W. Smith u. a. (Hrsg.): American Higher Education Transformed, 1940-2005

Titel
American Higher Education Transformed, 1940-2005. Documenting the National Discourse


Herausgeber
Smith, Wilson; Bender, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
$ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Naumann, Geisteswissenschaftliches Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig

Seit geraumer Zeit ist die Höhere Bildung in den USA ein Thema und eine Bezugsgröße in den Debatten über die Reformierung des deutschen Hochschulsystems ebenso wie in jenen innerhalb der historischen Disziplin. Da sie darin oft stark aufgeladen und emotional verhandelt wird, sich an ihr die Geister scheiden und sie sich in der Rede über sie häufig verflüchtigt, sind jüngst mehrere deutschsprachige Studien erschienen, die um eine nüchterne Betrachtung, um die Differenzierung zwischen Imaginationen und tatsächlichen Begebenheiten bemüht sind, um zum Kern der „American Higher Education“ vorzudringen.1 Diesem Ansinnen steht mit der Quellenedition von Wilson Smith und Thomas Bender nun ein ausgesprochen nützliches wie vielfältig anregendes Hilfsmittel zur Verfügung.

Smith, emeritierter Professor der University of California, Davis, und Bender, Professor an der New York University, haben 127 Dokumente aus den Jahren 1940 bis 2005 kompiliert, kommentiert und mit weiterführender Literatur versehen, bei denen es sich sowohl um geläufige als auch weniger bekannte Texte handelt. Programmschriften, Analysen, gesetzliche Regelungen und richterliche Festlegungen, um nur einige der Quellentypen zu nennen, machen die Entwicklung des US-amerikanischen Hochschulsystems in den vergangenen sieben Jahrzehnten zugänglicher und nachvollziehbarer. Das ist für die laufenden Auseinandersetzungen hierzulande und für künftige Studien ohne Zweifel ein großer Gewinn, wenngleich tiefgreifendere Analysen mit dem Abdruck von Auszügen nicht auskommen werden.

Smith knüpft mit dieser Edition an eine frühere Anthologie an, 1961 hatte er mit Richard Hofstaedter „American Higher Education. A Documentary History“ herausgegeben.2 Da seitdem keine vergleichbar allgemeine und umfassende Sammlung von Originaltexten erschienen ist 3, füllen er und Bender eine Leerstelle; ein Grund vermutlich, weshalb der Verlag die eng gesetzten 500 Seiten verhältnismäßig preiswert anbietet.

In den 12 Themenkomplexen konturieren sich die vielfältigen Aspekte des US-amerikanischen Höheren Bildungswesens, und es tritt in klaren Zügen hervor, was die Herausgeber verdeutlichen wollen, nämlich „a discourse that speaks to the national ways, means and aim of higher learning.“ (preface) Der Blick reicht vom institutionellen Gefüge (der Organisation von Lehre, Forschung und Verwaltung) zu virulenten Spannungsfeldern, etwa der Balance von Disziplinenbildung und Interdisziplinarität, schließt Problemfelder wie „academic freedom“, „equal opportunities“ und „rights of students“ ein und richtet sich auf maßgebliche außeruniversitäre Einflussfaktoren (den Staat, philanthropische Stiftungen und Verbände), ohne dabei die Situierung von Colleges und Universitäten in der Gesellschaft außer Acht zu lassen und den Campus als Ort des gesellschaftlichen Protestes und der Reform zu übergehen. Für jede dieser Facetten wird im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein einschneidender Wandel und eine Umbruchsphase seit den 1980er-Jahren aufgezeigt, die jeweils auf einer knappen Seite den Dokumenten vorangestellt werden. Darin erscheinen die 1950er- und 1960er-Jahre als ein Goldenes Zeitalter der Universität (S. 2), und die Herausgeber problematisieren die Folgen, die dessen Verblassen mit sich bringt.

Um zwei Beispiele zu geben: In der zeitgemäßen Aktualisierung und Pluralisierung der humanistischen Allgemeinbildung („liberal arts“) habe sich, dynamisiert von den Studentenprotesten 1968, ein Wertrelativismus durchgesetzt, der einer Kanonisierung dessen, was es bedeutet, „liberally educated“ zu sein, eine klare Absage erteilte. Zwar erwuchs aus den heftigen Gefechten um eine alternative Fundierung gesellschaftlicher Werte ein neuer Konsens über den Kern der „liberal education“, doch sei dieser weit weniger integrativ, tragfähig und überzeugend. „For all the writing and talking and teaching about the liberal arts in the half century since 1945, the study of arts and sciences .... declined, slowly but noticeably.“ (S. 163)

Ähnlich pessimistisch wird der Verlauf der Graduiertenausbildung dargestellt. In den ersten Jahren nach Ende des Krieges habe ein großer Bedarf an akademischer Qualifizierung bestanden, so dass das Doktorat von immer mehr Institutionen angeboten, von einer rapide steigenden Zahl von Studierenden abgelegt wurde und sich die Sorge der Zeit auf die Wahrung wissenschaftlicher Standards und Qualität beschränkte. Seit den 1970er-Jahren sei die Situation in das Gegenteil umgeschlagen, „... the market for new Ph.D.’s fell into a prolonged slump“ (S. 203), mehr noch kontinuierlich steigende Doktorand/inn/enzahlen hätten in den 1990er-Jahren die Chancen auf dem Arbeitsmarkt in einem solch dramatischen Maße reduziert, dass sich die Befürchtung, vor allem in den Geisteswissenschaften, breit gemacht habe, künftig kaum noch Absolvent/inn/en zu produzieren – angesichts der Dringlichkeit von Studiengebühren und der harten Konkurrenz in Sachen Forschungsexzellenz in der Tat ein ernstes Problem.

Die konzise beschriebenen Trends in den zwölf ausgewählten Themenbereichen werden in einer allgemeinen Beobachtung synthetisiert: Während die Veränderungen nach 1945 aus einer stärkeren Integration universitärer Ausbildung in die Gesellschaft resultierten und soziale wie kulturelle Pluralität eine Expansion, Öffnung und Pluralisierung des Hochschulbetriebes bewirkten, sind die Transformationen am Ende des 20. Jahrhunderts von dem Eindringen des Marktes geprägt, und kommerzielle Kriterien und Mechanismen weisen die Richtung. „In 1945 education was understood as a public good, and research was a national resource ... Beginning in the 1980s, education, like research, lost much of its intrinsic value; it was discussed more and more in terms of the market, as an individual investment in human capital. ... Increasingly higher education was treated as a private good ... “ (S. 9).

In dieser Interpretation erscheinen die mittleren Dekaden des vergangenen Jahrhunderts als eine distinkte Periode in der Geschichte der „American Higher Education“, die maßgeblich von dem Verständnis Höherer Bildung als öffentliches Gut geleitet war. Sie vor Augen zu führen, an diese Sichtweise zu erinnern ist das zentrale Anliegen dieser Quellensammlung, verbunden mit dem Anliegen, die Kosten von Privatisierung und Marktorientierung in Rechnung zu stellen und für die Debatten um die weitere Entwicklung zu Gehör zu bringen.

In ihrer Argumentation greifen die Herausgeber auf eine in nordamerikanischen Bildungsdebatten bekannte Rhetorik, in der Historiografie verankerte Perspektive und eine bislang erfolgreiche politische Strategie zurück, jene der (national-)gesellschaftlichen Verantwortung und der Nationalisierung. Der Untertitel „Documenting the National Discourse“ ist Programm. Denn wiewohl Smith und Bender zu den drei übergreifenden Entwicklungslinien auch die quantitative Expansion und soziale Transformation des College- und Universitätssystems sowie die zunehmende Orientierung auf Forschung benennen, ist ihnen eine dritte die wichtigste. „Only after the war did the top-tier research universities and liberal arts colleges develop national constituencies. Government policy ... along with the influence of national professional organizations affecting university personnel from admission officers to professors had the effect of nationalizing a wider range of institutional patterns.“ (S. 1)

Eingeflochten in das Augenmerk auf den nationalen Diskurs ist das Postulat über das Besondere des Landes; verwiesen wird auf die Spezifik, „undergraduate education“ und weiterführende Forschung in einer Einrichtung zu organisieren, auf den geringen Anteil von unabhängigen und staatlich finanzierten Bildungsstrukturen sowie auf die institutionelle Diversität. Ein vergleichender Blick, zumal auf gegenwärtige Tendenzen, mag nicht jede dieser Beobachtungen bestätigen4, allemal würde es sich lohnen, dem künftig empirisch detaillierter nachzugehen.

Die Lektüre der Quellen, mehr noch der Einleitung bietet vielfältige Anregungen zum Weiterdenken, gerade weil sie in ihrer Dichte – die neun Seiten bieten eine beeindruckende Rundumschau – zuspitzen muss. So liest man etwa, dass sich die akademische Lehre seit den 1940er-Jahren weitgehend ohne den Einfluss von außen bzw. die Rezeption von Prozessen anderswo entwickelte und es im Alleingang auf Platz eins im weltweiten Vergleich wissenschaftlicher Exzellenz geschafft habe. „There is much talk from time to time about the influence of foreign scholars and foreign scholarship ... But in fact, Americans borrow little from abroad ... the professoriate, particularly in the humanities and social sciences, are monolingual and rather insular in their intellectual tastes, while the publishing industry of the Unites States translates very few books – no other industrial country translates fewer.“ (S. 3)

Nun ist Thomas Bender einer der aktivsten Fürsprecher einer Transnationalisierung der Geschichtsschreibung in den USA, weshalb dieser Befund vermutlich in kritischer Absicht geschrieben ist. Doch provoziert er als Fakt genommen mindestens drei interessante Fragen: Wie und weshalb konnte sich eine solche Selbstbezogenheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten, einer Zeit, in der sich transnationale Austauschprozesse auch im Hochschulbereich intensivierten? Wenn nicht über die Rezeption fremdsprachiger Forschung, wie dann schlugen sich globale Verflechtungen in der Höheren Bildung in den USA nieder? Und was bedeutet diese Feststellung für die häufig betonte (und beneidete) Internationalität nordamerikanischer Höherer Bildung?

Insgesamt ist Smith und Bender mit ihrer Quellensammlung Beeindruckendes gelungen. Sie dokumentieren und verdeutlichen, und zwar aus einer klar formulierten Positionierung in den gegenwärtigen wissenschaftlichen Debatten heraus (die man nicht teilen muss, um aus dem gebotenen Fundus zu schöpfen), die Relevanz der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte für die allgemeine Geschichte des 20. Jahrhunderts, zumal über den engeren Raum hinausgehend, von dem der Band handelt.

Anmerkungen:
1 Gabriele Lingelbach, Klio macht Karriere. Die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2003; Stefan Paulus, Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945-1976, München 2010; Ulrich Schreiteter, Traumfabrik Harvard. Warum amerikanische Hochschulen so anders sind, Frankfurt am Main 2010.
2 Richard Hofstadter / Wilson Smith, American Higher Education. A Documentary History, Chicago 1961.
3 Überlieferungen zu einzelnen Aspekten sind in speziellen Quellensammlungen zugänglich, etwa die Rolle der philantrophischen Stiftungen in: Dwight F. Burlinggame (Hrsg.), Philanthropy in America. A Comprehensive Historical Encyclopedia, Bd. 3, Santa Barbara 2004.
4 Maresi Nerad / Mimi Heggelund (Hrsg.), Toward a global Ph.D. Forces and Forms in Doctoral Education worldwide, Washington 2008.

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