Cover
Titel
Spartak Moscow. A History of the People's Team in the Workers' State


Autor(en)
Edelman, Robert
Erschienen
Anzahl Seiten
xiv, 346 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Ganzenmüller, Historisches Institut, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Sporthistoriker wurden lange Zeit als „fans with a typewriter“ diskreditiert, welche die Geschichte eines Vereins oder einer Sportart liebevoll und detailfreudig nacherzählen. Der Anspruch einer modernen Sportgeschichte ist jedoch, neue Perspektiven zu öffnen und Erkenntnisse zu Tage zu fördern, die über ihren engen Untersuchungsgegenstand hinausgehen.1

Robert Edelman wagt in seiner Geschichte von Spartak Moskau den Spagat zwischen beiden Anliegen. Auf der einen Seite ist Edelman begeisterter Anhänger von Spartak. In den 1960er-Jahren hielt er sich als amerikanischer Student in Moskau auf und ließ sich von der Aura des Klubs anstecken. Auf der anderen Seite ist er Historiker und ausgewiesener Kenner der sowjetischen Sportgeschichte.2

In seinem neuen Buch kommen beide Eigenschaften des Autors zum Tragen: er lässt mit großer Empathie die legendären Spiele und Momente in der Geschichte Spartaks Revue passieren und macht den westlichen Leser mit dem Mythos vom „spartakowski duch“, dem Geist Spartaks, vertraut. Edelman will diesen Mythos jedoch nicht reproduzieren, sondern zum Gegenstand seiner wissenschaftlichen Untersuchung machen. Deshalb verknüpft er die Geschichte Spartaks mit den historischen Umbrüchen und gesellschaftlichen Verwerfungen jener Zeit und leistet so einen Beitrag zur sowjetischen Alltags- und Kulturgeschichte, die über eine reine Klubgeschichte hinausgeht.

Die Geschichte wie der Mythos von Spartak Moskau ist zu weiten Teilen durch die Rivalität mit Dynamo Moskau bestimmt – entsprechend erzählt Edelman sie als eine Geschichte der Selbstpositionierung eines Sportvereins und seiner Anhänger vis-à-vis des Regimes. Denn diese Klubs verkörperten unterschiedliche Prinzipien, und ihre Anhänger pflegten diese Gegensätze leidenschaftlich. Die Sportvereinigung Dynamo war 1923 zur physischen Ertüchtigung der Polizeikräfte gegründet worden. Ihr erster Vorsitzender war der Geheimdienstchef Feliks Dserschinski, der wie seine Nachfolger Dynamo leitete und protegierte. Die Wurzeln von Spartak lagen hingegen im Moskauer Arbeiterviertel Krasnaja Presnja, wo die vier Starostin-Brüder einen Klub gegründet hatten, den sie 1936 in Spartak Moskau umbenannten. Dynamo stand also für die Polizei und den Geheimdienst, Spartak hingegen galt als Klub des Volkes, der keine ausgemachte Bindung zum Staat gehabt habe. Dabei vernachlässigt der Mythos, dass auch die Starostins gut vernetzt waren und maßgeblichen Rückhalt von Moskauer Parteifunktionären genossen.

Die späten 1930er- und 1940er-Jahre prägten die Vorstellung von Spartak als einem „anderen“ Verein nachhaltig. Im Jahr 1938 trat Lawrenti Berija an die Spitze des NKWD. Der Georgier war leidenschaftlicher Anhänger von Dynamo Tiflis. Nun saß er der Sportvereinigung Dynamo vor und füllte dieses Amt mit Leidenschaft aus. Er protegierte neben Dynamo Tiflis nun auch Dynamo Moskau und avancierte deshalb zu einem gefährlichen Gegenspieler der Starostins. Aus dieser Konstellation heraus entfaltete sich auch ein Ereignis, das zentral für den Spartak-Mythos werden sollte. Eines der sagenumwobenen Spiele Spartaks trug sich 1938 im Pokalwettbewerb zu. Spartak hatte im Halbfinale Dynamo Tiflis durch ein umstrittenes Tor geschlagen. Tiflis reichte Protest ein, der vom zuständigen Sportkomitee jedoch abgewiesen wurde. Vier Tage später gewann Spartak den Pokal im Finale gegen Stalinez Leningrad. Berija betrieb jedoch die Annullierung des Halbfinales aufgrund des angeblich zu Unrecht gegebenen Tores und erwirkte eine Spielwiederholung. Somit kam es zu jener Kuriosität, dass das Halbfinale nach dem Finale stattfand. Die Spartak-Fans betrachteten diese staatliche Einmischung als eine politisch motivierte Benachteiligung ihres Teams. In einer aufgeheizten Atmosphäre rang Spartak im Wiederholungsspiel Dynamo Tiflis mit 3:2 nieder und verteidigte den bereits errungenen Pokal. Seitdem verklären die Spartak-Fans – und zu einem gewissen Grade auch Edelman selbst – diesen Sieg als einen bravourösen Akt der Unnachgiebigkeit gegenüber der scheinbaren Allmacht des NKWD. Berija rächte sich für diese Niederlage abseits des Fußballfeldes. So nötigte er etwa erstklassige Spieler Spartaks zum Wechsel zu Dynamo Moskau, indem er deren Verwandte verhaften ließ. Und 1942 erwirkte er die Verurteilung der Starostin-Brüder zu zehn Jahren Lagerhaft. Erst nach dem Tode Stalins und der Entmachtung Berijas kamen sie wieder frei und wurden rehabilitiert. Diese Maßnahme trug erheblich zur Popularität Spartaks bei. Fortan galt die Mannschaft bei den eigenen Anhängern als das Team, deren Anführer in den Gulag geworfen worden waren.

Im Zuge der Entstalinisierung schwand der Einfluss der Politik auf den Ligabetrieb. Im Kontext des Kalten Krieges waren nun internationale Wettkämpfe von größerer Bedeutung. Der Fußball stand hier allerdings nicht im Vordergrund, da die Amerikaner auf diesem Feld keine gleichwertigen Gegner waren. Hinzu kam, dass die ideologische Konkurrenz mit Dynamo Moskau in den 1970er-Jahren von einer rein sportlichen Rivalität mit Dynamo Kiew abgelöst wurde. So kann Edelman am Beispiel des Zuschauersports zeigen, wie sich der sowjetische Alltag, in dem selbst die Freizeitkultur ideologisch und politisch aufgeladen war, seit den 1950er-Jahren zunehmend entpolitisierte.

Ein zentrales Thema des Buches ist die Wechselwirkung zwischen dem „Mythos Spartak“ und der breiten Zuschauerunterstützung für die Moskauer Mannschaft. Laut Edelman war der Sport einer der wenigen Bereiche, in denen die Menschen eine Wahlfreiheit besaßen. Man entschied selbst, welche Mannschaft man unterstützen wollte. Spartak-Fan zu sein betrachtet Edelman daher als „a small way of saying „no““ (S. 2). Die Unterstützung von Spartak könne zwar nicht als ein Akt des Widerstandes, aber durchaus als eine Form des Eigensinns gelten: Man identifizierte sich bewusst mit jenem Team, das von der Staatsmacht benachteiligt wurde oder sogar Repressionen zu erdulden hatte. Edelman weist allerdings wiederholt darauf hin, dass diese vermeintliche Distanz zum Regime eine Zuschreibung seitens der Anhänger war. Spartak erhielt von der Gewerkschaft der Lebensmittelindustrie, dem Exekutivkomitee der Moskauer Parteiorganisation und dem Moskauer Stadtsowjet großzügige materielle und ideelle Unterstützung. Aufgrund dieser unspezifischen Kooperationspartner war Spartak jedoch weniger eindeutig zuzuordnen als die anderen Vereine: Dynamo stand für Polizei und Geheimdienst, ZDAK (später ZSKA) für die Armee, Lokomotive für die staatliche Eisenbahn etc. So wurde Spartak auch zum Sammelbecken all jener Moskauer Arbeiter, deren Fabriken keine erfolgreichen Werksmannschaften unterhielten.

Zum „Mythos Spartak“ gehörte auch die Überzeugung, Spartak spiele einen besonderen Fußball. Die Polizei stand für Disziplin, Erziehung und Kontrolle, und so sah angeblich auch der Fußball von Dynamo aus: ein schematisches Abspulen von vorher einstudierten Spielzügen. Spartak verband man hingegen mit Kreativität und Freiheit: Die Spieler bekämen mehr Freiräume, überraschten deshalb mit spontanen Spielzügen und böten einen unterhaltsamen Fußball. Der kreative Angriffsfußball Spartaks korrespondierte mit der Vorstellung von einem Klub des Volkes: „If Football has been a sport in which people tell themselves stories about themselves, then support for Spartak became a means by which fans could imagine themselves as more free than they actually were. Invoking the ideological construct of Spartak spirit, they became convinced of the greater beauty and honesty of their team’s play” (S. 253).

Wer sich für die Geschichte des russischen oder europäischen Fußballs interessiert, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen und sowohl an seiner differenzierten Urteilskraft als auch an den zahlreichen Anekdoten seine Freude haben. Robert Edelman hat eine konzise Geschichte des Klubs geschrieben, er erzählt mitreißend dessen wichtigste Spiele und er beleuchtet mit dem Blick auf die Zuschauer eine Facette der Alltagsgeschichte Moskaus. Und nicht zuletzt versucht Edelman dem „Mythos“ Spartak auf die Spur zu kommen. Hier stößt das Buch allerdings auch an seine methodischen Grenzen. Edelman nutzt seine profunde Kenntnis aller Anekdoten und Narrative, die unter den Spartakanhängern kursieren, zur Rekonstruktion des „Mythos Spartak“. Inwieweit gerade dieser Mythos für die Popularität des Klubs ausschlaggebend war, kann Edelman jedoch empirisch nicht nachweisen. Hier neigt seine Argumentation stattdessen zur Tautologie: Spartak sei aufgrund seines Mythos so beliebt gewesen, dessen Wirksamkeit wiederum an der Popularität des Klubs abzulesen sei. Edelman kann keinen überzeugenden Nachweis für seine These anführen, dass die sportliche Parteinahme für Spartak einer – wenn auch nur symbolischen – politischen Manifestation gleichkam. Für manchen Anhänger mag das durchaus eine Rolle gespielt haben, doch methodisch belastbar lässt sich dies allenfalls für diejenigen behaupten, die eine solche Verbindung selbst hergestellt haben, sei es in Memoiren oder im Gespräch mit dem Autor. Die von Edelman eingangs gestellte Frage, was gewöhnliche Sowjetbürger über das System dachten, in dem sie lebten, lässt sich mittels der bloßen Zuneigung zu einem Fußballklub nur bedingt beantworten.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Olaf Stieglitz; Kirsten Heinsohn; Jürgen Martschukat, Sportreportage. Sportgeschichte als Kultur- und Sozialgeschichte, in: H-Soz-u-Kult, 28.05.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2009-05-001> (28.05.2009).
2 Siehe vor allem seine Darstellung Serious Fun. A History of Spectator Sports in the USSR, New York 1993.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension