Cover
Titel
Spielberg-Variationen. Die Filmmusik von John Williams


Autor(en)
Moormann, Peter
Reihe
Schriftenreihe Filmstudien 57
Erschienen
Baden-Baden 2010: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
797 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Linda Maria Koldau, Institut for Æstetiske Fag, Aarhus Universitet

Die Grundlage für dieses Buch ist ein großes Thema: die Zusammenarbeit des Regisseurs Steven Spielberg und des Filmkomponisten John Williams, beides große Namen in der Welt Hollywoods, die die Entwicklung des amerikanischen Films in den letzten 40 Jahren maßgeblich beeinflusst haben. Ein hervorragender Ausgangspunkt – Peter Moormann jedoch hat mit seiner zu einem Buch gekürzten Dissertation alle Chancen vergeben.

Von Anbeginn ist unklar, was eigentlich Gegenstand des Buches sein soll. Der Titel lautet „Spielberg-Variationen: Die Filmmusik von John Williams“. Um die Filmmusik von Williams geht es hier keineswegs: Wie in der knappen Skizze von Williams’ Werdegang dargelegt, hat der Komponist seit den 1950er-Jahren für Film und Fernsehen komponiert. Seine Zusammenarbeit mit Spielberg begann erst 1974, im Buch aber werden ausschließlich Spielberg-Filme berücksichtigt. Im Hinblick auf Steven Spielberg ist dies interessant, hat sich der bedeutende Regisseur doch fast gänzlich auf die Zusammenarbeit mit Williams festgelegt – dieser filmwissenschaftliche Aspekt wird jedoch nicht weiterverfolgt. Eine wirkliche Studie über die Filmmusik von John Williams hätte demgegenüber einen interessanten, film(musik)historisch wichtigen Einblick in die Entwicklung amerikanischer Filmmusik seit den 1950er-Jahren geboten, welcher John Williams in den 1970er-Jahren durch die – hier nicht berücksichtigte – „Star Wars“-Serie einen entscheidenden Impuls für die Rückkehr zu symphonischen Strukturen gab. Williams’ Musik hat kulturgeschichtliche und filmhistorische Bedeutung – aus Moormanns Buch geht dies jedoch nicht hervor.

Die Methodik dieser Dissertation wirkt seltsam unbedarft. Moormann hebt seine interdisziplinäre Ausrichtung hervor (S. 9), indem er sich auf Zofia Lissa (1965) beruft und die „Aktualität“ ihrer Forderung nach einer neuen, nicht primär musikwissenschaftlichen Forschungsmethode durch den Bezug auf eine Studie aus dem Jahr 2008 hervorhebt.1 Dazwischen liegen über 40 Jahre Filmmusikforschung, in denen die Filmmusik seit Jahrzehnten selbstverständlich als Teil eines audiovisuellen Ganzen behandelt wird – die hochgehaltene Fahne der Interdisziplinarität wirkt vor diesem Hintergrund eigentümlich antiquiert. Zudem wird dieser Anspruch gar nicht eingelöst. Einige der Analysen in dieser im Fach Filmwissenschaft geschriebenen Dissertation zeugen von musikwissenschaftlichen Kenntnissen. Gleichzeitig fehlt jedoch mancherorts die musikwissenschaftliche Reflexion, etwa wenn Moormann ganz beiläufig erwähnt, dass Williams einen beträchtlichen Teil seiner Filmmusiken von anderen Komponisten hat orchestrieren lassen, darauf jedoch in seinen Analysen und seiner Beurteilung von Williams’ Filmmusik keinerlei Rücksicht nimmt. Umgekehrt vermisst der Leser immer wieder filmwissenschaftliche Kenntnisse und Methoden, was sich auch im Literaturverzeichnis widerspiegelt.2

Methodisch problematisch ist ebenfalls die Darstellung der Funktionen von Filmmusik, die in dem 797 Seiten starken Buch gerade einmal sieben Seiten ausmacht. Extrem vereinfachend beruft sich Moormann auf ein einziges Modell zu den Funktionen von Filmmusik – das seines Betreuers Thomas Koebner – und erweitert es durch einige Funktionen, die die Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa 1965 in ihrer „Ästhetik der Filmmusik“ identifizierte (so die Angabe Moormanns, Nachweise für diese Erweiterung fehlen jedoch). Die zahlreichen anderen Modelle, die in der anglo-amerikanischen und deutschen Filmmusikforschung seit den 1960er-Jahren entwickelt wurden, werden lediglich in einer Fußnote erwähnt – durch den Verweis auf eine andere Dissertation über Filmmusik, wo diese Modelle „umfassend“ dargestellt seien (S. 29, Anm. 81). Gleichwohl verwendet Moormann 720 Seiten später in seinen Schlussbemerkungen einige Termini aus diesen Modellen, ohne dass sie jedoch erläutert werden (z.B. Mood-Technique oder Underscoring als „klassische filmmusikalische Kompositionsprinzipien“, S. 756). Die Beschränkung auf ein einziges Modell wäre einer Magisterarbeit angemessen – für eine Dissertation ist sie in keiner Weise akzeptabel. Hinzu kommt die viel zu knappe Darstellung der einzelnen Kategorien: Komplexe und wichtige Themen werden hier in wenigen Zeilen abgehandelt, wichtige terminologische Diskussionen innerhalb der Filmmusikforschung ignoriert.

Der größte methodische Mangel liegt jedoch im Umgang mit dem Material selbst. Immer wieder ist im Buch von „Analysen“ oder „Detailanalysen“ die Rede. Von Analyse kann allerdings kaum die Rede sein: Der Leser wird mit exakt 715 Seiten Arbeitsmaterial konfrontiert – Nacherzählungen von insgesamt 22 Filmen, Einstellung für Einstellung, dazu wird die Musik miterzählt (allein die „Detailanalysen“ von „Jaws“ und „E.T.: The Extra-Terrestrial“ bieten neben rund 150 Seiten Nacherzählung knapp 40 Seiten „Ergebnisse“ mit dem Versuch, die Beobachtungen zu strukturieren; alle weiteren „Analysen“ beschränken sich dagegen auf die Nacherzählung des Films und seiner Musik). Im Grunde besteht dieses Buch aus Sequenzprotokollen – einem gängigen Mittel der Filmanalyse –, die in Prosa gefasst und durch Musikbeispiele ergänzt wurden. Moormann selbst verteidigt dieses Vorgehen: „Die Beschreibung aller Filme fällt dabei sehr detailliert aus, um bloßen Mutmaßungen über die jeweiligen Funktionen der Filmmusik und deren Gewichtung entgegenzuwirken. Eine stichprobenartige Untersuchung hätte somit eine ungenauere Behandlung der Filme mit sich gebracht.“ (S. 14) Hier bricht sich der Mangel an analytischer Erfahrung Bahn: Eine analytisch begründete Diskussion ausgewählter Passagen in einem größeren Werk ist ebenso wenig eine „Stichprobe“ wie die Takt-für-Takt-Beschreibung einer Symphonie oder die Szene-für-Szene-Beschreibung eines Films eine Analyse ist. Analyse wird hier nicht gemacht – der Hauptteil des Buches ist rein deskriptiv gehalten.

Auch der 25-seitige Teil mit den „Schlussbemerkungen“ lässt eine analytisch begründete Struktur vermissen. Moormann greift das anfangs skizzierte Funktionsmodell auf und füllt es mit zahlreichen Details aus seiner Untersuchung der 22 Spielberg-Williams-Produktionen. Interessant ist die These, Williams greife auf ein kompositorisches „Baukastensystem“ zurück, das er sich über die Jahre hinweg geschaffen habe: Auf Seite 760 werden in der Begründung dieser These erstmals Bildebene und Musik in fachlich tiefergehenden Bezug zueinander gesetzt; ansatzweise kommt es im Folgenden zu einer Identifikation einer spezifischen Filmmusiksprache und spezieller Ausdrucksmittel bei John Williams. Hier werden nun endlich analytisch fundierte Aussagen über die Filmmusiksprache von Williams getroffen. Wer sich vor dem Hintergrund der Filmmusikforschung dafür interessiert, dem sei jedoch eher die skizzenhafte Darstellung empfohlen, die Moormann 2010 im „Archiv für Musikwissenschaft“ publiziert hat.3 Sie ist übersichtlicher als ein Buch von knapp 800 Seiten, das kaum mehr als die Nacherzählung von 22 Spielberg-Filmen und ihrer Musik bietet.

Anmerkungen:
1 Zofia Lissa, Ästhetik der Filmmusik, Berlin 1965; Claudia Bullerjahn, Musik und Bild, in: Herbert Bruhn / Reinhard Kopiez / Andreas C. Lehmann (Hrsg.), Musikpsychologie. Das neue Handbuch, Reinbek 2008, S. 205–222.
2 Eine typische filmwissenschaftliche Unschärfe ist etwa die Behauptung, Williams habe sich 1972 „dem neu entstandenen Genre des Katastrophenfilms“ zugewandt (S. 20). Der Katastrophenfilm bildete sich weit früher zu einem eigenen Genre heraus.
3 Peter Moormann, Komponieren mit flexiblen Modulen: Zur Filmmusik von John Williams, in: Archiv für Musikwissenschaft 67 (2010), S. 104–119.

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