A. Borup: Demokratisierungsprozesse in der Nachkriegszeit

Cover
Titel
Demokratisierungsprozesse in der Nachkriegszeit. Die CDU in Schleswig-Holstein und die Integration demokratieskeptischer Wähler


Autor(en)
Borup, Allan
Reihe
IZRG-Schriftenreihe 15
Erschienen
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Schmid, Clio&Co. Der Geschichtsservice, Hamburg

Schon seit längerem widmet sich die regionale Zeitgeschichtsforschung den vielfältigen Aspekten der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland nach dem 8. Mai 1945. Besatzung, Wiederbeginn des politischen Lebens, Wiederaufbau, kulturelles Wiedererwachen, Wieder- und Neugründung von Ländern sind nur fünf Stichwörter dieser etablierten Forschungsrichtung. Konstitutiv für die regional orientierte Historiografie sind dabei Spannungsfelder wie „Kontinuität und Bruch“ oder das Verhältnis zwischen nationalen und landesbezogenen Prozessen der politisch-kulturellen Entwicklung. Trotz der insgesamt guten Forschungslage sind manche Fragen auf regionaler Ebene bislang nur partiell oder gar nicht bearbeitet. Dies gilt etwa für zentrale Elemente der (Wieder-)Anfänge demokratischen politischen Lebens in den einzelnen Besatzungszonen respektive den Ländern. Dazu gehört auch Schleswig-Holstein; die vormalige preußische Provinz wurde 1946 selbstständig und 1949 dann westdeutsches Bundesland.

Der dortige (partei)politische Wiederaufbau ist schon verschiedentlich untersucht worden.1 Allan Borup hat nun in seiner an der Universität Kopenhagen bei Karl Christian Lammers entstandenen Dissertation, die Detlef Siegfried für das vorliegende Buch ansprechend ins Deutsche übersetzt hat, zentrale Aspekte der Demokratisierung im Nachkriegs-Schleswig-Holstein am Beispiel der CDU untersucht. Zwar kann er sich dabei auf wichtige Vorarbeiten stützen2, doch völlig zu Recht stellt der Autor fest, die Forschungslage zur Geschichte der CDU in Schleswig-Holstein stehe „in einem auffälligen Missverhältnis zu der Tatsache, dass die Partei zwischen 1950 und 1988 ununterbrochen den Ministerpräsidenten stellte“ (S. 24). Borup hat nun Quellen vor allem aus den National Archives (London) und dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik (Bonn) ausgewertet, jedoch nicht aus der zentralen Anlaufstelle für solche (zeit)historischen Regionalforschungen, dem Landesarchiv Schleswig-Holstein (Schleswig). Gestützt auf den Forschungsansatz der politischen Kultur fragt Borup nach der Integration „demokratieskeptischer Wähler“ durch die in Schleswig-Holstein stark protestantisch geprägte Sammlungspartei CDU, genauer: nach dem Beitrag der neuen Partei zur Demokratisierung des „Landes zwischen den Meeren“. Die CDU versteht er dabei als „Sonde für die Untersuchung zentraler Wandlungsprozesse in der politischen Kultur“ (S. 17). So stehen politische Einstellungen und Verhaltensweisen in der schleswig-holsteinischen Bevölkerung ebenso wie in der Landes-CDU bis Mitte der 1950er-Jahre – so die zeitliche Begrenzung des Autors mit Blick auf die in jenen Jahren erreichte demokratische Konsolidierung – im Mittelpunkt der Studie. Auch die Frage nach dem Umgang mit den Folgen des „Dritten Reiches“ zählt zu den Leitthemen.

Die CDU als Faktor der Demokratisierung in Schleswig-Holstein? Diese Fragerichtung ist so sinnvoll wie ungewöhnlich, galt doch der nördlichste Landesverband der Partei in den ersten Nachkriegsjahrzehnten innerhalb der Bundespartei als rechter Flügel. Gerade beim Umgang mit der NS-Zeit stand er keineswegs für eine vorbildliche Demokratisierungspolitik.3 Allerdings ist zu diskutieren, inwieweit ein solcher, auch normativ imprägnierter Blick die tatsächlichen Herausforderungen in Schleswig-Holstein nach 1945 – „Armenhaus der Nation“, über 40 Prozent Bevölkerungsanteil der Vertriebenen, Sammelbecken für viele ehemalige NS-Funktionäre – adäquat erfasst.

Borup widmet sich zunächst prägenden Rahmenbedingungen der postdiktatorischen „Zusammenbruchsgesellschaft“, beispielsweise der großen Distanz der Bevölkerung gegenüber der Wiederbegründung eines Mehrparteiensystems sowie der zurückhaltenden, auf kontrollierten Aufbau „von unten“ setzenden Demokratiekonzeption der britischen Besatzungsmacht. In zwei Hauptkapiteln untersucht er das politische Denken und Handeln der Nord-CDU im Spannungsfeld demokratieskeptischer und demokratiefeindlicher Tendenzen (nicht nur) in der schleswig-holsteinischen Bevölkerung. Hierbei konzentriert er sich auf integrierende ebenso wie auf ausgrenzende Gesichtspunkte: das Werben um Flüchtlinge und Vertriebene, ehemalige Wehrmachtssoldaten und NSDAP-Mitglieder, um Christen und Antikommunisten sowie die Abgrenzung zu radikalen, die neu begründete Demokratie ablehnenden Kräften.

Die CDU, so ein Fazit des Autors, sei im Sinne der Stabilisierung des neuen politischen Systems und der Beförderung einer herausragenden Position der eigenen Partei erfolgreich gewesen. Themen, Instrumente und Konflikte auf diesem Weg zeichnet Borup eindrucksvoll nach. Der CDU gelang es, insbesondere in Abgrenzung zur SPD ein markantes Profil zu etablieren: als Partei des Antimarxismus, des Christentums, der Nation und des deutschen Soldaten. Dabei zählt es zu den Vorzügen von Borups Arbeit, dass er immer wieder Vergleiche zur politischen Kultur der Weimarer Republik zieht, wodurch er sowohl Anknüpfungspunkte als auch Diskontinuitäten deutlich macht.

So kann er zeigen, wie es der neuen Union als „Bollwerk gegen Bedrohungen durch ‚den Marxismus‘ und die NS-Vergangenheit“ (S. 262) gelang, demokratieskeptische Bevölkerungsteile den rechts von ihr stehenden, teils nationalistischen Parteien abspenstig zu machen. Davon profitierte die Partei ebenso wie die junge Demokratie. Der Autor illustriert diesen Prozess etwa am Beispiel des Kieler Propstes Hans Christian Asmussen, der sich nach 1945 mehrere Jahre lang gegen Parteien einsetzte, dann aber doch zur Wahl der CDU aufrief. Vordemokratische Ideen einer Beseitigung oder Harmonisierung von Interessengegensätzen respektive „Parteienhader“ konnten durch Integration und Umdeutung ebenso positiv angesprochen werden wie die Auffassungen traditional-konservativer Eliten. Eine zentrale Rolle bei dieser nach rechts wirksamen Integrationspolitik spielte der Umstand, „dass die CDU der stärkste Garant für eine schonende Entnazifizierung war“ (S. 135), was die Bevölkerung bereits im Sommer 1946 begriffen habe. In den Folgejahren wurde diese Haltung flankiert von einer „aktiven Umdeutung der NS-Vergangenheit, die als wählerfreundliches Angebot an die ehemaligen Volksgenossen erhebliche Wirkung entfaltete“ (S. 260). Allerdings war dieser Prozess kein Selbstläufer, wie Borup hervorhebt: „Die Einbindung der weit rechts stehenden CDU Schleswig-Holstein in die Bundespartei und letztlich auch die Anwesenheit der Besatzungsmacht bewirkten, dass ihre Integrationsstrategie in dieser schwierigen Region keine Gefährdung der Demokratie mit sich brachte.“ (S. 164)

