K. Kratz-Kessemeier u.a. (Hrsg.): Museumsgeschichte

Cover
Titel
Museumsgeschichte. Kommentierte Quellentexte 1750-1950


Herausgeber
Kratz-Kessemeier, Kristina; Meyer, Andrea; Savoy, Bénédicte
Erschienen
Anzahl Seiten
308 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Baur, Die Exponauten, Berlin

Das Museum existiert, wie viele alte Institutionen der Moderne, Zeit seines Bestehens in einer Spannung von Tradition und Innovation. Gelegentlich kommen Veränderungen unerwartet und explosiv (wie im Kontext des politischen Umbruchs von 1989/90), zumeist jedoch stellt sich der Wandel schleichend ein, nahe an der Eigenzeit der auf Ewigkeit hin orientierten Sammlungen. Der Diskurs um das Museum lebt hingegen wesentlich von einer Rhetorik des Neuen. „Neue Ausstellungsformate“ werden erprobt, „neue Zielgruppen“ umworben, spektakuläre Neubauten bewundert, die (inzwischen historische) „neue Museologie“1 bemüht. Die Zeitschrift des österreichischen Museumsbundes nennt sich denn, programmatisch konsequent, schlicht „neues museum“. Bei so viel Blick nach vorn stellen Studien zur Museumsgeschichte ein willkommenes Korrektiv, indem sie wiederkehrende Fragen in den Blick bringen und oft weit zurückreichende Grundlinien der Debatte erkennen lassen. Der hier zu besprechende Band fügt sich vorbildlich in dieses Unternehmen ein.

Dem Charakter nach handelt es sich bei „Museumsgeschichte. Kommentierte Quellentexte 1750-1950“ um eine Mischform aus Grundlagenforschung und wohl informiertem Lesebuch. Entstanden ist es aus einer Kooperation des Kunsthistorischen Instituts der Technischen Universität Berlin mit der Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V. und die meisten kommentierenden Texte wurden – wie bereits im Vorgängerprojekt „Tempel der Kunst“2 – von Studierenden und Doktoranden im Rahmen eines Projektseminars verfasst. Als generelles Anliegen sollen „[a]nhand ausgewählter historischer Texte […] Schwerpunkte in den immer wieder hitzigen Diskussionen um die Institution aufgezeigt, entscheidende Entwicklungsphasen und beispielhafte Positionen vermittelt“ (S. 12) werden.

Dabei ist der Fokus – anders als der (Verlags-?)Titel vermuten lässt – mit wenigen Ausnahmen auf den Typus des Kunstmuseums begrenzt. Explizit setzt sich der Band etwa gegen Publikationen ab, bei denen „Stellungnahmen zu naturkundlichen, historischen, kunstgewerblichen oder auch zu ethnologischen Sammlungen einbezogen sind, die in ihrer Fülle den Blick speziell für die Funktion und Rezeption des Kunstmuseums nicht zu schärfen vermögen.“ (S. 12) Abgesehen davon, dass die Begründung nicht vollständig überzeugt – Könnten nicht gerade in der Zusammenschau die Konturen der unterschiedlichen Sparten genauer zum Vorschein kommen? – hätte vor diesem Hintergrund der Titel weniger irreführend „Geschichte des Kunstmuseums“ lauten müssen. Auch die historischen Zäsuren sind diskussionswürdig. Das Anfangsdatum 1750 als Beginn der Sattelzeit, in der das öffentliche Museum entstand, leuchtet unmittelbar ein; das Enddatum 1950 weniger. Als Begründung der Zäsur ins Feld geführt werden „die neuen ideologischen Fronten des Kalten Krieges“ (S. 13), ein gewandelter Kunstbegriff und das Aufkommen Neuer Medien. Doch gerade im Hinblick auf diese unbestreitbaren Wandlungen einen fundamentalen Bruch, gleichsam die Stunde Null des Kunstmuseums, zu suggerieren statt Kontinuitäten und Veränderungen (etwa im Geiste der Museumsreform, im Ringen um Inszenierungsformen oder die Zuordnung neuer Materialien) auszuloten, ist eine unglücklich vertane Chance.

