Chr. Mühlenkamp: Nicht wie die Heiden

Cover
Titel
„Nicht wie die Heiden“. Studien zur Grenze zwischen christlicher Gemeinde und paganer Gesellschaft in vorkonstantinischer Zeit


Autor(en)
Mühlenkamp, Christine
Reihe
Jahrbuch für Antike und Christentum: Ergänzungsbände, Kleine Reihe 3
Erschienen
Münster 2008: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 232 S.
Preis
38,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Gerstacker, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Bei der hier vorzustellenden Studie handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung der von Alfons Fürst betreuten Dissertation der Autorin, die im WS 2006/07 von der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster angenommen wurde. Gegenstand ist die „Abgrenzung der Christen und ihrer (religiösen) Identität gegen das Heidentum“ (S. 1). Dabei geht es ihr allerdings nicht in erster Linie um Fragen der Theologie oder der Lehrbildung, sondern um die „durch die konkrete Lebensführung vollzogene Abgrenzung zwischen Christen und Heiden […]. Die Grenze wird durch bestimmte Handlungen bzw. Unterlassungen, die sich von den Heiden absetzen, konstituiert“ (S. 1). Um die genannte Grenze zu erfassen, fragt Mühlenkamp nach ihrem Verlauf, ihrem Charakter, der Strenge bei der Beachtung, dem Spektrum der möglichen Interpretationen und nach dem, was das Bestehen dieser Grenze gewährleistet.

Zur Durchführung ihres Vorhabens gliedert Mühlenkamp ihre Arbeit in sieben Hauptkapitel. Vor diesen konkretisiert sie in einer ausführlichen Einleitung (S. 1-35) ihre Fragestellung, gibt Auskunft über Forschungsstand, Quellen und Methoden und erläutert das „biblische Paradigma der Abgrenzung von Heidentum“ (S. 26). Sie betont, dass ein Punkt der Übereinstimmung zwischen allen Positionen in der absoluten Ablehnung einer Beteiligung am Götterkult zu finden ist. Ihres Erachtens steht dieser letztlich auf dem ersten Gebot des Dekalogs beruhende Konsens hinter allen durchaus kontroversen Aussagen über die konkrete Anwendung dieses Grundsatzes. Sie hält weiter fest, dass sich in den Quellen vier Grundpositionen bei der praktischen Umsetzung zeigen, die dann zur Gliederung der Untersuchung herangezogen werden: 1.) Der Rigorismus Tertullians 2.) Die Kompromissbereitschaft seiner innergemeindlichen Gegner 3.) Der Lebensentwurf des Clemens für ein alexandrinisches Oberschichtenchristentum 4.) Die pragmatischen Einzelfallentscheidungen der Mehrheitskirche (Kirchenordnungen/ Synodencanones). Hier müsste man meines Erachtens nachfragen: Erlaubt die Unterschiedlichkeit der Textgruppen (Gattung, Zielgruppe) wirklich einen so direkten Vergleich und eine Einteilung in vier Grundpositionen?

Methodisch baut Mühlenkamp ihre Arbeit auf der Unterscheidung von inklusivem und exklusivem Ethos auf, wie sie Michael Wolter 1 vorgeschlagen hat. Inklusives Ethos bezeichnet dabei nach Mühlenkamp „institutionalisierte Handlungen, die auch in der Mehrheitsgesellschaft anerkannt und akzeptiert sind“ (S. 26). Exklusives Ethos dagegen „bringt den Unterschied der christlichen Gemeinden zur Mehrheitsgesellschaft zum Ausdruck. Über das exklusive Ethos vergewissern sich die Gemeindemitglieder immer wieder neu ihrer ganz spezifischen Identität; gleichzeitig bildet es die Grenze zwischen Minderheit bzw. Subgesellschaft und Mehrheit“ (S. 26).

In den Kapiteln 1-4 behandelt Mühlenkamp unter verschiedenen Blickwinkeln die in Tertullians Werk erkennbaren zahlreichen Kontaktzonen zwischen Heiden und Christen in Karthago sowie innerchristliche Konflikte darüber (Kap. 1, S. 38-69: Felder der Interaktion und der Abgrenzung zwischen Christen und Heiden nach dem Zeugnis Tertullians; Kap. 2, S. 70-125: Rigorismus als Lebensprinzip in einer heidnischen Welt – das Ideal Tertullians; Kap. 3, S. 126-141: Kompromisse ohne Verlust der Eindeutigkeit – die rekonstruierte Position der Gegner Tertullians; Kap. 4, S. 142-147: Zusammenfassung: Der Antagonismus zwischen Tertullian und seinen Gegnern). Insgesamt gelingt es Mühlenkamp zu zeigen, dass es eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Tertullian und seinen Gegnern gegeben haben muss, nämlich „die aus der biblischen Tradition stammende Überzeugung, dass die gravierenden Sünden des Götzendienstes und der ‚Unzucht‘ quasi naturgemäß mit dem Heidentum verbunden sind. Das Gebot, sich vom Götzendienst und der ‚Unzucht‘ fernzuhalten, beinhaltet für Christen also gleichzeitig die Abgrenzung von bestimmten als genuin ‚heidnisch‘ gekennzeichneten Tätigkeiten und Institutionen“ (S. 142). Zum Konflikt kommt es dann bei den Fragen der Definition von Götzendienst und Unzucht sowie bei der praktischen Umsetzung der grundsätzlichen Verbote, hier vor allem dem Gewicht der sogenannten necessitates, der Lebensnotwendigkeiten. Für Tertullian gilt „größtmögliche Abgrenzung“ als die einzige vertretbare Option, die außerdem „äußerlich, sichtbar und greifbar“ (S. 123) zu geschehen hat. Für seine Gegner steht dagegen „die Kunst der Güterabwägung“ zwischen „der Erfüllung der christlichen disciplina“ und „der Erfüllung der necessitates des Alltagslebens inmitten der heidnischen Gesellschaft“ (S. 140) im Mittelpunkt. Dabei ziehen sie die Eindeutigkeit und Verbindlichkeit des christlichen Bekenntnisses keineswegs in Zweifel, es geht ihnen lediglich um einen im Alltag auch umsetzbaren Weg christlicher Lebensführung. Abgesehen von Detailfragen bei Einzelinterpretationen (vgl. zum Beispiel auf S. 74 die Erklärung der Erlaubnis des Kranzflechtens in idol. 8,5, die dem Gewicht von idol. 11,3-4 nicht gerecht werden dürfte), handelt es sich um eine ausgesprochen instruktive und gelungene Darstellung. Lediglich die Gliederung betreffend kann man fragen, ob es wirklich nötig war, dieselben Themen dreimal unter jeweils verschiedenen Vorzeichen zu behandeln; häufige Wiederholungen sind so unvermeidlich. Allerdings gelingt es Mühlenkamp dadurch, das jeweilige Profil der einzelnen Positionen ausführlich und sehr geschlossen herauszuarbeiten.

Für Clemens von Alexandrien (Kap. 5, S. 148-167: Christsein als kultiviertes Leben in der Oberschicht – die Ratschläge des Clemens von Alexandrien) kommt Mühlenkamp zu dem Ergebnis, dass er in seinem Paidagogos versucht, das christliche Leben als „ruhig, maßvoll und von vornehmem Anstand geprägt“ (S. 166) darzustellen. Dabei geht es ihm „nicht um eine Scheidung zwischen den Christen und der […] heidnischen Kultur und Gesellschaft, sondern […] um die Trennung von den früheren Sünden, von der eigenen heidnischen Vergangenheit“ (S. 166). Er will christlichen Angehörigen der alexandrinischen Oberschicht, für die er primär schreibt, einen Weg zur christlichen Lebensgestaltung aufzeigen und rechnet anscheinend nicht mit ernsthaften Konflikten zwischen der christlichen disciplina und den alltäglichen Anforderungen. Den Grund für den auffälligen Mangel an Konflikten findet Mühlenkamp in der gesellschaftlichen Herkunft der Adressaten. Das heißt dann aber auch, dass die Option des Clemens „in hohem Maße an das Milieu der Reichen und Gebildeten in der Metropole Alexandria gebunden“ (S. 167) ist. Daraus folgt nach Meinung des Rezensenten allerdings, dass sie sich nicht einfach verallgemeinern lässt und daher der Grad an Vergleichbarkeit mit zum Beispiel der Option Tertullians einer weiteren Reflektion bedurft hätte.

Für die Kirchenordnungen und Synodencanones (Kap. 6, S. 168-190: Didache, Traditio Apostolica, Didaskalie, Canones der Synoden von Elvira, Arles und Ankyra) hält Mühlenkamp zunächst als Ergebnis fest, dass die Frage nach der Abgrenzung vom Heidentum in diesen Texten nicht im Mittelpunkt steht und daher die Aussagen dazu aus größeren Textzusammenhängen herausgefiltert werden mussten. Grund dafür ist die Ausrichtung beider Textarten an internen Fragen und Problemen. In ihnen finden sich daher „keine grundsätzlichen Stellungnahmen zur Verortung des Christentums in der heidnischen Gesellschaft und gegenüber dem Heidentum als Religion“ (S. 190). Nur einzelne Themenfelder werden, wo nötig, angesprochen und pragmatisch geregelt, aber auch hier meist ohne theologische Begründung bzw. „ohne ausformulierte Theorie der christlichen Selbstverortung“ (S. 190). An dieser Stelle zeigt sich nach Meinung des Rezensenten noch einmal deutlich das Problem eines Vergleichs so verschiedener Textgattungen.

Im siebten und letzten Kapitel (S. 191-199) folgen dann noch einige knappe Anmerkungen zu der Schrift De aleatoribus, zu heidnischen Aufforderungen an die Christen zur Integration (die Schrift Alethes Logos des Kelsos und Argumente der Heiden in Tertullians De spectaculis) und abschließend zu einigen Notizen bei Irenäus.

In ihrer Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse (S. 201-205) versucht Mühlenkamp dann noch einmal einen direkten Vergleich der von ihr festgestellten vier „Grundoptionen der Abgrenzung“ (S. 202), bei dem sie zumindest teilweise auf die Probleme dieses Vergleichs eingeht. Sie hält fest, dass die „Grenze zwischen christlicher Gemeinde und paganer Gesellschaft […] entlang der Marksteine des Götzendienstes und der Unzucht“ (S. 201) verläuft. Jenseits dieser gemeinsamen Grundlage sieht sie dann Abstufungen in der Befolgung bzw. praktischen Umsetzung des Gebots der Abgrenzung, die sich in den vier Grundpositionen ausdrücken. Dabei zeigt sich, dass sich die pragmatischen bzw. kompromissbreiten Mittelpositionen letztlich gegenüber dem Rigorismus durchgesetzt haben. Der Grund dafür ist, dass das Christentum als „Bekehrungsbewegung“ (S. 203) nach Mühlenkamp gar nicht zu völliger Abgrenzung in der Lage war, sondern vielmehr auf „ein Geflecht von direkten und intimen interpersonellen Beziehungen [als] Schlüssel zum Erfolg“ (S. 203) angewiesen war. Allerdings gab es auch eine doppelte Abgrenzung, nämlich eine eindeutigere, religiös-kultische, und eine weniger eindeutige, ethische Abgrenzung. Mühlenkamp spricht hier in Anlehnung an M. Wolter (siehe oben) von einer „‚harte[n]‘ (sc. die kultisch-religiös motivierte Grenze) und eine[r] ‚weiche[n]‘ Grenze (sc. die inklusivistisch-ethische Grenze)“ (S. 204), die Christen und Heiden trennen. Diese Grenze ist für Mühlenkamp insgesamt keine deutlich gezogene Linie, sondern, vor allem auf der praktischen Seite, ein „an den Rändern unscharfe[r], aber dennoch gut sichtbare[r] Grenzraum“ (S. 205).

Die Frage, wie sich ein direkter Vergleich der verschiedenen Grundpositionen angesichts so unterschiedlicher Quellengattungen durchführen lässt, bzw. ob es sich dabei überhaupt um direkt vergleichbare „Grundoptionen“ (S. 202) handelt, müsste noch gründlicher diskutiert werden. Denn wie bereits angemerkt, dürften die (im Vergleich zu den schwerpunktmäßig behandelten Positionen in den Werken Tertullians) sehr starke Milieubindung der Option des Clemens Alexandrinus ebenso wie die betonte Andersartigkeit der Kirchordnungen und Synodencanones in Aufbau und Inhalt einen Vergleich erschweren. Diese Punkte wurden von Mühlenkamp jeweils auch herausgearbeitet, auf ihre Problematik für die zusammenfassende Auswertung hätte sie allerdings stärker eingehen können.

Insgesamt handelt es sich um eine gut lesbare, in den einzelnen Kapiteln sehr informative und argumentativ robuste Studie, die der Rezensent mit großem Gewinn gelesen hat.

Anmerkung:
1 Michael Wolter, Ethos und Identität in den paulinischen Gemeinden, in: New Testament Studies 43 (1997), S. 430-444; Michael Wolter, Die ethische Identität christlicher Gemeinden in neutestamentlicher Zeit, in: Marburger Jahrbuch Theologie 13 (2001), S. 61-90.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension