I. Holzwart-Schäfer: Das Karmelitenkloster in Esslingen

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Titel
Das Karmelitenkloster in Esslingen (1271–1557). Ein südwestdeutscher Mendikantenkonvent zwischen Ordensideal und Alltagswirklichkeit


Autor(en)
Holzwart-Schäfer, Iris
Reihe
Esslinger Studien 22
Erschienen
Ostfildern 2011: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
467 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annelen Ottermann, Abteilung Handschriften, Rara, Altbestände, Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz

In der Stadtgeschichte Esslingens am Neckar ist Iris Holzwart-Schäfer zuhause – über ein Jahrzehnt hat sie sich in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder mit Einzelaspekten der Esslinger Ordens-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Spätmittelalter beschäftigt1 und wirkte 2009 maßgeblich an dem großen Ausstellungs- und Katalogprojekt „Klöster und Pfleghöfe in Esslingen“ mit.2 Das besondere Forschungsinteresse der Historikerin, die heute an den Universitäten Tübingen und Stuttgart Mittelalterliche Geschichte lehrt, gilt Fragen der Ordensgeschichte und -reform, speziell in Bezug auf die Bettelorden. Aus diesem Themenkomplex stammt auch ihre im Jahr 2009 eingereichte, von Sönke Lorenz betreute, Dissertation zur Geschichte des Esslinger Karmelitenkonvents, für die Holzwart-Schäfer mit dem ‚Dr. Fritz Landenberger‘-Preis ausgezeichnet wurde. Die gleichnamige Stiftung unterstützte die Druckfassung der Arbeit, die jetzt geringfügig überarbeitet, in solider und ansprechender äußerer Form erschienen ist. Die Aufnahme der Untersuchung in die Schriftenreihe ‚Esslinger Studien‘ darf als ein Glücksgriff sowohl für die landeskundliche Forschung Südwestdeutschlands als auch für die überregionale Ordensgeschichte gelten und wird der Arbeit die ihr angemessene Präsenz in wissenschaftlichen Bibliotheken garantieren.

Dass das Buch einen solchen Platz verdient, steht nach der Lektüre der Studie außer Zweifel! Holzwart-Schäfer stößt damit in mehrfacher Hinsicht in eine Forschungslücke: Dies betrifft zum einen den Ordo Fratrum Beatissimae Mariae Virginis de Monte Carmelo, einen der vier großen mittelalterlichen Mendikantenorden, dessen historische und strukturelle Erforschung im Vergleich mit den Dominikanern und Franziskanern bislang schwach ausgeprägt war. Das zweite Forschungsdesiderat bezieht sich auf die Geschichte der Esslinger Karmelitenniederlassung, für die bis dato eine umfassende Untersuchung und Auswertung der Quellen fehlte.

Im Bewusstsein dieser Forschungslage hat Holzwart-Schäfer ihre Untersuchung doppelgleisig konzipiert und neben dem eigentlichen Sujet ihrer Arbeit, dem Esslinger Karmelitenkonvent, auch der Geschichte des Karmelitenordens breiten Raum gelassen. Dass sie in dem recht umfänglichen Einleitungskapitel sogar noch weiter ausholt und den Stand der ordensübergreifenden Mendikantenforschung ausführlich darstellt, überfrachtet die Arbeit in unnötiger Weise. Hilfreich dagegen sind die Abschnitte zur Forschungs- und Quellenlage der Karmeliten im deutschsprachigen Raum, die in eine Skizzierung der Überlieferung zum Esslinger Konvent selber münden. Der mehrfache Perspektivenwechsel zwischen „Bettelorden allgemein, Bettelorden Esslingen, Karmeliten Deutschland, Karmeliten Esslingen“ erschwert die Orientierung bei der ersten Lektüre dieses Kapitels; hier hätte man sich eine stringentere Abfolge und eine konsequentere Kennzeichnung des jeweiligen Betrachtungsgegenstandes auch in den Kapitelüberschriften gewünscht.

Besonders lobende Erwähnung verdient der Umstand, dass Holzwart-Schäfer sich nicht auf die Auswertung archivalischer und anderer handschriftlicher Quellen beschränkt, sondern auch archäologische Befunde heranzieht, die, wie sich im Verlauf der Arbeit erwiesen hat, als Ergänzung und mitunter als Korrektiv für die schriftliche Überlieferung dienen. Es schließt sich ein mehr als 40 Seiten umfassendes Kapitel über den Karmelitenorden im Mittelalter an, das angesichts der bis heute vergleichsweise wenigen Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Karmeliten3 im deutschsprachigen Raum auch aufgrund seiner sorgfältigen Quellenbelege Maßstäbe setzt. Holzwart-Schäfers historischer Abriss reicht von der Frühzeit des Ordens, den Legenden zu seinem Ursprung, über seine Expansion und Umwandlung von der eremitischen zur mendikantischen Lebensweise, seiner Entwicklung im 13. und 14. Jahrhundert, dem Armutsstreit, der elianisch-marianischen Tradition bis zu den Reformbestrebungen und der Regelmilderung im 15. Jahrhundert. Die Darstellung überzeugt durch souveräne Quellen- und Literaturkenntnis und ist sowohl eine gut lesbare, orientierende Einführung für die erste Beschäftigung mit dem Thema wie auch Ausgangspunkt für quellenbasierte tiefer gehende Untersuchungen.