Sieht man von diesen fraglichen konzeptionellen Entscheidungen, denen sicher ein verständlicher Pragmatismus der Stoffbewältigung zugrunde liegt, ab, versammelt der Band auf überzeugende Weise drei Dutzend einschlägige Quellentexte in schlüssiger Gliederung und aufschlussreicher Kommentierung. Die Auswahl umfasst, meist in Auszügen von zwei bis acht Seiten, Klassiker wie Quatremère de Quincys Klage gegen die Plünderung europäischer Kunstwerke im Zuge und Zeichen der Revolution, Schinkel und Waagens Konzept für das Alte Museum in Berlin, Marinettis „Futuristisches Manifest“, Schefflers „Berliner Museumskrieg“, Barrs Gründungsstatement des Museum of Modern Art oder Malraux‘ „musée imaginaire“. Daneben finden sich etliche weniger bekannte Positionen und einige echte Fundstücke. Das Spektrum ist dezidiert international. Der Schwerpunkt liegt auf deutschen Quellen, doch sind daneben etliche Beiträge aus dem französischen, einige aus dem amerikanischen und einzelne aus dem italienischen, russischen und niederländischen Kontext vertreten. Diese zum Teil erstmals in Übersetzung zugänglich zu machen, ist ein ganz eigenes Verdienst des Buches.

Die 38 Texte sind in sechs thematische Abschnitte unterteilt, die in sich chronologisch fortschreiten: „Die Ordnung der Bilder“, „Die Öffnung für das breite Publikum“, "Museumsinszenierungen“, „Kritik und Visionen“, „Ein neuer Museumstyp: Das Museum für zeitgenössische Kunst“ und „Das Museum im Zeichen von Politik und Ideologie“. Ein ausführliches Personenregister erschließt den Band zusätzlich auf andere Weise. Die Zuordnung der einzelnen Positionen zu den Kapiteln ist naturgemäß nicht immer trennscharf, doch insgesamt erscheint die Strukturierung durchaus sinnvoll. Anders etwa als die alternativ denkbare Ordnung der reinen Chronologie lenkt sie den Blick auf neuralgische Punkte und lässt so spezifische Entwicklungen hervortreten. Noch stärkeres Profil gewonnen hätte der Band durch einen übergreifenden Beitrag, der diese Linien bündig reflektiert, bzw. durch Einführungen in die jeweiligen Abschnitte, in denen die Textauswahl begründet, Bezüge angedeutet und diese in den Forschungsstand eingebettet werden.

Auf das Fehlen einzelner Autoren oder Positionen (Dorner, Dana, Rivière…) hinzuweisen ist bei einem solchen Unterfangen, das sich gerade durch seine entschiedene Auswahl auszeichnet, müßig und geschmäcklerisch. Eine Lücke fällt dann aber doch ins Auge: Im Kapitel zum „Museum im Zeichen von Politik und Ideologie“ springt die Auswahl von 1796 (Quatremère) sogleich zu 1919 (Valentiner), von der Französischen zur Novemberrevolution also. War – so ließe sich deuten – das lange 19. Jahrhundert etwa von „Versuchen, das Kunstmuseum politisch zu vereinnahmen und zu ideologisieren“ (S. 15) frei? Wohl kaum. Schließlich hätten ohne Weiteres auch Schinkel und Waagens anders eingruppierte Pläne für das Alte Museum als Brutstätte des klassisch gebildeten (Staats-)Bürgers oder Waagens Text zur Begründung einer Nationalgalerie hier verortet und mithin als ideologisch kategorisiert werden können. Durch derartige, symptomatische Aussparungen tendiert die bürgerliche und nationale Ideologie, die dem Museum von Beginn an Pate stand, als Anderes der in den Vordergrund gerückten „totalitären Systeme“ (S. 15), gewissermaßen als unhinterfragter Normalfall, aus dem Blick zu entschwinden.

Die Kommentare, die jeden Quellentext begleiten, folgen einem schlüssigen und meist kenntnisreich ausgeführten Prinzip. Dargestellt werden knappe Informationen zur Biografie des jeweiligen Autors (im Übrigen ausschließlich Männer – gäbe es auch frühe Texte von Frauen?) und zum historischen Kontext, gefolgt vom Hinweis auf entscheidende Aspekte im Text, Tendenzen der zeitgenössischen Rezeption und gegebenenfalls Resonanzen bis heute. Ausgewählte Literaturhinweise machen den vertiefenden Einstieg möglich. Angenehm fällt die Entscheidung auf, die Kommentare den Originaltexten nachzustellen. Wenn man sich auf diese Lesefolge einlässt, bleibt der Blick offen für eigenes Erstaunen und Erkennen in der Konfrontation mit den alten Texten und den zusätzlichen Gewinn durch die Reflexion auf Grundlage des Kommentars.

