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Titel
Modernism and Eugenics.


Autor(en)
Turda, Marius
Reihe
Modernism and…
Erschienen
Basingstoke 2010: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
189 S.
Preis
$ 65.70
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maciej Górny, Instytut Historii im. Tadeusza Manteuffla Polskiej Akademii Nauk, Warszawa

Das Buch von Marius Turda eröffnet eine neue von Roger Griffin herausgegebene Buchreihe der Oxford Brooks University. Sie stellt sich die Aufgabe, die Moderne als ein breites, weit über die Kunst hinaus reichendes Phänomen zu beschreiben. Die Arbeit von Turda zur Geschichte der europäischen Eugenik (bzw. im deutschen Kontext Rassenhygiene) definiert „Modernism“ als eine Strömung, die in fast alle Lebensbereiche eindrang, und auch die Biologie des Menschen beeinflussen wollte. Dabei bleibt die Eugenik ein Teil der Wissenschaftsgeschichte in ihrer engen Verbindung mit Politik und Kultur. „Therefore“ schreibt Turda Emilio Gentile folgend: „one should not treat eugenics as an extraordinary episode distinct from the progressive development of the natural and medical sciences, as a deviation from the norm and a distorted version of crude social Darwinism that found its culmination in fascism and Nazi policies of genocide, but as an integral aspect of European modernity, one in which the state and the individual embarked on an unprecedented quest to renew an idealised national community“ (S. 8).

Der Autor, Stellvertretender Direktor des Centre for Health, Medicine and Society an der Oxford Brookes University, ist ein anerkannter Spezialist auf dem Gebiet der Medizingeschichte. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören das Buch „The Idea of National Superiority in Central Europe, 1880-1918“1 und der zusammen mit Paul Weindling herausgegebene Sammelband „Blood and Homeland. Eugenics and Racial Nationalism in Central and Southeast Europe, 1900-1940“.2 Diesmal aber, basierend auf beeindruckenden sprachlichen Kompetenzen, schrieb Turda eine gesamteuropäische Synthese. Er betont, dass es sich im Falle des rassischen und eugenischen Denkens um ein universelles Phänomen der Moderne handelt und illustriert seine These konsequent mit Beispielen aus allen Regionen Europas. Augenfällig ist dabei die Modernität und Aktualität der rumänischen, estnischen oder türkischen Debatten auch im Vergleich zu den „führenden“ Rassenspezialisten im Westen. Diese Perspektive ist überzeugend, denn die obere zeitliche Grenze der Synthese bildet das Jahr 1940, was bedeutet, dass der Holocaust und die deutsche Besatzungspolitik in Polen und in der UdSSR diesmal ausgelassen werden.

Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert, denen eine Zusammenfassung beigefügt wurde. Sach- und Personenregister, sowie die umfangreiche Bibliographie schließen den Band ab. Im ersten Kapitel beschreibt Turda die Anfänge der eugenischen Bewegung mit besonderer Berücksichtigung der internationalen Rezeption der Ideen von Francis Galton (1822-1911) sowie der Faszination für die Idee für Evolution und Vererbung. Dabei betont er die enge Verwandtschaft mit dem um die Jahrhundertwende wachsenden Szientismus und der Biologisierung der Kultur. In diesem ideologischen Umfeld gewannen die neuen Ideen breitere Popularität, nicht zuletzt dank der Verbindung von Wissenschaftspathos und quasi-religiösem Dogmatismus. Ihren Bekennern gaben Galton und die anderen Autoren die Hoffnung, die als drohend angesehene Degeneration abwenden und die Rasse erneuern zu können. Die Quelle der ursprünglichen und „kerngesunden“ Kraft wollte man in der Natur und in der Bauernschaft sehen. Zum Instrument des ersehnten Erneuerungsprozesses wurde die „positive“ und die „negative“ Eugenik ausersehen. Die Institution, die sich für die Verwirklichung dieses Programms anbot, war der Staat.

Die etatistische Ausrichtung der eugenischen Weltanschauung könnte übrigens als ein weiteres Argument für die moderne Provenienz der Bewegung angesehen werden, denn die Verwirklichung des rassenhygienischen Erneuerungsprogramms erforderte effiziente staatliche Strukturen. Im Mittelpunkt standen stets die (hypothetischen) Interessen des nationalen Organismus. Turda analysiert die Unterschiede der nationalen Modelle des eugenischen Denkens. Die Franzosen und Italiener zum Beispiel konzentrierten sich auf bevölkerungspolitische Fragen und standen der radikalen amerikanischen Sterilisationspolitik skeptisch gegenüber. Der Autor betont auch die Sonderstellung Deutschlands, dokumentiert nicht zuletzt im Schlüsselbegriff „Rassenhygiene“. Solche Unterschiede führt Turda auf die Inkohärenz des eugenischen Programms zurück und hält – besonders in den späteren Jahrzehnten – für eher zweitrangig.

Das zweite Kapitel ist der Rolle des Ersten Weltkrieges in der Popularisierung der Eugenik sowie deren Verwicklung in nationalistischen Diskursen gewidmet. Turda beschreibt die nationalen Diskussionen über den Einfluss des Kriegs auf die Rassequalität. In den ersten Kriegsjahren war die Vorstellung, der Krieg würde einen besseren Menschen züchten, weit verbreitet – auch bei den deutschen Juden. Erst um 1916 gewann die Überzeugung Oberhand, der moderne Krieg sei dysgenisch. Parallel wurden rassische Argumente benutzt, um den Kriegsgegner zu stigmatisieren. Auch nach 1918 waren die Anhänger der internationalen eugenischen Bewegung tonangebend in der Werbung für die Idee nationaler Überlegenheit.

Der Erste Weltkrieg wurde so zum Katalysator für die Debatten um die Rassenerneuerung. Turda beschreibt die europäischen Diskussionen über die Sterilisierung der genetisch „Unwerten“. Auch in den Programmen der Mutterschaftsfürsorge gehörte das Wohl der Nation zu den Kernargumenten. Manchmal, wie im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, kam es zu den Versuchen, die neue Staatsschöpfung mit der „Erfindung“ einer neuen (in diesem Fall „jugoslawischen“) Rasse zu verbinden. Turda zeigt, dass interessanterweise ein biologistisches Nationskonzept nicht nur Sache der Staatsnationen war, sondern auch von Minderheitengruppen adaptiert wurde. Eines der besten Beispiele dafür waren die siebenbürgischen Sachsen. Auch die Kirchen – obwohl aus doktrinären Gründen oft kritisch – suchten nach einem Kompromiss mit den „modernen“ Tendenzen, was das Beispiel der französischen „christlichen Eugenik“ belegt.

Ein eigenes Kapitel behandelt die Zeitspanne 1933-1940, als das rassenhygienische Programm Teil der offiziellen Politik in Nazi-Deutschland wurde. Turda analysiert die breiten Rezeptions- und Nachahmungsversuche nicht nur in jenen Staaten, die für gewöhnlich im Visier der älteren Forschung standen, sondern auch zum Beispiel in den baltischen Ländern. Auch dort, wo die politischen Konstellationen und/oder die Schwäche des Staates es nicht erlaubten, das eugenische Programm zu verwirklichen (wie in den von Turda analysierten Beispielen Rumäniens und der Türkei), versuchte man, zumindest in der Theorie, den „wahren“ Rassencharakter der eigenen Nation zu erkunden. In fast jedem nationalen Fall vermischten sich solche Argumente zunehmend mit dem Antisemitismus. Turda stellt derartige Überlegungen in den Kontext des Autochtonismus bzw. Revisionismus und betont, dass auch sie in den nicht dominierenden nationalen Gruppen gepflegt wurden.

