Cover
Titel
Magie im Mittelalter.


Autor(en)
Birkhan, Helmut
Reihe
Beck’sche Reihe 1901
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
€ 12,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Lürken, Historisches Institut der RWTH Aachen

Der Glaube an Magie ist so alt wie die Menschheit selbst. Die Vorstellung von einer alles zusammenhaltenden Magie half den Menschen, ihre Umwelt zu begreifen und Einfluss auf sie zu nehmen. Selbst die Verbreitung des Christentums konnte die Menschen nicht davon abhalten, an die geheimnisvollen Kräfte magischer Bäume, Sträucher oder gar Steine zu glauben. Man unterschied bereits in der Antike zwischen guter und böser Magie (magia naturalis, magia diabolica), wobei die magia naturalis durchaus den Naturwissenschaften zugeordnet war. Teile dieses magischen Verständnisses der Welt sind bis heute – weithin als Aberglaube bezeichnet – noch greifbar: so zum Beispiel das Anspucken der Würfel beim Glücksspiel, das Schreiben von Kettenbriefen, die einem großes Glück oder unsagbar großes Leid bringen können, sowie der Glaube an die Vorbestimmtheit durch die Kraft der Planeten, die der Astrologie und mit ihr den Horoskopen zugrunde liegt. All dies sind Beispiele, die Helmut Birkhan, emeritierter Professor für ältere deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Wien, in seinem ersten Kapitel „Begriffsbestimmung von Magie“ anführt. Des Weiteren schärft Birkhan mit seinen Erläuterungen den Blick für die semantische Wandlung, die der Begriff „Aberglauben“ von der Antike bis heute erfahren hat. Ursprünglich bezeichnete der lateinische Ausdruck superstitio nämlich das, was über den römischen Staatskult hinausging, hatte also im Gegensatz zum heutigen Verständnis keinen abwertenden Sinn. Diese zu Beginn vorgenommene, äußerst gelungene Begriffsbestimmung ist Voraussetzung für das Verständnis der Denk- und Handlungsweisen von Menschen, die an Magie glaubten oder heute noch glauben.

Im weiteren Verlauf des Buches werden unterschiedliche Spielarten und Anwendungsbereiche von Magie, wie etwa die Alchemie, die „Drakontologie“ (der Glaube an die Existenz von Drachen) oder gar die Pharmazie und die Medizin, näher erläutert. Birkhan zeigt hier eindrucksvoll, dass die Magie in sämtliche Lebensbereiche des vormodernen Menschen hinein wirksam war. Besonders interessant und gewinnbringend ist die Unterscheidung zwischen dem Magieverständnis der einfachen Bevölkerung und dem der gebildeten Menschen oder gar der Geistlichen. Von Seiten der Gelehrten wurde die Magie geradezu als die höchste aller Wissenschaften verehrt (vgl. S. 34) und die antiken Autoren wurden wegen ihres Wissens über die Magie besonders geschätzt. Sogar aus der Bibel wurden magische Sachverhalte herausgelesen, wie die zahllosen Handschriften über die Sprache der Engel verraten, in denen auch beschrieben wird, wie man sich mithilfe dieser Sprache Dämonen und Engel dienstbar machen kann. Selbst der weise König Salomon wird durch pseudosalomonische Bücher mit solchen Beschwörungen in Verbindung gebracht, aufgrund derer er angeblich erst in der Lage war, den salomonischen Tempel zu bauen (S. 79–96). Als eines von vielen Beispielen für Geistliche, die an die Existenz von Magie glaubten und sie sogar selbst betrieben, führt Birkhan Albertus Magnus an, den Lehrer des Thomas von Aquin, der sogar ein künstliches, redendes Haupt zum Wahrsagen hergestellt haben soll (S. 49f., 53–59). Hildegard von Bingen (S. 67, 69–72, S. 74f.) wird ebenfalls als ein Beispiel dafür genannt, dass sich im Mittelalter der Glaube an Magie und die Zugehörigkeit zum Christentum nicht grundsätzlich ausschlossen. Bei ihren Schriften ging es vor allem um die Heilung von Krankheiten aufgrund der magischen Kräfte von Kräutern und Steinen.

Schließlich geht Birkhan im vierten Teil seines Buches auf die „Magie im Volksglauben“ ein. Hierbei handelt es sich zumeist um nützliche oder schadenbringende Zaubersprüche und Handlungen wie zum Beispiel um Jagdzauber, Fruchtbarkeitszauber, Wetterzauber, Glückszauber und anderes mehr. Hier werden auch die heute äußerst seltsam anmutenden Bauopfer beschrieben, bei denen lebende Tiere oder gar Kinder in die Fundamente neuer Bauten eingemauert wurden (S. 128–130).

Im letzten Teil des Buches werden Ketzer und Templer, Judenverfolgungen sowie der spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Hexenwahn vergleichsweise kurz behandelt. Bei dem Ketzer- und Templerkapitel liegt der Fokus auf der widernatürlichen Unzucht, die ihnen vorgeworfen wurde, bei den Judenverfolgungen geht es fast ausschließlich um Hostienfrevel und Ritualmord. Das Kapitel „Hexenwahn“ ist etwas ausführlicher. Nachdem Birkhan zunächst den Begriff „Hexe“ und dessen Herkunft erläutert, beschreibt er einige Gesetze gegen Hexerei bzw. gegen den Glauben an Hexen. Den weitaus größten Raum nimmt hier die Auseinandersetzung mit dem Hexenhammer und dem von Nicholas Eymerich verfassten ‚Directorium Inquisitorum‘ ein, die sich ausführlich mit dem Erkennen, der Verfolgung und dem Verhör von Hexen befassen. Es folgen Abkürzungsverzeichnis, Abbildungsnachweis, bibliografische Hinweise, wenige Anmerkungen sowie ein Sach- und Namenregister.

Insgesamt bietet das Buch eine gute Einführung in die Thematik und Begriffsbestimmung der Magie. Helmut Birkhan verwendet leicht verständliche und auch heutige Beispiele für den Einfluss der Magie auf die Menschen. Er stellt die verschiedenen Formen von Magie zusammen und erklärt deren Unterschiede völlig ohne Polemik. Es handelt sich bei Birkhans Buch um eine Publikation, die besonders für nichtwissenschaftliche Leser geeignet erscheint, da Birkhan in einer sehr verständlichen Sprache schreibt und lateinische, griechische, hebräische oder auch althochdeutsche Bezeichnungen gut und verständlich erläutert.

Schade ist allerdings, dass Birkhan lediglich eine Aufzählung der verschiedenen Formen von Magie vorgenommen und sein Buch nicht mit einem Fazit oder einer Zusammenfassung versehen hat. Auch wird man bei der Lektüre des Buches feststellen, dass es weitaus mehr frühneuzeitliche und antike Beispiele für den Glauben an Magie aufführt als mittelalterliche Beispiele. Kritisch zu sehen sind die wenigen Anmerkungen und bibliografischen Hinweise, die leider sehr häufig auf Internetseiten wie beispielsweise Wikipedia verweisen und so besonders Laien keine korrekte, wissenschaftliche Einordnung ermöglichen. Das zweite Problem der Internetverweise ist deren Schnelllebigkeit. Auf einer der angegebenen Seiten waren die Informationen, die Birkhan dort fand, zum Zeitpunkt dieser Rezension bereits überholt und nur noch über eine ältere Version der Seite zugänglich.1 Immerhin sind die Internetverweise mit einem Datum gekennzeichnet.

Anmerkung:
1 Vgl. S. 190, Stichwort Szandor LaVey: <http://de.wikipedia.org./wiki/Anton_Szandor_LaVey>, eingesehene Version: <http://de.wikipedia.org./w/index.php?title=Anton_Szandor_LaVey&oldid=841492909290> (02.02.2011). Auf der Internetseite findet sich entgegen der Erklärung Birkhans keine ausführliche Darstellung zu dessen Person und auch keine Erläuterung der Verbindung zu dem Film Rosemary’s Baby und der Manson-Familie.

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