S. Brockmann: A Critical History of German Film

Cover
Titel
A Critical History of German Film.


Autor(en)
Brockmann, Stephen
Reihe
Studies in German Literature, Linguistics, and Culture 93
Erschienen
Rochester 2010: Camden House
Anzahl Seiten
532 S.
Preis
£19.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Stiasny, Berlin

Wer hierzulande Filmgeschichte und zumal deutsche Filmgeschichte studieren will, der geht am besten in eine gute Bibliothek und liest sich ein paar Bücher durch, denn an deutschen Universitäten führt das Fach Filmgeschichte ein Schattendasein an den Rändern der Medien-, Literatur-, Kunst- und Kulturwissenschaften.1 In Amerika und Großbritannien ist das anders. Dort wird Filmgeschichte in zahlreichen filmwissenschaftlichen Abteilungen und vor allem auch in den Departments für fremde Sprachen und Kulturen unterrichtet. An vielen Instituten für German Studies in den USA gehören Kurse zur deutschen Filmgeschichte wie selbstverständlich zum Studienangebot. Epochenübergreifende Überblicksdarstellungen und Einführungen in die deutsche Filmgeschichte sind deshalb auch überwiegend auf Englisch erschienen, darunter Marc Silbermans „German Cinema. Texts in Context“ (1995), Sabine Hakes „German National Cinema“ (2002, zweite, ergänzte Auflage 2008) 2, das von Tim Bergfelder, Erica Carter und Deniz Göktürk herausgegebene „The German Cinema Book“ (2002), „German Culture through Film“ (2005) von Robert C. Reimer, Reinhard Zachau und Margit Sinka sowie Maggie Hoffgens „Studying German Cinema“ (2009).

Mit „A Critical History of German Film“ legt Stephen Brockmann, Professor für German Studies an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, nun das mit über 500 Seiten bislang umfangreichste englischsprachige Buch zum Thema vor. Brockmann will einerseits eine Übersicht über längere Entwicklungen im Bereich der Filmtechnik und Produktion, der Ästhetik und Rezeption sowie der sich wandelnden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen geben. Andererseits will er nicht bei einem reinen Überblick stehen bleiben, sondern auch insgesamt 27 Schlüsselfilme aus den Jahren 1913 bis 2006 ausführlicher vorstellen und diskutieren.

Ganz herkömmlich gliedert Brockmann die deutsche Filmgeschichte nach politischen Epochen: in das Kino der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, des „Dritten Reichs“, der Zeit zwischen Kriegsende und Staatengründung 1949, der DDR und der Bundesrepublik bis 1989. Am Schluss steht das Kino seit der Wiedervereinigung. Den einführenden Kapiteln von jeweils ungefähr 15 Seiten, die die einzelnen Epochen unter historischen und filmhistorischen Gesichtspunkten kurz umreißen, folgen je 10-15 Seiten lange Fallanalysen wichtiger Filme wie „Der letzte Mann“ (1924; „one of the indisputable masterpieces of German film“, S. 71), „Metropolis“ (1927; „one of the most influential science fiction movies of all time“, S. 81), „M“ (1931; „one of the most gripping crime films ever made“, S. 113), „Der junge Törless“ (1966; „one of the first signs of a new, more creative West German cinema“, S. 315), „Die Legende von Paul und Paula“ (1973; „one of the most popular East German movies of the 1970s“, S. 259) und „Die Blechtrommel“ (1979; „one of the most commercially successful films of the New German Cinema“, S. 372). An jüngeren Filmen behandelt Brockmann unter anderem „Lola rennt“ (1998; „the biggest German-made hit of 1998-99 both nationally and internationally“, S. 457), „Gegen die Wand“ (2004; „a sensation in Germany and internationally“, S. 480) und „Das Leben der Anderen“ (2006; „the first important cinematic look at the East German dictatorship after the spate of historical comedies about the GDR“, S. 489-490).

