I. Adriansen: Erindringssteder i Danmark

Titel
Erindringssteder i Danmark. Monumenter, Mindesmærker og Mødesteder


Autor(en)
Adriansen, Inge
Reihe
Etnologiske Studier 14, Skrifter fra Museum Sønderjylland 4
Erschienen
Anzahl Seiten
516 S., 268 Abb.
Preis
475 DKr.
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jelena Steigerwald, Graduiertenschule „Human development in Landscapes“, Universität Kiel

Dieses umfassende Werk über Erinnerungsorte in Dänemark reiht sich in die vielen Veröffentlichungen zum Thema Erinnerungsorte der letzten Jahre ein. Im Gegensatz zu den deutschen und französischen Werken, die in der Kritik stehen, nur bestimmte Erinnerungsorte in den Fokus zu stellen und damit eine subjektive Auswahl vorzunehmen, verfolgt „Erindringsteder i Danmark“ (Erinnerungsorte in Dänemark) einen sehr klar umrissenen und umfassenden Ansatz. Die Autorin Inge Adriansen, Museumsinspektorin im Schloss Sonderburg, bezieht sich in diesem Werk ausschließlich auf materielle, in der Landschaft verankerte Erinnerungsorte, was auch im Untertitel „Denkmäler, Gedenkorte und Treffpunkte“ zum Ausdruck kommt. Die Auswahl basiert auf einer landesweiten Untersuchung und Registrierung aller historischen Denkmäler, die ab 2000 durchgeführt wurde.

Das über zwei Kilo schwere Buch spannt einen Bogen von den ersten Denkmalssetzungen in Dänemark im 17. Jahrhundert bis heute und enthält Angaben zu über 300 Erinnerungsorten. Ebenso umfassend sind die verfolgten Fragestellungen. Neben Fragen nach Denkmalgestalt und Material, der Veränderbarkeit in Raum und Zeit, wird der Erinnerungspolitik, Ideologie und den neuen Formen von Erinnerungsorten nachgegangen. Inge Adriansen beschreibt die Bedeutungsverschiebungen, denen die Erinnerungsorte unterliegen, und hinterfragt dabei auch kritisch, welchen Ereignissen und Gruppen nicht erinnert wird.

Unter dem Begriff Erinnerungsort versteht Inge Adriansen einen bildhaften Ausdruck für Erinnerungsgesellschaften, die nationaler, regionaler oder lokaler Art sein können. Die Erinnerungsorte sind die konkrete Form und der Inhalt der vorgestellten Erinnerungsgemeinschaft, da sie sowohl Inhalte stützen als auch unsere Vorstellungen beeinflussen, also einen Teil der soziokulturellen Reproduktion darstellen. Damit spiegeln sie, so Adriansen, die kulturellen Prozesse, die in verschiedenen historischen Perioden stattgefunden haben.

Bereits in der Einleitung wirft Adriansen die Frage auf, warum einige Plätze Erinnerungsorte werden und bleiben, andere dagegen in Vergessenheit geraten. Damit richtet sie den Blick auf die unterschiedlichen Verwendungsformen und die Geschichtspolitik, die an diesen besonderen Orten stattfinden, wie zum Beispiel Rituale, Gedenkveranstaltungen und Jubiläen. Außerdem betont sie, dass die Entstehung eines Erinnerungsortes nicht nur davon abhängt, an was erinnert wird, sondern auch warum an etwas erinnert werden soll, wie diese Erinnerung vermittelt wird und wer am Erinnerungsprozess teilnimmt. Voraussetzung für die Etablierung eines Erinnerungsortes ist somit, dass irgendeine Interpretation an dem Ort vorgenommen wurde oder wird.

Nach der Einleitung mit Theorieteil werden in den ersten vier Kapiteln frühe Denkmäler, Kriegerdenkmäler, Monumente der kollektiven Erinnerung und des individuellen Gedächtnisses dargestellt. Darauf folgen Kapitel über besondere Treffpunkte von Gruppen, über Denkmalzerstörungen und Denkmalsinitiatoren. Dabei schickt Adriansen jedem Schwerpunkt eine kurze Einleitung voraus, der sie verschiedene Beispiele folgen lässt, mit denen sie den von ihr aufgestellten Fragestellungen nachgeht. Die Oberkapitel stellen damit eigene abgeschlossene Abhandlungen dar, welche mit einer oder mehreren Karten der wichtigsten Denkmäler und Abbildungen versehen sind.

In dem Kapitel „Frühmoderne Erinnerungsorte“ (S. 39-65) beschreibt Adriansen, wie sich von den frühesten königlichen oder fürstlichen Denkmälern in antiker Formensprache bis zum Hügelgrab die Entwicklung vom Untertanen zum Bürger und die Entstehung des Volkes als souveräne Bevölkerungsgruppe vollzieht. Das findet seinen Ausdruck in romantisierenden Formen, unter anderem in umgebauten oder künstlichen Hügelgräbern, durch welche die Beziehung vom König zum Land und der Nation neu interpretiert werden. Da Dänemark bis 1814 aus den Königtümern Norwegen und Dänemark sowie den Herzogtümern Schleswig und Holstein bestand, spiegeln die frühen Denkmäler auch die Beziehung des Königs mit den unterschiedlichen Teilen des dänischen Reiches.

In dem Kapitel „Denkmäler für Kriege“ (S. 67-137) werden in chronologischer Reihenfolge die Kriege vom Ende des 18. Jahrhunderts (Krieg mit England) bis zum 20. Jahrhundert mit ihren jeweiligen Erinnerungsorten behandelt. Die Kriegerdenkmäler sind im ganzen Land verteilt. Schwerpunkte stellen Friedhöfe, Schlachtfelder und die Küste dar. Neben ausführlichen Erläuterungen der Entstehung der Denkmäler verfolgt Adriansen an Beispielen kritisch ihren Gebrauch bis heute. Besonders viele Denkmäler haben die Kriege 1848-51 und 1864 hervorgebracht. Sie sind interessant, weil sie durch die Grenzverschiebungen, mal diesseits, mal jenseits der Grenze lagen und deshalb unterschiedlichen Interpretationen unterworfen wurden und insbesondere auch geschichtspolitischen Zwecken dienten.

Besonders spannend und erhellend für die dänische Geschichte ist das Kapitel „Denkmäler für Territorium, Geschichte und Nation“ (S. 139-205). Ökonomische Entwicklungen, die Befreiung von der deutschen Besatzung und die Wiedervereinigung, das Grundgesetz, sowie Aus- und Einwanderung werden hier thematisiert. Am Beispiel der Heidekultivierung wird deutlich, welche Tätigkeiten als besonders angesehen wurden und deshalb durch Denkmäler in Erinnerung gehalten werden. So treten die Pflanzarbeiten, die oft mit einem Spender identifiziert werden, in den Vordergrund, während andere vorbereitende Arbeiten wie mergeln oder entwässern, offenbar nicht als denkmalwürdig galten. Ebenso scheint die nachgewiesene Rentabilität nicht erinnerungswürdig gewesen zu sein. Die Denkmäler der Heidekultivierung berichten vor allem über die Personen der Heidegesellschaft, die Helden und ihre Ideale. Allein für den Vorsitzenden der Gesellschaft wurden vier Statuen und elf Gedenksteine aufgestellt, womit er nach den Denkmälern für die dänischen Könige den ersten Platz einnimmt. Da an diesen Erinnerungsorten jedoch kein aktives Gedenken stattfindet, sind sie heute kaum bekannt. Bei den Gedenksteine zu archäologischen Funden macht Adriansen die interessante Beobachtung, dass nach der nationalen Phase in Dänemark bis 1950 eine erneute Boomphase folgte (1980-2005), die sie unter anderem mit der Einbindung von lokalen historischen Begebenheiten in die Stadtplanung begründet, um in Neubaugebieten Gemeinschaftsanbindungen zu unterstützen.

In dem Kapitel „Denkmäler für Personen“ (S. 207-265) stellt Adriansen dar, für wen Denkmäler aufgestellt wurden, und wer keine erhielt. Nach Personen der königlichen Familie sind es vor allem Schriftsteller und Politiker, an die erinnert wird. Industrielle sind dagegen nur selten vertreten, was Adriansen mit deren geringem Engagement für die Gemeinschaft erklärt. Arbeiter und Frauen sind erst in jüngster Zeit denkmalwürdig geworden.

