M. Middell u.a. (Hrsg.): Theoretiker der Globalisierung

Cover
Titel
Theoretiker der Globalisierung.


Herausgeber
Middell, Matthias; Engel, Ulf
Erschienen
Anzahl Seiten
475 S.
Preis
€ 33,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dominic Sachsenmaier, History Department, Duke University

Der Band Theoretiker der Globalisierung ging im Wesentlichen aus dem Leipziger Graduiertenkolleg „Bruchzonen der Globalisierung“ hervor. In insgesamt 26 Beiträgen porträtieren Doktoranden und Hochschullehrer des Graduiertenzentrums Leipzig einzelne Wissenschaftler, welche sich mit Fragen der Globalisierung und verwandten Themenkreisen befassen. Auf einer Länge von jeweils etwa zwölf bis 20 Seiten werden in jedem Kapitel einzelne Theoretiker sowohl im Hinblick auf ihren wissenschaftlichen Werdegang als auch auf ihre Ansätze zu verschiedenen Facetten der Globalisierung vorgestellt. In diesem Zusammenhang erörtern die verschiedenen Autoren des Bandes häufig die fach- und regionalspezifischen Zusammenhänge, in welchen einzelne Denker und Denktraditionen verortet sind. Dabei verzichten die Einzelstudien im Allgemeinen auf den Versuch intellektueller Gesamtporträts, sondern bleiben auf Fragestellungen fokussiert, welche für die Globalisierungsforschung besonders relevant sind. Dies trägt mit Sicherheit zum Profil des Bandes bei.

In gewisser Weise lässt sich Theoretiker der Globalisierung als Handbuch der Globalisierungsforschung verstehen, welches sowohl als Nachschlagewerk sowohl für die Forschung als auch für die Doktorandenausbildung einen hohen Nutzwert haben dürfte. Der Eindruck eines Handbuchs wird verstärkt durch die alphabetische Gliederung des Buches, welche nach den Namen einzelner Denker und Theoretiker geordnet ist. Wie die Herausgeber in der Einleitung betonen, erhebt der Band keineswegs den Anspruch, themenbezogene Forschungslandschaften adäquat zu repräsentieren oder gar deren Gipfel in ihrer Gesamtheit abzubilden. Ganz im Gegenteil werden bereits in diesem Band erweiterte Folgeauflagen oder gar neue Überblickswerke zum Thema angedacht und angeregt.

Die 26 Einzelstudien skizzieren einen weiten Kreis von Geistes- und Sozialwissenschaftlern, welche sich allesamt mit Problemen und Phänomenen der Globalisierung im weitesten Sinne befassen. In diesem Zuge deckt der Band einen breiten Kanon akademischer Fächer ab, welcher von der Soziologie (zum Beispiel Niklas Luhmann) und der Geographie (zum Beispiel David Harvey) und bis hin zur Anthropologie (zum Beispiel Arjun Appadurai) und den Literaturwissenschaften (zum Beispiel Homi Bhabha) reicht. Daneben wird auch eine Reihe weiterer Theoretiker besprochen, die unmittelbar mit den akademischen Debatten zu Aspekten der Globalisierung während der vergangenen beiden Jahrzehnte in einen Zusammenhang gebracht werden –unter anderem Manuel Castells, Saskia Sassen, Zygmunt Bauman, Roland Robertson und Kwame Anthony Appiah.

Daneben enthält der Band auch Porträts prominenter Akademiker wie etwa Edward Said oder Fernand Braudel, welche in ihren eigenen Forschungen kaum mit dem Begriff der „Globalisierung“ operierten. Die jeweiligen Beiträge betonen dennoch die Signifikanz derartiger Wissenschaftsgrößen für Theorien und Ansätze der Globalisierungsforschung. In der Tat lässt sich argumentieren, dass etwa die historisch-geographischen Raumkonzeptionen Braudels auf wichtige Zweige der Globalgeschichte einen kaum zu vernachlässigenden Einfluss hatten. Ebenso waren tragende Elemente der im Wesentlichen von Said angestoßenen Orientalismus-Debatte von großer Bedeutung für eine Vielzahl von Arbeiten zu kulturellen Strömungen und hegemonialen Strukturverschiebungen, welche oftmals unter dem Begriff der „Globalisierung“ subsummiert werden.

