D. E. Cowen: Neureligionen und ihre Kulte

Titel
Neureligionen und ihre Kulte.


Autor(en)
Cowan, Douglas E.; Bromley, David G.
Erschienen
Frankfurt am Main 2010: Insel Verlag
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Wustmann, Leipzig

Es gibt natürlich verschiedene Wege, sich der Thematik der „Neuen Religionen“ zu nähern. Meist jedoch, so stellen Douglas E. Cowan und David G. Bromley zu Recht fest, sind diese Religionen oder vielmehr ihre Anhänger Teil eines Problemdiskurses, wobei sie dann in aller Regel mit Vorurteilen belegt sind und Stereotypisierungen unterliegen. Ihr Selbstverständnis als Religionsgemeinschaft – so sie dieses denn haben – gerät dabei oft aus dem Blick bzw. wird in Abrede gestellt oder sogar als Deckmantel für „düstere Machenschaften“ aller Art disqualifiziert. Cowan und Bromley, Religionswissenschaftler aus Kanada bzw. den USA, gehen an ihre Studie mit dem Anspruch heran, diesen einseitigen, voreingenommenen Darstellungen sachliche Informationen über einige der umstrittenen Gemeinschaften entgegenzustellen.

Ein erstes Problem tut sich gleichwohl bereits im Titel auf: Der Begriff der „Neuen Religionen“ ist einigermaßen fragwürdig, wird aber immerhin von den Autoren diskutiert (S. 18) und nicht, wie andernorts so oft, unreflektiert verwendet. Dennoch bleibt er eine Verlegenheitslösung, die auch deshalb nicht recht befriedigen kann, weil es sich bei den vorgestellten Gemeinschaften noch nicht einmal durchweg um Religionen handelt – abgesehen von der Schwierigkeit zu klären, was genau unter „neu“ zu verstehen ist.

Zugrunde liegendes theoretisches Konzept dieser Kompilation ist William James‘ Theorie der „unsichtbaren Ordnung“: 1902 definierte James „das religiöse Leben“ als die „Überzeugung, daß es eine unsichtbare Ordnung gibt und daß unser höchstes Gut in einer harmonischen Anpassung an diese liegt“ (S. 23). Vorteile dieser Definition wollen die Autoren darin erkennen, dass sie nicht nur den Glauben an ein höchstes Wesen erfasse und Religion nicht ethisch qualifiziere. Gerade letzteres möchte der Rezensent bezweifeln, da der Terminus „Ordnung“ an sich durchaus positiv konnotiert ist. Darüber hinaus birgt die „unsichtbare Ordnung“ noch etliche Nachteile in sich: Definitorisch wenig trennscharf, ist sie für wissenschaftliche Studien nicht geeignet. Auch in der vorliegenden Überblicksdarstellung bringt die Verwendung dieses Terminus‘ keinen ersichtlichen Mehrwert gegenüber einem rein deskriptiven Vorgehen.

Auswahlkriterium für die Gemeinschaften (Scientology, Transzendentale Meditation, Ramthas Schule der Erleuchtung, Vereinigungskirche, Die Kinder Gottes/Die Familie, Branch-Davidianer, Heaven’s Gate, Wicca) war offenbar der Anspruch, das Spektrum umstrittener „Neuer Religionen“ möglichst breit abzubilden. In den einzelnen Kapiteln sind Cowan/Bromley jedoch bemüht, Geschichte und Entwicklung der Gemeinschaften ohne einseitige Beschränkung auf damit verbundene gesellschaftliche Kontroversen darzustellen. Bestehende Spannungen prägten aber auch die Gruppe selbst und könnten daher nicht außen vor gelassen werden. Das Konfliktpotential liege dabei weniger im religiösen Gehalt „Neuer Religionen“ begründet als vielmehr in ihrer sozialen Gestalt, welche sich besonders in der ersten Generation durch eine sehr hohe Zahl besonders glaubenseifriger Konvertiten auszeichne. „Der Konfliktfall tritt normalerweise ein, sobald neue Religionen beginnen, ihre Vision der unsichtbaren Ordnung umzusetzen.“ (S. 27) Dadurch könne die bestehende gesellschaftliche Ordnung berührt und – in unterschiedlichem Maße – erschüttert werden. Gleichwohl sei eine Stigmatisierung von Neureligionen als solchen auch dann unzulässig, wenn Vorwürfe im Einzelfall zuträfen: „[D]ie Tatsache, daß sie neue Religionen sind, sollte nicht von vornherein ein Hinweis darauf sein, daß derartige Abweichungen entweder geschehen werden oder bereits stattgefunden haben“ (S. 30).

