Cover
Titel
Tonspuren. Das Haus des Rundfunks in Berlin


Autor(en)
Bauernfeind, Wolfgang
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiner Stahl, Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Erfurt

Gemeinhin stellt Rundfunkgeschichte Programme, Personen und Institutionen in den Mittelpunkt. Sie spürt Entscheidungsprozessen in Gremien nach, knüpft die Entwicklung von Sendungen und Programmen an Betrachtungen politischer und kultureller Kontexte, an die Realitäten medialer und gesellschaftlicher Umwelten. Gebäude von Rundfunkanstalten fallen durch dieses Raster, werden in Darstellungen konsequent vernachlässigt, obwohl Architektur bestimmte Erzählungen eben jener politischen und kulturellen Konstellationen speichert, sichtbar macht und in der Kombination von Baumaterialien konkretisiert. Gerade dem „Haus des Rundfunks“ in der Charlottenburger Masurenallee ist die in verschiedenen politischen Systemen öffentlich hergestellte Verortung von Rundfunk eingeschrieben. Das Gebäude ist die sichtbare Konstante einer sich mehrfach ändernden Rundfunklandschaft. Der ehemalige Leiter der Feature-Abteilung des Senders Freies Berlin (SFB) Wolfgang Bauernfeind unternimmt nun in seinem 2010 beim Ch. Links Verlag erschienenen Buch den Versuch eines Zugangs zur Berliner Rundfunkgeschichte über dieses Gebäude.

Bauernfeind referiert die Entwürfe für das Haus des Rundfunks des Architekten Hans Poelzig, veranschaulicht die Planungs- und Bauphase mit eindrucksvollen Innen- und Außenansichten des Gebäudes, des Großen Sendesaals und der Studios (S. 19-31). Auf diese Weise führt er architektonische und akustische Beschreibungen zusammen. Dass eine solche Perspektive produktiv gemacht werden kann, hat Emily Ann Thompson bereits eindrücklich gezeigt.1 Bei „Tonspuren“ wirkt dies allerdings eher wie ein Randaspekt innerhalb einer chronologischen Erzählung, die auf politische und medienpolitische Zäsuren bezogen ist.

Weit unbefangener als Rundfunkhistoriker bewegt sich der Hörfunkjournalist Bauernfeind in der Historie des eigenen Mediums – er ist auf eine frische Art neugierig. Die Geschichten, die am und hinter dem Mikrofon geschehen, stellen emotionale Bezüge her, erzeugen Empathie. Stories aus den Sendestudios oder die Neuigkeiten des Flurfunks sind ebenso mitteilenswert wie generalisierte Aussagen über die Inszenierung des Rundfunks bei, vor und mit seinen Hörern. Man merkt dem Band an, dass er auf einem mehrteiligen Hörfunk-Feature beruht.2 Der Autor bewegt sich mit Leichtigkeit durch die wechselhafte Geschichte des Charlottenburger Senders in der Masurenallee und versprüht das wohlwollende Beteiligt-Sein eines Rundfunkers, der genau dort seine Laufbahn als Redakteur begonnen hat.

Mit Gewinn habe ich Bauernfeinds Ausführungen zum Übergang der republikanischen Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) zur nationalsozialistisch geprägten Institution unter dem Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky gelesen (S. 32-48). Dabei hätte allerdings noch ein stärkerer Akzent auf der von Reichskanzler Franz von Papen schließlich im November 1932 durchgesetzte Zentralisierung des Reichsrundfunks liegen können. Dadurch hätte die von-Papensche Reform konsequenter mit dem von Bauernfeind hervorgehobenen Prozess wegen angeblicher Korruption gegen prominente Rundfunkmacher der Weimarer Republik wie Hans Bredow, Kurt Magnus, Hans Flesch, Heinrich Giesecke und den späteren ersten Intendanten des SFB, Alfred Braun, verbunden werden können. Zwar streift Bauernfeind diesen Aspekt noch kurz in der biografischen Skizze des Reichsrundfunkkommissars Hans Bredow (S. 151-153), doch das ist eindeutig zu wenig.

Auch wenn Bauernfeind Hans Bredow und Alfred Braun in einem ausgesprochen positives Licht präsentiert – natürlich erwähnt er Brauns Mitarbeit bei NS-Propagandafilmen wie „Jud Süß“ und „Kolberg“ – hätte sich der Reiz eines biografischen Zuganges gerade aus den dunkleren Schattierungen ergeben. Eben jene fehlen auch beim Porträt Herbert Antoines (S. 155-157), der als Statistiker bei der RRG begann und dann so etwas wie der Verantwortliche für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit wurde. Als Referent für Rundfunkangelegenheiten beim Senator für Volksbildung, Joachim Tiburtius (CDU), steuerte er maßgeblich die institutionelle Gründung des Senders Freies Berlin zwischen 1951 und 1953 bis hin zum Sendestart am 1. Juni 1954. Die Entstehungsphase des Westberliner Senders ist allerdings an anderer Stelle schon detaillierter dargestellt worden.3

Bauernfeinds Ausführungen zum 20. Juli 1944, zur Endzeitstimmung im Haus des Rundfunks im Frühjahr 1945 und zum Neubeginn als Berliner Rundfunk unter sowjetischer Verwaltung (S. 60-78) sind eindrücklich und anregend. Die Konkurrenzsituation von RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) Berlin und Berliner Rundfunk rückt in den Hintergrund.4 Jedoch nimmt die Darstellung wieder Fahrt auf, wenn Bauernfeind die Absperrung des Gebäudes durch britische Truppen im Juni 1952 und die eigenartige eingefrorene Frontstellung des Kalten Krieges in Berlin beschreibt. Im August 1952 gab der Berliner Rundfunk den Standort Charlottenburg zugunsten des neuen Funkhauses in der Oberschöneweider Nalepastrasse endgültig auf. Bis 1956 verfielen die Einrichtung und das Gebäude in der Masurenallee zusehends. Der Einzug des SFB in das ehemalige Gebäude der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft wurde schließlich als Inszenierung innerhalb der kulturellen Grenzlinien des Kalten Krieges in Berlin aufgeführt (S. 104-107). Hier verschmolz die Narration von der Selbstbehauptung Westberlins mit zurückliegenden mentalen und medialen Traditionsbeständen. Es ging um Wiederherstellung, nicht um Aufbruch.

Dem Zeitgeist entsprechend stand die „Insel“ Westberlin in den 1960er- und 1970er-Jahren freilich auch für progressiv gerahmte und fortschrittlich verstandene Veränderungsbereitschaft. Dabei ist an das in Kooperation mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) veranstaltete Dritte Programm des SFB-Hörfunks zu denken oder an die von Susanne Fijal, Leiterin der Hauptabteilung Familie und Jugend, mit Sturheit und Beharrlichkeit gegen die organisatorischen Widerstände der Bedenkenträger im Sender durchgesetzte Einführung der Jugendsendungen „Wir um zwanzig“ und „s-f-beat“ (S. 114-117). Und natürlich widmet das Buch auch dem streitbaren Intendanten Franz Barsig einige Seiten.

Die letzten fünfzig Seiten des Buches nehmen Beschreibungen unterschiedlicher Lebensverläufe von Menschen ein, die im Haus des Rundfunks gearbeitet haben. Dort wird „Tonspuren“ zu einem Rundfunk-Bildband. Hier gelingt es Bauernfeind emotionale Nähe und Bindung herzustellen. Gerade die Porträts der Entertainer Götz Kronburger (Westberlin) und Peter Bosse (Ostberlin) sowie von SFB-Jugendfunker Wolfgang „Hippie“ Kraesze bestechen durch ihren Charme und ihr Einfühlungsvermögen. Bei den Lebensverläufen von Herbert Gessner, Chefkommentator des Berliner Rundfunks, und dessen Sekretärin Helga Wende-Thiele (S. 160-162) taucht Bauernfeind in die Konstellationen des Kalten Krieges in Berlin ein, zeichnet Verzweigungen und Überschneidungen nach. Im Abschnitt „Wege zur Einheit“ (S. 129-147) verknüpft er eine resigniert klingende SFB-Erzählung mit einer selbstbewussten Erzählung des Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) und überführt beide in eine seit dem 1. Mai 2003 inszenierte „gemeinsame“ Narration des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Dieser Teil des Buches klingt nach Markenpositionierung und offizieller Kommunikationspolitik des Senders. Das ist misslich.

Der kursorische Blick des Journalisten hält sich nicht bei Forschungsliteratur auf. Zur deutschen Rundfunkgeschichte sind seit Mitte der 1990er-Jahre zahlreiche einschlägige Werke erschienen. Bauernfeind blendet diese konsequent aus. Er bezieht sich lediglich auf die Veröffentlichungen des SFB bzw. des Rundfunks Berlin-Brandenburg.5 Als Lob ausgedrückt: Bauernfeind lässt sich den journalistischen Instinkt nicht durch zu viel Literatur verstellen. Es gelingt ihm intuitiv, berührende Aspekte der Rundfunkgeschichte in Berlin freizulegen. Dennoch ist an „Tonspuren“ zu kritisieren, dass durch eine klarere Einbettung in der Forschungslandschaft die in der Veröffentlichung durchaus angelegten, anregenden und weiterführenden Ideen und Perspektiven besser zur Geltung gekommen wären. So ist „Tonspuren“ zuvorderst ein Buch für den Wandschrank der Westberliner. Dort gehört es mit gutem Recht hin. Mehr war vermutlich auch gar nicht beabsichtigt.

Anmerkungen:
1 Emily Ann Thompson, The Soundscape of Modernity. Architectural Acoustics and the Culture of Listening in America, 1900-1933, Cambridge / Massachusetts 2002.
2 Das Haus des Rundfunks. Eine Geschichte in fünf Kapiteln. Gesendet im Mai/Juni 2009.
3 Erik Heinrich, Vom NWDR Berlin zum SFB. Rundfunkpolitik in Berlin 1946-1954, Berlin 1985. Siehe dazu auch: Petra Fischer, Wandel öffentlich-rechtlicher Institutionen im Kontext historisch-politischer Ereignisse am Beispiel des Senders Freies Berlin, Berlin 2007, vgl. <http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000003211> (02.12.2010).
4 Petra Galle, RIAS Berlin und Berliner Rundfunk 1945-1949. Die Entwicklung ihrer Profile in Programm, Personal und Organisation vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges (Medien und Kultur, Bd. 1), Münster 2003; vgl. Klaus Arnold: Rezension zu: Galle, Petra: RIAS Berlin und Berliner Rundfunk 1943-1949. Die Entwicklung ihrer Profile in Programm, Personal und Organisation vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Münster 2003, in: H-Soz-u-Kult, 11.02.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-080> (18.12.2010).
5 Sender Freies Berlin (Hrsg.): Mehr als ein halbes Leben. 50 Jahre Sender Freies Berlin, Berlin 2003; Rundfunk Berlin-Brandenburg (Hrsg.): „Hier spricht Berlin“. 75 Jahre Haus des Rundfunks, Berlin 2006.

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