P. Broadbent u.a. (Hrsg.): Berlin. Divided City, 1945-1989

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Titel
Berlin. Divided City, 1945-1989


Herausgeber
Broadbent, Philip; Hake, Sabine
Reihe
Culture & Society in Germany 6
Erschienen
New York 2010: Berghahn Books
Anzahl Seiten
VIII, 211 S.
Preis
$ 70.00 / £ 42.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Albrecht Wiesener, School of History, Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS)

Eine Geschichte der Stadt in der Moderne ist nicht zu schreiben ohne die kritische Rekonstruktion ihres vergangenen und gegenwärtigen Symbolcharakters. Für kaum eine andere europäische Stadt lässt sich dies besser nachvollziehen als für Berlin im 20. Jahrhundert. Unzählige Male ist gerade das jahrzehntelang geteilte Berlin, die frühere und heutige deutsche Hauptstadt, als Synonym für die politische Überformung von Stadtgeschichte und urbanem Raum zitiert worden. Berlins Bedeutung für die kulturelle Repräsentation des Kalten Kriegs war ohne Zweifel herausragend. Dennoch steht die historische Forschung, die sich der Verschränkung von Alltagsgeschichte und einer transnational ausgerichteten Kulturgeschichte des Kalten Kriegs am Beispiel Berlins widmet, erst am Anfang. Darüber hinaus zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Geschichte des geteilten Berlins, wenn man die Jahrzehnte vor und nach dem Mauerbau betrachtet.

Die gesamte Teilungsgeschichte Berlins mit kulturhistorischem Interesse in den Blick zu nehmen und dabei auch die Nachgeschichte dieser besonderen Episode des Kalten Kriegs zu berücksichtigen ist das Verdienst des im Herbst 2010 erschienenen, von Sabine Hake und Philip Broadbent herausgegebenen Bandes „Berlin. Divided City, 1945–1989“. Dieser ist aus einer 2008 am German Department der University of Texas at Austin von den Herausgebern veranstalteten Tagung hervorgegangen, die der Kulturgeschichte des geteilten und wiedervereinigten Berlins gewidmet war. In vier Sektionen gegliedert, chronologisch voranschreitend und dabei stets vergleichend angelegt, orientiert sich der Band an der vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten entstandenen Literatur zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des geteilten Berlins. Mit dieser Literatur, zu der vor allem die Studien von Brian Ladd, Paul Steege und Thomas Davey zu rechnen sind1, verbinden die Herausgeber eine Reihe von methodischen Grundannahmen.

Deren wichtigste ist die Betonung der historischen Kontinuität von Topographien, Symbolen und Mentalitäten Berlins über die Zäsuren des 20. Jahrhunderts hinweg – bei gleichzeitig beständiger Revision und Infragestellung des Gewordenen. Für die Beiträge im vorliegenden Band spielen weitere inhaltliche Aspekte eine wesentliche Rolle, gerade aus interdisziplinärer Perspektive. So steht die Bedeutung der Moderne für die Rekonfiguration der städtischen Erfahrungswelt Berlins außer Frage, aber Hake und Broadbent lenken in ihrer Einleitung sowie vor allem unter Verweis auf die Beiträge von Maike Steinkamp, Elizabeth Janik und Greg Castillo die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der architektonischen und künstlerischen Moderne für die sich abzeichnende Teilung nach 1945. Anders auch als viele gesellschaftsgeschichtliche Analysen dies tun, setzen die Herausgeber und Autoren des Bandes die Eigenart künstlerischer Perspektiven auf die Stadt nicht nur voraus, sondern verbinden diese mit der Alltagswirklichkeit in der geteilten und wiedervereinigten Stadt. Damit hängt eine andere Grundannahme des Bandes zusammen: Die besondere politische Bedeutung, die gerade die Kultur in den beiden Nachkriegsjahrzehnten Berlins erlangte, ist ohne den Stellenwert der ehemaligen Reichshauptstadt als Schauplatz einer international geprägten geopolitischen Auseinandersetzung nicht zu verstehen.

Die einzelnen Beiträge des Bandes enthalten unterschiedlich stark empirisch fundierte Zugriffe auf die geteilte Nachkriegsgeschichte Berlins. Neben exemplarischen Detailstudien, wie sie etwa Paul B. Jaskot zu „Daniel Libeskind’s Jewish Museum in Berlin as a Cold War Project“ und Claudia Mesch in ihrem Aufsatz „Berlin and Post-Meinhof Feminism: Yvonne Rainer’s ‚Journeys from Berlin/1971‘“ vorstellen, kommt eine Vielzahl politischer, sozialer und kultureller Aspekte der Stadtgeschichte und ihrer Repräsentationen zum Ausdruck. Dabei überwiegen kulturwissenschaftliche Herangehensweisen, die die diskursive bzw. symbolische Konstitution der unterschiedlichen Erfahrungs- und Sinnwelten vor dem Hintergrund einer fragmentierten und politisch überformten Stadttopographie in den Blick nehmen. Generell zeichnet diesen Band und seine Beiträge eine disziplinäre Offenheit aus. Hervorzuheben ist auch die von den Autorinnen und Autoren in unterschiedlichem Umfang herausgearbeitete Verbindung der beiden Stadthälften – in einer Zeit, die nach dem Mauerbau vor allem durch physische und politische Abschottung gekennzeichnet war. Hier zeigt sich die besondere Chance für kulturgeschichtliche Darstellungen, die auf die Rekonstruktion der politischen Gegebenheiten des Kalten Kriegs nicht verzichten, aber darüber hinaus die themenspezifischen Überschneidungen und wechselseitigen Bezugnahmen an den kulturell geprägten Gegenständen selbst diskutieren. So eröffnen vor allem die Beiträge von Deborah Ascher Barnstone („Transparency in Divided Berlin: The Palace of the Republic“) und Lyn Marven („Divided City, Divided Heaven? Berlin Border Crossings in Post-Wende Fiction“) neue und durchaus überraschende Perspektiven auf die behandelten Beispiele aus der Architektur und Literatur.

Wenig Neues zu erfahren ist dagegen in den Beiträgen von Greg Castillo („The Nylon Curtain: Architectural Unification in Divided Berlin“) und Miriam Paeslack („Stereographic City: Berlin Photography in the Wende Era“). Der besondere Wechselbezug von Ost und West im Städtebau sowie in der Architektur der 1950er- und 1960er-Jahre in Berlin, den Castillo behandelt, ist in den vergangenen 15 Jahren so umfassend diskutiert worden, dass eine derart kurz gehaltene Darstellung, die noch dazu wichtige Literatur überhaupt nicht berücksichtigt, eher enttäuscht.2 Noch dazu empfiehlt Castillo den Begriff der „Nischengesellschaft“ als Erklärungsansatz für die soziale Aneignung des Massenwohnungsbaus seit den 1960er-Jahren in der DDR und verwendet ihn damit in geradezu umgekehrter Intention zu seinem ursprünglichen Gebrauch in der zeitgenössischen Literatur der 1980er-Jahre. Paeslack wiederum stellt sich die Aufgabe, durch einen Vergleich von fotografischen Arbeiten Ost- und West-Berliner Künstler aus den 1980er-Jahren die Gemeinsamkeiten und Überlagerungen eines dokumentarischen Blicks auf Berlin zu rekonstruieren und zu interpretieren. Es fällt allerdings schwer, der Argumentation zu folgen, weil die künstlerischen Beispiele sehr unterschiedlich sind. Dass sich Berlins Stadttopographie und die in ihr stattfindenden sozialen und kulturellen Prozesse für die 1980er-Jahre nicht mehr mit der politischen Teilung allein erklären lassen, war schon den Zeitgenossen und Protagonisten dieser Geschichte selbst bewusst, wie die vor allem in den letzten Jahren erschienene autobiografisch geprägte Literatur verdeutlicht.

Insgesamt hätte dem Band eine Konzentration auf weniger Beiträge gut getan. Gerade weil so viele der einzelnen Berlin-Themen auch übergreifend Relevanz beanspruchen können, ist ihre Behandlung auf häufig nicht mehr als zwölf Seiten zu knapp. Eine stärker vom ursprünglichen Tagungsformat abweichende Darstellung in einem Studienband wäre vermutlich ergiebiger gewesen. Trotz dieser Kritik: Die Herausgeber und Autoren leisten mit ihrem Band einen wichtigen Beitrag zur kulturgeschichtlichen Erforschung und Diskussion der geteilten Berliner Nachkriegsgeschichte.

Anmerkungen:
1 Paul Steege, Black Market, Cold War. Everyday Life in Berlin, 1946–1949, Cambridge 2007 (vgl. Malte Zierenberg: Rezension zu: Steege, Paul: Black Market, Cold War. Everyday Life in Berlin, 1946-1949. Cambridge 2007, in: H-Soz-u-Kult, 11.06.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-186>., eingesehen 27.05.2011); Thomas Davey, Generation Divided. German Children and the Berlin Wall, Durham 1987; Brian Ladd, The Ghosts of Berlin. Confronting German History in the Urban Landscape, Chicago 1998.
2 Vgl. für frühe Erklärungsansätze: Johann Friedrich Geist / Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1945–1989. Eine dokumentarische Geschichte der Ausstellung „Berlin plant / Erster Bericht“ 1946 und der Versuche, auf den Trümmern der Hauptstadt des Großdeutschen Reiches ein NEUES BERLIN zu bauen, aus dem dann zwei geworden sind, München 1989; Simone Hain, Archäologie und Aneignung. Ideen, Pläne und Stadtkonfigurationen. Aufsätze zur Ostberliner Stadtentwicklung nach 1945, Erkner 1996.