S. Kuß: Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen

Cover
Titel
Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Kuß, Susanne
Reihe
Studien zur Kolonialgeschichte 3
Erschienen
Anzahl Seiten
500 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Arne Elias, Universität Duisburg-Essen

Die Kolonialkriege des Deutschen Kaiserreichs haben in den letzten Jahren, nicht nur durch ihre runden Jahrestage, in Wissenschaft wie Öffentlichkeit neue Aufmerksamkeit erregt. Neben den Genozidvorwürfen an das Deutsche Reich hat dabei am deutlichsten die Suche nach der Verbindung von kolonialer Gewalt und nationalsozialistischer Herrschaft den Diskurs bestimmt. Susanne Kuß bringt mit ihrem Buch eine neue Perspektive in diese Debatte. Mit dem Begriff des Kriegsschauplatzes grenzt sie sich ab von bisherigen Erklärungsansätzen und versucht durch die Einflussfaktoren des Raumes, an dem die kriegerischen Auseinandersetzungen stattgefunden haben, die Eskalation der Gewalt zu erklären. Denn Entstehung extremer Gewalt, so Susanne Kuß, ist im Kolonialkrieg mit den Bedingungen des kolonialen Raumes verknüpft (S. 31) und resultiert weniger aus einer geplanten Vernichtungsstrategie, noch direkt aus einer allgemein militaristischen Kultur im Deutschen Reich.

Ihrer Analyse der kolonialen Kriegsschauplätze der drei großen Kolonialkriege – Boxer-Aufstand 1900/01, Herero-Nama-Krieg 1904-1907 und Maji-Maji-Krieg 1905-1908 – stellt Kuß einen kurzen Überblick der Kriegsverläufe voraus (S. 49-126). Es folgt eine detailreiche und quellennahe Untersuchung der Einflussfaktoren, die das Konzept des Kriegsschauplatzes bilden: Die Vorbereitung auf den Dienst in Übersee und die Ausrüstung der Truppe, der ideologische Hintergrund, die geographischen Bedingungen der Kolonien und auch die Krankheiten vor Ort werden auf ihre Wirkung auf den Krieg untersucht. Mit viel Liebe für militärisch relevante Details zeichnet Susanne Kuß ein Bild, in dem die räumlichen Bedingungen des Krieges die Form der Kriegsführung beeinflussten und somit zur Eskalation der Gewalt beitrugen. Dabei ist für Susanne Kuß klar: Gewalt ist eine anthropologische Konstante (S. 9). Was als Eskalation der Gewalt und als Abweichung von europäischen Normen der Kriegsführung erscheint, resultiert aus den speziellen Gegebenheiten des kolonialen Kriegsschauplatzes. Nicht nur, dass Gewalt im kolonialen System allgegenwärtig war, im kolonialen Krieg nahm sie neue Dimensionen ein. Da europäische Konventionen keine Gültigkeit hatten, war die Entgrenzung der Gewalt kaum eingeschränkt. Hierbei sind die deutschen Kolonialkriege nicht als Sonderfälle europäischer Kriegsführung in Übersee zu betrachten. Allerdings erkennt auch Susanne Kuß, dass der Krieg in Deutsch-Südwestafrika unter den drei Verglichenen eine herausragende Stellung einnimmt. Dies macht sie zum einen an den enormen Krankheitsfällen der Schutztruppe fest, deren Ursache insbesondere im Rahmen der Typhusepidemie den Einheimischen zugeschrieben wurde und somit die Gewaltbereitschaft radikalisierte (S. 296). Aber auch das Interesse der anderen Kolonialmächte am Herero-Nama-Krieg deute auf die Sonderrolle der Ereignisse von 1904-1907 (S. 310). Dabei zeigt Susanne Kuß, dass es nicht die Eskalation der Gewalt im deutschen Kolonialkrieg war, die das Ausland interessierte, sondern vielmehr die Fähigkeiten der deutschen Armee (S. 331, 341). So kommt sie zu dem Schluss, dass die Unfähigkeit der deutschen Truppen, ihre mangelnde Vorbereitung auf den Dienst in Übersee und geringe Erfahrung in der Aufstandsbekämpfung die Form der Kriegsführung beeinflussten und folgt somit den Beobachtungen zeitgenössischer britischer und französischer Kriegsberichterstatter. Diese hatten sich für einen schnellen harten Schlag gegen die Herero ausgesprochen, zu dem das Deutsche Reich jedoch nicht fähig schien (S. 332). Erst die Nachkriegssituation veränderte, durch wechselseitige Anschuldigungen in deutschen und britischen Farbbüchern, den auf internationaler Ebene geführten Diskurs um koloniale Gewalt (S. 340).

Ein wichtiger Faktor zur Erklärung der Unterschiede in den Gewaltformen bleibt, dass das weite Land Südwestafrikas aufgrund seines subtropischen Klimas als einziges unter den deutschen Kolonien als Siedlungsgebiet auserkoren wurde. Im Konzept des Kriegsschauplatzes ist jedoch zu bedenken, dass die kargen Steppen auch andere Grundlagen für die Kriegsführung boten, als beispielsweise die tropischen Gegenden Deutsch-Ostafrikas. Das Land, das selbst zu Friedenszeiten den deutschen Truppen kaum ausreichend Ressourcen bot, wurde im Krieg zu einer zusätzlichen Bedrohung. Eine Strategie der verbrannten Erde, wie sie sowohl im Maji-Maji-Krieg als auch während des Boxeraufstandes angewendet wurde, kam unter diesen geographischen Bedingungen nicht in Frage. Die Soldaten erlebten Südwestafrika durch die Weite der Natur, in der die wenigen „kulturarmen“ Bewohner den Zivilisierungsphantasien kaum Grenzen setzten. Für Susanne Kuß resultiert die Umsetzung der Vernichtungsstrategie im Herero-Nama-Krieg aus der Anpassung an diese, tatsächlichen oder so wahrgenommenen, Gegebenheiten des kolonialen Raumes (S. 267f.). Allerdings kann sie an anderer Stelle zeigen, dass gerade viele der „alten Afrikaner“ den wirtschaftlichen Faktor der Eingeborenen für die koloniale Entwicklung betonten (S. 136). Strafexpeditionen und die Zerstörung einheimischer Kulturen erschienen nur in den Gegenden als sinnvolles Mittel kolonialer Herrschaft, in denen die kulturschaffende Leistung der Einheimischen als solche erkannt wurde. In Deutsch-Ostafrika wurde die landwirtschaftliche Produktion der Eingeborenen frühzeitig in die Kolonialplanung mit einbezogen und auch das militärische Kartenmaterial reagierte auf den Überfluss an Ressourcen in Ostafrika und China. Dieser Überfluss und die geringere Zahl der deutschen Soldaten machte eine Anpassung des Krieges an den Raum, in Form der Strategie der verbrannten Erde, erst möglich und nötig (S. 261).

Im Vergleich der drei Kolonialkriege gelingt es Susanne Kuß sowohl die prägenden Unterschiede der kolonialen Gewaltformen herauszuarbeiten, als auch Gemeinsamkeiten zu finden. Die Heterogenität der Angehörigen der Schutztruppe lässt, wie Susanne Kuß richtig analysiert, keine direkten Schlüsse auf eine verallgemeinernde Gewaltdisposition deutscher Soldaten in Übersee zu. Besondere Bedingungen des kolonialen Kriegsschauplatzes, vor dem Hintergrund ideologischer Leitlinien wie dem Wort des Kaisers „Pardon wird nicht gegeben“, bilden dabei übergreifende Charakteristika kolonialer Kriegsführung.

Susanne Kuß integriert in ihrem Kriegsschauplatz-Konzept viele Argumente um einen universellen Analyserahmen abzustecken. In weiten Teilen gelingt es ihr so auf die relevanten Faktoren vor Ort hinzuweisen, die in der Debatte um die Verbindungslinien kolonialer Gewalt gerne übersehen werden. Einer Tradition genozidialer Gewalt von den Kolonialkriegen zum Zweiten Weltkrieg steht für Susanne Kuß schon das Alter ehemaliger Kolonialsoldaten zur Zeit des Nationalsozialismus entgegen. Trotz des Befundes der Übertragbarkeit kolonialer Kriegsstrategien auf den europäischen Osten (S. 320) seien in der Zwischenkriegszeit keine Kolonialkriegsdiskurse geführt worden, die auf eine Kontinuität hindeuteten (S. 429). Dass die Kolonialkriege in Reichswehr und Wehrmacht „überhaupt kein Thema“ waren (S. 27) steht jedoch durchaus im Widerspruch zur „Kolonialaufklärung des Heeres“.1

Bei der deutlichen Betonung der geographischen Faktoren bleibt sicherlich zu diskutieren, ob die Ursachen der Gewalteskalation in den geographischen Bedingungen des kolonialen Raumes zu suchen sind oder doch eher in dem europäischen Blick auf diesen Raum. Und an dieser Stelle schließt sich auch der Kreis zu den Raumvorstellungen Ratzels und Haushofers, zu denen Kuß zu Beginn einen Bezug ihres Konzeptes herstellt. Die Raumvorstellungen der Zeit prägten nicht nur spätere Lebensraum-Ideen der Nationalsozialisten (S. 35), sondern spiegeln auch die sozialdarwinistische Weltsicht im Kaiserreich. Gerade die radikalisierende Lobbypolitik des Alldeutschen Verbandes wäre stärker mit einzubeziehen, wenn man bedenkt, dass die Raumkonzepte Ratzels und Haushofers diesem Dunstkreis entsprangen.2 In der Abarbeitung ihrer Themen über die Grenzen der jeweiligen Kriege hinweg erscheint einiges unstrukturiert, manches übergewichtet und wird dabei ihrem eigenem Konzept des kolonialen Kriegsschauplatzes nicht immer gerecht.

Im Gesamten ist das Buch von Susanne Kuß eine hervorragend recherchierte und gut in den wissenschaftlichen Diskurs eingebettete Untersuchung zur Gewalt in der deutschen Kolonialgeschichte. Eine umfassende vergleichende Studie zu den kolonialen Kriegen war besonders angesichts der hitzig geführten Debatte um Kontinuitäten zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus sicherlich wünschenswert. Susanne Kuß nimmt diese Debatte auf und gibt mit ihrem Konzept des Kriegsschauplatzes wichtige Denkanstöße. Durch ihre reichhaltige Quellenarbeit eröffnet ihr Werk den Zugang zu wichtigen Einflussfaktoren der Kriegsführung. Gerade im Bezug auf die aktuellen Mandate der Bundeswehr gibt Susanne Kuß ihren Thesen eine Aktualität, die für mögliche Gewalteskalationen in „out-of-area“-Einsätzen bedacht werden sollten (S. 18).

Anmerkungen:
1 Vgl. Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage, 1919-1945, München 1969, S. 69.
2 Siehe z.B. Bruno Hipler, Hitlers Lehrmeister. Karl Haushofer als Vater der NS-Ideologie, St. Ottilien 1996, S. 38.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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