E. Künzl: Der Traum vom Imperium – der Ludovisisarkophag

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Titel
Der Traum vom Imperium. Der Ludovisisarkophag – Grabmal eines Feldherrn Roms


Autor(en)
Künzl, Ernst
Erschienen
Regensburg 2010: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
130 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Hülden, Institut für Klassische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der so genannte Ludovisisarkophag stellt eines der herausragenden Bildwerke des 3. Jahrhunderts n.Chr. dar. Während sich sein Kasten im Palazzo Altemps in Rom befindet, wird die Vorderseite des offenbar zugehörigen Deckels im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz (RGZM) aufbewahrt. Im Jahr 2002 wurde dort eine originalgetreue Kopie des Kastens angefertigt und mit dem in Teilen ergänzten Deckel zusammengeführt – Anlass für den ehemaligen Direktor des RGZM, Ernst Künzl, dem Grabmonument eine monographische Betrachtung zu widmen. Neben kunsthistorischen Fragen ist Künzl dabei vor allen an einer historischen Einordnung gelegen und nimmt im Titel wie im Vorwort den grundsätzlichen Tenor seiner diesbezüglichen Bewertung bereits vorweg (S. 1): Bei den auf der Langseite des Sarkophags dargestellten Kämpfen zwischen Römern und ‚Barbaren‘ mit dem jungen triumphierenden Feldherrn in der Mitte handele es sich um „irreale Visionen und keine Wirklichkeit“. Das Römerreich habe zur Zeit der Herstellung des Sarkophags „fast nur noch auf dem Papier“ bestanden, ja wäre „fast schon zertrümmert“ gewesen, und die Bilder führten uns demnach den „ewigen Traum von Rom als Herrin der Welt vor Augen“.

„Ein Volk sollte wissen, wann es besiegt ist“. Mit dieser Bemerkung wendet sich einer der Offiziere zu Beginn des Spielfilms „Gladiator“ an den von Russell Crowe gespielten Feldherrn Maximus. Ausgesprochen werden die Worte unmittelbar vor einer fiktiven letzten und entscheidenden Schlacht gegen die Germanen. Den ‚Barbaren‘ scheint offenbar nicht klar zu sein, dass sie besiegt sind, sondern sie greifen die römischen Truppen trotz zuvor ergangenem Friedensangebot an und erleiden (verdientermaßen) eine vernichtende Niederlage. Bekanntlich soll diese Szene im letzten Herrschaftsjahr des Marcus Aurelius spielen. Stellt man nun einen Bezug zu Künzls soeben skizzierter Interpretation der Schlachtdarstellung auf dem Ludovisisarkophag her, so kann man auf den Gedanken kommen, dass sich die Situation rund 80 Jahre später ins genaue Gegenteil verkehrt hat. Obgleich nahezu besiegt, träumten jetzt die Römer weiter vom Imperium; und in dieses Bild scheint sich kurioserweise die Gegenfrage des Maximus einzufügen: „Würdest Du es [wissen], Quintus? Oder ich?“. Ob Künzl „Gladiator“ gesehen hat, wage ich nicht zu beurteilen, seinen historischen Einordnungsversuch des Ludovisisarkophags allerdings schon – lässt dieser doch eigentlich nur den Schluss zu, dass der auf ihm dargestellte Feldherr sich das im Film zwischen Quintus und Maximus unausgesprochene „Nein“ zu eigen gemacht hat und damit einem ähnlichen Realitätsverlust unterlag wie die Germanen im Film.

Im Einleitungskapitel widmet sich Künzl ausführlich der Entdeckungsgeschichte des Sarkophags und endet in einer knappen Beschreibung der dargestellten Einzelszenen. Anschließend begibt er sich ohne Umschweife auf jenes Terrain, das ihm als Folie für seinen historischen Einordnungsversuch dient und das er – einem roten Faden gleich – das gesamte Buch hindurch kaum mehr verlässt. Unter der Überschrift „Die Reichskrise“ stellt Künzl die Geschichte vom späten 2. bis zum Ende des 3. Jahrhunderts nahezu ausschließlich als eine Abfolge militärischer Niederlagen und Seuchen sowie als eine Periode des Niederganges römischer Macht und Wirtschaftskraft dar. Dabei vergisst er nicht, den Leser (etwa S. 25) daran zu erinnern, dass der Ludovisisarkophag genau in dieser geradezu katastrophalen Zeit geschaffen worden ist. Nur kurz fällt dagegen die Würdigung jener „positiver Reaktionen auf die desolate Lage“ (S. 16f.) aus, welche die Weichen für die Überwindung der Krise stellten. Umso nahtloser schließt das dritte Kapitel an, dessen zentraler Befund, dass – abgesehen vom umstrittenen Balbinus-Sarkophag – keine Kaisergräber des 3. Jahrhunderts bekannt sind, erneut das „Chaos der Reichskrise“ (S. 33) widerspiegele.

Im vierten Kapitel setzt sich Künzl zunächst ganz allgemein mit Bildern des Krieges in der Antike auseinander. Ausführlich beschäftigt er sich etwa mit den römischen Staatsreliefs und den übrigen Schlachtsarkophagen, um daraus zu einer allgemeinen Deutung der Kriegsbilder in römischer Zeit zu gelangen. Daraufhin hebt er auf die Germanen- und Germaniadarstellungen sowie deren augenscheinliche Veränderungen ab. Dabei schwingt freilich Künzls zuvor geschilderte Sicht auf die Reichskrise stets mit, und so provozieren einige seiner Interpretationen Widerspruch: Eine bewaffnete Frau mit der Umschrift virtus militum auf einem Aureus des gallischen Usurpators Laelianus deutet er beispielsweise als Germania und betrachtet sie als Anzeichen für die zunehmende Integration germanischer Hilfstruppen ins römische Heer; man habe sich im Gallischen Sonderreich und damit an der Grenze zu Germanien „vielleicht über die wahren Kräfteverhältnisse keine so großen Illusionen“ gemacht, wohingegen in der offiziellen Münzprägung „unverdrossen weiterhin die römischen Siege“ verkündet worden seien (S. 56). Dazu ist anzumerken, dass beide Fälle überhaupt nicht im Widerspruch zueinander stehen; denn obgleich die Personifikation der virtus (nicht der Germania!) womöglich im Gewand der Germania daherkommt, ist mit ihr doch ausschließlich die Tapferkeit des römischen Heeres gemeint, auch wenn in diesem mittlerweile viele Germanen gegen andere Germanen kämpften. Was sich hier zeigt, ist im Grunde eine Banalität, nämlich dass man in Rom immer schon zwischen „guten“ und „schlechten Germanen“ einen Unterschied machte. Es braucht also keine Verkehrung römischer Triumphalsymbolik unterstellt werden. Ein Germane sollte sich im Übrigen erst gut 200 Jahre später Roms bemächtigen.

Im folgenden Kapitel „Das Kunstwerk“ scheint allenthalben ebenfalls die Idee vom irrealen Traumsieg auf dem Ludovisisarkophag durch, die sich für Künzl sogar in der unrealistischen Darstellungsweise des reitenden Feldherrn widerspiegelt. Einige Überlegungen zu dem merkwürdigen Kreuzzeichen auf der Stirn des jungen Mannes schließen an, wobei Künzl der Auffassung folgt, es handele sich um ein (Brand-?)Mal im Zusammenhang mit dem Mithraskult. Danach rekapituliert er die diversen Probleme und Deutungen des Frauenporträts auf dem Deckel, um schließlich die gängige stilistische Datierung des Sarkophags in die Zeit des Gallienus zu bekräftigen. Auch für den dargestellten Verstorbenen stellt Künzl die unterschiedlichen Vorschläge zur Interpretation vor, darunter diejenige als Deciussohn Hostilianus, mag sich aber auf keinen von ihnen festlegen und deutet ihn schließlich als einen unbekannten römischen Feldherrn. Das Ende des Kapitels fällt dann etwas überraschend aus (S. 96): Während Künzl zuvor nämlich beinahe keine Gelegenheit ausgelassen hat, das Ende des römischen Reiches im 3. Jahrhundert einzuläuten, ist hier plötzlich statt von permanenter Krise und Verfall von einer Transformationszeit die Rede. Zudem bescheinigt Künzl der römischen Aristokratie ein erstaunliches Maß an Energie und sieht genau darin einen deutlichen Beitrag zur Rettung des Reiches. Bedauerlicherweise verfolgt er diesen Aspekt – der ohnehin ins 2. Kapitel gehört hätte – nicht weiter, sondern lässt einen Exkurs zu den diversen religiösen Strömungen des 3. Jahrhunderts folgen. Dieser steht abgesehen von einigen Ausführungen zum Mithraskult nur in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem Ludovisisarkophag und beendet Künzls Ausführungen ein wenig abrupt. Zwei gleichermaßen als Exkurse zu betrachtende Beiträge ergänzen den Band: Friedrich-Wilhelm von Hase gewährt einen forschungsgeschichtlich interessanten Blick auf die Hintergründe, die zur Abformung des Ludovisisarkophags und zur Herstellung der vollständigen Kopie im RGZM führten. Ebenfalls mit der Forschungsgeschichte befasst ist schließlich der Beitrag von Matilde De Angelis d’Ossat, der sich mit der Auffindung des Sarkophags im Jahr 1621 insbesondere unter Hinzunahme eines neu entdeckten Dokuments aus dem Archivo Segreto Vaticano beschäftigt.