„Modernism and Eugenics“ ist eine kohärente und bündige Zusammenfassung der Geschichte der europäischen eugenischen Bewegung. Der „moderne“ Kontext erleichterte die Aufgabe, indem er die Verbindung zwischen Sozial-, Ideen- und politischer Geschichte geradezu erzwang. Die Schlussfolgerungen Turdas sind überzeugend, wenn auch nicht immer besonders originell. So könnte man beispielsweise überlegen, ob die Tatsache, dass die Wissenschaft der Politik gegenüber nicht immer autonom bleibt, wirklich die im Buch vorgenommene, längere Problematisierung erfordert. Gewiss schließt die populäre, bündige Form eine tiefere Analyse vieler Einzelheiten aus – im Buch gibt es aber auch mindestens zwei Stellen, wo derartige Kürzungen etwas zu drastisch ausgefallen sind. So stellt Turda fest (S. 18), die Publikation der Ergebnisse der serologischen Forschungen von Hanna und Ludwik Hirszfeld habe dazu geführt, dass die ältere Anthropometrie von der die Idee der „biochemischen Rassen“ verdrängt wurde. Diese These ist unhaltbar, auch angesichts der im Dritten Reich durchgeführten Massenmessungen, zumal – wie an anderer Stelle im Buch richtig festgestellt – die Popularität der rassischen und eugenischen Gedanken nicht zuletzt auf Eklektizismus und Beliebigkeit der Forschungsmethoden berührte. Die Elastizität der kraniologischen Daten passte zu diesem von Turda exzellent veranschaulichten Modell. Kein Wunder also, dass sie ihre Attraktivität für die rassischen Theorien noch lange nicht verloren hatten. Ein anderes Manko ist die äußerst sparsame Behandlung der nationalen und Rassencharakterologie. Bei Turda wird dieses Problem kurz im Kapitel über den Krieg behandelt und dann im Fragment über die rumänische und griechische Rassencharakterologie nochmals erwähnt (S. 105-106). Dabei scheint die Verbindung zwischen der Erneuerung der Rasse einerseits und der Idee des spezifischen nationalen Charakters andererseits nicht nur logisch zu sein, sondern ist auch in den analysierten Quellen vorhanden. Nicht zuletzt war es gerade die Psychologie, die Argumente dort lieferte, wo die „harten“ metrischen Daten fehlten oder sich die Theorie nicht bestätigten wollte. Ludwig Ferdinand Clauß formulierte paradigmatisch: „…wir finden auch bei schwarzem Haar und gedrungenen Wuchs oft gleichsam blonde und schlanke Seelen“.3

Insgesamt bietet die Arbeit von Marius Turda eine intelligente, spannende und informative Lektüre. Die zahlreichen asymmetrischen Vergleiche können die Popularität der Eugenik veranschaulichen. Dieses Buch bringt zwar keine neuen Erkenntnisse zu der seit Dekaden erforschten Geschichte der deutschen, englischen und amerikanischen Rassenhygiene, aber die Vorzüge dieser Arbeit liegen woanders: im konsequent komparatistischen Blick. Ohne große Worte lieferte Turda eine gesamteuropäische Synthese, die Phänomene in Spanien mit denen in Rumänien vergleicht. Internationalität und Transnationalität der eugenischen Bewegung bieten den Stoff und die Chance, eine histoire croisée gelungen zu schreiben. In diesem Buch wurde sie vorbildlich genutzt.

Anmerkungen:
1 Marius Turda, The Idea of National Superiority in Central Europe, 1880-1918, Lewiston 2004.
2 Marius Turda / Paul J. Weindling (Hrsg.), Blood and Homeland. Eugenics and Racial Nationalism in Central and Southeast Europe, 1900-1940, New York 2006.
3 Ludwig Ferdinand Clauß, Die nordische Seele, München 1932, 2. Auflage, S. 9.

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