C. Marek: Geschichte Kleinasiens in der Antike

Cover
Titel
Geschichte Kleinasiens in der Antike.


Autor(en)
Marek, Christian
Reihe
Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
941 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Zimmermann, Seminar für Alte Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Keine ‚schnittige Einführung‘ für die schnelle Lektüre“ (S. 7), aber ein Überblick, der sich gleichermaßen an den Fachmann wie den historisch interessierten Laien richtet – so kündigt das Vorwort ein Buch an, das nicht weniger als die Summe jahrzehntelanger, intensiver Beschäftigung mit einer der facettenreichsten Regionen der antiken Welt bietet. Charmant begründet Marek seine Entscheidung, aufs „Theoretisieren“ über Kleinasiens kulturgeschichtliche Vermittlerfunktion zwischen Orient und Okzident weitgehend zu verzichten, um statt dessen „möglichst nahe entlang der Quellen“ auf aktuellem Wissensstand ein Gesamtbild zu entwerfen (S. 8). Entsprechend knapp fallen Reflexionen über Kleinasien als Konzept in antiken Köpfen aus; im wesentlichen definiert geographische Konvention den Raum, der als Schauplatz regionaler wie überregionaler Geschichte mehrerer Jahrtausende Gegenstand des Bandes ist. Diese Geschichte(n) auf knapp 700 Textseiten zu erzählen, gelingt Marek meisterhaft: Profunde Quellenkenntnis aus erster Hand und sensible Interpretation der Befunde ziehen den Leser immer wieder in ihren Bann – und ein ebenso präziser wie gefälliger Schreibstil macht die Lektüre obendrein zu einem Genuss.

Nach Präliminarien zu Anatoliens historischer Rolle, Begrifflichkeit, Geographie und Erforschungsgeschichte folgt die Darstellung im Wesentlichen der Chronologie. Prägnant werden die Erkenntnisse und Probleme zusammengefasst, die sich aus den teils sensationellen Funden aus Neolithikum und früher bis mittlerer Bronzezeit ergeben (Kapitel III). Aus der Feder Peter Freis stammen große Teile des Kapitels zur Spätbronze- und Eisenzeit (Kapitel IV), das die Herrschaft der Hethiter, die so genannten Dunklen Jahrhunderte nach deren Ende und dem Seevölkersturm sowie die Genese der ethnisch-politischen Landkarte Kleinasiens in archaischer Zeit behandelt. Die Zeit, die der Althistoriker aus griechischer Perspektive üblicherweise als Klassik bezeichnet, thematisiert Marek im fünften Kapitel „Der Westen des Perserreiches und die Welt der kleinasiatischen Griechen“; dabei durchbricht er ein erstes Mal die chronologische Grundstruktur: Während ein erster Teil die Ereignisabfolge von der Eroberung des Kyros bis zum Alexanderzug skizziert, werden in einem zweiten systematisch Struktur und Eigenart der persischen Herrschaft in Kleinasien beleuchtet. Ein Bild von faszinierender Vielfalt persischer, griechischer und indigener Einflüsse entwickelt Marek aus den vornehmlich archäologischen Zeugnissen zu „Religion, Kunst und Kultur“ (Kapitel V 2.5) – unverkennbar war hier der Autor mit besonderer Freude am Werk.

Schloss der Kleinasienzug des „letzten Achaimeniden“ Alexander (S. 227) 1 das Kapitel zur Perserherrschaft ab, so gliedert sich die folgende Behandlung hellenistischer Geschichte in Kleinasien (Kapitel VI) grob in die Kämpfe der Diadochen, das Ringen der Epigonen untereinander und mit der aufstrebenden Weltmacht Rom sowie die sukzessive Eingliederung ins Römische Reich während der späten Republik. Indem er komplexere Themen wie die Seleukidenherrschaft oder das Attalidenreich nicht en bloc abhandelt, sondern in Sinnabschnitte unterteilt und dazwischen andere Entwicklungen in den Blick nimmt, versteht Marek es immer wieder, die verschiedenen Handlungsstränge zu einer historia continua Kleinasiens zu vereinen. Unverkennbarer Schwerpunkt des Buches ist indessen schon dem Umfang nach die durch archäologische wie epigraphische Zeugnisse am reichsten dokumentierte römische Kaiserzeit, der sich Marek unter drei Aspekten nähert: Römischer Reichspolitik – von letzten Provinzialisierungen bis zur Grenzsicherung gegen den Osten – gilt ein erstes Kapitel dieser Trias (Kapitel VII); ein zweites (Kapitel VIII) ist der ‚offiziellen‘ römischen Präsenz in den Provinzen Kleinasiens gewidmet, der Administration, der Infrastruktur und dem Steuerwesen. Wiederum deutliche Züge eines ‚Lieblingskapitels‘ des Autors tragen die knapp 200 Seiten zum Thema „Materielle, politisch-soziale und kulturelle Verfassung in den kaiserzeitlichen Provinzen“ (Kapitel IX), die den Band – von einem knappen Ausblick in die spätantik-byzantinische Zeit abgesehen – beschließen. Hier, abseits der Zwänge ereignisgeschichtlicher Darstellung, kommt Mareks Vertrautheit mit dem Land und seinem antiken Erbe noch einmal eindrucksvoll zur Geltung: Von ethnischen und wirtschaftlichen Grundstrukturen über Siedlungsorganisation und Gesellschaft bis hin zu Geistesgeschichte und Religion reicht das Tableau, dessen Detailreichtum und Unmittelbarkeit den Leser gleichsam zum Zeitreisenden machen.

Begrüßenswerterweise haben weder der Autor die Mühe noch der Verlag die Kosten eines umfänglichen Anhanges gescheut. Eine thematisch sortierte, dann nach Erscheinungsjahr angeordnete Bibliographie bringt den Leser (um den Preis mancher Dubletten und eingeschränkter Möglichkeit zur Autorenrecherche) zuverlässig auf den aktuellen Stand der jeweiligen Forschung; Herrscherlisten bieten rasche Orientierung im prosopographischen Dschungel persischer Satrapen, hellenistischer Dynasten und römischer Statthalter; Stellen- und Sachregister erlauben gezielte Benutzung. Dankbar vermerkt der Benutzer, dass in den Text integrierte Abbildungen ihm lästiges Blättern in einem separaten Tafelteil ersparen; aus den gleichen Gründen hätte er anstelle eines Endnotenapparates auf S. 685–742 bequem überschaubare Fußnoten am Seitenende zu schätzen gewusst, die der Verlag offenbar aus verkaufsstrategischen Erwägungen vermeiden zu müssen glaubte. Möge auch diese Mode vorübergehen – die stillschweigende Rückkehr zum orthographischen mos maiorum lässt hoffen.

Kein Breviarium, wie es Elmar Schwertheim kürzlich vorgelegt hat 2, dafür aber eine ‚Kleinasien-Bibel‘ (sit venia verbo), die den Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Breitenwirksamkeit bravourös meistert: Mit seiner „Geschichte Kleinasiens in der Antike“ ist Marek ein Standardwerk gelungen, das aus der künftigen Forschung zum Thema ebenso wenig wegzudenken ist wie – nicht zuletzt dank des moderaten Preises – aus den Bibliotheken interessierter Amateure.

Anmerkungen:
1 Nach Pierre Briant, Alexandre le Grand: de la Grèce à l’Inde, 2. Aufl., Paris 2005, S. 126.
2 Elmar Schwertheim, Kleinasien in der Antike: von den Hethitern bis Konstantin, München 2005.

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