D. Meyer (Hrsg.): Philostorge et l’historiographie

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Titel
Philostorge et l’historiographie de l’Antiquité tardive. Philostorg im Kontext der spätantiken Geschichtsschreibung


Herausgeber
Meyer, Doris
Reihe
Collegium Beatus Rhenanus 3
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

In den letzten zwei Jahrzehnten wurde den Kirchenhistorikern des 5. Jahrhunderts eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil.1 Darunter fällt auch die bislang meist wenig beachtete, fragmentarisch erhaltene Kirchengeschichte des Philostorgios, die mit der 2005 erschienenen Monographie von Gabriele Marasco 2 und dem im Juni 2006 in Straßburg abgehaltenen Philostorgios-Kolloquium, dessen Ergebnisse nun vorliegen, in den Fokus der Forschung gerückt ist.

Der erste der insgesamt vier Teile des Tagungsbandes ist der Ermittlung der nichtchristlichen Quellen des Philostorgios gewidmet (I. Philostorge et ses sources profanes). Doris Meyer zeigt in ihrem Aufsatz über „Philostorg, Aristoteles und Josephus. Naturwissenschaftliche Exkurse in der Kirchengeschichte“, dass Philostorgios die naturwissenschaftliche Tradition mit seiner theologischen Argumentation verknüpft und mit der entsprechenden Terminologie vertraut ist. Für den Bericht über den Jordan diente die Jordanbeschreibung des Flavius Josephus als Quelle. Die Einflussnahme des Photios ist das Thema Antonio Baldinis (Eunapio, Olimpiodoro, Filostorgio: indizi sulle „responsibilità“ del patriarca Fozio). Nach einer Identifikation des Epitomators der Kirchengeschichte mit dem Patriarchen Photios demonstriert er die Eingriffe desselbigen an einem originären (11,3) und zwei von Photios abgewandelten Textstücken (11,6 und 12,1).

Michel Festy behandelt die mit Philostorgios verbundenen und von ihm abweichenden Quellenstränge (Philostorge: de la source latine d’Eunape à la Zwillingsquelle). Für die Nachfolgeordnung Konstantins rekonstruiert er einen detaillierten Bericht über die Regelung von 337 bei Eunapios. Die Usurpation des Nepotianus, die bislang meist auf den 3. Juni 350 datiert wurde 3, verlegt Festy überzeugend auf den 3. Juni 351. Dem ist hinzuzufügen, dass auch die Münzprägung des Nepotianus plausibel in das Jahr 351 eingeordnet werden kann.4 Bruno Bleckmann zieht „Einige Vergleiche zwischen Ammian und Philostorg: Gallus, die imitatio Alexandri Julians und die Usurpation Prokops“; er zeigt, dass Philostorgs Berichte über die Rolle der Constantina, der Frau des Constantius Gallus und Schwester Constantius’ II., über Julians Itinerar in Kleinasien und über Prokops Usurpation zuverlässiger als die stark tendenziösen Angaben des Ammianus sind.5

Im zweiten Teilbereich des Bandes werden die christlichen Quellen des Philostorgios untersucht (II. Philostorge et les sources chrétiennes). In seiner Zusammenstellung der christlichen Quellen ermittelt Jean-Marc Prieur eunomianische Schriften, aber auch nicaenische Autoren wie Gregor von Nazianz und Basilios sowie hagiographische Texte als Quellen des Philostorgios. Eine Benutzung und Zitation von Originaldokumenten sei insgesamt wahrscheinlich. Den anonymen homöischen Historiker als eine der Hauptquellen des Philostorgios behandelt Hanns Christof Brennecke. Diesen Historiker, den Brennecke als ersten Nachfolger des Eusebios von Kaisareia ansieht, habe Philostorgios für den Zeitraum vom Konzil von Nikaia bis zum Tod des Valens benutzt. Die Übernahmen seien dabei primär im Bereich der politischen Geschichte und der theologisch unbedenklichen Märtyrertradition zu verorten. Wenngleich Brennecke ohne Zweifel darin zuzustimmen ist, dass einige weitere Stücke aus der Märtyrerüberlieferung hinzugefügt werden können (S. 107f.), übergeht er doch, dass umgekehrt auch einige problematische Fragmente zu entfernen oder zumindest zu verkürzen sind.6 Guy Sabbah vergleicht die Berichte des Sozomenos und Philostorgios über die Konzilien von Rimini und Seleukeia des Jahres 359 (Sozomène et Philostorge: le récit des conciles de 359) und stellt fest, dass trotz der größeren Genauigkeit des Sozomenos Philostorgios einige zusätzliche Details bietet. Des Weiteren treten bei Sozomenos meist größere Gruppen, bei Philostorgios dagegen eher Einzelpersonen auf. Der an Herodot orientierte Sozomenos fällt durch Exkurse auf, während Philostorgios nach dem Vorbild des Thukydides der direkten Chronologie folgt. Schließlich geht nur Sozomenos auf Dokumente und Konzilsakten ein, was aber auch Photios’ Kürzungen geschuldet sein kann.

Der dritte Teil behandelt die Darstellung verschiedener Aspekte der politischen Geschichte bei Philostorgios (III. Philostorge et l’histoire de l’Empire romain tardif). Philippe Bruggisser analysiert den Bericht über die Gründung Konstantinopels (Constantin à la lance. La fondation de Constantinople d’après Philostorge) und verweist auf Parallelen zur Gründungstradition Roms. Der Bericht sei zuverlässig und entspringe einer Quelle, auf die auch die an einigen Stellen detailliertere anonyme Konstantinsvita BHG 365 zurückgehe. Mit der Rolle Antiocheias bei Philostorgios beschäftigt sich Michael Matter, der den Wert der Angaben Philostorgs zur christlichen Topographie hervorhebt. Hartmut Leppin untersucht „Das Bild des Gallus bei Philostorg. Überlegungen zur Traditionsgeschichte“. Der Vergleich mit der Darstellung als frommer Kaiser bei den übrigen Kirchenhistorikern lässt die Eigenständigkeit des Berichtes über den Sturz des Gallus erkennen, dessen Ziel die Freisprechung des Gallus vom Vorwurf der Illoyalität ist. Eine weitere Eigenheit Philostorgs, die wichtige Rolle des Bischofs Theophilos, resultiert wohl aus einer Hoffnung auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Bischof und Kaiser. Die Berichte bei Julian, Libanios und Philostorgios vergleicht Pierre-Louis Malosse (Philostorge, Libanios et Julien: divergences et convergences). Er demonstriert, dass Philostorgios Julian und wohl auch Libanios als Quelle verwendet. Überschneidungen zeigen die Gemeinsamkeiten der heidnischen und christlichen Gedankenwelt, die sich unter anderem in einer sophistischen Vorgehensweise des Philostorgios manifestiert. Im Anhang verteidigt Malosse seine Konjektur des 46. Julianbriefes (Gallus statt Galiläer).

Giuseppe Zecchini analysiert die vier Erwähnungen der Hunnen bei Philostorgios (Filostorgio e gli Unni) und erweist, dass die historische Perspektive des Autors hier nicht eine religiöse, sondern die des Orientalen ist, der die Formation eines hunnischen Staatsgebildes und eines potentiellen Partners beobachtet. „Die Eroberung Roms in der Darstellung Philostorgs“ wird von Eckhard Wirbelauer behandelt. Neben genauen geographischen Kenntnissen fällt das Fehlen einer heilsgeschichtlichen Deutung auf, hinter der Wirbelauer weniger eine Eigenart Philostorgs, sondern Kürzungen des Photios vermutet, in dieser Frage jedoch unentschlossen bleibt. „Die spätrömischen Heermeister bei Philostorg“ ist das Thema des Aufsatzes von Timo Stickler. Philostorgios erkennt die Bedeutung der Heermeister, beurteilt ihre Eigennützigkeit insgesamt negativ und betrachtet ihre Mentalität als Folge ihrer barbarischen Abstammung. Für die Ermordung Valentinians II. lassen sich ein arbogastfreundlicher und ein arbogastfeindlicher Quellenstrang nachweisen, in der Darstellung des Krieges gegen den Usurpator Eugenius zeigt sich Philostorgios als präziser Informant.

Im vierten Teil wird auf die Darstellung kirchengeschichtlicher Ereignisse bei Philostorgios (IV. Philostorge et l’histoire de l’église) eingegangen. Gabriele Marasco diskutiert das Verhältnis von Kirche und Staat bei Philostorgios. Wie bei den anderen Kirchenhistorikern liegt für ihn die Aufgabe des Kaisers primär in der Verteidigung des Glaubens. Philostorgios manifestiert jedoch auch das Bewusstsein der Kirche für ihre religiöse, ökonomische und politische Rolle. Ebenso reflektiert er den Einfluss des Staates auf kirchliche Angelegenheiten und die Rolle des Kaisers bei der Einsetzung von Bischöfen. Annick Martin referiert den Verlauf der Konflikte zwischen Athanasios und den „Neo-Arianern“ und stellt die jeweils zugunsten der eigenen Partei ausfallenden Deutungen des Athanasios und des Philostorgios einander gegenüber.

