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Titel
„Ego collegiatus“ – Die Magisterkollegien an der Universität Leipzig von 1409 bis zur Einführung der Reformation 1539. Eine struktur- und personengeschichtliche Untersuchung


Autor(en)
Kusche, Beate
Reihe
Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte A 6
Erschienen
Anzahl Seiten
979 S.
Preis
€ 118,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne-Katrin Kunde, Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Im Jahr 2009 konnte das 600-jährige Bestehen der Leipziger Universität feierlich begangen werden, das auf den Auszug zahlreicher Magister und Scholaren aus der Prager Universität im Jahr 1409 zurückgeht. Zur Vorbereitung dieses Jubiläums wurde schon Ende des vergangenen Jahrhunderts begonnen, die Geschichte der Leipziger Alma Mater möglichst umfassend von deren Beginn bis in die heutige Zeit aufzuarbeiten. Zu diesem Zwecke gründete man eine „Kommission zur Erforschung der Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“, unter deren Leitung nicht nur die geplante fünfbändige moderne Universitätsgeschichte erstellt werden sollte, sondern auch eine wissenschaftliche Reihe ins Leben gerufen wurde, die fächerübergreifend Beiträge zu diesem Thema darbringen sollte. Sind auch bis auf den heutigen Tag noch nicht alle Bände der Universitätsgeschichte erschienen, kann die Reihe der Beiträge doch zahlreiche Veröffentlichungen aufweisen. Auch die umfängliche Dissertation Beate Kusches zu den Magisterkollegien an der Universität Leipzig von der Universitätsgründung bis zur Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen (1409–1539), die im Jahr 2008 an der Universität Leipzig eingereicht wurde, konnte in diesem Rahmen pünktlich 2009 in zwei Bänden zum Druck gebracht werden.

Die Verfasserin widmet sich hierin den beiden 1409 errichteten landesherrlichen Kollegstiftungen sowie der (etwas später) 1422/23 abgeschlossenen privaten Stiftung des sogenannten Liebfrauenkollegs, bei denen es sich insgesamt um Einrichtungen handelte, die ausschließlich Artistenmagistern oder höher graduierten Universitätsangehörigen offenstanden und zu deren Unterkunft sowie Versorgung dienten. Dafür hatten diese als Lehrkräfte an der Universität zu wirken. Die Bedeutung dieser Kollegien wird im (der Zusammenfassung folgenden siebenzeiligen) Fazit und expressis verbis „als Grundpfeiler in der spätmittelalterlich-vorreformatorischen Organisationsstruktur der Universität Leipzig“ (S. 458) gekennzeichnet, obwohl sich dies bisher wenig in der universitären Forschungsliteratur widerspiegele.

Nachdem im ersten Teilband einleitend der Literatur- und Forschungsstand sowie die Methodik (S. 15–46) erörtert und die Kollegien an den europäischen Universitäten im späten Mittelalter und in vorreformatorischer Zeit (S. 47–93) vorgestellt werden, um zu einer klaren begrifflichen Klassifizierung der verschiedenen Kollegienformen zu gelangen und die Spezifik des Magisterkollegs in Mitteleuropa darzulegen, beschreibt die Autorin erstmals ausführlich den eigentlichen Stiftungsprozess und die Fundierung des collegium maius und des collegium minus (ab 1456 collegium princeps) durch die wettinischen Landesherren als Kollegien „offiziellen“ Typs und des „privat“ gestifteten collegium beatae Mariae virginis (S. 95–175).

In diesem Kontext wird zeitlich zurückgreifend auch auf die Geschichte der Prager Universität eingegangen, deren Verfassung behandelt und die Konflikte zwischen den Nationen an der Carolina geschildert, die zur Sezession von geschätzten circa 500–800 Teutoni führten, den Angehörigen der drei nichtböhmischen Universitätsnationen, worunter sich „wohl komplett auch die Schlesier und Preußen“ befanden (S. 96–111). Nach der Ankunft zahlreicher Prager Magister in Leipzig im Sommer und Herbst des Jahres 1409 wurde eine schnelle Lösung für deren Unterbringung und finanzielle Erstsicherung gefunden. Am Ende dieses spätestens im August konkret ausgestalteten Prozesses stand der formale Gründungsakt der beiden landesherrlichen Kollegien. Die wettinischen Markgrafen und Brüder Friedrich IV. (I.) (1370–1428) und Wilhelm II. (1371–1425) legten in der am 2. Dezember 1409 in ihrer Anwesenheit verlesenen Ordnung (ausführliche Vorstellung derselben S. 126–141) zunächst die inneren Strukturen und äußeren Rahmenbedingungen der Kollegien fest, etwa die Anzahl der Kollegiatenstellen auf 20 für 19 Artistenmagister und einen Doktor der Theologie (zwölf fielen an das große, acht an das kleine Kolleg), oder deren gleichmäßige Verteilung auf die vier ebenfalls festgeschriebenen Universitätsnationen, was im Vergleich zu anderen Universitäten eine Neuerung darstelle. Genauere Vorschriften, beispielsweise zu den Rechten und Pflichten der Inhaber akademischer Ämter (Dekan, Rektor, Kanzler) oder dem beständigen Unterhalt der Kollegiaten, wurden erst in den folgenden Jahren 1438 und 1502 von landesherrlicher Seite bzw. unter Beachtung der spezifischen Erfordernisse durch die Kollegiaten selbst erstellt. Die Betrachtungszeit für die beiden landesherrlichen Stiftungen endet im Wesentlichen im Jahr 1539, da durch die Einführung der Reformation der Leipziger Universitäts- und Lehrbetrieb derart tiefgreifend umgestaltet wurde, dass dies von der Autorin „in […] Summe sogar als ‚Neugründung‘ der Leipziger Alma mater bewertet“ wird (S. 431). Auch wenn in der neuen Universitätsordnung von 1580 an den Kollegien grundsätzlich festgehalten wurde, enthielten die neuen Statuten der Kollegien wesentlich veränderte Bedingungen, die in einem Ausblick „Bedeutungswandel der Leipziger Magisterkollegien im 16. Jahrhundert“ angerissen werden (S. 431–434).

Anders gestaltete sich die Gründung des Liebfrauenkollegs. Das auf Planungen einiger schlesischer Magister und Doktoren der polnischen Nation noch an der Universität Prag zurückgehende Kolleg erhielt nach einer langen, die inneren Verhältnisse sukzessive gestaltenden Gründungsphase 1422 die offizielle Bestätigung durch Friedrich IV. und damit die rechtliche Gleichstellung mit den beiden landesherrlichen Stiftungen mit sechs Kollegiaturen. In diesem Teil weitet die Autorin den Betrachtungszeitraum zugleich bis zur Umwandlung des Kollegs in eine allgemeine Stiftung im Jahr 1937 aus, in dem sie die verschiedenen letztlich gescheiterten Translationsvorstellungen und -versuche an eine schlesische Universität beschreibt (S. 175–191). Diese Möglichkeit ging auf den Charakter dieser privaten Stiftung zurück, die im Gegensatz zu den beiden landesherrlichen Kollegien der Universität Leipzig nicht inkorporiert war, obgleich sie dieselben Rechte und Freiheiten innerhalb dieser und gegenüber der Stadt besaß.

Hervorzuheben ist, dass die Universität Leipzig im universitären Vergleich über die meisten Magisterkollegien verfügte, die zudem bei den obrigkeitlichen Stiftungen als auffällig großzügig, zunächst vollständig aus Mitteln der wettinischen Landesherren dotiert beschrieben werden. Den Grund für die Errichtung zweier Magisterkollegien „offiziellen Typs“ sieht die Autorin vor allem auch in der „bewußten Fortführung der alten Prager Verhältnisse“ (S. 138).

In den beiden folgenden Kapiteln werden gemäß den mehrschichtigen Bedeutungsebenen, die dem Kolleg als Stiftung – und somit auch den Magisterkollegien – zugeschrieben werden, die sozialen, ökonomischen, religiösen und räumlichen Gegebenheiten der Leipziger Magisterkollegien ausführlich dargelegt. Unter den Überschriften „Rechtsnorm und Lebenspraxis“ (S. 193–329) charakterisiert Beate Kusche die Lebens- und Rechtsbereiche der Magisterkollegien als Personenverbände. Um dies leisten zu können, hat die Autorin erstmals versucht, „die Personen, die im Untersuchungszeitraum […] eine Stelle in den Magisterkollegien […] innehatten oder im Zusammenhang mit einer Anwartschaft auf eine Kollegiatur genannt werden“ (S. 471) mittels Biogrammen so umfassend wie möglich zu erfassen, wobei das Augenmerk nicht auf einer prosopografischen „Totalerfassung“, sondern auf dem akademischen Lebensweg im Umfeld der Kollegien bzw. der Universität liegt. Dazu wurden „sämtliche zur Verfügung stehenden Quellen aus der Überlieferung der drei Magisterkollegien sowie Quellen mit prosopografischem Material aus dem Bereich der Universität und der Stadt Leipzig“ (S. 477) ausgewertet und weiteres Quellenmaterial punktuell herangezogen. Ergebnis dieses Unterfangens sind 206 namentlich erfasste Mitglieder der Leipziger Magisterkollegien von 1409 bis 1539, deren einzelne Biogramme dem Leser im zweiten Teilband dieser Dissertation auf mehr als 400 Seiten dargebracht werden (die abweichende Zahl von 211 dargestellten Personen resultiert aus fünf in den Quellen genannten Personen, die wahrscheinlich nie eine Versorgungsstelle erhielten, S. 448). Damit konnten ältere Kollegiatslisten besonders für das Liebfrauenkolleg erheblich erweitert und auch korrigiert werden.

Vor diesem Hintergrund betrachtet die Autorin vergleichend das personelle Gefüge in dem jeweiligen Kolleg, die Beziehungen der Kollegiaten untereinander und nach außen, die Rekrutierungssysteme der drei Magisterkollegien hinsichtlich der Auswahl entsprechender Kandidaten und die Umstände der konkreten Wahlverfahren vor dem Hintergrund der Verflechtung mit den anderen universitären Teilkooperationen, aber auch möglicher außeruniversitärer Einflüsse etwa durch die jeweiligen Stifter. Sie stellt die Umstände des Ausscheidens eines Kollegiaten aus einer entsprechenden Einrichtung bzw. den Wechsel vom kleinen in das große fürstliche Kolleg dar, der nicht zuletzt durch die stark differierende Besoldung (30 gegen 12 Gulden jährlich) gründete. In diesem Teil wird auch die Schilderung möglicher nachfolgender Stiftungen durch die ausscheidenden Kollegiaten behandelt und stets begleitend die Fortentwicklung der Kollegien- und auch Universitätsverfassung thematisiert.

Der Abschnitt 5 „Kollegiengebäude – Äußere und innere Faktoren“ (S. 331–430) bietet dem Leser zunächst eine Übersicht über den ursprünglichen Hausbesitz der drei Kollegien wie auch über dessen weitere Umgestaltung und Entwicklung bis zu den grundsätzlichen Veränderungen in der Reformation, die durch die Übertragung der Räumlichkeiten des Paulinerklosters im Jahr 1543 an die Universität bedingt waren. Mit der Abb. 7 (S. 940) erfahren diese Ausführungen dabei eine etwas statische Visualisierung für den Gesamtzeitraum. Gleichfalls werden in diesem Teil Aspekte des „Alltagslebens“ der Kollegiaten, der sie umgebenden Angestellten wie auch anderer dort logierender Personen und die Beziehungen zur Stadtbevölkerung Leipzigs unter den Stichworten „Wohnrecht und Wohnpflicht“ oder „Magisterzwang und Bursenzwang“ in erster Linie aufgrund normativer Quellen, aber auch aufgrund der ab 1500 geführten Geschäftsbücher oder der Statutenbücher der Kollegien beschrieben (S. 384).

So greifen die einzelnen Abschnitte der gesamten Arbeit immer wieder ineinander. Ein Einstieg ist in jeden Teil an jeder Stelle möglich, ohne dass unbedingt auf vorangegangene Abschnitte zurückgegriffen werden muss. Dies erleichtert sicher eine punktuelle Lektüre, ist allerdings bei umfassender Beschäftigung mit dem Thema mitunter etwas sehr ausführlich. Gleichwohl trägt die hier nur in ihren Grundzügen vorzustellende Dissertation Beate Kusches nicht nur wesentlich zur Darstellung der älteren Leipziger Universitätsgeschichte bei, sie leistet darüber hinaus mit dem gewählten Ansatz auch einen ertragreichen Anteil zur vergleichenden Universitätsgeschichte, auf dem künftige Arbeiten aufbauen können und müssen. Nicht zuletzt wird dem zum Beispiel an Landes- oder Bildungsgeschichte Interessierten vor allem auch aufgrund der zahlreichen Biogramme ein quellenträchtiger Fundus geboten, der jegliches Weiterarbeiten in die entsprechende Richtung dankbar erleichtert und inspiriert.

Der zweite Teilband enthält neben den Biogrammen letztlich auch alphabetische und chronologische Verzeichnisse der Mitglieder der einzelnen Kollegien, soweit diese anhand überlieferter Listen zu erstellen waren (S. 843–877). Auf das Abkürzungs- und Siglen- (S. 878–880) sowie Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 880–927) folgt der Abbildungsteil, der neben den in Vergrößerung und guter Schwarz-Weiß-Qualität gebotenen Siegeln der drei Kollegien aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, verschiedene (im Verhältnis zum Blattspiegel zum Teil etwas klein geratene) Abbildungen der (Teil-) Stadtansichten Leipzigs aus dem 16. bis 18. Jahrhundert darbietet, in denen (bis auf Abb. 10) die Lage der Kollegiengebäude gekennzeichnet wurde. Das im ersten Teilband geschilderte alltägliche Leben der Kollegiaten wird mit bildlichen Darstellungen aus dem Statutenbuch des Freiburger Sapienzkollegs und einem Schmuckblatt aus dem Promotionsverzeichnis der Leipziger Artistenfakultät des Sommersemesters 1521 illustriert (alle Schwarz-Weiß), da derartige Zeichnungen für die Leipziger Kollegien fehlen. Die in allen Teilen überzeugende Arbeit schließt mit einem Personen- und Ortsregister (S. 954–979).

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