigt seine Studie anschaulich, auf welche Weise sich die enorme historische Wirksamkeit einer ökonomischen Idee entfalten konnte, die sich auf die im Kern normative Annahme der Effizienz von Märkten stützt und sich einer kritischen politischen Beurteilung weitgehend zu entziehen vermag. Kurz gesagt, handelt es sich um ein anregendes, lesenswertes Buch, dem nur leider ein ordentliches Quellen- und Literaturregister fehlt.

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