A.-S. Knöfel: Heiratspolitik der Wettiner

Cover
Titel
Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner


Autor(en)
Knöfel, Anne-Simone
Reihe
Dresdner Historische Studien 9
Erschienen
Köln 2009: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
614 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pauline Puppel, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

„Si j’étais le maître de mes actions, je ne voudrais ni l’une ni l’autre. Mais le couteau au gosier et devant absolument en prendre une, je choisirais plutôt la Bavaroise, parce-que au moins a-t-elle de gorge“, schrieb ein Wiener Gesandter über die Brautschau des Erzherzogs. 1763 hatte Joseph von Habsburg sich inkognito mit Maria Kunigunde von Sachsen getroffen, tatsächlich aber heiratete er knapp zwei Jahre später Maria Josepha von Bayern. Nach diesem Eklat war die Wettinerin als abgewiesene Braut dem europäischen Hofklatsch preisgegeben und jeglicher andere potentielle Heiratskandidat verschreckt. Heiratspläne und Anbahnungen, Verhandlungen und Absprachen waren ein hochsensibler Bereich der Außenpolitik, dessen Bedeutung für den dynastischen Verband bereits im 15. Jahrhundert bekannt war. „Tu felix Austria nube“, soll Matthias Corvinus über seinen Gegner Friedrich III. von Habsburg gesagt haben, als es dem Haus Habsburg durch die glückliche Heiratspolitik gelang, seinen Herrschaftsbereich zu vergrößern.

Knöfel analysiert die Heiratsstrategien der Wettiner von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs; sie nimmt 306 Vermählungen – nämlich 102 bei den Albertinern mit 118 heiratsfähigen Familienmitgliedern und 204 bei den Ernestinern mit 266 heiratsfähigen Familienmitgliedern – in den Blick, um die Positionierungsstrategien der Dynastien im Koordinatensystem der europäischen Hochadelsgesellschaft nachzuweisen. Mit der Gegenüberstellung des Konnubiums der beiden Hauptlinien ermöglicht die Verfasserin Aussagen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der wettinischen Heiratspolitik, die für innerdynastische wie außenpolitische Beziehungen essentiell war. Nach dem Prinzip der europaorientierten Landesgeschichte entwirft Knöfel das Panorama des wettinischen Verwandtschaftsnetzwerks und zeigt die Motivkonstellation der frühneuzeitlichen Mächtepolitik auf.

Um ihre Thesen optimal zu stützen, hat Knöfel mehrere Quellengattungen herangezogen. Neben textlichen Quellen wie Korrespondenzen und Selbstzeugnissen, Verträgen und Hausgesetzen hat sie bildliche Quellen wie Stammtafeln, Wappen, Hochzeitsgemälde und Vermählungsmedaillen ausgewertet.

Knöfels Studie, die einen großen Beitrag zur interdisziplinären vergleichenden Dynastieforschung liefert, ist in zwei Teile gegliedert. An die umfangreiche Einleitung, in der das methodische Vorgehen ebenso detailliert wie der Forschungsstand erläutert wird, schließt sich der erste Teil an, der den Aspekten der adeligen Familienpolitik gewidmet ist und mit einem systematischen Überblick über die Eheschließungen endet. Bevor im zweiten Teil der Studie auf den Aufbau der verwandtschaftlichen Netzwerke näher eingegangen wird, klärt die Verfasserin Begrifflichkeiten und legt die Konstanten Fertilität und Mortalität ebenso wie die Problematik der zeitlichen Abgrenzung der Heiratspolitik offen. Schlüssig arbeitet sie heraus, dass im dynastischen Prestigekampf Erbverbrüderungen und Friedensschlüsse gleichermaßen wie Aspekte der Religionspolitik eine tragende Rolle spielten. Mit Anke Hufschmidt sollte jedoch eher von „konfessionsverschiedenen Ehen“ statt von „Mischehen“ (S. 75) gesprochen werden.1

Im zweiten Teil stellt Knöfel die Familiennetzwerke der Albertiner und der Ernestiner vom Spätmittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vor. Zur Kontextualisierung beleuchtet sie die Vorgeschichte und den Handlungsrahmen. Den einleitenden Erläuterungen folgen geographisch und chronologisch aufgebaute Unterkapitel, die drei Phasen wettinischer Heiratspolitik analysieren (protestantische Phase 1539-1697, sächsisch-polnische Union und Retablissement 1697-1806, Königreich Sachsen 1806-1918). Die strategischen Überlegungen waren zunächst auf die Partner im Schmalkaldischen Bund und im Corpus Evangelicorum sowie auf die Konkurrenten ausgerichtet. Dann orientierten sich die nunmehr katholischen Albertiner nach Süden, wohingegen die protestantischen Ernestiner zunächst dem konfessionsgleichen Heiratskreis treu blieben, bis sie im 19. Jahrhundert als „Gestüt Europas“ weit über die Grenzen hinaus in die europäischen Herrscherhäuser von Russland über den Balkan bis nach Nordwesteuropa und auf die Iberische Halbinsel Verbindungen knüpften. Knöfel zeigt auf, dass die wettinische Ehediplomatie an vier Leitmotiven orientiert war: Bündnisse, Tradition, Deszendenz und Erbanwartschaft. Sie unterstreicht die herausragende Bedeutung der ehelichen Verbindungen mit den reichsadeligen und den europäischen Dynasten und weist nach, dass die Wettiner keine langfristige Strategie verfolgten, um zur Hegemonialmacht aufzusteigen, sondern dass aufgrund der vielfältigen Erbteilungen und Abspaltungen die erheirateten Territorialgewinne nicht zu einem Machtzuwachs führten. Knöfels Einschätzung der zweigeteilten Aufgabenbereiche in den männlich-öffentlichen und den weiblich-privaten Bereich ist jedoch insofern diskutabel, als sie selbst konstatiert, dass die politisch brisante Aufgabe der Heiratsvermittlung von den Fürstinnen ausgeübt wurde (S. 60).

An die präzise Zusammenfassung schließt sich ein umfangreicher Anhang mit Quellenauszügen, Karten und Stammtafeln, Tabellen und Statistiken an. Hingegen fehlt leider ein Personenindex.

Die insgesamt gut lesbare Studie bietet nicht nur Einblick in die Allianzstrategien der Wettiner, im „Schmelztiegel der frühneuzeitlichen Politik“ (S. 2) durch sorgsam gewählte Ehepartner zu bestehen; sie vermittelt nicht nur entlang der projektierten und realisierten Ehen die Hintergründe und Veränderungen des wettinischen Heiratsnetzwerks, das als Abbild der Außenpolitik sächsischer Fürsten zu lesen ist. Die Untersuchung regt darüber hinaus auch die Erforschung zahlreicher angrenzender Themengebiete der sächsischen Landesgeschichte sowie der Netzwerkforschung und der Geschlechtergeschichte an. Insbesondere aber die Rolle und Bedeutung der nicht verheirateten, sondern in den geistlichen Stand eingetretenen Familienmitglieder für die Politik der Dynastie bedarf einer angemessenen Untersuchung. Die 1763 düpierte Sächsin wurde als Äbtissin des Damenstifts Essen eine der angesehensten Fürstäbtissinnen des Heiligen Römischen Reichs.

Anmerkung:
1 Vgl. Anke Hufschmidt, „Den Krieg im Braut-Bette schlichten“. Zu konfessionsverschiedenen Ehen in fürstlichen Familien der Frühen Neuzeit, in: Jens Flemming u.a. (Hrsg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse, Kassel 2004, S. 333-355.