J. Dochhorn: Schriftgelehrte Prophetie

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Titel
Schriftgelehrte Prophetie. Der eschatologische Teufelsfall in Apc Joh 12 und seine Bedeutung für das Verständnis der Johannesoffenbarung


Autor(en)
Dochhorn, Jan
Reihe
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 268
Erschienen
Tübingen 2010: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XV, 478 S.
Preis
€ 114,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Institut für Evangelische Theologie, Universität Koblenz-Landau

Das Neue Testament ist Quellgrund immerwährender Freude. Seit Hunderten von Jahren werden seine Texte hin und her gewendet und jede neue Generation versucht, mit immer anderen, manchmal sogar mit neuen und aussichtsreichen Methoden dem Text seine Geheimnisse zu entlocken. Verwundert mag sich der Außenstehende fragen, ob ein so oft behandelter Text wie etwa Apk 12 noch etwas zu sagen hat, das bislang noch nicht gehört wurde. Jan Dochhorn ist sich in seiner groß angelegten Untersuchung bewusst, dass es in seiner Generation schon drei ausführliche deutsche Monographien1 zu dem von ihm gewählten Text gibt; trotzdem ist er der Meinung, dass es noch viel zu tun gibt, um diese faszinierende Passage zu verstehen: „Neue Wege sind dennoch zu beschreiten, und zwar in der Auswertung der Parallelen, vor allem aber in der Auswertung des Textes selbst und seines Kontextes in der Apokalypse“ (S. 3).

Damit beginnt Dochhorn auch seine Auflistung der Forschungsdefizite: Seiner Meinung nach ist Apk 12 nicht ausreichend kontextualisiert, weshalb er dafür plädiert, eine futurische Interpretation von Apk 12 zu favorisieren. Außerdem sei der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Motivs vom Drachensturz nicht hinreichend geklärt. In meinen Augen fällt dem Verfasser allerdings die Begründung dieser These schwer, da gerade Jürgen Kalms dazu umfassend und überzeugend gearbeitet hat. Offensichtlich geht es Dochhorn eher darum, „eine Positionsbestimmung der Satanologie im frühjüdischen und frühchristlichen Monotheismus vorzubereiten“ (S. 7), was er selbst anscheinend in Angriff nehmen will. Dass in der Exegese ein undifferenzierter Dualismus bestehe, so ein weiteres Defizit der Forschung nach Dochhorn, kann ich nicht recht erkennen; dass er dagegen ein „Unbehagen an der religionsgeschichtlichen Methode“ (S. 8) empfindet, die zu sehr auf ihre Entdeckerfreude setzte, statt den Ertrag ihrer Forschungen für die Textinterpretation zu sichern, lässt sich nachvollziehen. Damit trifft allerdings Dochhorn meines Erachtens vor allem die religionsgeschichtliche Schule des 19. und 20. Jahrhunderts; den Vorwurf im Hinblick auf die gegenwärtige Exegese zu erheben, scheint mir dagegen schwierig.

Unbestritten ist aber die Motivation Dochhorns: Es sei „das Anliegen dieser Arbeit, zu zeigen, daß dieser Text theologische Aussageabsichten verfolgt, die in ihrer feinen Strukturierung denen des Paulus in keiner Weise nachstehen“ (S. 17). Warum Paulus hier quasi zum theologischen Meister des Neuen Testaments erklärt wird, bleibt zwar unklar, doch ist anzuerkennen, dass Dochhorn die Apokalypse als gewichtigen theologischen Text lesen will. Die Betonung dieser These lässt den Eindruck entstehen, dass der Verfasser immer noch gegen alte (schon bei Luther begegnende) und überholte Vorurteile kämpft, wonach die Apk ein wirres Gemisch von Visionen und Traumbildern darstellt. Das Programm Dochhorns ist daher sehr zu begrüßen. Er will eine „Lektürestrategie“ entwickeln, die sich „vorrangig an der Textwelt der Apokalypse des Johannes orientieren und das Ziel verfolgen [soll], den Verstehensvorgang zu rekonstruieren, welchen der Verfasser bei dem von ihm adressierten Leser intendiert“ (S. 18). Deutlicher bringt er dies nochmals zum Ausdruck, wenn er den Gang der Untersuchung erläutert: „Apc Joh 12 soll in dieser Arbeit einer synchronisch orientierten Lektürestrategie unterzogen werden, der es um die Rekonstruktion des historischen Textsinns geht, wie ihn der vom Autor adressierte Leser wahrnehmen sollte“ (S. 28). Angesichts der methodisch reflektierten Arbeit überrascht, dass Dochhorn von „Verfasser“ bzw. „Autor“ und „Leser“ spricht, während die Exegese mittlerweile eher dazu übergegangen ist, den Text und seine Aussageabsicht (intentio operis) der Suche nach dem Sinn, den der Verfasser in den Text hineinlegen wollte (intentio auctoris), überzuordnen. Allerdings ist hier im Rahmen der Literaturtheorie vieles wieder im Umbruch, sodass Dochhorn vielleicht mit seiner Rückwendung sogar wieder progressiv auftritt.

Die Grundannahmen des Buches werden im Folgenden klar benannt: Dochhorn wendet sich gegen die bekannte Rekapitulationstheorie und will es in Apk 4–22 mit „einer primär linearen Zeitökonomie zu tun“ haben, wobei er völlig zu Recht von einem „von Gott bis ins letzte determinierten Geschehen“ spricht (S. 18). Für ihn steht fest: „Johannes ist prophetischer Exeget der biblischen Propheten, durch die Gott seinen endzeitlichen Plan bereits kundgetan hat“ (S. 19). Deshalb ist die ganze Apk hermeneutisch als „schriftgelehrte Prophetie“ (S. 19) zu verstehen. Es gehe daher darum, „kodierte Rede durch die Identifikation von Schriftreferenzen unter Zuhilfenahme von Traditionswissen und Kontextbezügen zu entschlüsseln“ (S. 28).

Dochhorn versucht, diesem Programm gerecht zu werden, indem er ausführlich Apk 12 im Ganzen der Johannesoffenbarung verortet und den Text in seinen Makro- wie Mikrostrukturen nachzeichnet. Durch die sorgfältige Betrachtung des Textes und die Bezugnahme auf alttestamentliche Prätexte gelingt dem Autor eine Reihe von gewinnbringenden Erkenntnissen. So kann er beispielsweise zeigen, dass Texte wie Dan 12, Ps 2 oder Jes 7 wichtige intertextuelle Bezüge von Apk 12 sind. Zuweilen drängt sich dabei allerdings der Eindruck auf, dass die Bilderwelt des Johannes doch nicht so stringent sein mag, wie der Verfasser glaubt. Treffend ist sicherlich seine Auffassung, wonach Apk 12 den Sturz des Teufels in einem endzeitlichen Szenario beschreibt. Dabei wird der erwartete Nero redivivus als der endzeitliche Tyrann aufgefasst, der Rom als das letzte innerweltliche Imperium zerstören wird (S. 395). Dies ähnelt auffallend der Auffassung des 2.Thess 2, wo das rätselhafte „Katechon“ die Wiederkunft Christi verhindert, indem es den Widergott zurückhält, der vor besagter Wiederkehr auftreten muss. Auch hier liegt wahrscheinlich die Vorstellung zu Grunde, dass Rom das letzte Imperium vor dem letzten Krieg ist, dessen Untergang die eschatologische Wende einleiten wird. Leider geht Dochhorn auf diese Parallele nur sehr kurz ein, scheint sie aber immerhin zu sehen (S. 120). Er stellt aber richtig fest, dass der Teufel „als Neros dämonischer Archetyp“ (S. 396) verstanden werden muss. Der Sturz des Teufels präfiguriert den Sturz Neros.

In diesen Kontext gehört dann auch die gefährdete Geburt des Messias. Die Schwierigkeit, die der Text bereitet, liegt für viele Ausleger darin, dass das Kind – wohl Christus – zu Gottes Thron entrückt wird, obwohl doch Christus am Kreuz sterben muss. Die Entrückung des Kindes kommt damit – salopp formuliert – zu früh. Dochhorn löst diese Schwierigkeit auf, indem er die Geburt als „Zeichen“, als „Omen“ (S. 396) interpretiert, „das in der erzählten Gegenwart Verweischarakter hat“: „Das vom Zeichen dargestellte andere jedoch ist ein Ereignis der Vergangenheit, dessen ominöses Erscheinen am Himmel man in der christlichen Eschatologie auch sonst erhoffte: das Kreuzesgeschehen“ (S. 396). Hier bricht die grundlegende Frage auf, wann eine Interpretation über ihr Ziel hinausschießt. Ich halte es für zweifelhaft, dass der Seher Johannes in der Geburtsszene von Apk 12 Kreuzigung und Auferstehung Jesu „verdichten“ wollte und seine Leser dies entschlüsseln konnten. Dafür fehlen meines Erachtens wichtige Hinweise auf Tod und Auferstehung. Erst unter dem Eindruck paulinisch-lutherischer Theologie drängt sich der Gedanke auf, im Kreuz eine Inthronisation zu erkennen. Will man aber ausschöpfen, welche semantische Potentiale der Text bieten kann, dann ist es theologisch zwar eine gewisse Form der kanonischen Harmonisierung, die Dochhorn hier bietet, doch unter dieser Perspektive formuliert er plausibel: „Das Kreuzesereignis ist die gefahrvolle Geburt des als Weltherrscher inthronisierten Messias“ (S. 396).

Es erscheint allerdings nicht einsichtig, dass Dochhorn diese Gegenwartsdeutung erst in die Zukunft der Gemeinde verlegen will. Warum lässt er den endzeitlichen Krieg nicht schon am Anfang stehen? In meinen Augen wäre es logischer, wenn der Sturz des Teufels bereits geschehen wäre; sein Treiben auf der Erde, für das er nur noch kurze Zeit hat (Apk 12,12), wäre dann die Begründung für die Bedrängnisse, denen sich die Gemeinde ausgesetzt sieht.2 Dochhorn erkennt richtig, dass der „Teufelsfall im endzeitlichen Zionskrieg […] zum einen Ende, zum anderen aber Beginn der Notsituation“ (S. 397) der Gemeinde ist. Von daher läge es nahe, die Gemeinde in der Zwischenzeit zwischen Teufelssturz und Zionskrieg zu verorten. Dies lehnt Dochhorn aber ab und will „auf diese Weise eine Kontingenzbewältigung“ erreicht sehen, „die freilich eine Zeit betrifft, die noch zu erwarten ist“ (S. 397). Diese radikale Verortung der Textpragmatik in der Zukunft scheint mir wenig plausibel, da sie die Bedürfnisse der Gemeinde in der Gegenwart nicht erfüllt.

Insgesamt trägt die Arbeit Dochhorns über Apk 12 viele wertvolle Beobachtungen vor, die für die Interpretation dieses faszinierenden Textes grundlegend bleiben. Zusammen mit den weiteren neueren Arbeiten zu diesem Abschnitt dürfte eine gewisse Sättigung eingetreten sein. Allerdings macht der kurze Ausblick Dochhorns, insbesondere auf die Gestalt des Teufels, neugierig auf die weiteren Arbeiten des Verfassers.

Anmerkungen:
1 Peter Busch, Der gefallene Drache. Mythenexegese am Beispiel von Apokalypse 12, Tübingen 1996; Jürgen Kalms, Der Sturz des Gottesfeindes. Traditionsgeschichtliche Studien zu Apokalypse 12, Neukirchen-Vluyn 2001; Michael Koch, Drachenkampf und Sonnenfrau. Zur Funktion des Mythischen in der Johannesapokalypse am Beispiel von Apk 12, Tübingen 2004.
2 Vgl. Paul Metzger, „Der Teufel hat wenig Zeit“ (Offb 12,12). Hans Blumenberg, die Wahrheit der Apokalyptik und die Legitimität der Auslegung, in: Zeitschrift für Neues Testament 22 (2008), S. 34–43.

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