Cover
Titel
Die Kunst der Freiheit?. Die westdeutsche Malerei im Kalten Krieg und im wiedervereinigten Deutschland


Autor(en)
Dengler, Steffen
Erschienen
Paderborn 2010: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Tack, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der aus Sachsen stammende Georg Baselitz, der 1957 nach West-Berlin übergesiedelt war, gab im Sommer 1990 den Impuls für den deutschen Bilderstreit, das heißt für die heftigen öffentlichen Debatten über den Wert der ostdeutschen Kunst: „Es gibt keine Künstler in der DDR, alle sind weggegangen.“1 Damit griff er das im deutsch-deutschen Kunstdiskurs etablierte Argument auf, Kunst könne nur in Freiheit entstehen. Zwei unterschiedliche „Geltungskünste“ (Karl-Siegbert Rehberg) oder, wie es Steffen Dengler formuliert, „zwei gegensätzliche kulturelle Gesichter“ (S. 9) waren während der deutschen Teilung entstanden. Die Kunst des Westens war dominiert von einer abstrakten Ausdrucksweise, die des Ostens von einer figurativen (eine Gegenüberstellung, die als Arbeitshypothese eine gewisse Berechtigung hat, bei näherem Hinsehen allerdings rasch fragwürdig wird). Zugleich wurde die westdeutsche Kunst als eine „Kunst der Freiheit“ charakterisiert, die ostdeutsche Kunst dagegen galt als Inbegriff der Unfreiheit.

Denglers Dissertation, die er 2008 an der Humboldt-Universität zu Berlin vorlegte und die nun als Buch erschienen ist, kann als Beitrag zur Historisierung des deutschen Bilderstreits seit 1990 verstanden werden, in dem beide Kunstverständnisse unversöhnlich aufeinanderprallten. In „Die Kunst der Freiheit? Die westdeutsche Malerei im Kalten Krieg und im wiedervereinigten Deutschland“ geht der Kunsthistoriker und Galerist der Frage nach, wie sich die abstrakte Malerei als westdeutsche Geltungskunst durchsetzen konnte. Die spätestens seit den 1980er-Jahren gängige These, die US-amerikanische Außenpolitik und mit ihr die CIA hätten sich um die Einführung und Durchsetzung der abstrakten Malerei im Nachkriegsdeutschland verdient gemacht oder hätten dazu mindestens wesentlich beigetragen, stellt er auf den Prüfstand. Denn der Beweis, dass „die Akzeptanz des Abstrakten Expressionismus in Europa auf die Initiative der USA hin durchgesetzt worden sei“, stehe nach wie vor aus (S. 18).2 Grundlegend in Frage gestellt werde damit zugleich das westliche „Überlegenheitsgefühl gegenüber der vereinnahmten Kunst aus Ostdeutschland, das sich auf die Überzeugung gründete, selbst eine über jeden Verdacht erhabene Kunst vorweisen zu können“ (S. 12).

Denglers zentraler Untersuchungsgegenstand sind sechs in den Jahren von 1946 bis 1948 gezeigte Ausstellungen, in denen „um das Profil Nachkriegsdeutschlands gerungen“ worden sei (S. 30). Leider erfährt der Leser nicht, nach welchen Kriterien die Auswahl der Ausstellungen erfolgte; es heißt lediglich, dass die besprochenen Ausstellungen „besonders deutlich Stellung bezogen“ in der Profilierung der Künste seit 1945 (ebd.). Zwei Ausstellungen US-amerikanischer Herkunft von 1946 und 1948 werden vier deutsche Kunstschauen gegenübergestellt: die Konstanzer Ausstellung „Neue Deutsche Kunst“ vom Juni 1946, die Dresdener „Allgemeine Deutsche Kunstausstellung“ vom August 1946 sowie zwei Augsburger Ausstellungen der Reihe „Maler der Gegenwart“ („Extreme Kunst“ und „Künstler der Ostzone“, beide 1947). Auf knapp 80 Seiten führt Dengler den Leser mit zahlreichen Abbildungen und präzisen Bildbeschreibungen sehr anschaulich durch die Ausstellungen.

Als besonders wichtig für die Auseinanderentwicklung beider deutscher Kunstauffassungen beschreibt der Autor die Dresdener Ausstellung. Denn in Dresden sei die Spaltung der Moderne in zwei gegensätzliche Geltungskünste „initiiert“ worden, in der darauffolgenden und auf die Dresdener Ereignisse bezugnehmenden Augsburger Ausstellung dagegen „besiegelt“. „In der kurzen Zeit von Juni 1946 bis August 1947 wurde die Geltungskunst in Deutschland geteilt, drei Jahre bevor die Zweistaatlichkeit mit der Gründung der Bundesrepublik politisch festgeschrieben wurde.“ (S. 103f.) Die zeitlich folgende Ausstellung der New Yorker Solomon R. Guggenheim Foundation, die unter dem Titel „Gegenstandslose Malerei in Amerika“ in mehreren deutschen Städten zu sehen war, vertiefte die Aufteilung der Künste und führt Dengler zu dem Schluss: „Das überraschende Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass Künstler und Kunstvermittler in Deutschland in ihrem Streben nach Anerkennung eine Dynamik in Gang setzten, die schließlich die moderne Kunst in den USA konsensfähig machte. […] Das Engagement der Kuratoren in Westdeutschland gegen die Kunstdoktrin der SBZ formulierte die Position, die schließlich auch die Unterstützung der Kalten Krieger aus den USA fand.“ (S. 240)

Die keineswegs selbstverständliche Synthese aus „Freiheit“ und „Abstraktion“ war damit noch nicht vollzogen. Erst im folgenden Kunstdiskurs, der seinen entscheidenden Impuls mit dem ersten „Darmstädter Gespräch“ im Juli 1950 erhielt, wurde das „Leitmotiv der Rezeption“ geprägt: die Freiheit (S. 121). Manifesten Ausdruck fand die abstrakte Moderne als westdeutsche Geltungskunst dann in der ersten documenta (1955)3, die, so vermutet es Dengler, nicht ohne die Unterstützung der CIA und des „Kongresses für kulturelle Freiheit“ zustande gekommen war (S. 175).

Leider verzichtet der Autor darauf, die Kunstentwicklung und den Diskurs in einen weiteren allgemeinhistorischen Kontext zu stellen. Der Leser taucht ein in kunsthistorische Diskussionen und Ausstellungsrundgänge – die sehr lesenswert sind –, erhält aber ohne eigenes zeithistorisches Vorwissen über die vorangegangene nationalsozialistische Kunstpolitik, die Nachkriegszeit und die junge Bundesrepublik kaum Anknüpfungspunkte zum intellektuellen und politischen Diskurs, der die Zeit nach 1945 und auch die Kunstentwicklung prägte. Die Künstler standen vor einer sehr elementaren ethischen und ästhetischen Frage: „Können wir wieder an die moderne Kunst vor 1933 anknüpfen, als sei nichts geschehen[,] oder bedarf es eines radikalen Bruchs der Formen und Inhalte?“4

Die entstehende westdeutsche Geltungskunst versuchte sich gegen zwei Positionen zu behaupten – gegen die nationalsozialistische Kunstdiffamierung und gegen die Kunstdoktrin in der DDR gleichermaßen. Dieses Faktum erwähnt Dengler nur am Rande, da es nicht im Fokus seiner Fragen steht (S. 187). Dass sich die „Weltsprache Abstraktion“ als westdeutsche Geltungskunst etablieren konnte (allerdings mit fortwirkenden Vorbehalten und zum Teil deutlichen Ressentiments erheblicher Teile des Publikums), war eingebettet in gesellschaftliche Trends nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und die sich allmählich verfestigende Ost-West-Konfrontation.5 Dass sich „Freiheit“ als ein Leitmotiv der Kunstrezeption durchzusetzen vermochte, ist der Überlagerung ästhetischer und politischer Kategorien zuzuschreiben. Daher wäre die Verknüpfung des ästhetischen Denkens und der ästhetischen Praxis mit dem politischen Denkhaushalt in Nachkriegsdeutschland sinnvoll gewesen.

Trotz der begrenzten Perspektive und auch kleinerer Fehler – wie beispielsweise einer nicht korrekten Auflösung der Abkürzung „SBZ“ in „Sozialistisch Besetzte Zone“ (S. 10) – liegt mit Denglers Buch eine sehr lesenswerte Lektüre vor. Die ausführliche Wiedergabe der Kunstdebatten im Nachkriegsdeutschland, angereichert mit zahlreichen Zitaten, ist das Herzstück der Arbeit, mit dem sich zu beschäftigen an dieser Stelle nur empfohlen werden kann.

Anmerkungen:
1 Zit. nach: art Nr. 6/1990, S. 70. Führende DDR-Künstler wie Mattheuer, Sitte und Tübke waren für Baselitz „ganz einfach Arschlöscher“.
2 Mit „Abstraktem Expressionismus“ sind hier etwa Arbeiten von Barnett Newman, Mark Rothko und Willem de Kooning gemeint.
3 Vgl. Sabine Horn, documenta I (1955): Die Kunst als Botschafterin der Westintegration?, in: Johannes Paulmann (Hrsg.), Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln 2005, S. 45-61. Siehe auch Gregor Wedekind, Abstraktion und Abendland. Die Erfindung der „documenta“ als Antwort auf „unsere deutsche Lage“, in: Nikola Doll u.a. (Hrsg.), Kunstgeschichte nach 1945. Kontinuität und Neubeginn in Deutschland, Köln 2006, S. 165-181, und Sabiene Autsch, „Die Welt schmeißt mit Farben“ – Abstraktion und Amerikanisierung auf der documenta 2 (1959), in: Lars Koch (Hrsg.), Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960, Bielefeld 2007, S. 233-254.
4 Eckart Gillen, Feindliche Brüder? Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst 1945–1990, Bonn 2009, S. 24. Hinzuzufügen ist hier, dass die moderne Kunst in Deutschland auch vor 1933 keineswegs fest etabliert und unstrittig war.
5 Vgl. ebd.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension