R. Ruppmann: Schrittmacher des Autobahnzeitalters

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Titel
Schrittmacher des Autobahnzeitalters. Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet


Autor(en)
Ruppmann, Reiner
Reihe
Schriften zur Hessischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Bd. 10
Erschienen
Anzahl Seiten
486 S.
Preis
€ 38,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Kopper, Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte des nationalsozialistischen Autobahnbaus erschöpfend erforscht. Das 1996 erschienene Standardwerk von Erhard Schütz und Eckhard Gruber („Mythos Reichsautobahn“) bietet einen immer noch gültigen Gesamtüberblick über die politische Planungs- und Implementationsgeschichte dieses intensiv inszenierten und sich selbst inszenierenden Großprojekts.1 Die propagandistischen, ästhetischen, landschaftsökologischen, sozialgeschichtlichen und verkehrspolitischen Aspekte wurden an anderer Stelle mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen so umfassend untersucht, wie es die gedruckten Publikationen und die überlieferten zentralen Aktenbestände des „Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen“ im Bundesarchiv Berlin erlauben.

Der Frankfurter Dissertation von Reiner Ruppmann gelingt es jedoch, durch einen auch methodisch begründeten Perspektivwechsel auf der Basis kommunaler und regionaler Aktenbestände neue Erkenntnisse über die Planungsgeschichte des Autobahnbaus von den 1920er-Jahren bis ins Jahr 1956 zu gewinnen. Während der Beginn des Untersuchungszeitraums mit der Gründung des HAFRABA-Vereins für den Bau einer Autobahn von Hamburg über Frankfurt nach Basel evident erscheint, ist das Enddatum der Fertigstellung des Frankfurter Kreuzes geschuldet, das die zentrale Kreuzungsfunktion der hessischen Metropole im deutschen Autobahnnetz nicht nur symbolisch, sondern auch materiell manifestierte.

Aus einer bundespolitischen Perspektive wäre das Jahr 1960 mit dem Einstieg in den forcierten Ausbau des Autobahnnetzes durch ein neues Straßenbau-Finanzierungsgesetz sicherlich angemessener. Ruppmanns Begriff der „Sattelzeit des Jahrhunderts der Autobahn“ von 1875/76 (Verabschiedung des Preußischen Straßenbau-Dotationsgesetzes) bis 1956 (Vollendung des Frankfurter Kreuzes) in Anlehnung an Reinhart Kosellecks berühmte Begriffschöpfung erscheint allzu hochtrabend und zeitlich zu unpräzise. Da die konzeptionellen Voraussetzungen für den Bau eines modernen Fernstraßennetzes seit dem Ende der 1920er-Jahre und die institutionellen Vorbedingungen erst 1933 geschaffen wurden, müsste die „Sattelzeit der Autobahn“ eher von 1929 bis 1960 datiert werden.

Ruppmanns innovative Leistung besteht in der Erforschung der „epistemic community“ aus dem Frankfurter Oberbürgermeister, den Frankfurter Bau- und Wirtschaftsdezernenten und den Straßenplanern in Frankfurt und Südhessen, die Mitte der 1920er-Jahre Frankfurts Funktion als Knotenpunkt im (Schienen-)Verkehrsnetz durch den Bau überregionaler „Autostraßen“ (so der zeitgenössische Begriff) ergänzen und perspektivisch noch vor dem antizipierten Prozess der Massenmotorisierung ausbauen wollten. Die detailgenaue, aber nicht detailüberfrachtete Darstellung leitet das herausgehobene Interesse der Stadt Frankfurt am visionären Projekt einer Nord-Süd-Autobahn präzise aus ihrer wirtschaftlichen Interessenlage her. Ruppmann präsentiert damit ein Fallbeispiel für eine langfristig orientierte kommunale Standortpolitik, die sich auch nach dem politischen Regimewechsel zum Nationalsozialismus nicht veränderte.

Die Straßenplaner in Frankfurt und Südhessen leisteten in ihrer Region wichtige konzeptionelle Vorarbeiten für die spätere Reichsautobahn. Dies war der entscheidende Grund, weshalb der HAFRABA-Verein 1933 personell fast unverändert als regionale Planungssektion in Fritz Todts Autobahnplanungsgesellschaft Gezuvor (Gesellschaft zur Vorbereitung der Reichsautobahn) eingegliedert wurde. Aufgrund ihrer Vorarbeiten gelang es den Frankfurter Straßenplanern, ihre Vorstellungen von der Linienführung der Autobahn(en) mit Frankfurt als zentralem Netzkreuz bei Todt vollständig durchzusetzen.

Ruppmann entwickelt eine überzeugende Erklärung dafür, dass die Selbstauflösung des HAFRABA-Vereins und seine Eingliederung in Todts Planungsapparat nicht allein als ein Akt der Selbst-Nazifizierung, sondern auch als eine erfolgreiche Selbstermächtigung zur Verteidigung ihres professionellen Status verstanden werden muss. Aufgrund des selbstgenerierten Zeitdrucks zur propagandawirksamen Fertigstellung erster Autobahnabschnitte hatte Todt keine Alternative, als sich der Fachkompetenz der regionalen Straßenplaner zu bedienen. Als Teil der gleichen „epistemic community“ fanden die Frankfurter Straßenplaner ungeachtet unterschiedlicher politischer Interessen sofort eine gemeinsame Sprache mit Todt, was die Kommunikation mit der zentralen Planungsinstanz erleichterte. Da das HAFRABA-Projekt im Gedächtnis der Öffentlichkeit eng mit dem früheren jüdischen Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann verbunden war, gab es für Todt ein besonderes propagandistisches Motiv, den HAFRABA-Verein unauffällig in seine Ämterstruktur zu inkorporieren.

Ruppmanns Darstellung zwingt dazu, die bisherige Reichsautobahnforschung in einem wichtigen Punkt zu revidieren. Zumindest im Fall des Autobahnbaus in (Süd-)Hessen lässt sich der Planungsprozess nicht mehr als ein zentralistisches top-down-Verfahren erklären. Das Beispiel (Süd-)Hessen zeigt, wie regionale Interessenvertreter – Verkehrsplaner in Großstädten und Regierungsbezirken – mit proaktiver Planung und durch standortpolitisches Lobbying beim Gauleiter die zentrale Autobahnplanung Todts im Sinne „ihrer“ Region beeinflussen konnten.

Fazit: Ruppmanns Monographie liefert gerade dank ihres regionalgeschichtlichen Ansatzes neue und allgemein relevante Erkenntnisse zur Geschichte der Reichsautobahn. Die immer noch weit verbreitete Vorstellung von der Autobahn als nationalsozialistischem Projekt wird nicht zum ersten Mal, aber am überzeugendsten, dekonstruiert.

Anmerkung:
1 Erhard Schütz/Eckhard Gruber, Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933–1941, Berlin 1996.

Kommentare

Von Vahrenkamp, Richard20.02.2013

Das Buch von Herrn Ruppmann ist eine Dissertation und muss daher gewissen Mindestanforderungen genügen. Eine davon ist die zutreffende und präzise Darstellung des Forschungsstandes zum Autobahnbau der Strecke Frankfurt-Darmstadt ab 1933 und der vorangegangenen Debatten im Hafraba-Verein. Die Arbeit von Herrn Ruppmann erweckt den Eindruck, als sei er der Pionier der Forschung in diesen Fragen. Mein Buch zum Autobahnbau in Hessen aus dem Jahre 2007 qualifiziert er ab, als fokussiere es allein auf die NS-Zeit. Demgegenüber halte ich fest, dass mein Buch, das auf der Auswertung der Archive Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt und dem Hessischen Hauptstaatsarchiv im Jahre 2005 beruht, ein ausführliches Kapitel zur Gründung der Hafraba in Frankfurt, zu den Rollen von OB Landmann und von Professor Otzen enthält. Die Debatten der verkehrswirtschaftlichen Akteure in Rhein-Main-Gebiet werden ausführlich behandelt.1

Die intensive Beschäftigung mit einem Thema birgt für den Historiker stets die Gefahr der mangelnden Distanz zum Gegenstand. Bei dem Buch von Herrn Ruppmann wird eine gewisse Überschätzung der verkehrspolitischen Diskussion über den Neubau von Fernstraßen in Frankfurt deutlich. Vielmehr hätte er aufzeigen können, dass diese Diskussion auch in anderen Städten geführt wurde, wie zum Beispiel ich am Beispiel von Kassel und Hannover dargestellt habe.2 Das Beispiel von Adenauers Durchsetzung der Autobahn Bonn-Köln ist in der Literatur auch weithin bekannt.3 Damit wird die unterstellte Einmaligkeit der Frankfurter Verkehrsdiskussion relativiert.

Überraschend am Buch von Herrn Ruppmann ist, dass er die Kritik am Bau des Frankfurter Kreuzes 1956 gar nicht erwähnt. Vielmehr stellt diesen Bau als logischen Abschluss einer Autobahnidee vor. Demgegenüber ist in der Literatur vorgebracht worden, dass wegen des geringen Verkehrs und wegen eng begrenzter Finanzmittel in der jungen Bundesrepublik das Frankfurter Kreuz bloß eine niedrige Priorität gehabt haben sollte.4 Schließlich war die bis Wiesbaden reichende Autobahn von Köln her mit einer Schnellstrasse mit der Nord-Südautobahn bei Frankfurt bereits verbunden, und der Bau der Autobahn Frankfurt-Würzburg erfolgte erst spät in den 1960er-Jahren. Das Frankfurter Kreuz endete damit in einem Stumpf.

Anmerkungen:
1 Richard Vahrenkamp: Autobahnbau in Hessen bis 1943, Darmstadt 2007.
2 Op. cit., S. 80.
3 Op. cit., S. 28. Richard Vahrenkamp: Der lange Weg zur Autobahn Köln – Bonn. Verkehrspolitik und Autobahnbau im Rheinland 1925 bis 1932, in: Geschichte im Westen, Bd. 26, 2011, S. 178-189.
4 Vahrenkamp: Autobahnbau, S. 71f. Ausführlich wird Stellung zum Frankfurter Kreuz bezogen in Richard Vahrenkamp: The German Autobahn 1920 – 1945. Hafraba Visions and Mega Projects, Köln 2010, S. 139-145.


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