B. Dooley (Hrsg.): The Dissemination of News

Cover
Titel
The Dissemination of News and the Emergence of Contemporaneity in Early Modern Europe.


Herausgeber
Dooley, Brendan
Erschienen
Aldershot 2010: Ashgate
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
ca. € 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiko Droste, Institutionen för genus, kultur och historia, Södertörns Högskola

Zum Nachrichtenwesen der Frühen Neuzeit sind im vergangenen Jahrzehnt einige wichtige Ergebnisse herausgearbeitet worden. Die meisten Studien fokussieren auf das 16. und 17. Jahrhundert. Dadurch wird die ältere, primär am Gutenberguniversum orientierte Mediendebatte erweitert und relativiert. Die Erfindung des Buchdrucks ist sicher nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung des frühneuzeitlichen Nachrichtenwesens. Ein wesentlicher Teil desselben wurde freilich bis in das 18. Jahrhundert hinein handschriftlich wie mündlich verbreitet. Zudem waren die organisatorisch-institutionellen Reformen im Zusammenhang mit der Einführung von Post- und Botendiensten wesentlich folgenreicher für das Nachrichtenwesen als die technische Innovation der Druckerpresse, die für mehr als ein Jahrhundert keinen nachhaltigen Einfluss auf dieses hatte. Ebenfalls in der Diskussion stehen die Entstehung einer neuen Form von Öffentlichkeit, einer „kritischen“ Berichterstattung sowie des „Berufs“ des Journalisten. Diese Debatte wird noch immer vor dem Hintergrund der beinahe 50 Jahre alten Studie von Jürgen Habermas zur Entstehung der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ geführt. Dadurch werden die Eigenheiten der Öffentlichkeit des 16. und 17. Jahrhunderts freilich verwischt. Sie war etwas anderes als eine noch unfertige moderne Öffentlichkeit. Das frühneuzeitliche Nachrichtenwesen war reich an Medienformen, Distributionskanälen und Ausdrucksmöglichkeiten. Wie dies von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde, ist dabei noch immer unklar. Ebenso unklar ist, wie die bis dahin unbekannte Flut von Nachrichten verarbeitet wurde.

Im Zusammenhang dieser Forschungsdebatten bietet der vorliegende Sammelband die Ergebnisse zweier Tagungen aus den Jahren 2006 und 2007 an der Jacobs University in Bremen. Im Zentrum stand die Frage nach der Verbreitung von Nachrichten und der damit einhergehenden Entstehung von Zeitgenossenschaft. Letztere wird von Dooley als Teilhabe an einer gemeinsamen Gegenwart definiert, die ungeachtet räumlicher und sozialer Distanzen existierte. Auf diese Gegenwart habe sich ein Gefühl von Gemeinsamkeit gegründet, welche wiederum Grundlage einer über Zeitungen und andere Medien hergestellten Öffentlichkeit gewesen sei. Die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren konzentriert sich auf den Prozess der Verbreitung von Nachrichten, in aller Regel am Beispiel konkreter Zeitungen, Nachrichtenhersteller oder Konsumenten. Ihr Fokus ist primär durch die konkrete Archivsituation bestimmt; die Archive der Frühen Neuzeit sind außerordentlich reich an solchen Materialien. Die Beiträge behandeln folglich eine Vielzahl europäischer Regionen und Nachrichtenkulturen.

Cristina Borreguero Beltrán widmet sich der Organisation der Nachrichtenverbreitung am Beispiel des außerordentlich aufwändigen und teuren „Spinnennetzes“, das Philipp II. von Spanien entwarf, um seinen ‚Hunger‘ nach Nachrichten zu decken. Philipp stand nicht allein in diesem Bemühen – eine Reihe von Fürsten baute vergleichbare Strukturen auf, in denen das öffentliche Postwesen mit der eigenen Diplomatie verknüpft wurde. Paul Arblaster beschreibt Brüssel und Antwerpen als wichtige Knotenpunkte (nodes) in der Infrastruktur Westeuropas, die sich durch die Zentralfunktionen beider Städte im Bereich von Diplomatie und Handel erklären lassen. In diesen wie anderen Aufsätzen zeigt sich immer wieder derselbe Bedarf an umfassender und vor allem schneller Information. Möglichst hohe Geschwindigkeiten waren ein zentrales Movens der eng verknüpften Entwicklungen von Post- und Nachrichtenwesen.

Das Beispiel Philipps II. weist freilich auch auf eine wichtige Trennlinie hin. Da Nachrichten in vielen Teilen Europas spätestens seit dem 15. Jahrhundert auch ein Handelsgut waren, entstanden für Philipp erhebliche Kosten. Im Gegenzug konnte er vertrauliche Informationen erwarten, während die öffentliche Ware Nachricht stärker kontrolliert wurde. Zentralisierte Königreiche wie Frankreich, England oder Russland wiesen einen stark kontrollierten oder gar keinen Nachrichtenmarkt auf, da die Fürsten die öffentliche Erörterung ihrer Politik fürchteten – dies im Übrigen im Einklang mit den Empfehlungen deutscher Zeitungskritiker des 17. Jahrhunderts. Sie empfahlen, die arcana des Fürsten zu schützen. Dabei wies gerade das Reich aufgrund seiner komplizierten Struktur Dutzende von Zeitungen auf, die über zeitgenössische Politik berichteten. Sie hatten freilich keine Ambitionen auf eine kritische Beschreibung derselben. Nahezu alle Zeitungen des 16. und 17. Jahrhunderts enthielten sich jedweder Redaktion von Nachrichten (Johannes Weber). Sonja Schultheiß-Heinz und Charles-Henri Depezay gehen freilich auf Gegenbeispiele aus England und Frankreich ein. Die literaturwissenschaftliche Analyse von Nicholas Brownlees zeigt ein frühes Beispiel für eine explizite Nachrichtengestaltung aus England auf.

Zu jeder verallgemeinernden Aussage lassen sich solchermaßen sofort Gegenbeispiele anführen, insbesondere wenn der Blick auf andere gedruckte und ungedruckte Nachrichtenformen erweitert wird. Mario Infelise und Zsuzsa Barbarics-Hermanik untersuchen zwei Netzwerke, in denen „Geschriebene Zeitungen“ verbreitet wurden. Sie erreichten eine je eigene Öffentlichkeit, die aufgrund ihres hohen Preises zumeist auf eine kleine Elite beschränkt war. Geschriebene Zeitungen waren bis in das 18. Jahrhundert hinein sozial exklusive Medien, wobei sie teilweise ebenfalls Bestandteil eines Nachrichtenmarktes und somit offen erhältlich waren.

Diese Beispiele verweisen auf ein zentrales Problem der Medienforschung: die mangelnde Differenzierung verschiedener Medienformen mit ihren je eigenen Funktionen und Ausdrucksmöglichkeiten. Verglichen wird das nicht wirklich Vergleichbare. Geschriebene Nachrichtenkorrespondenzen an einen oder mehrere Fürsten sind eben nur äußerlich identisch mit einer im Abonnement erhältlichen „Geschriebenen Zeitung“. Ihr Inhalt war verschieden, nicht zuletzt aufgrund der Exklusivität des Mitgeteilten, welche für den heutigen Betrachter freilich schwer einzuschätzen ist.

Die mangelnde Unterscheidung der Medienformen hat Folgen für die Erörterung von Aspekten wie der Zensur. In Frankreich war die Gazette über ein Jahrhundert lang die einzige, regierungsnahe gedruckte Zeitung. Sie unterlag harter öffentlicher Kontrolle, wobei freilich in den Niederlanden gedruckte Zeitungen geduldet wurden, die dezidiert auch für den französischen Markt verfasst worden waren (Charles-Henri Depezay). Die Zensurpraxis in den Territorien und Städten des Reichs war anders geformt. Sie galt im Wesentlichen der lokalen Berichterstattung wie der Ehre benachbarter Fürsten. Daher existierte eine größere Bandbreite von Themen. Die immer wieder angeführte Anonymisierung von Zeitungen wie ihrer Drucker erklärt in diesem Zusammenhang freilich nicht viel. Eine wöchentlich erscheinende Zeitung konnte nur unter großen Verlusten versuchen, diese Herausgabe zu verheimlichen. Das gilt auch für „Geschriebene Zeitungen“, die ebenfalls der Zensur unterlagen. Das in vielen Arbeiten angeführte Zensurargument scheint somit überbewertet, zumal es ohnehin keine Erwartungen auf eine Redaktion der Nachrichten gab.

Der Forschungsstand für das europäische Nachrichtenwesen im 16. und 17. Jahrhundert ist somit auch deshalb widersprüchlich, da der Einfluss der jeweiligen Herrschaften auf den öffentlichen Nachrichtenmarkt groß war. Das belegt die Studie von Ingrid Maier und Daniel C. Waugh zur Berichterstattung über einen falschen Messias in den Jahren 1665-1667. Die Berichte gelangten auf unterschiedlichen Wegen und in verschiedenen Medienformen aus Palästina und dem Nahen Osten in jüdische und christliche Nachrichtenmedien ganz Europas. Eine Reihe weiterer Beiträge bietet zusätzliche Beispiele für die Vielfalt des frühneuzeitlichen Nachrichtenmarkts.

Zeitgenossenschaft entstand, insbesondere im 17. Jahrhundert. Hierfür lassen sich viele Beispiele anführen. Es wäre freilich zu fragen, ob dieser Aspekt nicht hinter der Erfahrung einer gefühlten Teilhabe an so etwas wie einer europäischen Kultur zurück steht. Zeitgenossenschaft ist stark durch die Bedingungen räumlicher Distanzen eingeschränkt, worauf Dooley eindringlich hinweist. Viele Autorinnen und Autoren bieten Berechnungen, nach denen Zeitgenossenschaft zwischen den Zentren europäischer Kultur nur in Tagen und Wochen hergestellt werden konnte. Das geschah relativ zuverlässig, aber eine Reaktion auf eine Nachricht war letztlich eben doch alles andere als gleichzeitig zu vermitteln – ein Problem, das gerade für Philipp II. letztlich nicht gelöst werden konnte. Sein Reich war zu groß, um es mit Hilfe eines noch so gut organisierten Nachrichtenwesens aus Madrid zu regieren (Beltrán, Arblaster).

Davon losgelöst zeigen die Zeitungen der Frühen Neuzeit eindeutig, dass der europäische Kulturraum, der bald auch die neuen Kolonien umfasste, von den Lesenden als ihr eigener Raum aufgefasst wurde, dem sie sich teilhaftig fühlten. Sie wollten informiert werden, bevorzugt ohne jeden redaktionellen Kommentar. Johannes Weber schließt daraus, dass die Zeitungen an der Herausbildung eines „public discourse about the state and politics“ (S. 78) keinen Anteil hatten. Alle Autorinnen und Autoren belegen freilich auf ihre Weise, dass die Lesenden sich der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, der Zensurbestimmungen wie der Eigenheiten jeweils verschiedener Medienformen bewusst waren. Sie kannten die Regeln und waren aufgerufen, den Nachrichtengehalt eigenständig zu interpretieren und in Zusammenhänge zu setzen – sie mussten kritisch entscheiden können und das konnten sie.

Der Band bietet hierfür eine Vielzahl spannender Beispiele und Perspektiven, die die außerordentlich reiche und schwer überschaubare Nachrichtenwelt der Frühen Neuzeit beleuchten. Es bleiben auch weiterhin viele offene Fragen, aber die hier gegebenen Antworten schärfen den Blick und bereichern das Feld.

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