Das Kapitel „Nationale Treffpunkte mit Denkmälern“ (S. 267-335) ist vor allem den im 19. Jahrhundert entstandenen Treffpunkten in Jütland gewidmet. Hier sind im Konflikt um politischen Einfluss zwischen der schleswig-holsteinischen und der dänischen Nationalbewegung besonders viele Erinnerungsorte entstanden. Der Knivsberg südlich von Apenrade mit dem Bismarckturm diente der deutschsprachigen Sammlungsbewegung für Feste, Veranstaltungen und als Symbol. Skamlingsbanke wurde dagegen für die dänische Sprachbewegung genutzt und mit Denkmälern für bürgerliche Vorkämpfer geschmückt. Beide Treffpunkte dienten nicht nur als symbolträchtige Versammlungsorte, sondern auch als Sprachrohr für die jeweilige politische Positionierung und Geschichtsinterpretationen.

Das Kapitel „Zerstörung von Monumenten und Gedenkorten“ (S. 337-391) setzt den Schwerpunkt auf diese wechselseitigen Versuche, die Öffentlichkeit im nationalen Sinne zu gestalten. Durch die Zerstörung sollte die Erinnerung getilgt werden, oft führte aber gerade die Zerstörung zu einer erneuten symbolische Aufladung. Neben den bekannten Beispielen wie dem Düppeldenkmal oder dem Idstedt-Löwen aus der deutsch-dänischen Grenzregion sind auch unbekanntere aus dem übrigen Dänemark vertreten. Zum Beispiel ein 1944 in Nordseeland neu errichtetes Hügelgrab mit einem Gedenkstein für die dänischen Freiwilligen, die im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront eingesetzt waren. Für die deutschen Leser sicherlich besonders interessant ist der Schwerpunkt „Bildersturm in der dänisch-deutschen Grenzregion“ (S. 340-382). Hier wird die Rolle der Denkmäler im Zuge der wechselnden deutsch-dänischen Machtverhältnisse dargestellt, ein Thema das im Grenzgebiet bis heute aktuell und erinnerungspolitisch wirksam ist.

Abschließend werden die Ergebnisse und Perspektiven zusammengefasst. Insbesondere geht Adriansen auf die geographischen Unterschiede der Erinnerungskulturen ein. Anhand der erwähnten Denkmalsregistrierung arbeitet sie heraus, dass geographische Besonderheiten im homogenen und kleinen Land Dänemark eher selten zu sein scheinen. Doch haben Jütland und insbesondere die Grenzregion mehrere eigene erinnerungskulturelle Orte hervorgebracht. Außerdem sind hier die meisten nationalen Treffpunkte sowie die meisten Denkmäler für Dichter zu finden. Für Adriansen ist das ein Hinweis auf das besondere Selbstbewusstsein der Region, welches sie zum einen auf die Lage an der Peripherie zurückführt und zum anderen auf den schnellen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel im 19. Jahrhundert.

Adriansen geht außerdem der interessanten Frage nach, an welche Begebenheiten weiterhin in Zeremonien erinnert wird und an welche nicht, sowie wer diese Traditionspflege umsetzt. Siege, erfolgreiche Verteidigungen, aber auch Jubiläumstage, die an die Besatzungszeit erinnern, werden besonders gern genutzt, um aktuelle politische Ziele mit Rückgriff auf die Vergangenheit zu legitimieren. Befördert wird eine lange Gedenktradition oft von staatlichen oder kommunalen Einrichtungen, die damit dem Wunsch nach Identität und Kontinuität nachkommen. In der Regel, so Adriansen, drücken die Erinnerungsorte die Vorstellung von einem geeinigten Volk aus mit einer Geschichte, die weit zurückreicht, selbst wenn die Initiatoren unterschiedliche politische Anschauungen haben.

Inge Adriansen ist eine sehr detailreiche und umfassende Analyse gelungen, die ihresgleichen sucht. Ein Namens- und Ortsregister, sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein Quellenverzeichnis machen das Werk auch als Nachschlagewerk wertvoll. Ein weiterer Pluspunkt des Buches sind die zahlreichen und sehr schönen Abbildungen sowie die übersichtlichen Karten. Die umfangreiche englische Zusammenfassung im Anhang (S. 486-501) legt den Schwerpunkt auf die Ergebnisse und Perspektiven, weswegen das Buch auch ohne oder mit geringen dänischen Sprachkenntnissen gewinnbringend gelesen werden kann.

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