Cover
Titel
Hannibal. Ein biografisches Porträt


Autor(en)
Günther, Linda-Marie
Reihe
Herder-Spektrum 6217
Erschienen
Freiburg 2010: Herder Verlag
Anzahl Seiten
203 S.
Preis
€ 12,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Trattner, Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Karl-Franzens-Universität Graz

Biographien zum berühmtesten karthagischen Feldherrn sind bekanntlich keine Mangelware. Im Gegensatz zu den meisten Betrachtungen möchte Linda-Marie Günther aber kein Fachbuch im konventionellen Sinn bieten, sondern eine „wissenschaftlich begründbare Meinung“ (S. 188) vermitteln, um ein „lebendiges Bild des großen Strategen“ zu zeichnen. Daher verzichtet sie auf die Angabe von Quellen und Forschungspositionen. Sehr plakativ wirkt das Livius-Zitat „Ich hasse die Römer und sie hassen mich“ (Liv. 35,19,6), das den Buchrücken ziert. Die wichtigsten einleitenden Informationen zur Lektüre bietet das Nachwort (S. 188–189): Hier merkt Günther an, dass die Rahmenhandlung und vor allem Passagen, die den Alltag betreffen, aufgrund des Quellenmangels „frei gestaltet“ (S. 188) sind. Auch einige Personen sind frei erfunden, sie seien aber „hinsichtlich ihres Namens, Herkommens und Aktionsbereichs plausibel“ (S. 189). Für den geneigten Leser nennt Günther sodann die Hauptquellen.

An die Stelle der Einleitung tritt die Rahmenhandlung im ersten Kapitel („Im Osten. 193 v. Chr.“, S. 7–24): Bei einem Gastmahl in Ephesos treffen Hannibal, die römischen Gesandten P. Villius und P. Aelius sowie weitere einheimische Honoratioren und fiktive Gestalten der damaligen Alltagswelt zusammen. Dabei macht Günther eine Momentaufnahme der politischen Situation und gibt die Geschichte Ephesos’ und seiner Herrscher kurz wieder. Im Zuge der Vorbereitungen für das nächste Gastmahl, welches Hannibal austrägt, wird die Situation des Barkiden zwischen Seleukiden und Römern geschildert.

Im zweiten Kapitel („Hannibal. Sohn des Hamilkar Barkas. 247–229 v. Chr.“, S. 25–37) erzählt Hannibal seine Lebensgeschichte, um seine Gesinnung als Gegner der Römer und Freund der Seleukiden unter Beweis zu stellen. An den Anfang stellt Günther beinahe wörtlich den Bericht des Livius über den Eid Hannibals, niemals Freund der Römer zu werden (Liv. 35,19; vgl. App. Ib. 9,34); im Traum erinnert Hamilkar kurz daraufhin jedoch seinen Sohn, dass er den Eid eher aus innenpolitischen Gründen, denn aus Überzeugung geleistet habe (S. 26–28). Günther lässt Hamilkar und später Hannibal so rekapitulieren, was die Altertumswissenschaften diskutieren.1 Sie stellt Quellenaussagen und Forschungsmeinungen in einen erzählerischen Kontext, was für ihre gesamte Vorgehensweise exemplarisch ist: Günther vollzieht eine Synthese aus quellentreuer Empathie und faktentreuer Quellenkritik. Im Anschluss werden Fakten zum Ersten Punischen Krieg, dem Söldneraufstand und Hamilkars Feldzügen in Spanien wiedergegeben; dabei sind immer wieder Aktivitäten in der erzählten Gegenwart Auslöser der Erinnerungen, so erinnert ein Bad im Meer Hannibal an den Tod seines Vaters, der nach dem Bericht Diodors (25,10,3–4) auf der Flucht vor den Orissern ertrank.

Im dritten Kapitel („Von Erfolg zu Erfolg. 228–216 v. Chr.“, S. 38–75) wird das Gastmahl bei Hannibal geschildert, der mehrere (reale und fiktive) Gäste empfängt: die römischen Gesandten Aelius und Villius, den Prinzen Alexander, den rhodischen Weinhändler Dionysios, den Massalioten Agathokritos, den Bürgermeister von Ephesos, Artemon, Hannibals Vertrauten Simon aus Sidon und den Königsfreund Lysias. Über etwas Alltägliches, nämlich den rhodischen Wein, den Hannibal auch in Sagunt vorgefunden hat, kommt das Gespräch auf die Sagunt-Frage. Hannibal erzählt die Geschichte der Eroberung Iberiens (S. 40f.), danach wird der Ebro-Vertrag diskutiert, verschiedene Forschungsmeinungen werden hier fiktiven oder realen antiken Persönlichkeiten in den Mund gelegt (S. 42–45). Danach werden die Alpenüberquerung und die militärischen Erfolge Hannibals in Italien thematisiert (S. 47–71). Hoch her geht es anschließend im Meinungsaustausch bezüglich Hannibals Entscheidung, nicht gegen Rom zu ziehen (S. 71–75).

Im vierten Kapitel („Krieg an vielen Fronten. 215–211 v. Chr.“, S. 76–111) rechtfertigt Hannibal sein weiteres Vorgehen, wobei Günther Quellenberichte detailgetreu wiedergibt.2 Nebenbei liefert sie grundlegende althistorische Informationen, wie etwa, dass die Verleihung des Bürgerrechts in den griechischen Poleis eine Besonderheit darstellte (S. 100). Auch altertumskundliche Details streut Günther immer wieder ein, wie den Wein aus Maroneia, der bei dem Gelage getrunken wird und der schon in der Odyssee (9,196ff.) überliefert ist (S. 104 u.ö.). Vor allem die fiktiven Figuren bringen so immer wieder Alltagsperspektiven mit ein.

Zu Beginn des fünften Kapitels („Der Anfang vom Ende. 210–204 v. Chr.“, S. 112–140) lässt Günther Hannibal die genauen Umstände der Bestellung Scipios wiedergeben, wobei der Bericht aus dem Munde eines Römers wahrscheinlich noch glaubhafter gewirkt hätte. Diskussionsthemen sind dann die Stagnation des Feldzugs in Italien, die Schlacht am Metaurus und die Behandlung der Gefallenen, namentlich Marcellus’ und Hasdrubals, wobei Villius passenderweise den Standpunkt der römischen Propaganda vertritt (S. 123–126). Als die Rede auf Syphax kommt, lässt Günther Villius sprachlich entgleisen: Er bezeichnet Syphax als „geilen Barbar“ (S. 136) und Sophoniba als „Pestweib“ (S. 139). Die Wortwahl ist nur hier so deftig, vielleicht zollt Günther damit dem Alkoholkonsum ihrer Protagonisten Rechnung.

Im sechsten Kapitel („Zurück in Karthago. 203–195 v. Chr.“, S. 141–168) werden die Schlachten am africanischen Festland und die Verhandlungen mit Rom besprochen. Hannibal betont nun, da der zweite römische Gesandte die Runde verlassen hat, das (hinter)listige Vorgehen Scipios. Schließlich wird der Ausgang des Krieges und Hannibals „Leben danach“ besprochen. An dieser Stelle lässt Günther Hannibal die staatlichen Institutionen seiner Heimat erklären. Interessant ist ihre (Hannibal in den Mund gelegte) Ansicht zu den Parteiungen in Karthago, an deren Spitzen der prorömische Hanno der Große bzw. die antirömischen Barkiden stehen. Erstere erhoffen nämlich, durch ihre Positionierung die Reparationen auf zweitere abwälzen zu können (S. 161–163). Im Morgengrauen brechen die übrigen Gäste auf und Hannibal bleibt zurück.

Wie ein Epilog wirkt das siebente Kapitel („In der Enge. 194–182 v. Chr.“, S. 169–187): Zwanzig Jahre später besucht Dionysos mit seinem Sohn Heliodoros Simon in Antiochia, und man verabredet sich in einer Gastwirtschaft. Plötzlich taucht in dionysischer Manier Alexander, nun König Antiochos IV., auf. Simon erklärt Heliodoros, wie dieser auf den Thron gelangte: Alexander habe seinen Bruder Seleukos verdrängt und von seinem verstorbenen ältesten Bruder den (Thron-)Namen übernommen. Diese erzähltechnisch raffinierte Erklärung ist in der Forschung allerdings sehr umstritten 3; Alexander als Geburtsname ist zudem nicht für Antiochos IV., sondern für Seleukos III. belegt (Porph. FGrH 260 F 32,9). Die Wiedervereinten stoßen auf den nunmehr neun Jahre toten Hannibal an, und der König fasst die Ereignisse der letzten Jahre zusammen. Dann erzählt Dionysios die Geschichte von Hannibals Flucht nach Bithynien. Simon erläutert abschließend die Gründe für Hannibals Selbstmord. Ans Ende ihrer Geschichte stellt Günther eine (historisch leider nicht belegbare) Anekdote: Simon vollzieht den letzten Willen Hannibals, indem er die Epitrapezios-Statuette des Lysipp, die einst Alexander der Große besessen und deren Besitz Hannibal vor zwanzig Jahren geleugnet hat, Antiochos IV. überreicht.4

Günther macht mit ihrem Buch detailliertes Wissen über Hannibal und die antike Welt auch einem breiteren Publikum zugänglich, ohne dabei auf Faktentreue zu verzichten. Dazu tragen auch die ausführliche Zeittafel und ein detailliertes Glossar bei. Zudem helfen ein geographisches Verzeichnis und zwei Karten bei der Orientierung. Ein Personenverzeichnis, in dem zwischen realen und fiktiven Persönlichkeiten unterschieden wird, wäre eine weitere Bereicherung gewesen. Für den Althistoriker bietet Günther nicht nur eine abwechslungsreiche Lektüre, sondern auch neue Perspektiven. Buchrücken und Nachwort versprechen also nicht zu viel, vielleicht sogar zu wenig: Eine interessante, abwechslungsreiche und keineswegs einseitige Sicht auf Leben und Zeit des großen Feldherrn zeichnen dieses unkonventionelle Fachbuch aus.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Werner Huß, Geschichte der Karthager, München 1985, S. 271.
2 Vgl. Pol. 8,24–33; Liv. 8,1–11,8.
3 Vgl. u.a. Peter Franz Mittag, Antiochos IV. Epiphanes, Berlin 2006, S. 35.
4 Vgl. Mart. 9,43, wo der Weg der Statue von Alexander zu Hannibal, Sulla und schließlich Vindex beschrieben wird.

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