M. Goer u.a. (Hrsg.): Bauforschung in Quedlinburg und der Harzregion

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Titel
Bauforschung in Quedlinburg und der Harzregion. Bericht über die Tagung des Arbeitskreises für Hausforschung in Quedlinburg vom 11. bis 15. Juni


Herausgeber
Goer, Michael; de Vries, Dirk J.; Furrer, Benno; Klein, Ulrich; Stiewe, Heinrich; Weidlich, Ariane
Reihe
Jahrbuch für Hausforschung 57
Anzahl Seiten
320 S., 287 Abb.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Der Sammelband, der im Nachgang zur 2006 im Quedlinburger „Kaiserhof“ abgehaltenen Jahrestagung des Arbeitskreises für Hausforschung entstand, vereint 19 – wie zu erwarten – sehr unterschiedliche Texte von 16 Autoren. In den ersten acht Beiträgen werden Fachwerkbauten der Stadt Quedlinburg betrachtet, in den folgenden fünf mehrere Bauten im nahegelegenen Stolberg im Harz und in den abschließenden sechs weitere Bauten in Erfurt, Schwäbisch Hall, Neustadt an der Weinstraße, Kaub am Rhein und einigen hessischen Städten. In Anlehnung an die Schwerpunktsetzung des Titels werden im Folgenden besonders die Beiträge zu Quedlinburg und der Harzregion besprochen.

Die allgemeinen Erläuterungen zur Baugeschichte Quedlinburgs von Falko Grubitzsch sollten den nach Quedlinburg gereisten Tagungsteilnehmern einen einleitenden Überblick über die Stadtstruktur geben, setzten damals aber zu viel Vorwissen voraus. Dem für den Druck nun verbesserten Beitrag fehlen allerdings in den Anmerkungen die Seitenangaben. Einige Unschärfen („prosaische[.] Metapher einer Metropolis“; S. 12) basieren auf einem veralteten Forschungsstand. Auch das Fehlen der für die These von Quedlinburg als einer Ackerbürgerstadt notwendigen Ackerbürgerhöfe (S. 28) wurde bereits während der Tagung mehrfach angemerkt und hätte für den Druck aufgegriffen werden können, wie dies bei anderen Beiträgen (zum Beispiel Uwe Rumeney, S. 284 Anm. 6) geschehen ist.

Im Detail Bemerkenswertes hat Karlheinz Wauer aus den Kirchenbüchern und Steuerregistern gefiltert (S. 40–43). In jahrelanger, mühevoller Transkriptionsarbeit hat er ein Häuserbuch erstellt, das mit denen anderer Städte durchaus vergleichbar ist, das jedoch nach einem kurzen Intermezzo als Internet-Datenbank1 noch auf eine freie und benutzerfreundliche Form wartet. Während die reine Transkription der Quellen sehr vorbildlich ist, wird die Interpretation der Befunde durch eine anachronistische Übertragung der rekonstruierten Zustände des 17./18. Jahrhunderts auf ältere Zeitstufen geschmälert. Insbesondere die für das 14. Jahrhundert nachgewiesene Bedeutung der Gewandschneiderinnung2 wird aufgrund der späteren Befunde angezweifelt und die Bedeutung von Ackerbürgern hervorgehoben (S. 45).

Ergänzend zu den in seiner Dissertation beschriebenen dendrochronologischen Befunden des Südharzes und Thüringens, gibt Thomas Eißing hier eine wertvolle Einführung in die Problematik des im nördlichen Vorharz verbauten Fichtenholzes und der aus der besonderen Niederschlagsverteilung des Harzes notwendigen Regionalchronologien (S. 55). Dabei wird auch methodisch die große Komplexität der Auswertung der Kurven in Bezug auf den Flussholztransport (S. 56 u. 66) transparent. Als lokale Besonderheiten lässt sich für Quedlinburg ab dem 12. Jahrhundert die Verwendung von Fichte (und wenig Buche) belegen. Aufgrund der bisher ausgewerteten 2.300 Proben aus 250 Quedlinburger Gebäuden, von denen derzeit 70 Prozent datiert werden können, schließt der Verfasser auf eine regelhafte Waldwirtschaft (Plenterwald) bereits im 14. Jahrhundert (S. 65).

Die gefügekundlichen Untersuchungen von Frank Högg haben zusammen mit den Dendrodatierungen von Thomas Eißing in den letzten Jahren das Wissen über das erhaltene Fachwerk in Quedlinburg und in Stolberg im Harz revolutioniert. Der Erkenntnisgewinn kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, denn mittlerweile sind mehr als 20 Gebäude(teile) bekannt, die in Quedlinburg ins 13. bis 15. Jahrhundert datieren. Die detaillierten Einzeluntersuchungen lassen einige allgemeine Beobachtungen zum Fachwerkbau zu, die über Quedlinburg hinaus Bedeutung haben. So war die Traufstellung der Häuser dort bereits im 13. Jahrhundert üblich. Die Besonderheit der Quedlinburger Zimmerleute, ab dem 16. Jahrhundert häufig ihren Namen zu den Hausinschriften hinzuzufügen, wird ergänzt durch die Beobachtung, dass sie bereits im 13./14. Jahrhundert ihren Abbund in den Blattsassen gekennzeichnet haben (S. 92). Bemerkenswert ist auch, dass sich in Quedlinburg der im 13./14. Jahrhundert benutzte Kalkputz durch einen bläulich runden Kies charakterisiert (S. 81).

Der Artikel zur Hölle 11 von Claudia Hennrich und Mandy Schmidt setzt einen anderen Schwerpunkt als die zuvor zum gleichen Bau gemachten Erläuterungen von Frank Högg (S. 68–76). Einige methodische Unschärfen (S. 98), teilweise irreführende Formulierungen (S. 103), besonders bei der Nutzungsgeschichte (S. 106), erleichtern das Verständnis nicht gerade. Bei den Anmerkungen fällt auf, dass sie stellenweise entweder zu allgemein sind, wie „Dehio“ (Anm. 1 auf S. 108), oder auf unpublizierten Erkenntnissen anderer Bauforscher (Anm. 6, 11, 12 auf S. 108) beruhen.

Daniel Naumanns Text zum Finkenherd 5 wurde 2008 bereits andernorts gedruckt.3 Allerdings sind mehrfach die Zuordnungsnummern der Bauteile verändert worden und stimmen nicht mehr mit dem beigegebenen Grundriss überein. Erwähnenswert neben dem Kernbau von 1423 sind die figural bemalten Bohlen des Barockbauteils, die jedoch nicht „aus dem Haus selbst stammen und ursprünglich als Bohlenverkleidung der Gaststube gedient haben“ (S. 112), sondern zweitverwendete Reste barocker Einbauten aus der Stiftskirche der Äbtissin Anna Sophia sind.4

Der Text von Ulrich von Damaros zum Weingarten 22 stellt eine solide Studie über den ehemaligen Gasthof „Zum Güldenen Schwert“ dar. Während die zweiteilige Torinschrift nicht in der richtigen Reihenfolge transkribiert und dadurch ungenau übersetzt wurde, wird die Besitzer- und Baugeschichte auch textlich gut nachvollziehbar präsentiert und so die Abfolge der Bauten und ihre Datierungen (1588, 1595, 1634) transparent gemacht.

Der zweite Schwerpunkt des Jahrbuches liegt auf Stolberg im Harz. Der Beitrag von Claudia Hennrich zur Baugeschichte des Schlosses Stolberg zeigt, dass sich die Autorin mit diesem Bau intensiv auseinandersetzt hat. In ihrem zweiten Beitrag zum barocken Treppenhaus ebendieses Schlosses liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf den Freskomalereien (beachtenswerter Putto auf S. 191). Ergänzt wird diese durch die anschließenden Ausführungen der Restauratorin Anja Stadler zur restauratorischen Befunderhebung und den ergriffenen Restaurierungsmaßnahmen. Die zwei Stolberger Rathäuser stellt Monika Lücke anhand der historischen Überlieferung vor und macht dabei auch Vorschläge zur Rekonstruktion (S. 205f.) der Bauten. Im letzten Beitrag dieser Sektion stellt Frank Högg sechs bemerkenswerte Befunde von Bohlenstuben in Stolberg vor, die alle in das 15. Jahrhundert datiert werden.

Im dritten Teil des Bandes, der sich allgemein mit dem Fachwerkbau des 13./14. Jahrhunderts beschäftigt, beziehen sich die beiden ersten Beiträge auf Fachwerkbauten in Erfurt. Barbara Perlich-Nitz stellt das dendrochronologisch (d) ins Jahr 1295 datierte Gebäude Regierungsstraße 3 vor, dessen Funktion als Speicherbau anhand der Bauformen nachgewiesen wurde, womit das „älteste erhaltene Fachwerkgebäude Thüringens […] zugleich der älteste eigenständige Speicherbau in Erfurt“ ist (S. 241). Warum die auf 1463 (d) datierte Bohlenstube erst um 1700 eingebaut worden sein soll, wird nicht geklärt (S. 243). Dass der „Keller als Untergeschoß eines ebenfalls steinernen Gebäudes (Kemenate)“ (S. 236) aus dem 13. Jahrhundert datiert, wird gleich im folgenden Artikel von Christan Misch, der sich Erfurter Fachwerk-Großbauten widmet, angezweifelt: „Das Gebäude wurde wohl ohne Keller erbaut, der heute vorhandene ist jünger als das Haus“ (S. 245). Aufschlussreich sind die auf 1355/56 (d) datierten Fragmente des Hauses An der Stadtmünze 4, die von einem großen Baukörper zeugen, der als Mietshaus für die Juden hinter dem Rathaus errichtet worden sein könnte (S. 256). Generell kann auch in Erfurt für das 13./14. Jahrhundert die Traufständigkeit der Häuser angenommen werden (S. 255).