Für die Diskussion einzelner Beiträge fehlt hier der Platz. Angedeutet seien nur wenige Stränge, die zugleich den Charme des Bandes illustrieren mögen. Man kann die Texte lesen als Meilensteine der Museumsgeschichte, deren kontinuierliche Entwicklung durch die zeitgenössischen Stimmen plastischer wird. Man kann sie aber auch – und das lässt sich kaum vermeiden – von der Warte heutiger Diskurse um das Museum lesen, als Kommentar, Kontrast und vielfach erstaunlich (oder erschreckend?) aktuelle Stellungnahme. Zum Vorschein kommt etwa das ewige und ewig aktuelle Ringen um die richtige Ordnung der Dinge, beispielhaft in Gottfried Sempers Diskussion der Vor- und Nachteile „integrierter Sammlungen“ im Gegensatz zur spezialisierten Ausdifferenzierung. Da wirft Richard F. Bach 1927 – übrigens unter dem noch immer bzw. immer wieder modischen Signum des „Museums als Laboratorium“ (S. 101) – die Frage nach Sinn und Zweck von Museumsbauten auf und plädiert gegen den „Palast, der ‚funkelnde Galerien‘ beherbergt“, für ein „würdevolles, aber handliches Gebäude ohne Schein“, was wie ein Einspruch gegen die ikonische Museumarchitektur heutiger „starchitects“ klingt. Und schließlich meint man bei der Lektüre von Alfred Lichtwarks museumspädagogischer Konzeption von 1886 den Antragstext für ein neues Förderprogramm zur Erschließung „museumsferner Besuchergruppen“ vor sich zu haben: „Besonders am Herzen liegt uns, die Schulen heranzuziehen. […] [I]ch glaube, der Weg durch die Kinder bietet uns die einzige Möglichkeit, in vielen Schichten den Eltern noch beizukommen. Die Kinder, denen die Augen geöffnet sind, bringen uns die Eltern in’s Haus.“ (S. 90) All das ist nicht dazu angetan, die Geschichte gegen die Gegenwart auszuspielen (nach der defätistischen Devise: „Alles schon mal dagewesen!“), sondern trägt dazu bei, heutige Diskurse zu verorten und einzuordnen sowie aktuelle Fragen verfremdet wiederzuerkennen und so das eine oder andere Auge zu öffnen.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Band einen sehr verdienstvollen Beitrag zur Museumsgeschichte, zur Fundierung der jungen Museumswissenschaft und historischen Selbstvergewisserung des Museums darstellt. Sein Wert ergibt sich weniger aus der Schöpfung neuer Forschungsergebnisse als aus der bündigen Zusammenschau maßgeblicher Positionen, die ihrerseits aber durchaus eigene Linien zutage treten lässt. Als solches ist der Band nicht zuletzt für die Lehre zu empfehlen, doch eignet er sich zweifellos auch für zweckfreies, inspirierendes Blättern und Lesen. Passende Abbildungen und ein etwas großzügigeres Schriftbild hätten den Band vielleicht noch ansehnlicher gemacht. Und die (nicht ganz überzeugende) Begrenzung auf Kunstmuseen und den Zeitraum bis 1950 sollte einfach ähnliche gelagerte Projekte mit anderen Schwerpunkten motivieren.

Anmerkungen:
1 Begriffsprägend vgl. Peter Vergo (Hrsg.), The New Museology, London 1989; im historischen Rückblick bei Sharon Macdonald, Expanding Museum Studies. An Introduction, in: dies. (Hrsg.), A Companion to Museum Studies, Malden/Oxford 2006, S. 1-12. Vgl. auch die Rezension in: H-Soz-u-Kult, 21.09.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-207> (27.04.2011).
2 Bénédicte Savoy (Hrsg.), Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701-1815, Mainz 2006.

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