G. Wassilowsky: Die Konklavereform Gregors XV.

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Titel
Die Konklavereform Gregors XV. (1621/22). Wertekonflikte, symbolische Inszenierung und Verfahrenswandel im posttridentinischen Papsttum


Autor(en)
Wassilowsky, Günther
Reihe
Päpste und Papsttum 38
Erschienen
Stuttgart 2010: Anton Hiersemann
Anzahl Seiten
X, 406 S.
Preis
€ 112,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Mudrak, École des hautes études en sciences sociales, Paris

Bis heute ist das Konklave zur Wahl eines neuen Papstes ein Aufsehen erregendes Spektakel und, wie zuletzt bei der Wahl Benedikts XVI. im Jahr 2005, ein weltweites Medienereignis ersten Ranges. In seiner 2007 im Rahmen des Münsteraner Sonderforschungsbereichs 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ entstandenen Habilitationsschrift wirft Günther Wassilowsky nun einen Blick durch das Schlüsselloch des Konklaves und verfolgt dahinter die Entwicklung der Wahlverfahren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 16. und 17. Jahrhundert und besonders auf der einschneidenden Konklavereform von Papst Gregor XV. in den Jahren 1621/22. Die Studie soll die Lücken in der Forschung schließen, die bezüglich der konkreten Abläufe vormoderner Papstwahlen und deren kulturellen und sozialen Hintergründe bestehen.

Für seinen Blick durch das Schlüsselloch verbindet der Autor seinen ideengeschichtlich-theologischen Ansatz – es sei eine „sich dezidiert kirchenhistorisch verstehende Studie“ (S. 13) – mit den Ansätzen der Münsteraner Schule, das heißt mit der Analyse der symbolischen Darstellung von Herrschaft in politischen Verfahren und den dahinter stehenden gesellschaftlichen Werten. Dazu unterteilt Wassilowsky die zu untersuchenden Wahlzeremonielle in eine technisch-verfahrensmäßige und eine symbolisch-wertehaltige Dimension, die sich im und um das Konklave vereinen. Als Quellen dienen die erstmals systematisch ausgewerteten Aufzeichnungen der päpstlichen Zeremonienmeister und Schriften reformorientierter Kirchenmänner. Die Reformbulle „Aeterni Patris Filius“ und das damit zusammenhängende erneuerte „Caeremoniale“ finden sich im Anhang, die Bildquellen und Konklavepläne sind ebenfalls abgedruckt und veranschaulichen die Beschreibungen des Autors.

Im ersten Kapitel untersucht Wassilowsky die Normen für die Papstwahl vor 1621 – und die praktischen Wahlverfahren, die meist nicht der Norm entsprachen. Diese entwickelte sich sukzessive seit dem Hochmittelalter. Auf dem dritten Laterankonzil von 1179 wurden die Festlegung des Wählerkreises auf die Kardinäle und das Prinzip der Zweidrittelmehrheit, jedoch einer qualifizierten Mehrheit aus besonders frommen oder erfahrenen Kardinälen, verankert. Im 14. Jahrhundert setzte sich dann als Wahlform die Skrutinalwahl durch und mit ihr die Einschließung der Kardinäle im Konklave. Das Verfahren der Skrutinalwahl bestand nun nicht mehr aus einer mündlichen Abfrage der Stimmen, sondern aus deren Abgabe auf einem versiegelten Stimmzettel, dessen Inhalt freilich bei der Auszählung laut mit dem Namen des Wählenden vorgelesen werden sollte. Auch die Skrutinalwahl war also keine geheime und gleiche Wahl. Den Abschluss der „idealen“ Wahl bildete dann die Huldigung (Adoration) des neu gewählten Papstes durch die Kardinäle. Wie in den Jahrzehnten vor der Konklavereform tatsächlich bei der Papstwahl verfahren wurde, zeigt die erstmalige systematische Auswertung der Berichte von Konklaveteilnehmern und Zeremonienmeistern. Faktisch wurde nämlich zwischen 1503 und 1621, bis auf zwei Ausnahmen, kein Papst durch Skrutinalwahl mit beschriebenen Stimmzetteln gewählt. Vielmehr kamen die Wahlen meist durch Adoration zustande, die ja eigentlich erst als legitimierendes Ende der Zeremonie vorgesehen war. Die Adorationswahl als für alle sichtbare Huldigung der einzelnen Kardinäle machte deren Faktionsdisziplin und Loyalität im Netzwerk- und Klientelverband der römischen Mikropolitik im entscheidenden Moment des Konklaves deutlich und kontrollierbar. Das Wahlverfahren der Adoration in Form eines Kniefalls oder einer tiefen Verbeugung, verstärkt durch einen Kuss, wurde gestützt vom hohen Wert der Loyalität („pietas“ und „gratitudine“) gegenüber den mächtigen Kardinälen und deren Netzwerken und Wahlinteressen. Die Faktionsoberhäupter entschieden zuvor, die Kardinäle führten die Entscheidung in der mitunter konfus verlaufenden Adoration aus.

