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Titel
Gute Policey. Öffentliche Ordnung in der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Iseli, Andrea
Erschienen
Stuttgart 2009: UTB
Anzahl Seiten
162 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Hübner, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit der Guten Policey hat seit den 1990er-Jahren eines der innovativsten Felder der Frühneuzeitforschung hervorgebracht und darüber hinaus zur Theorie- und Methodendebatte der Neuen Kulturgeschichte einen wesentlichen Beitrag geleistet. Ausgehend vom mittlerweile weit vorangeschrittenen Erkenntnisstand der Policeyforschung1 legt Andrea Iseli die erste Überblicksdarstellung zu „Konzept und Alltag der guten Policey im Alten Europa“ (S. 12) vor. In ihrem kompakten Handbuch liefert sie eine pointierte Geschichte „öffentliche[r] Ordnung in der Frühen Neuzeit“ – so der Untertitel – und vermisst zudem die Reichweiten Guter Policey in geographischer Hinsicht als europäisches Phänomen sowie in theoretischer Hinsicht als Ersatz für die (Epochen-)Konzepte des Absolutismus und der Sozialdisziplinierung.

Ihren Untersuchungsgegenstand fokussiert Iseli – selbst durch eine grundlegende Studie zur bonne police im frühneuzeitlichen Frankreich ausgewiesen2 – vornehmlich aus einer deutsch-französischen Vergleichsperspektive, die sie mit explorativen Seitenblicken auf weitere, insbesondere süd- und westeuropäische Länder so weit ausdehnt, wie es die einschlägigen Befunde der Forschung derzeit zulassen. Sowohl das Kapitel zur Theorie als auch die daran anschließenden Kapitel zu Norm und Praxis der Guten Policey folgen überwiegend einer temporal wie machträumlich aufsteigenden Argumentation, die von den spätmittelalterlichen Städten des 13. Jahrhunderts bis zu den frühneuzeitlichen Staaten des späten 18. Jahrhunderts reicht. Iselis stringent strukturierte Einführung in die „Grundzüge des Phänomens ,gute Policey‘ im Europa der Vormoderne“ (S. 12) vermag durchweg den sprachstilistischen Balanceakt zwischen inhaltlicher Komprimierung und guter Lesbarkeit zu halten. Die gelungene Anreicherung des Textes mit zeitgenössischen Quellenzitaten und aussagekräftigen Einzelbeispielen lässt ihre Darstellung überdies an Anschaulichkeit gewinnen.

Nach einer kurzen Einleitung und Erörterung des Forschungsstands im ersten Kapitel (S. 8-13) befasst sich das zweite Kapitel (S. 14-31) zunächst mit der Theorie der Guten Policey. In einer „kleine[n] Archäologie des Policeybegriffs“ (S. 14) werden seine semantischen Wurzeln im spätmittelalterlichen Frankreich, Italien, Deutschland und Portugal freigelegt. Vor allem die dicht überlieferten Befunde zu Frankreich und zum Alten Reich legen Iseli zufolge den Schluss nahe, dass es sich bei Guter Policey und bonne police um „Sammelbegriffe“ (S. 16) handelte, die zugleich Mittel und Zweck der Verwirklichung einer guten Ordnung bezeichneten. Dass sich die Vorstellungen darüber, was als „gut“ galt, im Verlauf der Frühen Neuzeit merklich wandelten, skizziert Iseli sodann in einem politiktheoretischen Überblick zu den Inhalten und Funktionen Guter Policey: Die ihr zugrunde liegenden Ordnungsleitbilder waren im 16. Jahrhundert noch vorwiegend auf die Friedens- und Rechtswahrung, die Subsistenzsicherung der Untertanen sowie auf die Erhaltung christlicher Moral und ständischer Ordnung bezogen. Bedingt durch das erhöhte fiskalische und machtpolitische Interesse des frühneuzeitlichen Staates an seinen territorialen Ressourcen setzten sich im 17. und 18. Jahrhundert gegenüber diesen moralisch-religiös begründeten zunehmend pragmatisch-ökonomisch motivierte Zielvorstellungen durch, in denen auch die Förderung privater wirtschaftlicher Initiative und der Schutz individueller Freiheit von wachsender Bedeutung waren.

Die „jeden Bereich menschlichen Daseins“ (S. 32) betreffenden Policeymaterien werden im dritten, vierten und fünften Kapitel (S. 32-83) zwar nicht umfassend, aber systematisch abgehandelt. Als zentrale policeyliche Interventionsfelder thematisiert Iseli hier erstens die „Normierung des Alltags“ (S. 32) durch die Religions-, Sitten-, Armen- und Gesundheitspolicey, zweitens die „Normierung der Wirtschaft“ (S. 56) durch die Brot- und Getreidepolicey sowie drittens die „Regulierung des öffentlichen Raums“ (S. 70) durch die Straßen- und Baupolicey. Als „öffentlicher Raum“ werden von Iseli jene Orte verstanden, „die allen Mitgliedern einer Gemeinschaft zugänglich sind und zur Gestaltung oder Bewältigung des Alltags auch zugänglich sein müssen“ (S. 70). Da ihre Definition nicht nur den „öffentlichen Raum ,ohne Dach‘“, sondern auch die „öffentlichen ,gebauten‘ Räume“ einschließt, (S. 80) erfährt das frühneuzeitliche Wirtshaus als exemplarischer Ort (weitgehend erfolgloser) policeylicher Interventionsbestrebungen besondere Berücksichtigung.

Iseli legt überzeugend dar, dass die Gute Policey den öffentlichen Raum in der Frühen Neuzeit nicht nur regulierte, sondern ihn durch gemeinwohlorientierte Vorschriften zur Gewährleistung von Sauberkeit, Sicherheit und freiem Durchgang überhaupt erst als solchen konstitutierte. Angesichts dieser bemerkenswerten Erkenntnis weist sie zu Recht darauf hin, dass „die Regulierung des öffentlichen Raums, eine für die gute Ordnung des Gemeinwesens bedeutsame Aufgabe der Grundversorgung, in der deutschsprachigen Policeyforschung noch kaum erschlossen“ (S. 70) sei. Ob die bisherige Vernachlässigung dieses wichtigen Teilaspekts Guter Policey aber hinreicht, um letztere schlechthin als „öffentliche Ordnung“ (Untertitel) zu charakterisieren, erscheint zumindest fraglich. Jedenfalls sind Zweifel angebracht, ob Öffentlichkeit – von der Problematik dieser Kategorie für die Vormoderne abgesehen – als durchgängiges Charakteristikum Guter Policey gelten kann. So wäre es zum Beispiel im Hinblick auf die Sitten- und Religionspolicey wenig sinnvoll, von öffentlicher Ordnung zu sprechen, da deren Vorschriften, wie Iseli selbst erklärt, „heute als Eingriff in und als Verletzung der Privatsphäre verstanden würden“ (S. 32). Generell ging der Wirkungsbereich Guter Policey insofern über die öffentliche Ordnung hinaus, als sich ihr Zugriff auch auf diejenige Sphäre erstreckte, die sich während der Frühen Neuzeit langsam als private von der öffentlichen abzulösen begann.

Der Implementation Guter Policey sind das sechste und siebte Kapitel gewidmet (S. 84-114). Iseli gibt eingangs eine konzise Übersicht zu den Instanzen und Initianten der deutschen und französischen Policeygesetzgebung, angefangen beim Kaiser bzw. König über die Landesfürsten und Landstände bis hinab zu den Stadt- und Dorfgemeinden. Die folgende Beschreibung der mit Policeysachen befassten Gerichte und Ordnungskräfte vermittelt einen prägnanten Eindruck von der kaum überschaubaren Vielfalt institutioneller und personeller Arrangements, die für den Vollzug der Guten Policey im Alten Europa zuständig waren. Jenseits aller regionalen Unterschiede fällt aus Iselis Sicht gleichwohl eine strukturelle Gemeinsamkeit ins Auge: Weil die Durchsetzbarkeit der Policeynormen überall maßgeblich von der Kooperation zwischen Obrigkeiten und Untertanen abhing3, fungierte die Gute Policey nirgendwo als reines Herrschafts- oder Disziplinierungsinstrument des frühneuzeitlichen Staates.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind einerseits die Forschungsparadigmen des Absolutismus und der Sozialdisziplinierung dekonstruiert worden4, andererseits ist es aber nicht zu einer gänzlichen Verabschiedung beider Begriffe gekommen und ebenso wenig gelungen, sie durch ein anderes, vergleichbare theoretische Reichweite beanspruchendes Paradigma zu ersetzen. Daher wirft Iseli im achten Kapitel (S. 115-135) abschließend die Frage auf, ob sich die Gute Policey als neues „Signum einer ganzen Epoche“ (S. 131) eignen würde. Eine klare Antwort auf diese durchaus anregende Frage bleibt dann jedoch aus. Stattdessen mäandert Iselis Argumentation eher assoziativ als instruktiv durch die von Guter Policey inspirierten Forschungsansätze einer modifizierten Sozialdisziplinierung, Foucaults Geschichte der Gouvernementalität und Peter Blickles Diskurs zum Gemeinen Nutzen. Der vorsichtige Versuch einer „,Nobilitierung‘ des Konzepts“ (S. 131) zu einem „Interpretationsmuster der Frühen Neuzeit“ (S. 115) scheitert vielleicht nicht zuletzt an dem von Iseli selbst benannten „Dilemma, die widersprüchlichen Befunde aus den Studien zu Theorie, Gesetzgebung und Verwaltungspraxis der guten Policey und ihrer Umsetzung in ein griffiges Erklärungsmuster zu bringen“ (S. 121). Damit stellt sich freilich die Frage, ob eine derartige „Gesamtinterpretation“ (S. 115, 121) überhaupt möglich, geschweige denn nötig ist: Auch wenn der Guten Policey nicht die phänomenologische Beweislast für eine ganze Epoche aufgebürdet werden kann, bleibt ihre weitere Erforschung dennoch ein wichtiges und nach wie vor vielversprechendes Unterfangen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Zusammenfassung von Karl Härter, Polizei, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 10, Stuttgart 2009, Sp. 170-180.
2 Andrea Iseli, „Bonne police“. Frühneuzeitliches Verständnis von der guten Ordnung eines Staates in Frankreich, Epfendorf 2003.
3 Vgl. zu den Kooperationsformen zwischen Landesherrschaften und Untertanen im Alten Reich das Konzept von Stefan Brakensiek, Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche, München 2009, S. 395-406.
4 Vgl. zur Sozialdisziplinierung zuletzt Lars Behrisch, Sozialdisziplinierung, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 12, Stuttgart 2010, Sp. 220-229.