Das Bild Ulfilas im Geschichtswerk des Philostorgios behandelt Alain Chauvot: Ulfila wird von Philostorgios als Eunomianer dargestellt und folglich positiv beurteilt. Weitere Hinweise aus anderen Quellen bestätigen Übereinstimmungen mit dem Eunomianismus, aber auch kleinere Unterschiede. Abschließend diskutiert Peter van Nuffelen den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Werks (Isolement et apocalypse: Philostorge et les eunomiens sous Théodose II). Die Prägung des Philostorgios durch die Situation der Eunomianer in theodosianischer Zeit zeigt sich in apokalyptischen Tendenzen der späteren Bücher, welche die Lage der wenigen vom Staat verfolgten Gläubigen demonstrieren. Dabei sind Einflüsse des biblischen Buches Daniel, der Makkabäerbücher und der Apokalypse festzustellen. Das Werk wurde nicht primär aus literarischen oder sozialen Motiven verfasst, sondern zur Erklärung der Bedrängungen in Vergangenheit und Gegenwart.

Insgesamt vereint der Band qualitativ hochwertige Beiträge zur Kirchengeschichte des Philostorgios. Den Autoren gelingt es, den Wert des Philostorgios als Quelle für die Geschichte des 4. und 5. Jahrhunderts herauszustellen und der Vielfältigkeit seines Werkes gerecht zu werden. Dass noch immer zahlreiche ungeklärte Detailfragen zum Werk bestehen 7, ist dabei unvermeidlich. Wenn es der in Vorbereitung befindlichen neuen Philostorgios Ausgabe gelingen sollte, in dieser Qualität die verbleibenden Lücken zu schließen, wäre damit eine neue Forschungsgrundlage geschaffen, die der Nachfolge eines Joseph Bidez würdig wäre.8

Anmerkungen:
1 Vgl. zu Sokrates Martin Wallraff, Der Kirchenhistoriker Sokrates, Göttingen 1997 und Theresa Urbainczyk, Socrates of Constantinople, Ann Arbor 1997, zu Sokrates und Sozomenos Peter van Nuffelen, Un héritage de paix et de piété. Étude sur les histoires ecclésiastiques de Socrate et de Sozomène, Leuven 2004. Von den zahlreichen, aber sich für gewöhnlich nicht alleine auf das historische Werk beschränkenden Arbeiten zu Theodoret sei lediglich auf Theresa Urbainczyk, Theodoret of Cyrrhus, Ann Arbor 2002 verwiesen. Vgl. auch Hartmut Leppin, Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret, Göttingen 1996.
2 Gabriele Marasco, Filostorgio. Cultura, fede e politica in uno storico ecclesiastico del V secolo, Roma 2005.
3 Lediglich Joachim Szidat, Usurpator tanti nominis, Stuttgart 2010, S. 259 gibt das Jahr 351 für die Usurpation des Nepotianus an, doch handelt es sich hierbei, wie der Vergleich mit den weiteren Erwähnungen zeigt, um einen Druckfehler.
4 In diesem Fall wäre Nepotians Münzprägung als christliche Reaktion auf eine betont heidenfreundliche Politik der Stadtpräfekten des Magnentius anzusehen. Für diesen Hinweis dankt der Rezensent Herrn PD Dr. Kay Ehling (München/Augsburg), der allerdings mit guten Argumenten eine Datierung in das Jahr 350 vorzieht.
5 Zur Tendenz des Ammianus nun ausführlich Dariusz Brodka, Ammianus Marcellinus, Kraków 2009, insbesondere die Kapitel 4–7.
6 Als Beispiel seien hier die Fragmente 36a und 36c genannt, die beide das vom Anonymus wohl nicht erwähnte Konfessorentum des späteren Kaisers Jovian anführen.
7 Aus den ungeklärten Fragen sei verwiesen auf den nur bei Philostorgios genannten zweiten Sohn Jovians (8,8), die Rolle des Merobaudes beim Begräbnis Julians unter Übergehung Prokops (8,1) oder den Bericht über das Martyrium des Babylas unter Numerianus (7,8; Artemii Passio 54 = 7,8a; Suda B 10 = 7,8a), der in Kombination mit einer Angabe bei Malalas (12,35) und bei Symeon Magister (85,2 = S. 104,6–7 Wahlgren) sowie der in die Zeit des Numerianus zu datierenden Passio des Thalelaios Hinweise auf ein zumindest lokales Vorgehen gegen Christen vermuten lässt. Für wertvolle Hinweise zu letztgenanntem Aspekt dankt der Rezensent Florian Haymann (München/Freiburg) und Klaus Altmayer (München/Augsburg), dessen derzeit entstehende Dissertation über die Dynastie des Carus auch auf diese Frage eingehen wird.
8 Über den im Kolloquiumsprogramm (<http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/termine/id=5535>) vermerkten Beitrag von Boris Dreyer („Der häretische Kaiser Valens“) ist leider im Band nichts zu erfahren. Die ebenfalls nicht in den Band aufgenommenen Beiträge von François Paschoud, Jean Gascou und Martin Wallraff finden im Vorwort kurz Erwähnung (S. 7), der Erscheinungsort von Paschouds Beitrag ist bei aufmerksamer Lektüre sogar auszumachen (S. 64).

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