K. A. Wagner (Hrsg.): Stranglers and Bandits

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Titel
Stranglers and Bandits. A Historical Anthology of Thuggee


Herausgeber
Wagner, Kim A.
Erschienen
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 38,65
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Mann, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin Email:

Nachdem Kim Wagner 2007 sein grundlegendes Werk über „Thuggee“ 1 veröffentlicht hat, legt er nun als Herausgeber einer Anthologie zu den zeitgenössischen Zeugnissen bis hin zu der Forschungsliteratur des beginnenden 21. Jahrhunderts nach. Er zeigt mit der Edition von Zeitdokumenten, wie sich der Diskurs zu „Thuggee“ in den 1820er- und 1930er-Jahren recht schnell herausbildetet und dann, obwohl Thagi als erfolgreich bekämpft galt, sich in einem orientalistischen Diskurs manifestiert, der bis in die jüngste Vergangenheit anhielt. Recht eigentlich konnte erst mit Wagners Dissertation zu „Thuggee“ auch an dieser Stelle der Orient entzaubert werden. Seit Wagners „Thuggee“ ist thagi eben nicht mehr das mysteriös mordende Bandentum, dessen Mitglieder, angeblich der blutrünstigen Göttin Kali verschrieben, des Nachts ahnungslose Reisende mit Hilfe eines oft seidenen Schals erdrosselten, sie ausraubten und anschließend am Straßenrand verscharrten.

Thagi ist vielmehr ein Bandentum, das in der lokalen Gesellschaft weitgehend akzeptiert war. Nicht selten waren thagis ehemalige Söldner, die, im Zuge der britischen Machtkonsolidierung in Nordindien, ihre Anstellungen bei lokalen Magnaten verloren und nun nach einem Auskommen suchen mussten. Das war aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage oft nicht möglich. Folglich kann thagi auch als soziales Banditentum interpretiert werden. Den breiten Hintergrund dieser facettenreichen Geschichte und das Werden eines orientalistischen Mythos erzählt Wagner gekonnt in der Einleitung zu seiner Quellenedition. Im Grunde ist die Einleitung eine versiert und sehr strukturiert geschriebene Zusammenfassung der oben erwähnten Dissertation, welche die wesentlichen Stationen der Diskursbildung beleuchtet.

Dem Aufbau der Dissertation folgend, ediert Wagner die zeitgenössischen Dokumente. In der ersten Rubrik „Thuggee in Pre-colonial India“ werden europäische und indische Berichte zu thagi und Banditentum präsentiert. Die zweite Rubrik „The ‚Discovery‘ of Thuggee“ versammelt die ersten britischen Berichte zu thagi, die belegen, dass zwar das Problem eines organisierten Bandentums in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erkannt wurde, es aber dadurch noch nicht zur Bildung eines kolonialen Herrschaftsdiskurses kam. Dies war erst in den 1830er-Jahren der Fall, wie die Dokumente der dritten Rubrik „The Anti-Thuggee Campaign of the 1830s“ belegen. Die daran anschließende Rubrik „Literary and Popular Representations of Thuggee“ zeigt die einsetzende Mythenbildung auf, die zur schaurig-schrecklichen Repräsentation von thagi als Teil eines romantisierten orientalischen Indienbildes diente.

Erstaunlich mag dabei anmuten, dass diese Form der Darstellung bis in das 21. Jahrhundert reicht. Hier scheint es sich um einen ebenso langfristig wirkmächtigen Kolonialdiskurs zu handeln wie das auch für die so genannte „Mutiny“ von 1857 gilt. Den Großen Aufstand oder Befreiungskrieg Hindustans durch zunächst befehlsverweigernde indische Soldaten in britischen Diensten und die nachfolgende flächendeckende Erhebung in weiten Teilen Nordindiens, die Bauern und städtische Händler einschloss, reduzierten die militärischen und die geschichtsschreibenden Zeitgenossen sofort und die britische Historiografie langfristig auf die Meuterei von Soldaten. Auch zur „Mutiny" erscheinen noch im 21. Jahrhundert zum Teil wissenschaftliche Werke, wie das auch für „Thuggee“ der Fall ist.

So widmet sich denn die letzte Rubrik der „Modern Historiography“. Sie zeigt auf, wie sich einerseits die konventionelle Darstellung von Thuggee hält und wie sich andererseits nur langsam und nur vereinzelt die historische Wahrnehmung und die historiografische Repräsentation von thagi aufgrund geschichtswissenschaftlicher Forschung änderten. Gleich sati, der Witwenverbrennung, gehört thagi zum Arsenal des romantischen Indienbildes, das ganz offensichtlich ohne die Elemente einer schauerlichen, mystischen, grausamen und geheimnisvollen Geschichte nicht auskommt. Man darf gespannt sein, ob nicht nur Kim A. Wagners Dissertation, sondern auch seine Anthologie langfristig zur Veränderung der hartnäckigen Darstellung von thagi beiträgt, selbst wenn dies zunächst einmal nur im akademisch-wissenschaftlichen Bereich der Fall sein sollte. Ein Anfang aber wäre sicherlich durch die beiden Publikationen Wagners gemacht.

Anmerkung:
1 Kim A. Wagner, Thuggee. Banditry and the British in Early Nineteenth-Century India, Houndmills 2007. Siehe dazu meine Rezension in: H-Soz-u-Kult, 15.10.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-4-035> (02.03.2011).

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