M. Mersch u.a. (Hrsg.): Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen

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Titel
Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen. Kulturelle Diversität im Mittelmeerraum des Spätmittelaters


Herausgeber
Mersch, Margit; Ritzerfeld, Ulrike
Reihe
Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 15
Erschienen
Berlin 2009: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
337 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Sanner, Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte, Universität Siegen

Der vorliegende Sammelband ging aus einem internationalen und interdisziplinären Workshop hervor, der 2006 an der Universität Erlangen stattfand. Im Mittelpunkt des Interesses der Teilnehmer standen Zeugnisse aus Kunst, Architektur und auch Texte, die als Indizien und Medien interkultureller Kommunikation angesehen wurden. Der Fokus des Workshops lag hierbei auf Kulturkontakten im Mittelmeerraum des Spätmittelalters. Insgesamt umfasst der Band zehn Aufsätze, von denen acht von Workshop-Teilnehmern und zwei von Autoren verfasst wurden, die nicht an der Tagung teilgenommen hatten.

Am Anfang des Bandes stehen zwei einleitende Aufsätze von Margit Mersch und Ulrike Ritzerfeld. Bei dem Aufsatz von Margit Mersch handelt es sich um eine geschichtswissenschaftliche Erörterung des Titelthemas. Der Mittelmeerraum wird als multikultureller Raum beschrieben, den verschiedene Gruppen gemeinsam besiedelten. Multikulturalität wird als „komplexes Phänomen“ (S. 9) beschrieben: Das Zusammenleben der Religionen und Kulturen war sowohl gekennzeichnet durch ein Nebeneinander und Gegeneinander als auch durch ein Miteinander.

Ulrike Ritzerfeld weist mit ihrem Aufsatz darauf hin, was bei der Untersuchung von Erzeugnissen materieller Kultur alles zu beachten ist bzw. was die Deutung der materiellen bzw. visuellen Zeugnisse so sehr erschwert: Die Erzeugnisse – die uns wichtige „Hinweise auf die inner- und interkulturelle Kommunikation und Grenzbildung vermitteln“ (S. 35) – entstanden und funktionierten in einem komplexen Geflecht spezifischer Bedingungen und persönlicher Interessen (S. 34). Bei einer Interpretation der Kunstzeugnisse sind deshalb die jeweiligen örtlichen oder regionalen sowie die zeitlichen Gegebenheiten, etwa die Verfügbarkeit von Material oder finanziellen Mitteln, die ästhetischen Präferenzen und das spezifische Anliegen des Auftraggebers, die Ausbildung, Erfahrung und Kompetenz des Künstlers oder Handwerkers zu berücksichtigen.

Gerhard Wolf spricht sich gegen eine bipolare Sichtweise in der Kunstgeschichte aus, die sich in einem Ost-West-Denken manifestiert. Außerdem widmet er sich auch dem Königreich Sizilien, welches er als „eine immer wieder zu besetzende, eine appropriierende und transformierende ‚Mitte‘“ (S. 60) zwischen Islam, Byzanz und Okzident betrachtet. Die sizilianischen Herrscher verstanden es, sich der ihnen zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Kulturen und Kunstsprachen bewusst und gekonnt zu bedienen und damit ihre Herrschaft nach außen und innen zu legitimieren.

Maria Georgopoulous geht von einer Entwicklung einer gemeinsamen Ästhetik im Mittelmeerraum aus. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stehen Waren aus Glas und Metall, welche „could introduce novel themes, ideas, and techniques to a place, and could generate an active or passive dialogue between foreign and host cultures“ (S. 64). Begünstigt wurde die Verbreitung dieser Waren, die zuvor in multikulturellen Werkstätten im ‚Osten‘ gefertigt wurden, nicht zuletzt wegen ihres „aesthetic appeal“ (S. 67) und unterschiedlichen Entwicklungen wie der forcierten Handelstätigkeit der italienischen Seerepubliken.

Robert Ousterhout beschäftigt sich mit der Frage, ob es so etwas wie eine byzantinische Heraldik gab. Erst die Verwendung eines Monogramms in Verbindung mit Bildzeichen eröffnete den Byzantinern eine Heraldik im westlichen Sinn. Der Ursprung einer über kulturelle Grenzen hinweg verständlichen, gemeinsamen Bildsprache liegt in der Zeit der Kreuzzüge. Zur Zeit des Kulturkontaktes kam es zu einer „Art wechselseitiger Befruchtung“ (S. 106) bzw. zu einer wechselseitigen Adaptierung von Bildzeichen.

Karin Krause behandelt die Verehrung von aus Byzanz stammenden Reliquien in Venedig. Sie fragt speziell nach der Propaganda, die für die Reliquien – das Holz des heiligen Kreuzes, eine Ampulle mit dem wahren Blut Christi und den Schädel des seligen Johannes Baptist – betrieben wurde. Die Kulte wurden zwar gefeiert, kamen aber gegen den dominanten Markuskult nicht an. Sie waren unpopulär, weil das Heiltum nicht konsequent und wirksam genug beworben wurde.

Bei Annette Hoffmann geht es um interkulturelle Kontakte am Beispiel ausgesuchter Miniaturen aus der in den 1280er-Jahren entstandenen, in ihrer Ausgestaltung dem typischen Bologneser Stil nach französischem Vorbild folgenden Prunkbibel von Gerona. Die Miniaturen zeugen von der Byzanz- und Antikenrezeption des lateinischen Künstlers. Vergleiche lassen sich etwa zwischen in der Prunkbibel und auf Wandmalereien in Kirchenbauten in Thessaloniki abgebildeten Figuren ziehen. Der Meister der Bibel hat die Motive nicht lediglich übernommen, sondern sie sich auch kreativ angeeignet, sodass die Antiken- und Byzanzrezeption Ausgang einer „originären Bildfindung“ (S. 178) waren.

Dietrich Heißenbüttel widmet sich aus philosophischer und kunstgeschichtlicher Perspektive dem interkulturellen Zusammenleben im Königreich Sizilien. Eine eindeutige, klare Trennung dessen, was lateinisch, byzantinisch oder arabisch-muslimisch ist, ist nicht möglich; das erweist nicht zuletzt eine Betrachtung der Bau-, Bild- und Schriftdenkmale aus Bari und Matera, bei denen eine exakte Zuordnung äußerst schwierig sein kann. Die das interkulturelle Zusammenleben im Königreich prägende Komplexität lässt sich am besten mithilfe eines an Foucault orientierten historischen Schichtenmodells beschreiben. Demnach bleibt in der jüngeren Schicht der Geschichte immer etwas von der älteren erhalten.

Ebenfalls Süditalien widmen sich Margit Mersch und Ulrike Ritzerfeld. Am Beispiel der Franziskanerkirche S. Caterina im apulischen Galatina wird die in gemeinsamen Interessen begründete enge Verknüpfung von Franziskanern und der ursprünglich aus dem Westen stammenden Adelsfamilie der Del Balzo Orsini gezeigt. Die künstlerische bzw. architektonische Gestalt der Kirche dokumentiert die Offenheit der Stifterfamilie gegenüber verschiedenen Kunstrichtungen. Eine mit dem Zuzug ‚westlicher‘ Adelsfamilien einsetzende Implementierung ‚westlicher‘ Kunst fand nicht statt.

Zuletzt beschäftigt sich Anne Müller mit der symbolischen Darstellung von Missionsprinzipien der Mendikanten. Die Heidenmission nahm besonders bei den Franziskanern – weniger bei den Dominikanern – einen hohen Stellenwert ein. Das Ziel der Missionsbrüder war es, das Martyrium zu erlangen. Sie erreichten es, indem sie die Muslime provozierend den Tod suchten. Ausgeschmückte Passionserzählungen, insbesondere die Geschichte der fünf angeblich vom Sultan hingerichteten Protomärtyrer, dienten hier als in der Ordenskunst gepflegtes Vorbild für Ordensmissionare. Eine besondere, an die Heiligkeit und das maßstabsetzende Ideal des Martyriums in der Mission erinnernde Funktion hatte auch die bildkünstlerisch umgesetzte Eigengeschichte Legenda minora des Bonaventura, nach der Franziskus bereit gewesen sein soll, vor dem Sultan zur Demonstration seines Glaubens ins Feuer zu gehen.

Schon lange ist nicht mehr nur die kriegerische Begegnung der Kulturen, sondern auch deren Miteinander in Friedenszeiten Thema der Forschung. Sowohl aus schriftlichen als auch aus materiellen und visuellen Quellen wissen wir, dass es auf vielen Gebieten – auch auf denen der Kunst und Architektur – zu interkulturellen Austauschen und Adaptionen kam.1 Der Sammelband lässt sich hier thematisch einordnen.

Der mit einem Orts- und Personenregister versehene Band ist insgesamt als gelungen zu bezeichnen. Die Expertise der Autoren – einige Autoren haben sich im Zuge der Anfertigung von Graduierungsarbeiten intensiv mit ihren Themen beschäftigt – verbürgt die Qualität der Beiträge. Die Mehrzahl der Aufsätze ist verständlich geschrieben, sodass der Band nicht nur für das Fachpublikum, sondern auch für den Laien interessant ist. Dem Verständnis dienlich sind zahlreiche Fotos, die dem Leser die in den Beiträgen beschriebenen Kunstzeugnisse vor Augen führen. Wünschenswert wären eine Berücksichtigung weiterer Begegnungsräume sowie die stärkere Berücksichtigung der islamisch-arabischen Kunst gewesen. Auch hätte dem Band ein abschließendes Resümee gut getan.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa Hubert Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, 2. erg. Aufl., Darmstadt 2010, siehe vor allem S. 120–135.

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