: The Curse of Ham in the Early Modern Era. The Bible and the Justifications for Slavery. Aldershot 2009 : Ashgate, ISBN 978-0-7546-6625-7 217 S. $ 95.00

: Sklaverei und Unfreiheit im Naturrecht des 17. Jahrhunderts. . Hildesheim 2009 : Olms Verlag - Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, ISBN 978-3-487-13719-3 IX, 337 S. € 58,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Schiel, Historisches Seminar, Universität Zürich

Wie genau vollzieht sich die Transformation gesellschaftlicher Werte und Vorstellungen, und wie lässt sich ein solcher Wandel am besten beschreiben? Im Jahr 2009 sind zwei Bücher erschienen, die sich mit diesen Grundfragen historischer Forschung am Beispiel frühneuzeitlicher Einstellungen zu Sklaverei beschäftigen. Beide Arbeiten nehmen den transatlantischen Sklavenhandel zwischen Europa, Afrika und Amerika in den Blick und fragen aus ideengeschichtlicher Perspektive nach dem Wandel von Vorstellungen, Argumentationsmustern und Rechtfertigungsstrategien und deren langfristigen Folgen. So sucht Bernd Franke nach den zentralen Entwicklungslinien eines „modernen“ Freiheitsverständnisses, während David M. Whitford nach den Entstehungsumständen des amerikanischen Mythos vom Fluch des Ham, des Sohns Noahs, fragt. Eine vergleichende Besprechung dieser Publikationen drängt sich also geradezu auf. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch schnell heraus, dass die beiden Monographien in Zugriff und Umsetzung kaum gegensätzlicher sein könnten. Das Buch von Bernd Franke arbeitet in systematischer Weise die sich wandelnden Aussagen zu Recht und Gesetz, Freiheit und Unfreiheit in einer Textgattung (nämlich in Schriften von Naturrechtsphilosophen) heraus. Die Darstellung von David M. Whitford geht dagegen den verschlungenen Interpretations- und Rezeptionswegen einer Bibelstelle (nämlich von Gen. 9,25f.) in verschiedenen Genres (in theologischen Traktaten, bibelexegetischen Abhandlungen, Predigten, Wörterbüchern, Enzyklopädien und historischen Darstellungen) nach. Frankes Untersuchung zielt bei der Beschreibung von Wandel und Entwicklung auf Systematisierung und Verallgemeinerung, während Whitfords Darstellung nach Differenzierung und Individualisierung strebt. Und schließlich bewegt sich Franke mit seiner Untersuchung in klaren disziplinären Grenzen, während Whitford verschiedene Forschungsfelder in einer eng gefassten Frage zusammenführt.

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen erklären sich zunächst einmal aus den jeweiligen Fächertraditionen und Wissenschaftskulturen der beiden Autoren. Bernd Franke legt eine in einem Graduiertenkolleg der Deutschen Forschungsgemeinschaft entstandene, rechtswissenschaftliche Dissertation vor1, während der US-amerikanische Professor für Philosophie und Religion David M. Whitford eine weitere Monographie zum Reformationszeitalter verfasst. Die Besprechung hat also auch dem unterschiedlichen Grad der akademischen Professionalisierung Rechnung zu tragen.

Ausgangspunkt der Dissertation von Bernd Franke ist die Frage, wie die europäischen Naturrechtsphilosophen des 17. Jahrhunderts als Wegbereiter der Aufklärung und „Schöpfer unseres Freiheitsverständnisses die Unfreiheit“ sahen (S. 10f.). Fünf Denker und deren Schriften stehen dabei im Fokus: der spanische Scholastiker Francisco Suárez (1548-1617), der niederländische Moralphilosoph Hugo Grotius (1583-1645), der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588-1679), der deutsche Völkerrechtler Samuel von Pufendorf (1632-1694) und der englische Philosoph John Locke (1632-1704). In chronologisch-systematischer Reihenfolge werden die Schriften dieser fünf Personen zunächst auf die in ihnen enthaltene Rechtslehre allgemein und dann auf ihre spezifischen Aussagen zur Sklaverei hin befragt.

Dabei legt Franke besonderes Augenmerk auf das Verhältnis von Recht und Gesetz. Wie verhielten sich in der Rechtslehre der verschiedenen Denker göttliches Recht, Naturrecht, Völkerecht und positives Recht zueinander? Aus welchen Prämissen und Grundsätzen wurden Gesetze abgeleitet, und auf welches Menschenbild stützte sich das jeweilige Verständnis von Staat und Gesellschaft? Welche Rolle spielte Gott und welche Bedeutung kam jeweils den menschlichen Trieben, der Vernunft und der Moral zu?

Der Zusammenhang zwischen der jeweiligen Rechtslehre und den Einstellungen zu Unfreiheit und Sklaverei erweist sich dabei als höchst komplex. Denn offensichtlich lassen sich aus den verschiedenen Rechtsauffassungen keine klaren Unterschiede im Hinblick auf die Sklaverei-Position ableiten. So erachteten (mit Ausnahme von Grotius) alle von Franke behandelten Autoren Freiheit grundsätzlich als naturgegebenes Gut. Gleichzeitig stand für sie alle – mit Ausnahme von Locke – das Recht auf Freiheit in der Rechtspraxis dort zur Disposition, wo es zumindest als nicht naturrechtswidrig angesehen werden konnte. Sklaverei galt als eine durch Menschenhand geschaffene Einrichtung, die unter bestimmten Umständen als rechtskonform angesehen werden konnte. „Legitime“ Formen von Sklaverei im Sinne des Naturrechts waren für die meisten von ihnen die Selbstunterwerfung, die Versklavung von Kriegsgefangenen, die Unfreiheit als gerechte Strafe für schwere Delikte und die besitzrechtliche Verfügung über die von Sklavinnen geborenen Kinder. Nur John Locke, der das Naturrecht anders als Grotius, Hobbes und Pufendorf nicht aus anthropologischen Annahmen ableitete und Sklaverei lediglich als Alternative zur Todesstrafe und als Folge persönlicher Kriegsschuld tolerierte, nimmt hier eine Sonderrolle ein. Als einen Wegbereiter des Abolitionismus möchte Franke ihn allerdings dennoch nicht verstanden wissen. Die Haltung gegenüber der Sklaverei sei mit Hobbes und Locke gegen Ende des 17. Jahrhunderts „eher totalitärer und radikaler als humaner“ (S. 320) geworden. Auf naturrechtlich-ethischer Ebene hätten sie eine „drastische Verschlechterung der Sklavensituation“ (S. 319) befördert, während bei Grotius und Pufendorf „die Tendenz spürbar“ geworden sei, „die Sklaverei bzw. die Knechtschaft zu humanisieren“ (S. 320).

Ergebnis der Untersuchung ist für Franke dementsprechend, dass das Naturrecht im Verlauf des 17. Jahrhunderts – entgegen der Ausgangshypothese des Buches (S. 8f.) – keinen klaren „Entwicklungsprozess“ durchlief, „an dessen Ende die vollständige Abschaffung der Sklaverei gefordert“ wurde, auch wenn in der Art und Weise der Rechtfertigung „vorsichtige Entwicklungstendenzen“ zu erkennen seien (S. 309). Etwas undurchsichtig bleibt, in welchen Kategorien der Autor misst und wertet, wenn die Philosophie von Thomas Hobbes „auf dem Weg zur Realisierung von Menschenrechten und der Abschaffung und rechtlichen Ächtung der Sklaverei“ als „Rückschritt“ (S. 191) bezeichnet wird und Lockes Naturrecht im Vergleich zu Grotius, Hobbes und Pufendorf aufgrund der darin enthaltenen „Elemente der Scholastik, insbesondere aber auch der griechischen und römischen Stoa“ „traditionell“ (S. 305) anmutet. Die Lektüre erweckt jedenfalls den Eindruck, dass der Untersuchung eine sehr lineare Vorstellung von Wandel und Entwicklung zugrunde gelegt worden ist, welche – und hier spricht natürlich die Historikerin – spezifische historische Entstehungszusammenhänge und Kontexte nicht immer ausreichend berücksichtigt.

Zu bedauern ist, dass Franke die Ergebnisse zu Rechtslehre und Sklaverei-Auffassung der fünf Autoren nicht stärker zueinander in Beziehung gesetzt hat. Stattdessen beschränkt sich der Vergleich im Wesentlichen auf die Anwendung eines jeweils identischen Fragerasters in den fünf Untersuchungskapiteln und die Wiederholung von Kapitelzusammenfassungen in der Gesamtzusammenfassung. So wird der Leser einerseits durch Redundanz unterfordert, andererseits mit der vergleichenden Analysearbeit weitgehend allein gelassen. Zudem hätte der Arbeit eine stärkere Einbettung in aktuelle Forschungszusammenhänge gut getan.

Das, was bei Franke an historischem Kontext und analytischem Querverweis zu kurz kommt, ist in dem Buch von David M. Whitford zu seltener Perfektion gelangt. Die Darstellung überzeugt gerade durch die Art und Weise, in welcher der Autor den Leser über die verschlungenen Wege der Rezeptionsgeschichte führt. Keiner der weit verästelten Gedankengänge läuft ins Leere, immer wieder werden ungewohnte Verbindungen und überraschende Verknüpfungen hergestellt. Dabei präsentiert Whitford ein historisches Verlaufsmodell, das eine attraktive Alternative zu linearen Entwicklungsmodellen darstellt und auch zu der grundlegenderen Frage nach der Darstellbarkeit von historischem Wandel einen wichtigen Beitrag leistet. Auf seiner Suche nach den Entstehungszusammenhängen des amerikanischen Mythos vom Fluch des Ham als Legitimationsbasis für die Versklavung von Afrikanern geht Whitford von der These aus, dass die entsprechende Bibelstelle in Genesis 9,25f. ein „text of opportunity“ (S. 4) sei, um sodann zu zeigen, wie die Verse in wechselnden Wirkungszusammenhängen und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Lesarten zuließen und dabei häufig vollkommen gegensätzliche Wirkungen erzielten: „Genesis 9 became a mirror that reflected back not what the text said but what the interpreter wanted or expected to see.“ (S. 171) Habe Noahs Sohn Ham in der Feudalgesellschaft des Mittelalters in erster Linie als Vater des dritten Standes, das heißt der Unfreien und Leibeigenen, gegolten, so sei sein Name im 18. Jahrhundert von jedermann mit den schwarzafrikanischen Sklaven in Verbindung gebracht worden.

Die erste wichtige Station für diesen Wandel im Bild des Ham vom europäischen Leibeigenen zum afrikanischen Sklaven stellen Whitford zufolge die Commentaria des Annius von Viterbo dar. Annius habe die Geschichte der Nachfahren Hams zwar einerseits in mittelalterlicher Tradition als eine Geschichte von „gods, giants and kings“ gezeichnet; andererseits habe er Afrika aber auch mit Schuld und Sünde in Verbindung gebracht und zu einem Ort der Verbannung gemacht. Der in der Bibel nicht weiter begründete Fluch Noahs gegenüber Hams Sohn Canaan werde bei Annius zu einer Bestrafung Hams für dessen Verhalten während Noahs Trunkenheit im Weinberg (Kap. 3).

Die zweite Etappe in Whitfords Rezeptionsgeschichte bildet der Protestantismus, der neue Fragen an den Text richtete und neue Interpretationen einleitete. Das „Landwirtschaftsnarrativ“ wurde allmählich vom „Schuldnarrativ“ überlagert. Statt zu diskutieren, wie Noahs Weinberg Sesshaftigkeit und Pflanzenbau begründe, gehe es zunehmend um die Frage, wie die Sünde die Sintflut überlebt habe und aus welchem Grund Hams Sohn Canaan verflucht worden sei. Die Konzentration auf die Frage nach Hams Schuld sorgte dabei für Canaans allmähliches „Verschwinden“ aus der Geschichte (Kap. 4) und ermöglichte die Entstehung einer neuen „Curse Matrix“ (Kap. 5). Historiker wie George Best und Mediziner wie Charles White beförderten unter Rückgriff auf Annius von Viterbo und unter neuen soziopolitischen und mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen andere Verknüpfungen. Der Afrikaner wurde zum sexuell pervertierten „Anderen“, seine schwarze Hautfarbe zum sichtbaren Ausdruck für die Sündhaftigkeit Hams und seiner Nachfahren und seine Versklavung zu einer Folge des Fluchs und der göttlichen Strafe. Die Bewohner Schwarzafrikas galten nunmehr einerseits als Bedrohung, andererseits als wichtige Zielgruppe für Mission und Verkündigung.

Enden lässt Whitford seine Herleitung des amerikanischen Mythos von Hams Verfluchung mit dem Kleriker Thomas Newton, der als Bischof von Bristol sein persönliches Konkurrenzverhältnis mit dem englischen Politiker und Philosoph Henry St. John in einer literaturkritischen Kontroverse austrug und in seinen Dissertations on the Prophecies eine „Korrektur“ von Gen. 9,25 forderte: Nicht Canaan, sondern Ham sei verflucht worden (Kap. 6).

Die eigentliche Stärke der Studie liegt zweifellos darin, dass der Autor jeder Versuchung widersteht, aufgedeckte Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten zugunsten pointierter Thesen zuzuspitzen und vorschnell „Schuldige“ zu benennen oder lineare Entwicklungen zu unterstellen. Vielmehr erscheint historischer Wandel als ein höchst vielschichtiger, schwer steuerbarer, nicht-linearer Prozess. So formuliert Whitford: „Many of the men and women discussed in this book did not see themselves as creating a myth of African servitude. Nor did many of them see themselves as justifying the African slave trade. And yet, as they answered other questions, they each contributed to the myth’s lexicon. Over time, that lexicon enabled the myth to become a reality.“ (S. 17) Die Verantwortlichkeiten von Annius von Viterbo, zentralen Figuren des frühneuzeitlichen Protestantismus, George Best, Charles White oder Thomas Newton werden kontextualisiert und differenziert betrachtet, indem stets zwischen Intention und Wirkung, Werk und Rezeption, intentionaler und nicht-intentionaler Handlung unterschieden wird.

Kritisch anzumerken ist lediglich, dass Whitford in seiner Darstellung Südeuropa weitgehend außer Acht lässt. Das amerikanische Bild vom schwarzafrikanischen Sklaven erscheint bei ihm in erster Linie als ein Nebenprodukt angelsächsischer Reformation und Kolonisation. Das Wiederaufleben von Sklaverei-Praktiken in Spanien, Italien und Südosteuropa seit der „Großen Pest“ im 14. Jahrhundert hat jedoch für den transatlantischen Sklavenhandel einen wichtigen Grundstein gelegt und insbesondere die europäische Sprachmatrix zur Sklaverei entscheidend geprägt, wie Steven A. Epstein überzeugend zeigen konnte.2

Die vergleichende Lektüre der Bücher von Bernd Franke und David M. Whitford hat damit vor allem eines gezeigt: Die Betrachtung gesellschaftlicher Vorstellungen von Unfreiheit und Sklaverei in ihrem historischen Wandel erfordert alternative Verlaufsmodelle zu den üblichen linearen Entwicklungsnarrativen. Die allmähliche Verschiebung von Sichtweisen und Zuschreibungen vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen und keineswegs zielgerichtet. Die zugrundeliegenden Zusammenhänge lassen sich nur dann adäquat herausarbeiten, wenn der Betrachter die wissenschaftliche Grenzüberschreitung und den interdisziplinären Dialog wagt. Somit lässt sich zumindest fragen, inwieweit die deutschen Graduiertenschulen von der amerikanischen Wissenschaftskultur in dieser Hinsicht noch etwas lernen können.

Anmerkungen:
1 DFG-Graduiertenkolleg 846 „Sklaverei – Knechtschaft und Frondienst – Zwangsarbeit: Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert“ (Universität Trier). Vgl. <http://www.uni-trier.de/index.php?id=26726> (15.09.2010).
2 Steven A. Epstein, Speaking of Slavery. Color, Ethnicity, and Human Bondage in Italy, Ithaca 2001.

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