Im Kapitel zu Scientology befassen sich Cowan/Bromley mit dem – aus ihrer Sicht legitimen – Kampf der Gemeinschaft um staatliche und gesellschaftliche Anerkennung als Religion und finden folgende Antworten für die Umstrittenheit dieser Frage (S. 54ff.): 1. das äußere Erscheinungsbild, dem etwa eine zentrale Gottheit fehlt; Andachten, die es zwar gibt, sind eher nebensächlich; 2. das Prinzip der Einzelleistungsvergütung, die noch aus der Zeit stammt, als es sich um ein Therapieangebot handelte (Dianetik); darauf gründe oft der Vorwurf, der Anspruch auf einen religiösen Status werde nur erhoben, „um den transnationalen Geschäftsinteressen der Organisation zu dienen“ (S. 58); 3. die Grenzen zwischen religiöser Praxis und säkularer Therapie sind nicht eindeutig erkennbar; 4. die Scientologen sind sehr verschwiegen bezüglich ihres Innenlebens. Während im Fall Scientology bereits der Anspruch auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft auf Schwierigkeiten stößt, werde umgekehrt der im folgenden Kapitel behandelten „Transzendentalen Meditation“ (TM) dieser Status regelrecht oktroyiert, allerdings mit einem vorwurfsvollen Impetus. Dieser Debatte liege zugrunde, dass es sich hier tatsächlich ursprünglich um eine religiöse Organisation gehandelt habe, die dann aber ihre spezifische Meditationstechnik so stark in den Mittelpunkt rückte, dass sie sich selbst nicht mehr als Religion definierte. Aufgrund ihrer Entwicklung enthalte TM gleichwohl nach wie vor viele traditionell religiöse Elemente. „Ramthas Schule der Erleuchtung“ (RSE), die nächste Gruppe, wurde als „Musterbeispiel für das umfassendere, […] vielgestaltigere Phänomen“ des New Age ausgewählt (S. 89). Ein gängiges Urteil laute hier, dass es sich um kommerziell motivierten Schwindel handle. RSE werde jedoch selten als „gefährlicher Kult“ klassifiziert; die Autoren vermuten, weil sie keine staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft anstrebt. Die Bewegung sei zudem nicht formal organisiert; außerdem bestehe keine Tendenz der Schüler, sich von der Gesellschaft zu separieren und daher kaum Konfliktpotential. Das alles trifft im Übrigen auch auf TM zu, der aber gerade vorgeworfen wir, dass sie keine Religion sein will. Hier zeigt sich, wie willkürlich und bar jeder rationalen Grundlage derlei Vorwürfe erhoben werden können. Mit der Vereinigungskirche/Familienföderation folgt jetzt das Paradebeispiel eines „gefährlichen Kults“: Die Stichworte lauten „Gehirnwäsche“, „Gedankenkontrolle“ und „Verhaltensänderung“. Ziel sei die Unfähigkeit der Anhänger, selbständig zu handeln und zu denken. Da es sich bei dem Gehirnwäsche-Vorwurf um einen der Haupttopoi der säkularen Anti-Kult-Bewegung handelt, gehen Cowan/Bromley darauf an dieser Stelle (S. 128ff.) ausführlich ein, wobei die Gründe für die Verbreitung dieses Klischees prägnant und zutreffend benannt werden. Das Konfliktthema Sexualität wird anhand der Kinder Gottes/Die Familie aufgegriffen; im Blick auf die Belagerung der Branch-Davidianer versuchen die Autoren in aller Kürze zu zeigen, wie eine tendenziöse massenmediale Berichterstattung nicht nur zum „bedeutendste[n] Fall der Verletzung der amerikanischen Religionsfreiheit im 20. Jahrhundert“ (S. 162), sondern auch zur katastrophalen Zuspitzungen von Ereignissen beitragen konnte. Das Heaven’s Gate-Kapitel nimmt sich des Themas der Gewalt in neuen Religionsgemeinschaften an – der gemeinsame Suizid der meisten Mitglieder sei Teil des verbreiteten Kult-und-Gewalt-Schemas. Wicca-Kult und Hexentum stehen nach wie vor im Fokus christlicher Anti-Kult-Propaganda, die hier den Satan am Werk sieht. Die Verwechslung mit dem Satanismus bzw. die Übertragung entsprechender Stereotype führe zu zahlreichen Diskriminierungen der Wicca-Anhänger, was zeige, „wie tief die Vorstellung von gefährlichen Kulten im öffentlichen Bewusstsein und im kulturellen Wissensschatz verankert ist. Sogar Gruppierungen, die kaum eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, können sich als Geiseln uralter Ängste und moralischer Panik wiederfinden, die sie nicht selbst verursacht haben.“ (S. 235) Dieser Schlusssatz gilt für viele Gemeinschaften, sogar für die meisten.

Die „Take-home-Message“ der Autoren wird in drei Punkten zusammengefasst: 1. Religion „als ein gesellschaftliches und menschliches Phänomen“ sei offensichtlich nicht im Niedergang begriffen; 2. „Neue Religionen“ könnten nicht auf die in den Medien dargestellten Kontroversen reduziert werden; 3. Neureligionen gäben Einblick in die „Evolution“ von Religion und seien „Glaubensexperimente für Sozialwissenschaftler“ (S. 236). So informativ und ausgewogen dem Rezensenten die Darstellung der Gemeinschaften erschien, so unbefriedigend wirkt nun dieser Abschluss: Die ersten beiden Punkte sind für thematisch versierte (Religions-)Wissenschaftler ein alter Hut; der dritte hingegen ist sehr problematisch: Er unterstellt Religionen eine Entwicklung (woraus? wohin?), die kaum zu belegen sein wird. Sofern es aber keine Gesetzmäßigkeit in der Geschichte von Religionen gibt, lässt sich von heutigen Entwicklungen auch nicht auf frühere schließen. Als „Experiment“ sind „Neue Religionen“ also untauglich, schon weil nicht die gleichen Ausgangsbedingungen hergestellt werden können – in früheren Jahrhunderten/Jahrtausenden waren die Umstände schließlich ganz andere.

Im Fazit handelt es sich dennoch um ein lesenswertes Buch, welches aber auch nach Intention der Autoren eher als Informationsquelle für den interessierten Laien geeignet ist. Es ist ihm zu wünschen, dass es den Weg zu diesen Lesern findet.

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