Im zweiten Teil analysiert Wassilowsky die gescheiterten Konklavereformen des 16. Jahrhunderts und den Reformdiskurs im Vorfeld der gregorianischen Wahlordnung. Dabei zeigt sich, dass im Ganzen alle Reformversuche bis 1621 misslungen waren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bulle „In eligendis“, mit der 1562 der große Wurf gelandet werden sollte. Im Vorfeld wurden das Verbot der Einmischung äußerer Mächte in das Konklave sowie ein neuartiges, geheimes Wahlprinzip mit abzulegenden Kugeln als „Stimmzettel“ diskutiert. In der Bulle selbst war davon aber nichts mehr zu finden. Auf dem Konzil von Trient wurde das Thema nicht einmal in die große Reformvorlage aufgenommen. Auch die Entwürfe der Reformbullen von Clemens VIII. und Paul V. hätten im Fall ihres Inkrafttretens keine echte Neuordnung des Wahlverfahrens bewirkt. Immerhin: Durch die gezielte Ernennung zelantischer, das heißt frommer, gebildeter und reformorientierter Kardinäle wuchs um 1600 deren Faktion in den Konklaven. Mit den Zelanti hielt auch ein neuer Theologie- und Wertediskurs Einzug in die Reformdebatte. Diesen Diskurs zeichnet Wassilowsky ideengeschichtlich nach. Die Zelanti waren demnach Verfechter der geheimen Skrutinalwahl. Der Wertekomplex hinter dieser Haltung definierte sich durch Gemeinwohlorientierung sowie freie und tugendgestützte Gewissensentscheidung in einer wirklich geheimen und gleichen Wahl, anstelle von sichtbarer Klientelloyalität.

Im dritten Teil untersucht Wassilowsky Inhalt und Wirkungen der Konklavereform durch die Bulle „Aeterni Patris Filius“ (1621) und das diese zeremoniell ausdifferenzierende „Caeremoniale“ (1622). In der Bulle setzte Gregor XV. zwei Verfahren fest, die einer Wahl Gültigkeit verliehen: ein geschlossen abgehaltenes Konklave sowie die Ermittlung des neuen Papstes durch eine Zweitdrittelmehrheit der Kardinäle in einem der drei (vier, wenn man den möglichen Beitritt zu einem Kandidaten nach der ersten Wahl dazurechnet) aufgeführten Verfahren. Diese waren die Inspirationswahl (allerdings strikt reglementiert), die Kompromisswahl (die vorher einstimmig beschlossen werden musste und innerhalb derer dann eine kleine Kardinalsgruppe den Papst ermittelte) sowie die Skrutinalwahl. Umstürzend war, dass die zuvor gängige Adorationswahl abgeschafft wurde, indem sie einfach nicht unter den erlaubten Wahlmodi aufgeführt wurde – dies war „das entscheidende Movens und das zentrale Herzstück der Reform überhaupt“ (S. 253). Fortan mussten Päpste anders gewählt werden. Dabei wurden Skrutinalwahlen der fast ausschließliche modus eligendi. Das Spektakel der Skrutinalwahl war minutiös durchgeplant, die Wahl fand geheim auf speziellen Stimmzetteln statt, die nachher verbrannt wurden. Wichtig ist, dass der geheime Charakter der Wahl nun durchgehend erhalten blieb, die Auszählung der Stimmzettel fand ohne Einsicht der Wählernamen statt. So wurde die individuelle Wahlentscheidung unkontrollierbar. Dadurch und durch die von nun an wirklich gleiche und geheime Wahl wurde, so Wassilowsky, auch der soziale Unterschied zwischen den Kardinälen nivelliert, also die Sozialstruktur der römischen Mikropolitik beeinflusst. Daneben suchte der neue Papst nach dem, was Wassilowsky als „öffentliche Dramatisierung des Geheimen“ (S. 298) charakterisiert. Die Abschirmung des Konklaves durch Soldaten oder die Volksprozessionen vor dem Ort des Geschehens zeugen davon. Die Wahlen fanden übrigens erst seit der Konklavereform in der Capella Sistina statt. Dieser Raum war gezielt gewählt, denn dort gaben die Kardinäle ihre Stimme unter Michelangelos „Jüngstem Gericht“ ab. Im Angesicht des eschatologischen Weltenrichters sollten die symbolisch im Verfahren ausgedrückten Werte der Verantwortlichkeit und der Gewissensprüfung verstärkt werden. Offen lässt der Autor die Frage, ob das neue Verfahren letztlich auch „bessere“ Päpste hervorgebracht hat.

Wassilowsky gelingt ein spannender Blick durch das Schlüsselloch der Konklaven. Die Rekonstruktion der Papstwahlverfahren und der Symbol- und Wertesprache erfolgt minutiös, bleibt aber stets klar und übersichtlich. Die Ergebnisse der Studie schließen die Forschungslücke zu Verfahrenspolitik und Symbolsprache. Man möchte dem Autor mitunter aber wünschen, den Blick öfter vom Schlüsselloch erhoben, das heißt stärker den Gesellschafts- und Sozialkontext in den Mittelpunkt gestellt zu haben. Denn es scheint zumindest diskutabel, ob es Symbole und Verfahren waren, die Sozialstrukturen änderten – oder ob nicht umgekehrt Aktualisierungen der römischen Sozialstruktur (und nicht nur dieser) nach neuen kulturellen Distinktions- und Repräsentationsmöglichkeiten für Individuen und soziale Gruppen, nach neuen Machtzugängen und -darstellungen in einem veränderten kulturellen Umfeld verlangten. Womöglich vertauscht der Autor in seiner ansonsten hervorragenden Studie Ursache und Wirkung.

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