O. Wischmeyer (Hrsg.): Lexikon der Bibelhermeneutik

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Titel
Lexikon der Bibelhermeneutik. Begriffe-Methoden-Theorien-Konzepte


Herausgeber
Wischmeyer, Oda
Erschienen
Berlin 2009: de Gruyter
Anzahl Seiten
LXX, 695 S.
Preis
€ 169,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Jordan, Historische Kommission, Bayerische Akademie der Wissenschaften

Ein Lexikon ist ein nützliches Buch, denn es enthält in der Regel kurze, mitunter normative, häufig überblicksartig angelegte Artikel mit Informationen etwa über Personen, Dinge, Ereignisse oder Strukturen. Ein wirklich gutes Lexikon bietet aber noch mehr: Es gibt in der Summe seiner Beiträge eine Definition seines Gegenstands ab, umreißt dessen Grenzen und lässt alte und neue Sichtweisen auf ihn erkennen. In diesem Sinn ist das von einem elfköpfigen Arbeitskreis seit dem Jahr 2005 auf mehreren Tagungen entwickelte und von der Erlanger evangelischen Neutestamentlerin Oda Wischmeyer herausgegebene „Lexikon der Bibelhermeneutik“ ein wirklich gutes Lexikon. Denn der in dem Band verwirklichte Anspruch des Arbeitskreises bestand nicht allein darin, ein Sachwörterbuch zur biblischen Exegese und ihrer Methodik vorzulegen. Erklärtes Ziel war es vor allem, mit dem Lexikon die „Entwicklung, Realisierung und Präsentation einer textbasierten, transdisziplinären Konzeption von Bibelhermeneutik“ vorzustellen (S. XV).

Hintergrund des ambitionierten Projekts ist die Feststellung, dass die Bibelhermeneutik in den letzten 200 Jahren zu einem fast ausschließlichen Spezialgegenstand der Theologie geworden ist und nur noch bedingt von textbezogenen Nachbarwissenschaften mitbetrieben wird. Diese Isolierung gelte es aufzuheben, um die Disziplin um jene methodischen Ansätze zu bereichern, die in den Geistes- und Kulturwissenschaften – vor allem während des „Linguistic Turn“, den Debatten um eine diskurstheoretische Intertextualität und im Zuge des geschichtswissenschaftlichen Aufbruchs hin zu einer stärker auf sprachliche und außer-sprachliche Repräsentationen konzentrierten „Neuen Kulturgeschichte“ – entwickelt worden sind. Zudem betont Wischmeyer in ihrer Einführung zu Recht, dass es zu kurz gefasst sei, in der Bibel „nur das Buch der Kirchen und Christentümer“ zu sehen und nicht „ein Buch der Menschheitskultur. Bibelhermeneutik wird dementsprechend nicht als philologia et hermeneutica sacra entworfen, sondern als Theorie und Methodik des Verstehens eines bestimmten eminenten Textcorpus und seiner Auslegungsliteratur“ (S. XXI). Die Bibel könne „nicht den Kirchen im Sinne der Ausschließlichkeit eines Besitzes ‚gehören’“ (S. XXVI).

Wischmeyers Angebot zu einer Arbeit an einer „transdisziplinären Bibelhermeneutik“ haben 311 renommierte Autorinnen und Autoren aus den Bereichen Theologie und Religionswissenschaften, Philologien und Sprachwissenschaften, Medien- und Kulturwissenschaften, Philosophie, Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte angenommen. Aus ihrer Feder stammen Artikel bzw. Teilartikel zu insgesamt 212 Stichwörtern mit einer jeweiligen Länge von zwischen zwei und zwanzig Spalten. Trans- und nicht interdisziplinär sind die Artikel deshalb, weil darauf verzichtet wurde, die Ansätze der verschiedenen Wissenschaften in einer Synthese zusammenzuführen. Vielmehr setzen sich die einzelnen Artikel in der Regel aus Teilartikeln zusammen, die das betreffende Lemma aus der Perspektive einer bestimmten Wissenschaft darstellen und jeweils mit speziellen Bibliographien versehen sind. So besteht beispielsweise der Haupteintrag „Bibel“ aus einer allgemeinen Einführung, an die sich Teilartikel zum alt- und neutestamentlichen, zum kirchengeschichtlichen, zum systematisch-theologischen, zum judaistischen, zum islamwissenschaftlichen, zum altphilologischen, zum textlinguistischen, zum literaturwissenschaftlichen und zum philosophischen Bibelbegriff anschließen. Dem Leser wird also nicht gesagt, was ‚die Bibel’ ist, sondern was im Kontext der verschiedenen Wissenschaften unter ‚Bibel’ verstanden wird. Der Aufbau der Artikel lädt damit zur komparatistischen Lesart zwischen den einzelnen Deutungen ein, aus der sich ein weites Begriffsfeld eröffnet.

Nicht nur aufgrund der durchgehend hohen Qualität der einzelnen Artikel und wegen seines kulturwissenschaftlichen Ansatzes darf der vorliegende Band auf eine breite Aufmerksamkeit über die Theologie hinaus hoffen. Weitere, besonders für Historiker anzuführende Gründe sind zum einen die (wissenschafts-)geschichtliche Anlage der (Teil-)Artikel, die historische Entwicklungsstufen des Begriffsverständnisses zu einem jeweiligen Stichwort in den einzelnen Wissenschaften erkennen lässt, und zum anderen die Auswahl der Lemmata, die weit über das hinausgeht, was der Nicht-Theologe in einem theologischen Lexikon vermutet. Denn neben erwartbaren Artikeln etwa zu „Apokalyptik“, „Glaube“, „Gleichnis“, „Altes“ bzw. „Neues Testament“, „Psalmen“ oder „Wundergeschichten“ finden sich Beiträge über „Cultural Studies“, „Ereignis“, „Erklären“ und „Verstehen“, „Fiktion“, „Geschichte/Geschichtlichkeit“, „Geschichtsschreibung“, „Historismus“, „Historizität“, „Iconic Turn“, „Kulturrelativismus“, „Postkolonialismus“ oder „Zeit“. Sicherlich verhindert der stolze Ladenpreis, dass das „Lexikon der Bibelhermeneutik“ seinen Weg in die Regale all jener Leser findet, die es verdient hätte. Es ist zu hoffen, dass es aufgrund seiner Transdisziplinarität und seiner komparatistischen Anlage in möglichst vielen Bereichsbibliotheken auch jenseits der theologischen Fakultäten bereitgestellt und hoffentlich bald in einer preiswerteren Studienausgabe vorliegen wird.

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