Die Auswahl der Schlüsselfilme orientiert sich an dem, was auch woanders als Kanon bezeichnet wird und über das schon viel geschrieben worden ist. Ein weiteres wichtiges Kriterium war, dass diese Filme auch einem Publikum ohne Deutschkenntnisse in Form englisch untertitelter DVDs zugänglich sein sollten. Was einen Film zu einem Schlüsselfilm macht, unterscheidet sich zwar von Fall zu Fall, doch überwiegt bei Brockmann erstens ein klares Interesse an künstlerischen, für ihre Zeit neuartigen Werken und deren Regisseuren, womit unausgesprochen das Gefälle zwischen national bedeutendem Autorenfilm und dem stärker am nicht national spezifischen Massengeschmack orientierten populären Genrekino zementiert wird. Der deutsche Film erscheint daher umso „anders“, umso „fremder“ als der weltweit dominante Hollywoodfilm, und tatsächlich macht das Moment der Differenz den deutschen Film in Amerika überhaupt erst attraktiv. Zweitens dominiert das Interesse an Inhalten und Themen. Die genaue Analyse der Technik und Ästhetik, Produktion und Vermarktung, der genrespezifischen Merkmale und der praktischen Verwendung einzelner Filme tritt daher zurück zugunsten der Frage nach ihrer Bedeutung innerhalb eines gesellschaftlichen Diskurses, sei es jener über den Führer-Mythos im „Dritten Reich“ oder über den Aufbau der DDR, über Vergangenheitsbewältigung und Verdrängung. Wiederkehrende Themen sind die nationalsozialistische und die sozialistische Diktatur, der Zweite Weltkrieg und der Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF). Beleuchtet werden daneben etwa auch der Wandel der Geschlechterverhältnisse, die Erfahrung einer transnationalen Identität und die Repräsentation von Homosexualität.

Wer mit der Materie nicht vertraut ist, dem bietet Brockmann viele wichtige Informationen und ein vernünftiges Grundgerüst. Die Informationen, die aus der recht umfangreichen Sekundärliteratur extrahiert sind, werden ergänzt durch eine mal knappe, mal etwas ausführlichere Diskussion von Forschungspositionen, wobei auffällt, dass hier vorwiegend der amerikanische Filmdiskurs reflektiert wird und auch in den Fußnoten Hinweise auf deutschsprachige Forschungen spärlich sind.

Brockmanns Buch wendet sich vor allem an amerikanische Leser, denen die Analyse der Filme stets auch landeskundliches Wissen vermitteln soll. Gerade aus dieser Perspektive ist es bedauerlich, dass die Auswahl der Schlüsselfilme wenig Mut zu ungewöhnlichen Entscheidungen verrät. Die größte Überraschung dürfte sein, dass Brockmann auch zwei Kapitel über in Deutschland überaus populäre, allerdings nur bedingt exportfähige Komödien aufgenommen hat: „Der bewegte Mann“ (1994; „one of the most commercially successful movies of the 1990s“, S. 437) und „Rossini“ (1997; „one of the most popular German movies of 1997“, S. 447). Dies sind die einzigen beiden Komödien, die im ganzen Band vertreten sind und die von ernsten, thematisch anscheinend gewichtigeren Filmen komplett an den Rand gedrängt werden. Das ist hervorzuheben, weil dadurch nicht allein ein bestimmtes Bild von „den Deutschen“ tradiert wird, sondern vor allem deshalb, weil damit das zu allen Zeiten auch in Deutschland populärste Genre, die Komödie, zu einem Außenseiter gemacht wird. Auch wenn Humor sich mitunter schwer in eine andere Sprache übersetzen lässt, sollte man doch ein so zentrales Genre nicht außer Acht lassen, das in seinen unterschiedlichsten Spielarten von Ernst Lubitsch, Ossi Oswalda und Karl Valentin über Theo Lingen, Grethe Weiser und Heinz Erhardt bis Loriot, Otto Waalkes, Gerhard Polt und Helge Schneider die deutsche Filmlandschaft mitgeprägt hat. (Anzumerken ist freilich, dass sich auch die deutschsprachige Forschung stets mehr für die ernsten Themen interessiert hat.)

Stark unterrepräsentiert ist bei Brockmann auch das Genre des Dokumentarfilms, wenn man denn „Triumph des Willens“ (1935) überhaupt als Dokumentarfilm bezeichnen will; gar nicht vertreten sind der Avantgardefilm, der Animationsfilm, der Kinderfilm und der proletarische Film. Eine nach den Epochen gegliedert Bibliografie oder eine Gesamtbibliografie fehlen leider; das hätte dem interessierten Leser die Weiterarbeit sicher erleichtert und wäre auch im Unterrichtsbetrieb nützlich gewesen.

Anmerkungen:
1 Als Einstieg auf Deutsch empfiehlt sich weiterhin: Wolfgang Jacobsen / Anton Kaes / Hans H. Prinzler (Hrsg.), Geschichte des deutschen Films, 2. überarb. Aufl., Stuttgart 2004 (1. Aufl. 1993). Für die Misere der akademischen Filmgeschichte in Deutschland ist es bezeichnend, dass nur drei von den 17 Autoren dieses Bandes zum Zeitpunkt des Erscheinens ihren Lebensunterhalt an deutschen Universitäten verdienten.
2 Auf Deutsch erschienen unter: Sabine Hake, Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895, Reinbek 2004.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension