N. Arielli: Fascist Italy and the Middle East

Titel
Fascist Italy and the Middle East. 1933-40


Autor(en)
Arielli, Nir
Erschienen
Basingstoke 2010: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
257 S.
Preis
€ 70,03
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Götz Nordbruch, Center for Contemporary Middle East Studies, University of Southern Denmark

”Der Feind meines Feindes ist mein Freund!” – mit diesem Sprichwort beschrieb Amin al-Husayni im Rückblick seine Zusammenarbeit mit den Achsenmächten vor und während des Zweiten Weltkriegs. Als führender Vertreter der palästinensischen Nationalbewegung hatte er maßgeblichen Anteil an den Kontakten, die das faschistische Italien in diesen Jahren zu arabischen Aktivisten unterhielt.

Nir Arielli rekonstruiert die Hintergründe dieser Kontakte, die sich zwischen 1933 und 1940 zwischen Italien und arabischen Aktivisten und Staatsmännern entwickelten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Interessen, die die italienische Politik gegenüber dem Nahen Osten bestimmten. Dabei wendet er sich gegen Erklärungen, die die italienische Politik auf strategische Überlegungen, die den italienischen Beziehungen zu Großbritannien und Frankreich geschuldet waren, reduzieren würden. Nicht weniger bedeutsam waren aus seiner Sicht bisweilen ideologische Überzeugungen, die sich aus der faschistischen Lehre ableiteten, und das Bestreben, die erworbenen Kolonien in Afrika zu sichern und durch weitere Einflusssphären auszubauen. In diesem Dreieck der italienischen Interessen bewegten sich die Möglichkeiten italienischer Interventionen, wobei die konkreten Strategien und Maßnahmen nicht allein von Mussolini definiert wurden, sondern auch von anderen Akteuren der italienischen Politik beeinflusst waren.

Interessant sind dabei neben den wiederholten Akzentverschiebungen, die Arielli in sechs chronologisch gegliederten Kapiteln aufzeigt, auch die unterschiedlichen Ergebnisse, die die italienische Politik in den einzelnen arabischen Ländern zeitigte. Neben Palästina, Syrien und Libanon spielten dabei auch der Jemen, Saudi Arabien, Äthiopien und Ägypten eine wichtige Rolle.

Bereits in den 1920er-Jahren verfolgte das faschistische Italien eine aktive Nahostpolitik, wobei die Niederschlagung des antikolonialen Widerstandes in Libyen und die friedliche Durchdringung der Länder im östlichen Mittelmeerraum und im Roten Meer im Mittelpunkt standen. Dabei konnte Mussolini an Leitbilder anknüpfen, die bereits vor dem Marsch auf Rom im Oktober 1922 und der Etablierung der faschistischen Ordnung in der italienischen Öffentlichkeit Bedeutung erlangt hatten. Das Ziel der Wiedererrichtung eines italienischen Reiches im Mittelmeerraum stieß danach in verschiedenen Strömungen auf Zuspruch – und fand früh auch in der faschistischen Bewegung Widerhall.

Die „pro-islamische“ Neuausrichtung der italienischen Politik, die im Frühjahr 1933 eingeleitet wurde, bedeutete einen vorübergehenden Bruch mit der brutalen Kolonialpolitik, die Italien zuvor in Libyen verfolgt hatte. Der italienische Angriff auf Äthiopien im Oktober 1935 und die umfangreichen arabischen Proteste machten allerdings schnell deutlich, in welchen Grenzen sich dieser Politikwandel bewegte.

Das italienische Vorgehen in Libyen hatte dem Ruf Mussolinis in der Vergangenheit schwer geschadet. Als Präsident des Pan-Islamischen Kongresses in Jerusalem hatte der Großmufti von Palästina, Amin al-Husayni, maßgeblichen Einfluss auf die antiitalienischen Proteste in verschiedenen arabischen Ländern, die die Position Italiens gerade auch gegenüber Frankreich zu schwächen drohten. In Rom befürchtete man, dass die Proteste von französischer Seite genutzt werden könnten, um unter Muslimen für einen Boykott italienischer Waren zu werben. Zu ganz ähnlichen Sorgen gab später auch der Krieg in Äthiopien Anlass, der wie die Kolonisierung Libyens von vielen Beobachtern als unmittelbare Gefahr für die arabischen und islamischen Länder gewertet wurde.

Die zunehmende Konkurrenz mit Frankreich um Einfluss im Mittelmeerraum gab im Frühjahr 1933 Anlass, um solchen Vorbehalten in der arabischen Öffentlichkeit durch verstärkte Propaganda und aktives Werben um arabische Persönlichkeiten entgegenzuwirken. Neben den beiden prominenten Syrern Shakib Arslan und Ihsan al-Jabiri, die in der Schweiz als Vertreter des Syrisch-Palästinenischen Kongresses aktiv waren, rückte in dieser Zeit auch Amin al-Husayni in den Mittelpunkt des italienischen Interesses. Die Politik des neuen Gouverneurs Italo Balbo in Libyen, der im Oktober 1933 ernannt wurde, erleichterte diese Bemühungen. Die Vertreibungen und Repressionen, mit denen die Vorgänger Balbos gegen die lokale Bevölkerung vorgegangen waren, machten Italien in den Augen vieler arabischer Beobachter zum Sinnbild des rücksichtlosen Expansionismus der europäischen Mächte.

Tatsächlich gelang es Italien, trotz fortbestehender Vorbehalte umfangreiche Kontakte zu Arslan, Husayni und anderen aufzubauen. Am Beispiel des palästinensischen Aufstandes von 1936-1939 zeigt Arielli die Facetten auf, die diese Beziehungen ausmachten. Diese beschränkten sich nicht auf umfangreiche finanzielle Unterstützung, mit denen Italien die palästinensischen Aktivisten förderte. Zwischen 1935 und 1938 zahlte Italien mindestens £ 157.000, die Amin al-Husayni und anderen palästinensischen Vertretern zugute kamen. Auch die Lieferung von Waffen und die Vermittlung von militärischen Ausbildern zählten zu den Maßnahmen, mit denen Italien um die Sympathien der arabischen Seite buhlte.

Die detaillierte Rekonstruktion dieser Zusammenarbeit auf der Grundlage von italienischen und britischen Quellen macht dabei die Hindernisse deutlich, mit denen die italienische Politik in diesen Bereichen konfrontiert war. Trotz ausdrücklicher Bereitschaft Italiens gelang es nicht, die palästinensischen Aufständischen mit Waffen zu versorgen. So scheiterten alle Bemühungen, die Unterstützung des saudischen Königs Ibn Saud für den Transport von Waffen nach Palästina zu gewinnen. Die arabischen Staatsmänner und Politiker, das wurde den italienischen Stellen schnell deutlich, trafen sich keineswegs notwendigerweise in ihren Interessen.

Das sogenannte Oster-Abkommen mit Großbritannien im November 1938 markierte einen Einschnitt in die pro-arabische und pro-muslimische Politik, die seit Frühjahr 1933 das italienische Vorgehen bestimmte. Wie bereits mehrfach in der Vergangenheit erhielt das Verhältnis zu Großbritannien nun erneut Vorrang vor den Beziehungen zu den verschiedenen arabischen Akteuren. Die faktische Anerkennung der italienischen Kolonien durch Großbritannien und die damit verbundene Festschreibung von Einflusssphären veranlasste Mussolini zu einer vorübergehenden Abkehr von antibritischen Maßnahmen – und öffnete neue Möglichkeiten, sich der Auseinandersetzung mit dem französischen Konkurrenten zuzuwenden.

Aber auch in diesem Zusammenhang wäre es falsch, die italienische Nahostpolitik allein mit Veränderungen in den Beziehungen zu Großbritannien zu erklären. So weist Arielli ausdrücklich auf die beginnende massenhafte Besiedelung Libyens durch Italien und die Einführung der Rassengesetzgebung auch in Libyen hin, die mit der Aufweichung der „pro-islamischen Politik“ zusammenfiel. Mit der Ausweitung der italienischen Kolonien stellte sich zwangsläufig auch die Frage nach der Stellung der einheimischen Bevölkerung im Verhältnis zu Italienern. Die Appelle zur Reinhaltung der Rasse und die Warnung vor einer Vermischung mit der einheimischen Bevölkerung standen dabei im sichtbaren Gegensatz zu früheren Verlautbarungen, in denen Italien seinen Respekt für den Islam und die Araber kundgetan hatte. Auch die Richtungsänderung im Frühjahr 1938 war insofern Ausdruck unterschiedlicher Motivationen und Interessen, die die Politik Italiens bestimmten.

Arielli gelingt es, diese verschiedenen Faktoren herauszuarbeiten und dabei auch auf Widersprüchlichkeiten und Veränderungen hinzuweisen. Besonders interessant ist dabei die Verknüpfung dieser Rekonstruktion mit einer Auseinandersetzung mit den arabischen Akteuren, die an diesen Beziehungen beteiligt waren. Zwar beschränkt sich Ariellis Darstellung weitgehend auf italienische und britische Quellen; seine Studie bietet dennoch einen guten Einblick in die Erwägungen, die die Politik arabischer Persönlichkeiten wie Amin al-Husayni oder Ibn Saud wesentlich prägten. Die arabische Seite dieser Beziehungen, das wird in Ariellis Arbeit deutlich, war weder passiv noch folgte sie einheitlichen Zielen. Die Wechselseitigkeit dieser Beziehungen herauszustellen ist ein Verdienst dieser Studie, die sie merklich von vorangegangenen Arbeiten abhebt.

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