Albrecht Bedals Beitrag dokumentiert einen wahren Fachwerk-„Bauboom“ (S. 260) in Schwäbisch Hall ab 1360, dessen Höhepunkt von 1380 bis 1410 sich im heutigen Bestand nachweisen lässt. Dendrochronologische Reihenuntersuchungen, die 1990 gemacht wurden, halfen, die Bauherren und Kommunalpolitiker von der außergewöhnlichen Dichte des überlieferten Fachwerkbestandes zu überzeugen. Nach den Befunden der erhaltenen Bauten wurde im ersten Obergeschoß gewohnt (S. 264). Die erhaltenen Bohlenstuben lagen konstruktionsbedingt immer an einer Hausecke und blickten meist auf die Straße (S. 265). Die Entwicklung der gewölbten Spunddecken und ihrer Dämmung wird dargestellt (S. 268), ebenso das Phänomen einer zweiten Bohlenstube (S. 270) und die Entwicklung vom Vollwalm zum Halbwalm (S. 276). Generell war hier die Küche erst ab 1650 ein eigenständiger Raum (S. 271).

Uwe Rumeney rekonstruiert anhand einer zentralen Mittelwand zwei Fachwerk-„Doppelhaushälften“ von 1330 in der Metzgergasse 3 in Neustadt an der Weinstraße, wobei ihm der Bezug zum norddeutschen Fachwerk gelingt (S. 283).

Der aus Fachwerk gefertigte Kommandantenbau auf dem Pfalzgrafenstein bei Kaub am Rhein ist nach Frank Lorenz auf 1340 (d) zu datieren. Der Text gibt einen guten Überblick über die Befunde und macht die Entwicklung des Baus gut nachvollziehbar.

Im letzten Betrag des Sammelbandes bietet Ulrich Klein ausgewählte hessische Fachwerkbauten des 14. Jahrhunderts, aus Limburg, Wetzlar, Alsfeld, Marburg, Fritzlar, Gelnhausen, Fulda und Dieburg. Der Beitrag ist Teil einer größeren Serie über den hessischen Fachwerkbau im 13. und 15. Jahrhundert.5

Fazit: Der Band, dessen Aufmachung die hohen Ansprüche des Arbeitskreises für Hausforschung widerspiegelt, besticht nicht zuletzt durch die Qualität der (vielfach farbigen) Abbildungen und Zeichnungen. Als Kleinigkeiten sei angemerkt, dass auf Abb. 7 (S. 249) die Verhältnismäßigkeiten oder die Maße nicht stimmen können und die Beschriftungen einiger Abbildungen durch die Verkleinerungen sehr klein geworden sind (S. 282 u. 288f.). Aus den Beiträgen sind besonders die Texte von Högg und Eißing hervorzuheben, die für Quedlinburg, Stolberg und den nördlichen Vorharz, aber auch für das Fachwerk in Deutschland insgesamt neue Informationen vermitteln. Die sechs Beiträge des dritten Teils, insbesondere die Überblicksartikel zu Erfurt, Schwäbisch Hall und dem Hessischen Fachwerkbau, ermöglichen den nicht Fach(werk)spezialisten, die Quedlinburger und Stolberger Befunde in einem größeren Rahmen einzuordnen.

Anmerkungen:
1 Karlheinz Wauer, Häuserverzeichnis Quedlinburg, online: <http://home.arcor.de/kczrcz/> (16. Mai 2011).
2 Klaus Militzer / Peter Przybilla, Stadtentstehung, Bürgertum und Rat. Halberstadt und Quedlinburg bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Göttingen 1980.
3 Daniel Naumann, Finkenherd 5. Mittelalter hinter barocker Fassade, in: Archäologie und Bauforschung. Verborgenes Mittelalter, Quedlinburg 2008, S. 43–45.
4 Hermann Lorenz, Wiederentdeckte Reste von Deckenmalereien aus dem Kirchenstübchen der Aebtissin, in: Am Heimatborn. Beilage zum „Quedlinburger Kreisblatt“ 283 (30.09.1930), S. 1147f.
5 Ulrich Klein, Fachwerkbauten des 15. Jahrhunderts in Hessen, in: Jahrbuch für Hausforschung 58 (2008), S. 315–334; ders., Fachwerkbauten des 13. Jahrhunderts in Hessen, in: Jahrbuch für Hausforschung 56 (2011, im Druck).

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