Das umfangreich bebilderte 1 Buch umfasst zuletzt ein Literaturverzeichnis und ein Register, verzichtet aber auf einen Anmerkungsapparat. Dies ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass es sich an eine breite Leserschaft richtet. Allerdings wäre es hilfreich gewesen, wenn das Verzeichnis nicht auf Angaben zum Sarkophag selbst beschränkt geblieben wäre, sondern ebenso Literatur zum für das gesamte Buch so entscheidenden historischen Hintergrund aufgeführt hätte. Dann hätte sich der weniger findige, aber interessierte Leser ein eigenes Bild vom aktuellen Stand der durchaus kontroversen Forschung zu diesem Abschnitt der römischen Geschichte machen können. Er hätte zumindest Hinweise bekommen, was es mit dem nur am Rande angedeuteten Begriff der „Transformationszeit“ auf sich hat, und ihm wäre die erhebliche Zuspitzung von Künzls Sichtweise der so genannten Reichskrise schnell bewusst geworden.2 Relativiert man nämlich das Krisenhafte und Katastrophale der Epoche und stellt die letztendlich erfolgreichen Gegenmaßnahmen zur Überwindung der Krise in den Vordergrund 3, erscheinen selbst vom heutigen Standpunkt aus die Bilder des Ludovisisarkophags – zumal in der Stadt Rom geschaffen 4 – gar nicht mehr so überraschend oder irreal. Sicherlich: Das dargestellte Schlachtgetümmel ist nicht von dieser Welt, und dies gilt gleichsam für den einer göttlichen Epiphanie gleichen Feldherrn. Das hier ostentativ zur Schau gestellte Festhalten eines Mitglieds der römischen Aristokratie an traditioneller virtus, die offenbar ungebremste Siegeszuversicht und der damit zum Ausdruck gebrachte unverminderte Herrschaftsanspruch Roms sind aber deshalb noch lange nicht und schon gar nicht in der Mitte des 3. Jahrhunderts ins Reich der Träume zu verweisen. Hätte Erich Künzl nicht einen imaginären Traum zur Leitschnur seiner etwas einseitig geratenen historischen Kontextualisierung des Ludovisisarkophags gemacht, wäre ihm nicht nur ein sehr schön aufgemachter und reich bebilderter Band gelungen.

Anmerkungen:
1 Hinsichtlich der Bebilderung ist anzumerken, dass die hervorragenden Detailaufnahmen des Sarkophags dem Anlass des Buches entsprechend nicht vom Original gemacht wurden, sondern von der Mainzer Kopie.
2 Von den jüngeren Monographien zum Thema sei hier lediglich genannt Christian Witschel, Krise – Rezession – Stagnation? Der Westen des römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr., Frankfurt am Main 1999. Ein aktuelles Gesamtbild der Forschung ergibt sich ferner aus den vielfältigen Beiträgen in dem Sammelband von Klaus-Peter Johne (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr. (235–284), Berlin 2008.
3 Gerade die schon in der Antike überwiegend negativ beurteilte Herrschaft des Gallienus, in die der Ludovisisarkophag datiert ist, wird in der jüngsten Forschung zunehmend als eine Zeit wichtiger Weichenstellungen für die Konsolidierung des Reiches betrachtet, vgl. etwa die Beiträge von Andreas Goltz / Udo Hartmann, Valerianus und Gallienus, in: Johne, Zeit der Soldatenkaiser, S. 223–295 und Michael P. Speidel, Das Heer, in: Johne, Zeit der Soldatenkaiser, S. 673–690.
4 Hinsichtlich der Zustände in Rom während der „Reichskrise“ sei exemplarisch verwiesen auf Frank Kolb, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike, München 1995, S. 643–670.

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