K. Vössing (Hrsg.): Victor von Vita

Cover
Titel
Victor von Vita, Kirchenkampf und Verfolgung unter den Vandalen in Africa. Historia persecutionis Africanae provinciae temporum Geiserici et Hunerici regum Wandalorum. Lateinisch und deutsch


Herausgeber
Vössing, Konrad
Reihe
Texte zur Forschung 96
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Syrbe, Historisches Institut, FernUniversität in Hagen

Die Historia persecutionis Africanae provinciae temporum Geiserici et Hunerici regum Wandalorum des nordafrikanischen Klerikers Victor von Vita hat in der historischen Forschung der letzten Jahre einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen.1 Das ist wenig überraschend, da es sich bei diesem Werk um eine zentrale Quelle zur Geschichte des vandalischen regnum in Nordafrika handelt, die nicht nur – wie der Titel suggeriert – die Religionspolitik der Vandalenkönige Geiserich und Hunerich thematisiert, sondern darüber hinaus vielfältige Einblicke in Strukturen und Mechanismen der vandalischen Herrschaft in Nordafrika bietet.

Victors Historia persecutionis wurde 1879 von Karl Halm in den MGH und 1881 von Michael Petschenig im CSEL herausgegeben.2 2002 erschien Serge Lancels in der Lesung des lateinischen Textes verbesserte sowie mit französischer Übersetzung und umfangreichem Kommentar versehene Edition, die seitdem als Standardausgabe gilt.3 Nun legt der Bonner Althistoriker Konrad Vössing, der seinerseits durch zahlreiche Arbeiten zum kaiserzeitlichen und spätantiken Nordafrika ausgewiesen ist 4, in der Reihe „Texte zur Forschung“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft eine kommentierte lateinisch-deutsche Ausgabe dieses Werkes vor.

Dem Text der Historia persecutionis (S. 31–151) stellt Vössing eine Einführung voran, in der er Aufbau, historischen Kontext und Intention sowie die Rezeption des Werkes umreißt (S. 11–30). Der historische Kommentar schließt sich an den Textteil an (S. 153–197). Literaturverzeichnis (S. 199–207) und Register (S. 209–224) runden das Buch ab. Zu Beginn seiner Einleitung unterstreicht Vössing, dass die Historia persecutionis die einzige zeitgenössische erzählende Quelle zum vandalischen Nordafrika ist (S. 11). Die Abfassung datiert er mit der wegen der spärlichen chronologischen Anhaltspunkte gebotenen Vorsicht zwischen 487 und 489 (S. 13f.).5 Mit Blick auf den Autor Victor von Vita meint Vössing, dass die bisher nicht lokalisierte Stadt Vita – Vössing weist richtigerweise darauf hin, dass deren Name auch Vite lauten könnte – als Victors Heimatstadt und nicht als dessen Bischofssitz anzusehen sei.6 Wegen Victors enger Beziehung zu Bischof Eugenius und seiner guten topographischen Kenntnisse Karthagos nimmt Vössing an, dass er „höchstwahrscheinlich karthagischer Kleriker“ war (S.13).

Nach Vössing verfolgte Victor mit seiner Historia persecutionis zwei Ziele: Erstens wollte er die vandalisch-arianische Kirchenpolitik aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen anprangern; zweitens wollte er die vandalischen Zwangsmaßnahmen aber auch dokumentieren und zitiert deshalb mehrfach Originaldokumente wörtlich, woraus wiederum ein besonderer Quellenwert der Historia persecutionis resultiert (S. 17). Victors Intention bei den teils exzessiven Schilderungen vandalischer Grausamkeiten gegen die nordafrikanischen Katholiken war Vössing zufolge nicht die Rehabilitierung des afrikanischen Klerus nach dem Ende der Verfolgungszeit 7, sondern vielmehr schrieb Victor „immer auch mit einem Blick auf die Reichsregierung bzw. Konstantinopel“ (S. 18), denn trotz theologischer Differenzen zwischen Ost und West war für Victor der oströmische Kaiser Zenon weiterhin der „Schutzherr der Katholiken im Vandalenreich“ (S. 19).

Da Victors Historia persecutionis einerseits die einzige narrative Quelle aus dem vandalischen regnum, andererseits aber aus dezidiert katholischer und damit antiarianischer, antivandalischer Perspektive verfasst ist, stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Werks. Vössing betont, dass zwei Ebenen zu trennen seien: „die der Handlungen […] und die ihrer Einordnung in größere Zusammenhänge, d.h. die ihrer Interpretation“ (S. 22). Auf der Handlungsebene könne man Victor aufgrund seiner Zeit- und Augenzeugenschaft sowie seines Zugriffs auf schriftliche Archivalien vertrauen, bei der Interpretation betreibe Victor dagegen eine „holzschnittartige gut-böse-Wertung“ (S. 22). Vor diesem Hintergrund warnt Vössing davor, „einen permanenten heißen ‚Kirchenkampf‘ in Africa anzunehmen“ (S. 24).

Zur Historia persecutionis gibt Vössing textkritische Hinweise als Fußnoten zum lateinischen Text. Der historische Kommentar dagegen ist als Endnotenapparat in die deutsche Übersetzung eingearbeitet (S. 153–197). Vössing behandelt in diesem fast 400 Stellen der Historia persecutionis. Er setzt sich dabei immer wieder kritisch mit der Forschung zu Victor von Vita auseinander, wobei an erster Stelle die Arbeit von Howe, aber auch mancher kritischer Kommentar zur Ausgabe von Lancel zu nennen ist. In seinen oft scharfsinnigen Erläuterungen konzentriert er sich auf Fragen der politischen Geschichte und Topographie. Auf theologische Kontroversen geht er eher knapp, aber präzise ein. Mitunter neigt Vössing allerdings dazu, in seinen Interpretationen der Handlungsmotive vandalischer Protagonisten politisch-strategischen Erklärungen den Vorzug vor grundsätzlich ernstzunehmenden religiösen Motivationen zu geben (S. 175, Anm. 184; S. 179, Anm. 222, S. 184, Anm. 274).

Auf drei Stellen der Ausgabe Vössings, zu denen sich eine kritische Bemerkung anbietet, soll im Folgenden kurz eingegangen werden: Victor charakterisiert in Kapitel 1,44 Iucundus als den Priester („suus presbyter“) des vandalischen Königssohns Theuderich. Vössings Wiedergabe von „suus presbyter“ als „Hauskaplan“ ist in Anbetracht der sehr spezifischen Funktion mittelalterlicher Kapellane 8 meines Erachtens recht interpretativ, zumal die Passage allenfalls auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Theuderich und Iucundus schließen lässt.

Intensiv diskutiert wurde in der Forschung das Kapitel 2,8 der Historia persecutionis. Philipp von Rummel hat dazu nachdrücklich den Standpunkt vertreten, dass es sich bei dem hier erwähnten „habitus barbarus“ einiger Teilnehmer an katholischen Gottesdiensten nicht um eine germanische Volkstracht, sondern vielmehr um eine spätantike Militärtracht handelt.9 Vössing nimmt in seinem Kommentar eine klare Position gegen von Rummel ein und bewertet das Kapitel im traditionellen Sinn als Beleg für eine spezifisch vandalische Tracht (S. 168f., Anm. 127–128). Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass Vössing „in habitu barbaro“ zwar als „in der Tracht der Barbaren“, das diese Wendung aufgreifende „in habitu illorum“ dann aber im Sinne seiner Interpretation des Kapitels mit „in vandalischer Tracht“ übersetzt. Eben weil die Passage so intensiv diskutiert wird, wäre meines Erachtens eine neutrale Übersetzung besser.

Vössing verzichtet in seiner Textausgabe auf die Aufnahme des sogenannten Liber fidei Catholicae (2,56–100 Lancel), einer 484 anlässlich des Konzils von Karthago verfassten theologischen Lehrschrift, die die katholische Position im trinitarischen Streit darlegt. Er begründet dies damit, dass Victor den Text nicht selbst verfasst, sondern nur in sein Werk eingefügt habe. Zudem habe der Liber fidei Catholicae „einen ganz eigenen, von Victors Darstellung klar unterschiedlichen Charakter […] und für das Verständnis der Historia trägt er wenig bei“ (S. 16f.). Diese Argumentation ist insofern nicht unproblematisch, als dass der Liber fidei Catholicae formal und inhaltlich integraler Bestandteil der Historia persecutionis ist. Er ist von Victor genauso in den Textfluss eingefügt, wie andere wörtlich zitierte Dokumente (etwa die Edikte des Vandalenkönigs Hunerich in 2,38 und 3,3–14), und Victor führt seine Darstellung gezielt auf die Erörterung der Trinitätsfrage im Liber fidei Catholicae zu. Zudem legt diese theologische Schrift aus katholischer Sicht die eigene Rechtgläubigkeit und damit umgekehrt die Unrechtmäßigkeit der vandalisch-arianischen Zwangsmaßnahmen dar. Damit ist der Liber fidei Catholicae ein Element in einem wichtigen zeitgenössischen religionspolitischen Diskurs 10, in den sich durchaus auch Victors Historia persecutionis einreiht. Durch das Auslassen des Liber fidei Catholicae verliert Victors Historia einen Teil ihres Charakters als eine auch theologische Streitschrift.

Trotz dieser einzelnen kritischen Bemerkungen ist Vössings Ausgabe der Historia persecutionis des Victor von Vita aber ohne Frage ein zu begrüßendes Buch, das diesen wichtigen Quellentext gut und praktisch erschließt. Vössing regt aufgrund seiner klaren Stellungnahmen in vielen Detailfragen zur weiteren intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit Victor von Vita und seinem Werk an. Darüber hinaus wird Vössings Ausgabe wegen der Kombination aus prägnanter Einführung, zweisprachigem Text und facettenreichem Kommentar zweifelsohne auch ihren Platz in der akademischen Lehre finden.

Anmerkungen:
1 Insbesondere ist hier die Arbeit von Tankred Howe, Vandalen, Barbaren und Arianer bei Victor von Vita, Frankfurt am Main 2007 zu nennen. Vgl. dazu Roland Steinacher: Rezension zu: Howe, Tankred: Vandalen, Barbaren und Arianer bei Victor von Vita. Frankfurt am Main 2007, in: H-Soz-u-Kult, 15.09.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-161> und die Rezension von Konrad Vössing, in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 428–430.
2 Victoris Vitensis Historia persecutionis Africanae Provinciae sub Geiserico et Huniri coregibus Wandalorum recensuit Carolus Halm (Monumenta Germaniae Historica AA III 1), Berlin 1879. Victoris episcopi Vitensis Historia persecutionis Africanae provinciae recensuit Michael Petschenig (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 7), Wien 1881. Victors Verfolgungsgeschichte erfreute sich während des gesamten Mittelalters und vor allem in der Reformationszeit großen Interesses, vgl. dazu Andreas Schwarcz, Bedeutung und Textüberlieferung der Historia persecutionis Africanae provinciae des Victor von Vita, in: Anton Scharer / Georg Scheibelreiter (Hrsg.), Historiographie im frühen Mittelalter, Wien 1994, S. 115–140.
3 Victor de Vita, Histoire de la persécution vandale en Afrique. La Passion des sept martyrs. Registre des provinces et cités d’Afrique. Textes établis, traduits et commentés par Serge Lancel, Paris 2002. Lancel nimmt in seiner Ausgabe auch die Passio septem monachorum und die Notitia provinciarum et civitatum Africae auf, zwei eigenständige Texte, die in den Handschriften zusammen mit Victors Historia persecutionis tradiert wurden.
4 Stellvertretend sei hier verwiesen auf Konrad Vössing, Schule und Bildung im Nordafrika der Römischen Kaiserzeit, Brüssel 1997.
5 Vössing stimmt hier im Grunde mit der jüngeren Forschung überein, die sich über eine Abfassung zwischen 487 und 489 weitgehend einig ist. In der exakten Festlegung zeigen sich aber gewisse kleinere Differenzen: So nimmt Schwarcz, Bedeutung, S. 118 eine Entstehung im Verlauf des Jahres 489 an; Howe, Vandalen, S. 58 datiert Abfassung und Veröffentlichung in das Jahr 488 (hier auch ausführliche Angaben zur Forschungsdiskussion). Anders dagegen John Moorhead (Hrsg.), Victor of Vita, History of the Vandal Persecution (Translated Texts for Historians 10), Liverpool 1992, S. xvi–xvii, der für eine Abfassung im Jahr 484 und Überarbeitung 488/89 plädiert.
6 Für Vita als Victors Bischofssitz sprach sich mit der gebotenen Vorsicht Howe, Vandalen, S. 118 aus: „Ob in Vita Victors Geburtsort und/oder dessen Bischofssitz zu sehen ist, kann bei der derzeitigen Quellenlage nicht entschieden werden. Eines von beiden ist Vita in jedem Falle gewesen, und es darf aus der Tatsache, daß Victor in den Incipits durchweg als Bischof betitelt wird, darüber hinausgehend gemutmaßt werden, daß ‚Vita‘ eher das Bistum als den Geburtsort bezeichnet. Die eigentümliche Ausdrucksweise in den Incipits könnte allerdings auch dahingehend gedeutet werden, dass es tatsächlich beides zugleich war.“
7 So jüngst Howe, Vandalen, S. 343.
8 Josef Fleckenstein, Art. „Kapellan“, in: Lexikon des Mittelalters 5, Stuttgart 1999, Sp. 930.
9 Philipp von Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 183–191.
10 Vgl. dazu Uta Heil, Augustin-Rezeption im Reich der Vandalen. Die Altercatio sancti Augustini cum Pascentio Arriano, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 11 (2007), S. 6–29, hier bes. 26–28.

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