V. Stalmann: Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst

Titel
Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst 1819-1901. Ein deutscher Reichskanzler


Autor(en)
Stalmann, Volker
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
485 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele B. Clemens, Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Universität des Saarlandes

Biographien haben derzeit Hochkonjunktur. Stellten sich zu Beginn der 1980er-Jahre nur Historiker wie Lothar Gall dem Strom sozialhistorischer Arbeiten entgegen, so bedarf es heute keiner Legitimation dieses Genres mehr, wie sie Stalmann in seiner Einleitung bietet. Wurde seitens der Historiographie Fürst Hohenlohe lange wenig Beachtung geschenkt, so sind in den letzten Jahren gleich zwei Monographien über seine Person und sein Werk erschienen. Während sich die Arbeit von Olav Zachau auf die Kanzlerschaft Hohenlohes konzentriert1, begleitet Stalmann seinen Protagonisten von der Wiege bis zur Bahre. Dabei verfolgt er zwei Ziele: Zum einen geht er der Fragestellung nach, ob dem von der Forschung als blass, zaudernd, und nachgiebig bewerteten Staatsmann nicht doch auf seine Art ein größerer Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zuzusprechen ist. Zum anderen kündigt er an, ihn als aussagekräftiges Beispiel für einen kollektiven Sozialtypus, nämlich den des Aristokraten, mit seinen handlungsleitenden kollektiven Mentalitäten und Verhaltensweisen nachzuzeichnen. Stalmann wertete für seine Arbeit den umfangreichen Nachlass des Fürsten Hohenlohe im Bundesarchiv Koblenz sorgfältig aus.

Hohenlohes Kindheit und Jugend verliefen in den üblichen Bahnen, sein Jurastudium in Göttingen, Bonn und Heidelberg war für einen Standesherren nichts Ungewöhnliches. Hier begegnete er als junger Mann bereits den Nachfahren regierender Häuser. Folgen wir dem Autor, dann lehrten die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus seiner Zugehörigkeit zur Aristokratie ergaben, grandseigneurhaftes Auftreten, Weltläufigkeit, Bildung und Menschenkenntnis. „Dies prädestinierte den Hochadel geradezu zu Führungsaufgaben.“ (S. 38) Das glaubte zumindest der Adel von sich selbst und Stalmann übernimmt hier anscheinend diese Sicht der Dinge. Hohenlohes Selbstbewusstsein fußte auf jeden Fall in dem stolzen Gefühl, als Standesherr einer der traditionsreichen, ehemals regierenden Familien anzugehören.

1847 heiratete er die steinreiche Prinzessin Marie zu Sayn-Wittgenstein, die aufgrund von Heirats- und Dienstbeziehungen der Familie im Zarenreich aufgewachsen war. Stalmann charakterisiert die junge Braut wie folgt: „Im tyrannischen Zug ihres Charakters entsprach sie dem Typus der princesse russe, deren herbe Natürlichkeit bis zur raffinierten Grausamkeit reichen konnte. Dass sie ihre Kindheit in einer despotischen Atmosphäre und Umgebung verbrachte, in der die Leibeigenschaft noch zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten und Selbstverständlichkeiten zählte, konnte auf ihren späteren Charakter nicht ohne Wirkung bleiben.“ (S. 124) Als sie 1887 das Familienerbe antrat, wurden Chlodwig und seine Frau die größten privaten Grundbesitzer Europas. Der Verkauf dieses immensen Besitzes brachte schlussendlich ein Nettovermögen von fast elf Millionen Mark. Alles in allem erfahren wir aber – entgegen der anfänglichen Ankündigung – vergleichsweise wenig über die Familie oder den Adel als gesellschaftliche Formation. Diesem Themenkomplex widmet Stalmann explizit leider nur rund dreißig Seiten.

Im Mittelpunkt der Monographie steht hingegen die außergewöhnliche politische Karriere Hohenlohes. Abgesehen von den frühen 1850er-Jahren, als er sich – politisch kaltgestellt – auf die Verwaltung seines immensen Grundbesitzes konzentrierte, reüssierte Hohenlohe als Bayerischer Ministerratsvorsitzender (1866-1870), Reichtagsabgeordneter, deutscher Botschafter in Paris (1874-1885), Statthalter in Elsass-Lothringen (1885-1894) und Reichskanzler (1894-1900). Jeder dieser Etappen widmet Stalmann ein eigenes Kapitel, wobei der Schwerpunkt des Buches auf den sechs Jahren seiner Kanzlerschaft liegt, wohingegen die zwanzig Jahre, die er in angespannten politischen Verhältnissen in Frankreich verbrachte, ein wenig blass bleiben. In Bezug auf die Zeit in Straßburg erfährt man vor allem von Kompetenzrangeleien zwischen militärischer und ziviler Verwaltung. Hier galt der Fürst, mit 254.000 Mark Gehalt und Repräsentationsgeldern ausgestattet, als bestbezahlter Beamter des Reiches und aufgrund seiner passiven Natur als ideale Besetzung (S. 166).

Hohenlohes Amtszeit als bayrischer Ministerratsvorsitzender zu bilanzieren, fällt Stalmann schwer, jedenfalls vermochte der Fürst in einzelnen Bereichen positive Modernisierungsschübe zu initiieren. 1870 war er in München aber aufgrund seiner nationalen Positionen nicht mehr zu halten. Als der Landtag im Februar zusammentrat, waren „die Patrioten bereit, Hohenlohe abzuschlachten. […] Blutrünstig begann man die Messer zu wetzen“ (S. 119). Hiernach widmete er sich ausschließlich der Reichspolitik.

Überzeugend gerät die Analyse der Kanzlerschaft Hohenlohes in Kapitel X, in dem Stalmann interessante Einsichten in die politische Kultur des Wilhelminischen Kaiserreichs vermittelt. Hier widerspricht er mit guten Gründen den Thesen Zachaus, der davon ausgeht, dass Hohenlohes Regierung auf einer klugen Einschätzung der Kräfteverhältnisse beruhte und dass er aufgrund seiner ruhigen Art und der Politik des Abwartens Konflikte entschärft und Entscheidungen in seinem Sinne beeinflusst habe. Dem stimmt Stalmann nur in soweit zu, als der Kanzler partiell einen mäßigenden Einfluss auf den jungen, ungeduldigen und launischen kaiserlichen Neffen ausgeübt habe. Doch seine ständige Nachgiebigkeit schadete nicht nur dem Ansehen und dem Prestige des Kanzlers erheblich. Letztendlich führte sie zu einer beispiellosen Machtdiffusion. Wenn es unter seiner Kanzlerschaft auch gelang, das BGB zu verabschieden, eine Reform des Militärstrafrechts und die Aufhebung des Verbindungsverbots für Vereine durchzusetzen, so fehlte sowohl Preußen als auch dem Reich eine Führung an der Regierungsspitze. Deutlich wurde Hohenlohes Unentschlossenheit oder Wankelmut, wenn er Gesetzesvorlagen einbrachte, die er innerlich ablehnte. Auf wichtige Stellenneubesetzungen konnte er häufig keinen Einfluss nehmen und in der Außenpolitik wurde er ohnehin beiseite geschoben.

Abschließend interpretiert Stalmann Hohenlohes Handeln überzeugend als das eines altliberalen Politikers, der sich mit seiner Harmonieliebe nicht gegen den Kaiser und seine Kamarilla durchzusetzen vermochte. Den Vorwurf von Zeitgenossen und Historikern, Hohenlohe habe es an Tatkraft und Durchsetzungsvermögen gemangelt, widerlegt er mit seiner gut lesbaren und sorgfältig recherchierten Studie letztendlich nicht. Trotz aller durchschimmernden Sympathie für seinen Protagonisten widersteht Stalmann einer nicht haltbaren grundsätzlichen Neubewertung von dessen Leben und Werk. Selbstbewusster Adelsstolz allein befähigt anscheinend doch nicht zu zukunftsweisendem politischem Handeln.

Anmerkung:
1 Olav Zachau, Die Kanzlerschaft des Fürsten Hohenlohe 1894-1900. Politik unter dem „Stempel der Beruhigung“ im Zeitalter der Nervosität, Hamburg 2007.

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