Cover
Titel
Weimar als Exil. Erfahrungsräume französischer Revolutionsemigranten 1792-1803


Autor(en)
Pestel, Friedemann
Reihe
Transfer - die deutsch-französische Kulturbibliothek 28
Erschienen
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Höpel, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig

Im Zuge der Ablösung der großen strukturalistischen Entwürfe über die Wirkung der Französischen Revolution von 1789 durch vermehrt kulturgeschichtliche Studien insbesondere nach 1989 wurden auch die Emigranten, die aufgrund der Revolution Frankreich verließen, unter neuen Gesichtspunkten zum Objekt der Forschung. Um kulturellen und technologischen Transfers auf die Spur zu kommen, drängte sich die Erforschung der Emigranten als potentielle Mittler auf.

Auch Friedemann Pestel geht in seiner auf breiter Quellenbasis fußenden Studie auf solche Fragen ein. Er untersucht die Folgen der Einwanderung größerer Gruppen von Revolutionsemigranten in Sachsen-Weimar-Eisenach. Dabei sieht er in der Kleinteiligkeit von Sachsen-Weimar-Eisenach, einer Kleinteiligkeit, die auch die Zahl der potentiell sich dort niederlassenden Emigranten begrenzte, eine besonders gute Voraussetzung für eine dichte Beschreibung der Begegnung von Emigranten und Einheimischen und der daraus resultierenden Folgen für beide Seiten. Friedemann Pestel interessiert dabei im Übrigen auch, welches Bild die Emigranten von Deutschland hatten und wie es sich im Zuge ihres Aufenthalts veränderte. Da die Emigranten bestrebt waren, nach Frankreich zurückzukehren, und dies in der übergroßen Zahl seit 1800 auch in die Wege leiteten, spielten ihre Erinnerungen und Erfahrungen auch für das französische Deutschlandbild im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle.

Die Studie untersucht ganz klassisch zunächst einmal die Emigrantengesetzgebung im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und kommt zum Schluss, dass anfangs die Vorbilder aus anderen deutschen Fürstentümern übernommen wurden und damit eine restriktive Aufnahmepraxis eingeführt wurde. Allerdings wurde dieses prohibitive Vorgehen 1795 auf Veranlassung von Herzog Carl August geändert und den Emigranten der Zuzug ins Fürstentum gestattet. Diese adlige Solidarität stieß bei der städtischen Bürgerschaft im Herzogtum nicht in jedem Falle auf Zustimmung. Auf einen möglichen Zusammenhang von Revolutionssympathien und der Ablehnung der Revolutionsflüchtlinge geht der Autor an keiner Stelle ein.

In einem zweiten Schritt stellt Friedemann Pestel die verschiedenen Emigrantenkolonien vor, die im Herzogtum entstanden, vor allem in Eisenach, Weimar und Jena. Er beschreibt die Sicht der Emigranten auf ihr Exil und ihre mit der Zeit veränderte Wahrnehmung des revolutionären Frankreichs. Sehr deutlich arbeitet er die solidarische Nähe der Hofgesellschaft und des Herzogs heraus, der einerseits die wichtigen Emigranten bei Hofe empfing und bewirtete, andererseits die mittellosen Emigranten kontinuierlich finanziell unterstützte.

Das umfangreichste Kapitel widmet Friedemann Pestel dem durch die Emigranten vermittelten Kulturtransfer. Dabei konstatiert er im Bereich von Theater und Literatur zuerst einmal eine deutsch-französische Konfrontation in Bezug auf Literaturrezeption und ästhetische Vorstellungen, die in der Folge auch nicht aufgelöst wurde. Es kam, trotz einiger Versuche, auch zu keiner dauerhaften und erfolgreichen Übersetzungstätigkeit von Werken der Weimarer Klassik ins Französische durch französische Emigranten. Friedemann Pestel befasst sich dann ausgiebig mit von Emigranten verfassten Schriften, die dem deutschen Publikum auf Deutsch französische Gegebenheiten und Sprachkenntnisse nahe bringen wollten bzw. sich in die Diskussion um die Ursachen der Revolution einmischten. Im Weimarer Gymnasialdirektor Karl August Böttiger erkennt Friedemann Pestel eine zentrale Gestalt bei der Einbindung von Emigranten in die Informationsnetzwerke deutscher Zeitschriften und die Tätigkeit deutscher Verleger. Emigranten wirkten in größerem Maße zudem als Sprach- und Hauslehrer, wobei auch hier der Landesherr regen Einfluss nahm. Er stellte dem ehemaligen Präsidenten der französischen Nationalversammlung, Jean Joseph Mounier, das bei Weimar gelegene Lustschloss Belvedere zur Einrichtung eines Erziehungsinstitutes zur Verfügung, in dem junge Adlige vor allem aus dem Vereinigten Königreich nach den Prinzipien der Aufklärung ausgebildet wurden. Mit dem Erziehungsinstitut wollte Herzog Carl August das internationale Prestige seines Herzogtums stärken, was durch Werbung in deutschen und englischen Blättern auch ganz gut gelang. Nachhaltige Wirkungen hatte das mit der Rückkehr Mouniers nach Frankreich 1801 aufgelöste Institut für Sachsen-Weimar-Eisenach aber kaum. Dass auch in Sachsen-Weimar-Eisenach versucht wurde die Revolutionsemigration für technologische Transfers zu nutzen und damit die heimische Wirtschaft zu stärken, macht der Autor am Fall des Metallurgieexperten François Ignace de Wendel deutlich.

Neben der positiven Haltung des Landesherrn weist Friedemann Pestel auch auf die antifranzösischen Ressentiments in der Bürgerschaft und in Teilen der adligen und bildungsbürgerlichen Elite hin. Der Autor stellt sie – etwas vorschnell – in eine Kontinuität mit Völkerstereotypen seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Wichtiger als „nationale“ Stereotype waren im vorliegenden Fall aber wohl Konkurrenzdenken und soziale Vorbehalte, wurden doch die Uneinsichtigkeit und der Egoismus des französischen Hochadels seit 1789 in deutschen Territorien zunehmend zum verbreiteten Bild. Die Hofhaltung der französischen Prinzen in Kurtrier 1791-1792 hatte dieses Bild auch breit in der deutschen Bevölkerung verankert. Die soziale Zusammensetzung der Emigranten in Sachsen-Weimar-Eisenach entsprach diesem Stereotyp weitgehend.

Es handelt sich insgesamt um eine Studie, die die Revolutionsemigranten vor allem in den Forschungskontext der Weimarer Klassik einzuordnen versucht, die mitunter aber etwas zu viel Empathie mit dem Gegenstand besitzt, was sich auch im Sprachgebrauch niederschlägt. Trotz des umfänglichen Kapitels zum Kulturtransfer blieben die dauerhaften kulturellen Transfers in Sachsen-Weimar-Eisenach doch eher bescheiden, was wohl auch an der sozialen Exklusivität eines großen Teils der Emigranten lag. Hingegen spielte diese Exklusivität wiederum eine Rolle für das positive Bild des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, das in Frankreich durch die zurückgekehrten ehemaligen Emigranten befördert wurde, die zum Teil recht rasch in wichtige Positionen im napoleonischen Frankreich aufrückten. Inwieweit die ehemaligen Emigranten zur Rezeption der Weimarer Klassik in Frankreich beigetragen haben, kann Friedemann Pestel nur als weitergehende Forschungsfrage formulieren.

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