B. Rawson (Hrsg.): A Companion to Families in the Greek and Roman Worlds

Cover
Titel
A Companion to Families in the Greek and Roman Worlds.


Herausgeber
Rawson, Beryl
Reihe
Blackwell Companions to the Ancient World
Erschienen
Malden 2011: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XVIII, 643 S.
Preis
£ 110,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ann-Cathrin Harders, Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Es ist kennzeichnend für die wachsende Bedeutung der historischen Familienforschung, dass der Verlag Riley-Blackwell den 34. Band seiner Reihe „Companions to the Ancient World“ dem Themenkomplex der Familie in der griechisch-römischen Antike widmet. Als Herausgeberin konnte mit Beryl Rawson eine ausgewiesene Kennerin auf dem Gebiet der römischen Familie gewonnen werden. Rawson verstarb im Oktober 2010, so dass der postum erschienene Band ein Vermächtnis zu dem Forschungsfeld darstellt, das sie als Pionierin bearbeitet hat. Rawson gelang es, 32 Autoren in einem Band zusammenzuführen, deren Beiträge eindrucksvoll beweisen, wie weit die antike Familienforschung seit den 1980er-Jahren gekommen ist und welch Potential das Feld immer noch birgt. Andererseits ist jedoch auch zu fragen, ob die versammelten Beiträge im Format eines Companion, der der Verlagsmitteilung zufolge „sophisticated and authoritative overviews […], designed for an international audience of scholars, students, and general readers“ bieten soll, ihren passenden Platz gefunden haben.

Es ist hier nicht möglich, alle Beiträge ausführlich zu besprechen; Ziel ist es vielmehr, die Struktur des Bandes sowie die unterschiedlichen Zugänge, die Herausgeberin und Autoren gewählt haben, zu diskutieren. Rawsons Titelwahl macht deutlich, dass es nicht darum geht, die prototypische griechische bzw. römische Familie vorzustellen; der Plural „Greek and Roman families“ lässt ahnen, dass Familienkonstellationen in hohem Maße von zeitlichen, geographischen, sozialen, politischen oder auch demographischen Faktoren abhängig sind. Die unterschiedlichen Kontexte und Beziehungen, in denen Familie stattfindet bzw. untersucht werden kann, bieten daher den groben Rahmen des Bandes; fünf große Abschnitte untergliedern die Untersuchungen: 1. „Houses and Household“ (S. 13–214), 2. „Kinship, Marriage, Parents, and Children“ (S. 215–330), 3. „The Legal Side“ (S. 331–392), 4. „City and Country“ (S. 393–444) und schließlich 5. „Ritual, Commemoration, Values“ (S. 445–563). Ein kurzes Glossar der wichtigsten Begriffe (S. 564–566), eine Bibliographie sowie ein Index schließen den Band ab.

Es ist bedauerlich, dass den Abschnitten kein Beitrag vorgeschaltet ist, der grundlegende anthropologische Herangehensweisen zum Thema Familie und Verwandtschaft vorstellt und Begrifflichkeiten klärt. Unternehmungen wie die „Geschichte der Familie“ sowie der erst kürzlich erschienene Band zu „Kinship in Europe“ haben sich die Erkenntnisse der Anthropologie zunutze gemacht und den historischen Ausführungen eine anthropologische Stellungnahme vorangestellt.1 Eine solche Einführung hätte auch im vorliegenden Fall Beiträgern und Lesern eine Orientierungshilfe sein können, gerade das Verhältnis zwischen Familien- und Gemeinschaftsorganisation zu problematisieren und für historische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Die kurze Einleitung von Beryl Rawson (S. 1–11), in der sie knapp auf die einzelnen Beiträge und den Forschungsstand eingeht, kann eine solche grundsätzliche Positionierung des Themenfeldes nicht ersetzen, stattdessen geht es der Herausgeberin vielmehr darum, „the diversity of family types and practices“ und „the stimulating new work being done around the world“ (S. 1) aufzuzeigen. Ein stärker systematischer Zugang zum Thema, wie er in anderen Companions verfolgt wird, wird zugunsten der Diversität aufgegeben; diese Vorgehensweise birgt jedoch auch Risiken – und dies wird gerade im ersten und mit Abstand längstem Teil deutlich, der unter mangelnder Kohäsion leidet.

„Part 1: Houses and Households“ versammelt zwölf Artikel, in denen unterschiedliche Haushaltsformen, die Komposition des Haushaltes und Eheformen, aber auch Sklavenfamilien, Fremde in Italien, Familien von Soldaten sowie der Haushalt als Ort für christliche Konversion besprochen werden. Es ist zu begrüßen, dass nicht allein literarische Quellen herangezogen werden, sondern eingangs auch drei Archäologen, Lisa Nevett, Monika Trümper und Jens-Arne Dickmann (S. 15–31, 32–52 u. 53–72), über Haus und Familie schreiben. Die teilweise sehr ins Detail gehenden Fallstudien zum Römischen Ägypten, Olynth, Delos und Pompeii müssen jedoch jedes Mal mit allgemeinen Überlegungen zur Problematik, wie Familienstrukturen mit der Zuteilung von Raum und sozialer Funktion in Kongruenz zu bringen sind, eingeleitet werden. Der das Problem der Haushaltskomposition grundsätzlich angehende Beitrag von Sabine Hübner (S. 73–91) wird dem erst nachgeschaltet, und es ist zu fragen, ob ein solch allgemeiner Teil, der Methoden, Quellen und Herangehensweisen bespricht, nicht dem ersten Teil hätte vorangestellt werden können.2

Allgemein gehaltene Beiträge wie der sehr gute Überblick von Richard Saller zu „The Roman Family as Productive Unit“ (S. 117–128) wechseln sich mit Einzelbetrachtungen wie etwa die von David Noy zu „Foreign Families in Roman Italy“ (S. 145–160) ab. Noys Artikel setzt mit Blick auf Familien von Künstlern und Juden zwar neue Forschungsakzente, ist aber für Nichtspezialisten, die sich das Themenfeld Familie erst noch erschließen müssen, sehr spezifisch; zudem fehlt ein Kapitel, das grundsätzlich jüdische Familien behandelt. Auch der Beitrag von Daniel Ogden („The Royal Families of Argead Macedon and the Hellenistic World“, S. 92–107), der darauf abzielt, aus der Negativfolie der hellenistischen Königsfamilien die Normfamilie der hellenistischen Poleis zu rekonstruieren, ist sehr voraussetzungsreich – vor allem, da Beiträge zur Familienstruktur in Archaik und Klassik fehlen und Ogden somit den ersten historischen Artikel zu griechischen Familien liefert. Der Teil schließt mit zwei Betrachtungen von Kate Cooper zum Haushalt als Ort christlicher Konversion und damit einhergehenden Konflikten (S. 183–197) und von Carolyn Osiek zur Frage „What We Do and Don’t Know About Early Christian Families“ (S. 198–213), die jedoch leider nicht aufeinander eingehen und sich zum Teil wiederholen.

Der zweite Teil „Kinship, Marriage, Parents, and Children“ konzentriert sich vor allem auf Ehe und Kindheit und ist weitaus geschlossener als der erste, auch wenn der Beitrag zu Erziehung und Sozialisation in der Antike, der den Abschnitt zur Kindheit abgerundet hätte, in den fünften Teil gezogen wurde. Der Beitrag von Jerome Wilgaux („Consubstantiality, Incest, and Kinship in Ancient Greece“, S. 217–230) ist der einzige, der stärker anthropologische Fragestellungen sowie die Betrachtung der Verwandtschaftsgruppe aufnimmt und dabei thematisiert, wie Verwandtschaft in Griechenland konstruiert wird. Cheryl Cox und Suzanne Dixon liefern klar strukturierte Überblicke zur Eheschließung in Athen (S. 231–244) respektive Rom (S. 245–261), denen sich die Artikel zur Kindheit anschließen. Die Herangehensweisen fallen hier jedoch weit auseinander: Während Tim Parkin den life-course-approach für die römische Gesellschaft vorstellt sowie Vorteile und Probleme, Familienkonstellationen dynamisch zu betrachten, diskutiert (S. 276–290) und Véronique Dasen quellenreich die unterschiedlichen Phasen und begleitenden rites de passage zwischen Geburt und Jugend behandelt (S. 291–314), wählt Mark Golden einen stark essayistischen und mit vielen persönlichen Beispielen durchsetzten Ansatz, um die Problematik, Kindheit in anderen Kulturen zu behandeln, deutlich zu machen. Ein solcher Ansatz mag zwar normative Erwartungen von studentischer Seite erschüttern, ist aber auf faktographischer Ebene sehr voraussetzungsreich – ein Thema wie Päderastie in Griechenland wird in einem Satz gestreift – und für Experten wiederum wenig erhellend.

Es ist wenig überraschend, dass die Beiträge im dritten Teil „The Legal Side“ die stärkste Systematik aufweisen können. Eva Cantarella leistet mit „Greek Law and the Family“ (S. 333–344) einen guten Überblick über die Rechtslage in Athen, Sparta und Gortyn – sie ist auch die einzige, die Familienkonstellationen in Sparta mit mehr als einem Satz behandelt (S. 339–341). Einen Rechtsvergleich strebt Hugh Lindsay in „Adoption und Heirship in Greece and Rome“ (S. 346–360) an; dadurch überschneiden sich manche seiner Ausführungen mit denen von Cantarella sowie auch insbesondere mit denen von Jane Gardner, die verschiedene Formen der Besitzübertragung in Rom vorstellt und rechtliche Norm und Praxis abwägt (S. 361–376). Der abschließende Beitrag von Judith Evans Grubbs über die Art und Weise, wie pietas während des 2./3. Jahrhunderts rechtlich gestützt wurde (S. 377–392), argumentiert überzeugend; es stellt sich aber auch hier wieder die Frage, ob nicht ein genereller Artikel über pietas als Ausdruck rechten Verhaltens gegenüber den Verwandten in einem Companion instruktiver gewesen wäre. Überraschend ist auch, dass ausgerechnet die patria potestas, die maßgeblich für die rechtliche Konstruktion von Familie in Rom ist, nicht wert erscheint, in einem selbstständigen Artikel behandelt zu werden, obwohl viele der Autoren darauf verweisen (vgl. S. 272, 299, 362f. u. 431f.); eine Erläuterung des Begriffs auch in Hinblick auf das ius vitae necisque liefert ausgerechnet Cantarella, deren Beitrag auf das griechische Recht zielt (S. 336); die wichtigen sozialen Funktionen und das Ineinandergreifen von familia und res publica, wie sie Yan Thomas und Jochen Martin für die patria potestas herausgearbeitet haben3, bleiben damit gänzlich unerwähnt.

Der vierte Teil zu „City and Country“ ist trotz seiner Kürze mit nur drei Artikeln diffus; es wird nicht klar, ob der politische, soziale oder topographische Raum behandelt wird. Sara Saba greift in „Greek Cities and Families“ (S. 395–407) Gedanken auf, die Riet van Bremen im „Companion to the Hellenistic Age“ angesprochen hat.4 Während van Bremen dort einen Überblick zu Familienstrukturen und zum Umgang mit Familien in hellenistischen poleis vorgelegt hat, konzentriert sich Saba auf einen einzigen Aspekt, die Vergabe von Bürgerrechten, den sie an Milet, Myus und Dyme exemplifiziert. Sabas Beitrag wäre in einem Sammelband über die hellenistische Polis fruchtbarer kontextualisiert gewesen; für einen Überblick zu hellenistischen Familien wird man weiterhin zu van Bremen greifen; einen Artikel zum generellen Verhältnis zwischen polis und oikos sucht man vergebens. Christopher Johanson wählt für seinen Beitrag zur pompa funebris in Rom (S. 408–430) ein „experimental narrative“ (S. 409): Um die Verzahnung zwischen Stadt und Totengedenken deutlich zu machen, wird in romanhafter, quellennaher Form die pompa aus der Sicht eines filius familias der mittleren Republik sowie eines Reisenden während des 3. Jahrhunderts n.Chr. beschrieben. Traditioneller geht Stephen Dyson vor, der Familienleben jenseits der Metropole Rom in Italien bespricht (S. 431–444).

Der abschließende fünfte Teil „Ritual, Commemoration, and Values“ wird mit Janet Morgans Artikel zu Familie und Religion im klassischen Griechenland (S. 447–464) eingeleitet, in dem sie überzeugend die literarischen und archäologischen Quellen abgleicht und davor warnt, griechische Religion allein anhand athenischer literarischer Quellen zu behandeln. Ein Komplementärartikel zu Rom fehlt: Fanny Dolansky widmet sich stattdessen kenntnisreich den Saturnalia und bespricht deren Bedeutung für das römische Haus (S. 488–503). Teresa Morgan sucht in ihrem Artikel zur Erziehung und Sozialisation einen Überblick über Rom und Griechenland zu liefern, der Stärken aber vor allem für die hellenistische Zeit aufweist (S. 504–520). Der fünfte Abschnitt setzt wie der erste einen Schwerpunkt bei der Archäologie: Ada Cohen und Janet Huskinson besprechen Darstellungskonventionen und -kontexte für die griechische (S. 465–487) wie römische Familie (S. 521–541); der Band wird abgeschlossen mit einer Spezialuntersuchung von Janet Tulloch zur „Devotional Visuality“ auf römischen Grabmonumenten (S. 542–563).

Die im Companion versammelten Aufsätze funktionieren jeweils sehr unterschiedlich: Es finden sich zum Teil sehr gute und konzise Überblicke und Einführungen zu wichtigen Aspekten des antiken Familienlebens, die sich mit durchaus anregenden Beiträgen abwechseln, die jedoch besser in einem spezifischeren Tagungsband untergebracht worden wären. Bestimmte Epochen und Bereiche – wie etwa die Archaik, die spartanische Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Familie und Gemeinschaft sowie zwischen öffentlich und privat und auch eine systematische Klärung der Frage, was die verschiedenen Gesellschaften unter Haus, Familie und Verwandtschaft überhaupt verstehen – fehlen zugunsten eines Leporellos unterschiedlichster Forschungsansätze und -themen, wobei die Behandlung der römische Antike überwiegt. Für ein abschließendes Fazit des Werkes als Companion ergibt sich dadurch ein gewisses Dilemma, und es ist zu fragen, ob ein systematischer und diachroner Zugang, wie ihn die „klassischen“ Werke zur antiken Familie wählen, für Studierende und Lehrende nicht gewinnbringender ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Reihe „Companions to the Ancient World“ vor allem zu den historischen Epochen als sehr gelungen gelten kann5, hält der vorliegende Band sein Versprechen, „authorative overviews“ zu bieten, leider nicht ein. Der Großteil der Artikel wird vor allem für Forschende zu diesen Themen von Interesse sein; zur Einführung wird man jedoch weiterhin eher die entsprechenden Artikel aus den anderen Blackwell Companions heranziehen müssen.

Anmerkungen:
1 Françoise Zonabend, Über die Familie. Verwandtschaft und Familie aus anthropologischer Sicht, in: André Burguière u.a. (Hrsg.), Geschichte der Familie, Bd. 1: Altertum, Frankfurt am Main 1996, S. 17–90; Sylvia J. Yanagisako, Bringing it all home. Kinship theory in Anthropology, in: David Warren Sabean u.a. (Hrsg.), Kinship in Europe, New York 2007, S. 32–48.
2 Vgl. etwa die Abschnitte zu Quellen und Methoden in David S. Potter (Hrsg.), A Companion to the Roman Empire, Malden 2006; Andrew Erskine (Hrsg.), A Companion to Ancient History, Malden 2007.
3 Vgl. beispielsweise Yan Thomas, Vitae Necisque Potestas. Le père, la cité, la mort, in: École Francaise de Rome (Hrsg.), Du châtiment dans la cité. Supplices corporels et peine de mort dans le monde antique, Rome 1984, S. 499–548; Jochen Martin, Familie, Verwandtschaft und Staat in der römischen Republik, in: Jörg Spielvogel (Hrsg.), Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats, Stuttgart 2002, S. 13–24.
4 Riet van Bremen, Family Structures, in: Andrew Erskine (Hrsg.), A Companion to the Hellenistic World, Malden 2003, S. 313–330.
5 Vgl. etwa die Rezension zum ersten Band der Reihe: Silke Knippschild: Rezension zu: Erskine, Andrew (Hrsg.): A Companion to the Hellenistic World. Oxford u.a. 2003, in: H-Soz-u-Kult, 17.05.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-112>.

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