Mit Konrad H. Jarausch ist Borup einer Forschungs- und Deutungsperspektive verpflichtet, die zwar die politisch-moralischen Defizite der „zweiten Geschichte“ des Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik benennt, aber den Akzent stärker auf die demokratischen Lernprozesse der Nachkriegsjahre legt. Vor diesem Hintergrund unterstreicht er den Stellenwert der christdemokratischen Integrationspolitik nach rechts gerade im Problemland Schleswig-Holstein, sowohl hinsichtlich der Legitimität des neuen demokratischen Mehrparteiensystems als auch mit Blick auf die Vergangenheitsfrage.

Hier liegt das auffälligste Manko der insgesamt beachtlichen Arbeit, denn in dieser Fokussierung wird die von Borup vielfach herausgearbeitete „apologetische“ Haltung der Nord-CDU im Umgang mit dem NS-Staat gleichsam zur conditio sine qua non einer Gewinnung des demokratieskeptischen rechten Randes für die Bonner respektive Kieler Demokratie. Dieser von Borup angesprochene, aber nicht eingehender diskutierte Aspekt bewegt sich gewissermaßen im Flussbett einer älteren zeithistorisch-politischen Kontroverse, die sich 1983 an Hermann Lübbes Verteidigung einer „gewissen Stille“ im Umgang mit der NS-Vergangenheit als notwendiger Stabilisierungsvoraussetzung der jungen Demokratie entzündet hatte. Das darin enthaltene, für eine vergleichende Transitionsforschung grundlegende Spannungsfeld zwischen ideologischen Kontinuitäten, Integrationsinteressen, historischer Gerechtigkeit und Wahrheit, also die Frage nach dem „Preis“ dieser Integrationspolitik und ihren Grenzen, hätte einer näheren Diskussion bedurft. Diese Kritik kann das Gesamturteil jedoch nicht schmälern: Borups Studie ist partei-, demokratie- und regionalgeschichtlich ebenso wie geschichtspolitisch in hohem Maße erkenntnisfördernd.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Heinz Josef Varain, Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren Aufbau, ihre Verflechtung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945–1958, Köln 1964; Detlef Siegfried, Zwischen Einheitsparteien und „Bruderkampf“. SPD und KPD in Schleswig-Holstein 1945/46, Kiel 1991; Holger Martens, Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 bis 1959, 2 Bde., Malente 1998; Göttrik Wewer (Hrsg.), Demokratie in Schleswig-Holstein. Historische Aspekte und aktuelle Fragen, Opladen 1998; Jessica von Seggern, Alte und neue Demokraten in Schleswig-Holstein. Demokratisierung und Neubildung einer politischen Elite auf Kreis- und Landesebene 1945 bis 1950, Stuttgart 2005; zu einem wichtigen landespolitischen Akteur siehe jetzt Knud Andresen, Schleswig-Holsteins Identitäten. Die Geschichtspolitik des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes 1947–2005, Neumünster 2010. Ferner sei verwiesen auf diverse Beiträge in der Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte sowie in Demokratische Geschichte – Jahrbuch für Schleswig-Holstein.
2 Etwa Peter Wulf, „Sammlung rechts von der Sozialdemokratie“: Die Geschichte der CDU in Schleswig-Holstein 1945/46, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 126 (2001), S. 119-156; ders., „Der Landesfürst“. Carl Schröter und die schleswig-holsteinische CDU 1945–1951, in: ebd., 132 (2007), S. 211-254.
3 Vgl. etwa Harald Schmid, Das Landesgedächtnis. Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Schleswig-Holstein, in: Janina Fuge / Rainer Hering / Harald Schmid (Hrsg.), Das Gedächtnis von Stadt und Region. Geschichtsbilder in Norddeutschland, 2., korr. Aufl. München 2011, S. 110-137.

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