Cover
Titel
Caesar und Labienus. Geschichte einer tödlichen Kameradschaft. Caesars Karriere als Feldherr im Spiegel der Kommentarien sowie bei Cassius Dio, Appianus und Lucanus


Autor(en)
Schulz, Meinhard-Wilhelm
Reihe
Spudasmata 131
Anzahl Seiten
X, 476 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Fündling, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Schon während der Arbeit an seiner Dissertation 1 hat der Autor sich für die Rolle von Caesars Kommandeuren in den fünf Werken des Corpus Caesarianum interessiert; das Ergebnis ist die vorliegende Studie. Sie verfolgt erstens die Art und Häufigkeit, in der die genannten Quellen die Legaten und Präfekten als Akteure zeigen; zweitens geht es um die im Untertitel angesprochene Entwicklung des militärischen Könnens bei Caesar selbst. Beides trifft sich in der Figur von Titus Labienus, in dem Schulz den Schlüssel zu Caesars Erfolg sucht; wichtigstes Anliegen des Buches ist „historische Gerechtigkeit“ für Labienus (S. 3), dessen Schicksal bislang „kalte Verachtung“ gewesen sei (S. 335).

Mit dieser Intention sieht sich Schulz in der Nachfolge Hermann Strasburgers, fest überzeugt, es „bis heute“ mit einer Welt von „kritiklos“ gläubigen Caesar-Verherrlichern aufnehmen zu müssen (S. 317; allein der nicht besonders aktuelle Ernst Kornemann wird zitiert: S. 2, Anm. 1). Die eigentliche Untersuchung eröffnet eine Rezension der einschlägigen Dissertation von Tyrell (S. 7–21);2 neben der breiten Sichtung Caesars und seiner Fortsetzer hat der Durchgang durch Dio (S. 356–411), Appian (S. 413–434) sowie Lukans Pharsalia (S. 435–456) den Charakter eines bloßen Anhangs. Eine Begründung der Quellenauswahl – warum nicht auch Velleius Paterculus oder Plutarch? – fehlt ebenso wie ein Versuch, die Überlieferungswege zu klären; die schon augusteische Kritik an den Bürgerkriegsgegnern (vgl. nur Verg. Aen. 6,826–835) wird dabei allein Dio persönlich in Rechnung gestellt (S. 391). Quellenkundliche Fragen reduzieren sich auf die in Schulz’ Sinn korrekte Wiedergabe des Corpus Caesarianum; Eigengut des Autors ist „ganz nett, aber nicht unser Thema“ (S. 413). Erstellt werden Mängellisten über das, was die Getadelten im Idealfall hätten berichten sollen, wenn sie Schulz’ Prioritäten geteilt hätten. Dio, „dieser Mann der Toga“ (S. 378; vgl. 411), „gehörte einer Senatoren-Generation an, die sich lieber in der Sänfte herumtragen ließ“ (S. 369) – vom Kasinoton abgesehen ließe sich durchaus Konkreteres über ihn sagen.

Bliebe Schulz im Dialog mit der Sekundärliteratur, wäre dieser Hang zu Pauschalurteilen lediglich irritierend. Tatsächlich machen solche Tiraden das Gros der Arbeit aus; dass überhaupt auf eine andere Darstellung verwiesen wird, ist rar, selbst die Parallelquellen fehlen weithin. Der Gallische Krieg spielt sich auf einem fernen Planeten ab. Einzelpersonen werden in keinerlei Kontext gesetzt, der über die behandelten Passagen sowie verkürzt nacherzählte Lexikonartikel hinausginge; im Index erscheinen sie meist ohne vollständige Eigennamen. Prosopographische Standardwerke fehlen sogar im Literaturverzeichnis – und neben ihnen auch der aktuelle Forschungsstand gerade zu den Randfiguren bei Caesar.3 Der angeblich rätselhafte König Kotys etwa (S. 251: „Nicht einmal Dio kennt ihn.“) wäre durch einen Blick in den „Neuen Pauly“ (Kotys I 5) zu identifizieren gewesen.

Eher schlimmer präsentiert sich das Grundlagenwissen. So befördert Caesar Labienus angeblich zum „Range eines Imperators“, dem „nur noch die Akklamation ‚seiner‘ Soldaten“ fehle, „um den ‚Imperator-Titel‘ auch tragen zu dürfen“ (S. 129; vgl. S. 216, Anm. 218). Darunter steht der ebenso imaginäre „Rang eines Generals“ (S. 254); konkurrierend erscheint anderswo die Praetur als „zweithöchste[r] Rang der römischen Armee“ (S. 34). Wendet Caesar sich vom Erobern ab und seinen Pflichten als Richter und Administrator zu, kassiert er den Vorwurf, er hetze die Gallier zur Revolte auf (S. 115). Umgekehrt ist man „in den Weiten des wilden Gallien“ zu primitiv, um Caesars Einfluss in der Hauptstadt zu beobachten (S. 117); andererseits ahnt „die Masse“ der Gallier angeblich voraus, dass sie demnächst zu römischen Bürgern wird, und verhält sich passiv (S. 172, Anm. 153).

Schulz’ beachtliche Textkenntnis verbraucht sich in einer unablässigen Serie verbaler Rippenstöße: Kursivsetzungen, Ausrufezeichen, empörte oder spöttische Glossen. Im Grunde liest man ein lautes Selbstgespräch mit. Manche kryptischen Bemerkungen scheinen ohnehin für den Privatgebrauch gedacht (S. 103, 196, 225 u. 396). Ähnlich die Werturteile: Caesars Legaten sind fast durchweg „solide, devote, mittelmäßige, glanzlose Befehls-Empfänger“ (S. 98), darunter ab und zu ein „Feigling“ (S. 165, vgl. 416). Die leuchtende Ausnahme ist „Labienus, dieser wunderbare Kamerad“ (S. 54), „dieser sieggewohnte“ (S. 175), „stets so besonnene und stocknüchterne alte Soldat“ (S. 244). Gegenfigur ist Caesar, „ein (tragisch veranlagter) Mensch, der nicht und nie und nirgendwo verlieren kann“ (S. 79), der seinen „psychotische[n] Hang zum Massaker“ (S. 77, Anm. 48) auslebt und jahrelang Kapitalfehler begeht, bis er nach wiederholter knapper Rettung durch Labienus endlich „vor, bei und um Alesia“ erstmals militärisches Talent zeigt (S. 149), weil er in der „Labienus-Schule“ (S. 362, Anm. 367; vgl. 97) seine Lektion gelernt hat, wie wichtig das Zusammenwirken von Kavallerie und Legionen ist. Labienus habe es seinerseits unerträglich gefunden, formal der Zweite hinter Caesar zu sein, und umgekehrt durch zu viel Tüchtigkeit dessen Neid geweckt; hieraus sei „die Tragödie ihrer tödlichen Hass-Kameradschaft“ erwachsen (S. 1; vgl. 351–353 u. 376): „Hätte ihre Freundschaft Bestand gehabt, wäre die römische Geschichte ganz anders verlaufen“ (S. 181). Labienus tritt auf dem „geraden und aufrechten Weg des Soldaten“ (S. 352) den Ambitionen Caesars bis zum „Heldentod“ (S. 5 u. 30) entgegen, wonach den Caesargegnern nur noch die Option „des heimtückischen Mordes“ (S. 378) bleibt. Selbstzweifel fehlen; an die Adresse Theodor Mommsens ergeht dafür der bescheidene Vermerk, dieser habe seinen Caesar „nicht lange und nicht gründlich genug“ gelesen (S. 20, Anm. 9), so wie „sämtliche modernen Althistoriker“ ebenfalls Caesars genialer „Leser-Lenkung zum Opfer gefallen sind“ (S. 371).

Zur Interpretation tritt eine exzentrische Darstellungsweise, die viel Gewicht auf persönliche Lebenserfahrung legt. Der geringste Anlass provoziert Belehrungen rund ums Pferd – dass es nachts durch Autoscheinwerfer leicht zu blenden ist (S. 141, Anm. 117), tut wenig zur Sache, da Vercingetorix über diese Wunderwaffe nicht verfügte. Das „reiterliche“ Element des Krieges („Endlich kommt es wieder einmal zu einer zünftigen Reiterschlacht“, S. 163) liegt Schulz so am Herzen, dass sich sein Unmut, wenn ein Kavalleriekommandeur nicht genannt wird, zu ganzen Seiten addiert. Seine strategischen Ratschläge sind für eingefleischte Zivilisten eher suspekt: „Angriff, so heißt es stets zurecht, ist die beste Verteidigung“ (S. 45); das Erwarten des feindlichen Ansturms sei stümperhaft. Andererseits lesen wir: „nach allgemeiner strategischer Theorie ist derjenige im Nachteil, der als erster angreift“ (S. 221) – was tun, Hannibal?

Vollends einer wilhelminischen Lokalzeitung entnommen wirkt jene Diktion, die Kombattanten „von Fortuna lächelnd zur größten Armee abberufen“ werden lässt (S. 30; vgl. 78) oder Numidiens König Iuba „in sein sonnendurchglühtes Reich“ heimschickt (S. 226). Im „grüne[n] Tal des rauschenden Sabis“ waten zu allem bereite Römer durch „den unter den genagelten Stiefeln aufschäumenden Fluss“ (S. 48), den sich Curios „unter eisernen Pfunden ächzende Legionäre in der flimmernden afrikanischen Hitze“ herbeigewünscht hätten (S. 224; vgl. 304). „Und schon schmettern lustig die Trompeten und Hörner ihr Lied.“ (S. 132) Großzügig ist Schulz mit den Komplimenten „oberlehrerhaft“ (S. 319 u. 345) oder „schulmeisterlich“ (S. 202): gewagter Spott aus einem Mund, der mit Fleiß von „Appianos“ (außer im Titel) und „Plutarchos“ spricht, die zeitgenössische Aussprache von Caesarem vordoziert (S. 132) oder für Fortgeschrittene kleine lateinische Bemerkungen einstreut (etwa S. 97, 253 oder 285, Anm. 11).

Unter diesem Schutt begraben liegen wichtige Verweise auf Ungereimtheiten bei Caesar, etwa die Darstellung des P. Licinius Crassus oder die propagandaverdächtige Geschichte vom Mordanschlag auf Commius (S. 66–69 u. 157–159; vgl. 305f.; 313f.). Dass Labienus’ Aktivitäten zu Caesars Erfolg massiv beigetragen haben müssen, ist glaubhaft genug. Trotzdem kann man vor Schulz’ brachialem „Rekonstruktionsversuch“ der kritischen Momente bei Alesia (Caes. bell. Gall. 7,86,5–88,3) nur zurückschrecken, der sich seinen Text einfach selber macht. Gerade wer Passagen als poetisiert anzweifelt (S. 83–89, 98 u. 214–227), darf die Quelle nicht hermetisch vom Rest der Literatur abschließen – die Weigerung Curios, sich retten zu lassen (Caes. bell. civ. 2,42,3), erinnert bis ins Detail an Aemilius Paullus bei Cannae (vgl. Liv. 22,49,6–13), so wie die Positiv-Negativ-Stilisierung zweier Kommandeure bis auf Thukydides’ Darstellung der athenischen Feldherren vor Syrakus zurückgehen dürfte. Schulz ist Gefangener seiner Lieblingsgedanken geblieben; der Durchbruch vom Monolog zur Wissenschaft bleibt leider auf ganzer Linie aus.

Anmerkungen:
1 Meinhard-Wilhelm Schulz, Caesar zu Pferde. Ross und Reiter in Caesars Kommentarien und in der Germania des Tacitus, Hildesheim 2009.
2 William B. Tyrell, Military and Political Career of T. Labienus, Diss. University of Washington 1970.
3 Neben Thomas Robert S. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic, New York 1951–1960 fehlen unter anderem die Standardwerke Jaakko Suolahti, The Junior Officers of the Roman Army in the Republican Period, Helsinki 1955; Timothy P. Wiseman, New Men in the Roman Senate 139 B.C. – A.D. 14, Oxford 1971; Erich S. Gruen, The Last Generation of the Roman Republic, Berkeley 1974.

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