Jedoch befassen sich nicht alle Beiträge des Bandes mit Klassikern der Globalisierungsforschung, beziehungsweise mit Wissenschaftlern, deren Hauptwerke im Begriff sind, zu Klassikern zu werden. Zum Beispiel behandelt Stefan Troebst den 1988 verstorbenen schwedischen Wirtschaftshistoriker Artur Attman, der mittlerweile sogar in seinem eigenen Heimatland nahezu in Vergessenheit geraten ist. Nach Troebst sind Attmans Werke jedoch als Fundamente der Braudel’schen und Wallerstein’schen Arbeiten zu einer „europäischen Weltwirtschaft“ zu begreifen, da er globale ökonomische Vernetzungen und Dependenzen bereits unter ähnlichen Gesichtspunkten behandelte und beispielsweise Mechanismen des Zusammenhangs zwischen dem „Aufstieg“ Nordwesteuropas und der Genese ökonomischer Ergänzungsräume im Osten des Kontinents historisch nachzuzeichnen suchte.

Die Liste der besprochenen 26 Autoren deckt ein breites Spektrum geographischer Schwerpunkte der Globalisierungsforschung ab. Insofern kann die Lektüre des Bandes insbesondere Studenten besonders anschaulich vermitteln, dass das Gros theoretischer Ansätze zu Fragen, Konstellationen und Problemen der Globalisierung auf der Basis regionalspezifischer Expertise entworfen wurde. Unter anderem wird dies im Falle Koichi Iwabuchis und Nestor Garcia Canclinis deutlich, die in ihren – sehr unterschiedlich gelagerten - Studien zu Kultur, Kommunikation und Globalisierung weitgehend von japanischen, beziehungsweise lateinamerikanischen Fallbeispielen ausgingen.

Leider ermöglicht das Format eines Handbuchs es kaum, der Frage nach der Dominanz und Marginalität einzelner „academic communities“ in der Globalisierungsforschung nachzugehen. An den Intellektuellen-Porträts des Bandes ist auffällig, dass nahezu alle der 26 dargestellten Theoretiker der Globalisierung ihre wissenschaftliche Karriere entweder ausschließlich oder zumindest in großen Teilen in europäischen oder nordamerikanischen Wissenschaftssystemen verbrachten, vor allem im anglo-amerikanischen Raum. Zu einem gewissen Grade mag dies von einer immer noch anhaltenden globalen Dominanz westlicher Universitäten zeugen. Allerdings gibt es – trotz aller globalen Vernetzung intellektueller Diskurse und akademischer Strukturen - weiterhin Anzeichen für regionalspezifische Debatten zu Kernthemen der Globalisierung.

Wie die Herausgeber des Bandes, Matthias Middell und Ulf Engel, in einer sehr lesenswerten Einleitung hervorheben, kann die Globalisierung mitnichten als monolithischer und objektiv gegebener Prozess konzeptioniert werden. Vielmehr treten in einer Zeit, in welcher der Globalisierungsbegriff kein Novum im terminologischen Repertoire der Geistes- und Sozialwissenschaften mehr darstellt, Unterschiede in theoretischen und praktischen Zugängen immer stärker hervor. Dies gilt unter anderem für das Forschungsinteresse an einzelnen Facetten der Globalisierung, welche von kulturellen Strömungen und ökonomischen Prozessen bis hin zu Migrationsmustern und sogar politischen Formen der Reterritorialisierung reichen kann. Gerade weil – wie beide Autoren betonen – Globalisierung nicht als einheitlicher Prozess gedacht werden kann, der zunächst einzelne Weltregionen und im Anschluss Nachzügler erfasst, bleiben regionale Erfahrungen, Aufarbeitungen und Konzeptionen dieses Begriffs von besonderer Bedeutung für die Forschung. Insofern wäre es für etwaige Folgebände durchaus lohnend, stärker auch Theoretiker der Globalisierung einzubeziehen, die in bestimmten Ländern und Weltregionen von großem Einfluss sind, deren Werke aber dennoch kaum in westliche Sprachen übertragen wurden. In diesem Sinne wäre es sehr begrüßenswert, wenn der Ansatz des Bandes fortgeführt und systematisch ausgeweitet werden könnte.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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