H. Arendt u.a.: Eichmann war von empörender Dummheit

Titel
Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe. Herausgegeben von Ursula Ludz und Thomas Wild


Autor(en)
Arendt, Hannah; Fest, Joachim
Erschienen
München 2011: Piper Verlag
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Krause, Geisteswissenschaftliche Sektion, Universität Konstanz

Der vorliegende Band ist eine Zusammenstellung von Texten unterschiedlicher Art, die uns Auskunft über die intellektuelle Beziehung zwischen der Philosophin Hannah Arendt und dem 20 Jahre jüngeren Historiker und Publizisten Joachim Fest geben bzw. geben sollen. Der Dreh- und Angelpunkt dieser – man kann es kaum anders sagen – sehr sporadischen Beziehung ist der Prozess gegen Adolf Eichmann, zu dem Arendt ihren berühmten, 1964 in deutscher Übersetzung veröffentlichten Bericht „Eichmann in Jerusalem“ schrieb. Dass der Band zum jetzigen Zeitpunkt publiziert wird, liegt sicher nicht zuletzt daran, dass sich 2011 der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Eichmann zum 50. Mal jährt und hierdurch auch ein gewisser Aufmerksamkeitsschub für diesen Briefwechsel erwartet werden kann.

Den Kern des Buches bildet ein aus dem Nachlass Arendts stammender, 17 Schreiben umfassender Briefwechsel aus den Jahren 1964 bis 1973 zwischen Hannah Arendt und Joachim Fest. Die ersten sechs Briefe (vom August 1964 bis zum Januar 1965) widmen sich der Vor- und Nachbereitung eines Radiogesprächs, das Fest mit Arendt im September 1964 vor dem Hintergrund der deutschen Veröffentlichung von „Eichmann in Jerusalem“ führte. Dieses Gespräch wurde am 9. November 1964 im Südwestrundfunk (SWR) in der Reihe „Das Thema“ gesendet und liegt hier ebenfalls zum ersten Mal gedruckt vor, ist aber bereits seit 2007 online im Volltext verfügbar.1 Die weiteren elf Briefe stammen aus der Zeit zwischen Dezember 1969 und Dezember 1973; sie drehen sich vor allem um Joachim Fests umfangreiche Hitler-Biografie, seine Mitarbeit an den „Erinnerungen“ Albert Speers und die sich daraus ergebenden Auseinandersetzungen mit den Motiven von NS-Verbrechern. Die Wiederaufnahme des Kontakts erfolgte auf Initiative Fests, der im Dezember 1969 als Redakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ darum bemüht war, Arendt als Autorin für einen Essay zu gewinnen, was sie jedoch ablehnte.

Ergänzt und zeitgeschichtlich kontextualisiert werden diese Dokumente durch vier weitere Texte, die in der zeitgenössischen Kontroverse um Arendts Prozessbericht aus Jerusalem von nicht unerheblicher Bedeutung waren: eine Erklärung des „Council of Jews from Germany“ vom 22. März 1963, der Aufsatz „Der verdrehte Eichmann“ von Golo Mann (zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift „Die Neue Rundschau“ im Jahre 1963), ein Artikel von Mary McCarthy, der am 10. Oktober 1964 in der Tageszeitung „Die Welt“ publiziert wurde, sowie ein Beitrag von Reinhard Baumgart aus dem Jahre 1965, der zuerst in der Zeitschrift „Merkur“ erschien. Diesen Dokumenten ist eine längere Einleitung der Herausgeber vorangestellt.

Arendt wie auch Fest sind maßgeblich mitverantwortlich für unsere Sicht auf führende Akteure des „Dritten Reiches“: Fest hat mit seiner Hitler-Biografie von 1973, seinem Buch „Das Gesicht des Dritten Reiches“ (1963) und nicht zu vergessen seiner Mitarbeit an den „Erinnerungen“ Albert Speers (1969)2 über lange Jahre das Bild des „Führers“ und der Nazi-Elite entscheidend mitgeprägt. Arendt hat wie keine andere die öffentliche Wahrnehmung Eichmanns geformt und mit ihrem Wort von der „Banalität des Bösen“ eine besonders einprägsame Formel zur Beschreibung der NS-Schreibtischtäter geliefert. Dass ihre Thesen über Eichmann und seine Motive, ihre Äußerungen zur israelischen Prozessführung und vor allem zur Rolle der „Judenräte“ bei der Umsetzung des Holocaust eine heftige Kontroverse ausgelöst haben, ja bis heute umstritten sind, ändert nichts daran, dass Arendts Beschreibung Eichmanns als eines „Verwaltungsmassenmörders“ mit mangelnder Vorstellungskraft und Empathie zu einem verfestigten Sediment geworden ist, auf dem die Wahrnehmung von Tätern bis heute beruht.

Was erfahren wir nun aus den Briefen und dem transkribierten Radiogespräch, was wir bisher nicht wussten? Arendts Position zum Fall Eichmann ist weithin bekannt; hier ist wenig Neues zu erwarten. Etwas anders verhält es sich in Bezug auf Fest. Seine in den Briefen geäußerte, nahezu uneingeschränkte Zustimmung zu Arendts Ausführungen über Eichmann ist in ihrer Deutlichkeit durchaus überraschend. Besonders aus Fests ersten Briefen wird deutlich, dass er Arendts Thesen zu Eichmann nahezu gänzlich teilt. In späteren Schreiben betont er gar, dass ihn Arendts Eichmann-Buch bei der eigenen Arbeit nachhaltig beeinflusst habe. So schreibt er ihr im Dezember 1969, dass sie ihm „ja doch eigentlich den Anstoß gegeben“ habe (S. 86), mit der Arbeit an der Hitler-Biografie zu beginnen.

Fests Zustimmung geht so weit, dass er Arendt gleich zu Beginn des Briefwechsels anbietet, das geplante Radiogespräch dazu zu nutzen, die erwartbaren „Einwände“ gegen die deutsche Übersetzung ihres Eichmann-Buchs „abzuwehren“ (S. 65). Hierzu legt er in seinem zweiten Brief einen umfangreichen Fragenkatalog vor und entwirft auf diese Weise gleichsam eine Strategie zur Widerlegung ihrer Kritiker. Diesen Vorschlag lehnt Arendt in ihrem Antwortschreiben freundlich, aber unmissverständlich ab und schlägt stattdessen vor, dass sie „ein Gespräch“ führen, „aber nicht ein Interview“ machen sollten: „Wir gehen nicht aus von Einwänden gegen mein Buch, sondern von den Problemen, zu denen wir beide etwas zu sagen haben.“ (S. 76f.) Auf nahezu servile Art stimmt der junge und aufstrebende Journalist Fest diesem Vorschlag sogleich zu. In diesem Gespräch herrscht denn auch große Einigkeit hinsichtlich der Beweggründe Eichmanns. Arendt betont erneut, dass es ihm an „‚verbrecherischen Motiven’“ (S. 38) gemangelt habe: „Er war der typische Funktionär“ (S. 39), der letztlich aufgrund des Unvermögens, sich an die Stelle von anderen zu denken, Teil der Mordmaschinerie geworden sei. Und Fest pflichtet ihr bei: Eichmann war für beide die Verkörperung eines neuen Mördertypus, eines Mörders aus Gedankenlosigkeit, Dummheit und Pflichtgefühl, und eben kein überzeugter Nazi, der durch hasserfüllten Antisemitismus zu seinen Taten getrieben worden wäre.

In den späteren Briefen tritt ein anderer NS-Täter ins Zentrum der Korrespondenz: Albert Speer. Arendt ist irritiert von den „Erinnerungen“ Speers, die Fest als Lektor betreut hatte. Sie kann den hoch gebildeten Akademiker und Architekten nicht mit dem Nazi und Rüstungsminister in Einklang bringen. Während Fest jedoch in Speer keinen überzeugten Nazi erkennt, sondern einen ehrgeizigen Mann, der aufgrund einer mit „homoerotischen Elementen“ verwobenen persönlichen Beziehung zu Hitler an diesen „und die ganze Gang geraten“ sei (S. 95f.), ist sich Arendt unsicher. Zunächst formuliert sie die Ansicht, Speer sei „wahrhaftigen Gottes Nazi geworden“; später kehrt sie jedoch zu ihrer bekannten, bereits in Bezug auf Eichmann formulierten These zurück: „‚Gedankenlosigkeit’ ist zwar eine höchst unbefriedigende Antwort, aber wahrscheinlich die einzig richtige.“ (S. 98)

So sind sich Arendt und Fest letztlich in beiden Fällen einig: Aus ihrer Sicht waren weder Eichmann noch Speer Überzeugungstäter. Während Eichmanns Weg zum „Verwaltungsmassenmörder“ durch Dummheit und Gehorsam erklärt wird, waren es bei Speer die enge Bindung an Hitler und blindes Karrierestreben, die ihn zum Rüstungsminister der Nazis werden ließen. Dass Eichmann und Speer womöglich doch aus Überzeugung handelten, wie es viele neuere Forschungen inzwischen nahelegen, scheint sowohl für Arendt als auch für Fest damals unvorstellbar gewesen zu sein.

Die in dem vorliegenden Band versammelten Dokumente beleuchten (weitere) Details der deutschen Intellektuellengeschichte nach dem Holocaust; zudem erfahren wir, dass Joachim Fest von der Arbeit Hannah Arendts beeinflusst war – was interessant, aber nicht wirklich überraschend ist. Rechtfertigt dies eine eigenständige Veröffentlichung in Buchform, oder wäre eine Dokumentation des Briefwechsels in einer Zeitschrift nicht der bessere Weg gewesen?3 Hier mögen auch verlegerische Interessen eine Rolle gespielt haben.

Anmerkungen:
1 Ebenfalls kommentiert von Ursula Ludz und Thomas Wild: <http://hannaharendt.net/documents/inhaltIII.html> (20.7.2011). Ausschnitte des Radiogesprächs sind als Tondokument verfügbar unter <http://www.youtube.com/watch?v=Dc6ZEa_8scM> (20.7.2011).
2 Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1973; Ders., Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, München 1963; Albert Speer, Erinnerungen, Berlin 1969.
3 Dies ist z.B. im Falle des Briefwechsels von Hannah Arendt mit der israelischen Historikerin Leni Yahil aus den Jahren 1961 bis 1971 geschehen – in Yad Vashem Studies 37 (2009) und im Mittelweg 36 19 (2010).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch