Sammelrez. : Westfernsehen in der DDR westliche DDR-Berichterstattung

: Die DDR-Berichterstattung bundesdeutscher Massenmedien und die Reaktionen der SED (1972–1989). . Berlin 2009 : Metropol Verlag, ISBN 978-3-940938-51-0 460 S. € 24,00

: Feindliches Fernsehen. Das DDR-Fernsehen und seine Strategien im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen. Bielefeld 2010 : Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, ISBN 978-3-8376-1434-3 492 S. € 34,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Meyen, Institut für Kommunikationswissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München

Für die Forschung zur Öffentlichkeit in der Zeit der deutschen Teilung scheint eine neue Phase zu beginnen: Man weiß so viel, dass dicke Bücher zu Spezialfragen geschrieben werden können, ohne dem Leser (und das ist das eigentlich Überraschende) am Ende sehr viel Neues zu bieten. Vielleicht ist dieser Eindruck aber auch nur besonderen Umständen geschuldet: zwei Autoren, die sich seit Jahren mit deutsch-deutschen Themen beschäftigen und irgendwann natürlich einen Doktortitel brauchen.

Die Dissertation von Claudia Dittmar ist ein Ausläufer der Forschergruppe zur Geschichte des DDR-Fernsehens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Dittmar war dort seit 2001 im Teilprojekt „Programmentwicklung“ beschäftigt, hat unter anderem an der umfangreichen Abschlusspublikation mitgearbeitet1 und zu der (langen) Schriftenreihe MAZ (Materialien – Analysen – Zusammenhänge) die Ordnungsnummern 4, 13 und 26 beigesteuert (Sammelbände zur Programmentwicklung um 1960, um 1970 und in den frühen 1980er-Jahren, herausgegeben jeweils mit Susanne Vollberg).2 Dass ihr neues Buch über die Reaktionen der DDR-Fernsehmacher auf die Konkurrenz im Westen vor diesem Hintergrund nicht leicht zu rechtfertigen ist, weiß sie selbst: „Eine Arbeit, die sich ganz zentral dem Charakter und den konkreten Umständen dieses – für das DDR-Fernsehen so zentralen – Kräftemessen widmet, stand bislang […] noch aus“ (S. 7).

Wer sich für dieses Thema interessiert, hat den Vorteil, dazu nun alles auf einen Rutsch zu finden – angefangen bei einer umfassenden und reflektierten Diskussion des Forschungsstandes über die detaillierte Beschreibung des Feindbildes und der Reaktionen in Berlin-Adlershof (zu der für die 1970er- und 1980er-Jahre auch zwei Durchgänge durch die Programmwochen in Ost und West gehören) bis hin zu Kurzbiografien der wichtigsten Akteure im Anhang. Da der Text gut und ohne Schaum vor dem Mund geschrieben ist, kommen auch bei über 400 Seiten kaum Langeweile oder Widerspruch auf. Dittmar stützt sich auf eine breite Quellenbasis (Pläne und interne Thesenpapiere der Fernsehführung sowie viele Zitate aus der zeitgenössischen Medien-Berichterstattung, bei denen unklar bleibt, ob sie aus einer systematischen Analyse stammen oder aus einer Ausschnittsammlung) und erlaubt Zweiflern durch ausführliche Belege aus dem Material, sich selbst ein Bild zu machen.

Die Ausgangslage (Ausrichtung auf den Westen als Ursache sowie ein weitgehend beforschtes Feld) und die Methode (Diskursanalyse) führen allerdings an manchen Stellen zu eher merkwürdigen Diskussionen. Claudia Dittmar verwendet zum Beispiel viel Platz, um die These zu widerlegen, dass die Reaktionen auf das Westfernsehen vor allem die Zuschauer im eigenen Land im Blick hatten. Folgt man ihrer Argumentation, dann sah sich das DDR-Fernsehen noch 1960 „als Organisator des westdeutschen Widerstandes gegen die Politik der Bundesregierung“ (S. 209). Dass so etwas in Sitzungen gesagt und in Anträgen oder Konzeptionen geschrieben wurde, ist unbestritten. Auch diese Rhetorik zielt aber in erster Linie nach innen. Dass die Fernsehwellen erstens nur einen kleinen Teil der Westdeutschen erreichen konnten und dass selbst dieser kleine Teil zweitens jede Form von Propaganda aus der DDR in aller Regel ablehnte, wussten die SED-Agitatoren.

Man kann diesen Streit für eine Marginalie halten, er führt aber letztlich zu den blinden Flecken solcher medienwissenschaftlichen Diskursanalysen. Ganz abgesehen davon, dass die Beobachtung der Konkurrenz und entsprechende Reaktionen bei allen Fernsehstationen auf der Welt Alltag sind, spielt die Einbindung des Fernsehens in das Medienlenkungssystem bei Claudia Dittmar ebenso wenig eine Rolle wie der Blick auf die anderen Medien (Hörfunk vor allem, aber auch Presse). Was es mit der „scharfen Überwachung des Programms durch die hauseigene Parteiorganisation“ (S. 105) auch immer auf sich gehabt haben mag: Wichtiger waren die Parteispitze (Ulbricht und Honecker sowie die Agitationssekretäre), die Abteilung Agitation im Zentralkomitee (ZK) der SED und (zumindest in den ersten beiden Jahrzehnten) die Agitationskommission sowie die Westkommission beim Politbüro, die die Medien für politische PR nutzten und in der Berichterstattung alles zu unterdrücken versuchten, was der Klassenfeind (und hier vor allem die Bundesrepublik) verwerten konnte. Zu den „Strategien im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen“ gehört zweifellos auch, dass Agitationssekretär Joachim Herrmann (1978 bis 1989 im Amt) jeden Tag bereit war, in der Hauptausgabe der Aktuellen Kamera (Beginn: 19.30 Uhr) auf das zu reagieren, was kurz zuvor in der heute-Sendung gesagt worden war. Während der Krise bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München saßen Herrmanns Amtsvorgänger Werner Lamberz und ZK-Abteilungsleiter Hans Modrow sogar permanent vor vier Bildschirmen. Hier besteht genauso weiterer Forschungsbedarf wie zur Ressourcenfrage. In einer Planwirtschaft wäre es zweifellos möglich gewesen, dem Fernsehen alles zu liefern, was es im Wettkampf mit dem Westen gebraucht hätte. Dass dies nicht geschah, verweist zum einen auf den Einfluss des ZK-Sekretärs Günter Mittag (der über Devisenbewilligungen für Spielfilme und Auslandseinsätze zum Teil auch in das Programm hinein regieren konnte) und zum anderen darauf, dass die Medien für die SED-Spitze vielleicht doch nicht ganz so wichtig waren.

Auch die Arbeit von Christian Chmel geht nicht darauf ein, wie die Medienlenker konkret (inhaltlich, mit entsprechenden Anweisungen) auf Berichte in westdeutschen Zeitungen reagiert haben. Dass solche Berichte für die SED-Spitze von zentraler Bedeutung waren, ist vielfach belegt. Wurde ein DDR-Journalist in der Bundesrepublik zitiert (vielleicht sogar noch mit Kritik an der eigenen Partei), war Ärger programmiert. Chmel hat aber nicht solche „Reaktionen der SED“ im Blick, sondern die institutionelle und persönliche Arbeit mit den Korrespondenten aus dem anderen deutschen Staat. Dabei geht es auch um die Fernsehjournalisten, obwohl dieser Teil aus der umfassenden Studie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und des Forschungsverbunds SED-Staat der Freien Universität Berlin bekannt ist.3 Schon wegen der persönlichen Geschichten und der abwägenden Haltung des Autors, der ausführlich aus Archivquellen und Zeitzeugengesprächen zitiert, ist dies alles auch beim zweiten Lesen interessant. Auch eine noch so gründliche Untersuchung dürfte aber zum Beispiel die Frage offen lassen (müssen), ob Lothar Loewe seinen Abgang aus der DDR selbst provoziert hat oder ein Opfer der Umstände wurde – ganz abgesehen davon, dass es möglicherweise Wichtigeres gibt.

Kern der Arbeit von Chmel ist allerdings weder dieser Teil noch die auf knapp 100 Seiten aus zweiter Hand nacherzählte Geschichte der Westkorrespondenten in der DDR, sondern eine qualitative Inhaltsanalyse westdeutscher Leitmedien. Dass er es nicht dabei belassen hat, erklärt sich aus seinem Ausgangspunkt: Den Medienwissenschaftlern wirft Chmel vor, nicht in die Archive zu gehen (was er getan hat), und den Historikern, die Berichterstattung zu ignorieren. Um diesen zweiten blinden Fleck zu tilgen, hat Chmel acht Ereignisse ausgewählt (den 25. und den 40. DDR-Geburtstag, den IX. und den XI. Parteitag, die Fälle Wolf Biermann und Roland Jahn sowie das Spiegel-Manifest von 1978 und die Honecker-Reise nach Bonn) und geschaut, was Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Die Welt, Der Spiegel, Die Zeit und Welt am Sonntag dazu geschrieben haben. Ist schon die Auswahl der Ereignisse diskussionswürdig (sehr politiklastig und inhaltlich einseitig), gilt dies umso mehr für die Aufbereitung der Befunde. Der Leser findet im Buch eine dichte Beschreibung der Berichterstattung – wenn man so will, Artikel und Kommentare in Kurzform nacheinander abgehandelt (von Zeitung zu Zeitung und von Ereignis zu Ereignis). Hier fehlt Christian Chmel das Know-how für qualitative Inhaltsanalysen, das in der Kommunikationswissenschaft entwickelt wurde und sich etwa auf das Framing-Konzept stützt. Am Ende bleibt das, was man ohnehin schon zu wissen glaubte: Die Zeitungen haben sich (entlang der bekannten politischen Linien) unterschieden. Wer nach übergreifenden Mustern suchen und dies vielleicht sogar noch mit dem Fernsehen vergleichen will, hat mit Chmels Untersuchung immerhin eine solide Basis.

Anmerkungen:
1 Rüdiger Steinmetz / Reinhold Viehoff, Deutsches Fernsehen Ost.Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens, Berlin 2008; vgl. die Rezension von Christina Bartz. In: H-Soz-u-Kult, 17.10.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-053> (15.02.2011).
2 Vgl. Claudia Dittmar / Susanne Vollberg (Hrsg.), Die Überwindung der Langeweile? Zur Programmentwicklung des DDR-Fernsehens 1968 bis 1974, Leipzig 2002; Claudia Dittmar / Susanne Vollberg (Hrsg.), Alternativen im DDR-Fernsehen? Die Programmentwicklung 1981 bis 1985, Leipzig 2004; Claudia Dittmar / Susanne Vollberg (Hrsg.), Zwischen Experiment und Etablierung. Die Programmentwicklung des DDR-Fernsehens 1958 bis 1963, Leipzig 2007.
3 Jochen Staadt / Stefan Wolle / Tobias Voigt, Operation Fernsehen. Die Stasi und die Medien in Ost und West, Göttingen 2008; vgl. die Rezension von Henning Wrage. In: H-Soz-u-Kult, 22.04.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-053> (15.02.2011).

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