Nach 80 Seiten tritt die Studie in den Hauptteil und widmet sich auf den folgenden rund 300 Seiten der Geschichte des Esslinger Konvents, der zu den ältesten Gründungen innerhalb der oberdeutschen Karmelitenprovinz gehört, von dem mutmaßlichen Jahr seiner Ansiedlung 1271 bis hin zur endgültigen Auflösung 1557. Die erstmalige Aufarbeitung der Quellen und Grabungsergebnisse darf methodisch und fachlich als herausragend gelten! Das Inhaltsverzeichnis bildet die sehr differenzierte Untergliederung der chronologischen Darstellung ab und erlaubt eine schnelle und zielgenaue Orientierung bei der Suche nach thematischen und zeitlichen Abschnitten. Auch die regelmäßigen Zusammenfassungen von Ergebnissen am Ende größerer Kapitel erleichtern die Lesbarkeit und verdeutlichen Zusammenhänge. Gelegentliche Wiederholungen stören nur unwesentlich.

Mit dem Untertitel ihrer Arbeit: „Ein südwestdeutscher Mendikantenkonvent zwischen Ordensideal und Alltagswirklichkeit“ weist Holzwart-Schäfer auf den Schwerpunkt ihrer Forschungen hin: Am Beispiel der Esslinger Karmeliten werden die Entwicklung von einer eremitischen Gemeinschaft zu einem in das Stadtgefüge integrierten Bettelorden, seine Beziehungen und Interaktionen im Verhältnis zur oberdeutschen Ordensprovinz, den großen und früher angesiedelten Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner, dem in Seelsorge und Predigt häufig in Konkurrenz stehenden Weltklerus, der städtischen Obrigkeit und der Bürgerschaft untersucht. Der für den Prozess der Umwandlung in einen Bettelorden existentiellen Frage des Armutsgebots, des Umgangs mit Gemeinschafts- und Privatbesitz, wie auch der Anpassung mendikantischer Ordensideale an die Erfordernisse des täglichen Lebens und Aspekten der Wirtschaftsführung und Vermögenslage im Kloster geht Holzwart-Schäfer nach und stellt dies im Kontext der Observanzbewegung dar.

Wie sie einleitend schreibt, fühlt sich Holzwart-Schäfer methodisch dem Ansatz der Mikrohistorie verpflichtet, will demnach „exemplarisch historische Realität“ (S. 22) abbilden und durch die Untersuchung des Esslinger Konvents allgemeingültige strukturelle Entwicklungen und Probleme eines Bettelordens aufzeigen. Entsprechend breiten Raum nimmt ein Fallbeispiel für die Zeit der „Krise und Reform im 15. Jahrhundert“ ein, das an der Person eines vermögenden Karmelitenpriors den Umgang mit Armuts- und Gemeinschaftsgeboten, Regelwidrigkeiten und Observanzringen in einer konkreten Ausprägung erläutert (S. 176–209). Das Resümee der Arbeit gliedert die zuvor chronologisch dargestellte Entwicklung unter thematischen Aspekten, greift die eingangs gestellte Forschungsfrage nach den „vielfältigen Beziehungen des Konvents zu seiner Umwelt“ (S. 22) auf und fasst die dazu gewonnenen Erkenntnisse zusammen.

Im Anhang werden die Amtsträger und Konventsmitglieder des Esslinger Karmelitenkonvents in chronologischer bzw. alphabetischer Ordnung und mit Quellen- und Literaturangaben aufgeführt. Dies darf als unschätzbare Hilfestellung für jede künftige prosopographische Untersuchung gelten. Die sich anschließenden tabellarischen Übersichten haben im Wesentlichen Fragen der Wirtschaftsführung des Karmelitenklosters zum Inhalt und leisten eine wertvolle Zusammenstellung von Urkunden zu den Esslinger Mendikanten und der Geistlichkeit der Stadt. Im kombinierten Register der Orts- und Personennamen wären gelegentliche erläuternde Hinweise zu den gewählten Ansetzungsformen mittelalterlicher Namen hilfreich gewesen. In Anbetracht des durch die Zusammenführung von Autoren, historischen Persönlichkeiten, Ordensangehörigen und Vorbesitzern heterogenen Registers hätte eine Kennzeichnung der Esslinger Karmeliten (zum Beispiel durch *) für mehr Transparenz gesorgt.

Die Souveränität, mit der Holzwart-Schäfer die archivalischen und archäologischen Quellen bearbeitet, den Forschungsstand dargestellt und die bisherigen Forschungsansätze bewertet hat, spiegelt sich eindrucksvoll im Quellen- und Literaturverzeichnis wider, das ihren sowohl in die Breite als auch in die Tiefe gehenden Ansatz bestätigt und ihre langjährige Vertrautheit mit ordensgeschichtlichen und regionalhistorischen Fragestellungen – auch durch eigene Veröffentlichungen – unter Beweis stellt. Der glänzenden Arbeit von Iris Holzwart-Schäfer ist eine große Verbreitung und intensive Rezeption zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Ausführlich Iris Holzwart-Schäfer, Großer gotzdienst, ußschwaiffig wandel. Die Esslinger Mendikanten von den Klosterreformen des 15. Jahrhunderts bis zur Reformation, in: Esslinger Studien 42 (2003), S. 65–115.
2 Kirsten Fast / Joachim J. Halbekann / Iris Holzwart-Schäfer (Hrsg.), Zwischen Himmel und Erde. Klöster und Pfleghöfe in Esslingen. Eine Ausstellung der Städtischen Museen und des Stadtarchivs Esslingen am Neckar, Petersberg 2009.
3 Seit Längerem schon ist das Monasticon Carmelitanum in Aussicht gestellt, ein erstes großes Handbuch der Klöster des Ordens der Karmeliten: Edeltraud Klueting / Stephan Panzer / Andreas H. Scholten (Hrsg.), Monasticon Carmelitanum [erscheint voraussichtlich 2012], vgl. <http://www.karmelitenorden.de/karmelcms/monasticon/monasticon.html> (13.7.2011). Holzwart-Schäfer hat hierfür den Beitrag zum Esslinger Konvent verfasst.

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