J. Good: The Cult of Saint George in Medieval England

Cover
Titel
The Cult of Saint George in Medieval England.


Autor(en)
Good, Jonathan
Erschienen
Woodbridge 2009: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
₤ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Lützelschwab, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Zweifel an seiner Authentizität wurden schon sehr früh geäußert, und das wohl nicht ohne Grund. Denn was war von einem Heiligen zu halten, dessen Vita selbst für das an Wunder gewohnte Mittelalter viele erklärungsbedürftige Elemente aufwies? Der heilige Georg war nicht unumstritten: Seine Legende wurde bereits Ende des 6. Jahrhunderts durch ein pseudo-gelasianisches Dekret, noch schärfer auf dem Konzil von 692, als apokryph zurückgewiesen – zu einem Zeitpunkt also, als die mit Abstand einflussreichste und „wunderbarste“ Legendenfassung noch gar nicht vorlag. Jacobus de Voragine war es, der in seiner Legenda aurea (1263–1273) eine Version vorlegen sollte, in der all das auftaucht, was sich später unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis einbrennen sollte, vor allem Georgs Kampf mit dem Drachen. Georg, aus Kappadozien stammend, soll das Martyrium im späten 3. bzw. frühen 4. Jahrhundert erlitten, noch während der Folter eine Vielzahl von Wundern bewirkt haben und schließlich nicht weniger als drei Mal von den Toten auferstanden sein – so der Bericht der frühesten Passio, deren Inhalt die energische Intervention der Kirche verständlich werden lässt.

Georg war weder englisch noch lagen seine Reliquien in England. Wie er es trotzdem schaffte, zum Landespatron des englischen Königreiches aufzusteigen, zeigt die Untersuchung von Jonathan Good, assistant professor am Reinhardt College (Chirokee County). Der schmale Band tritt nicht mit dem Anspruch an, die Hagiographieforschung zu revolutionieren. Völlig neue Forschungsergebnisse sind mithin nicht zu erwarten. Als gelungen darf freilich das Bemühen gelten, heterogene, in einer Vielzahl zum Teil an entlegenster Stelle publizierter Forschungsansätze und -beiträge aufzuarbeiten, Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden und so den aktuellen status quo der Georgsforschung zuverlässig abzubilden. Die Untersuchung gliedert sich in fünf große Teile, behandelt zunächst das spannungsreiche Verhältnis von Georg, England und Nation (S. 1–20), um danach auf Ursprünge, Entwicklung und die erste Entfaltung des Georgskults in England überzuleiten (S. 21–51). In den folgenden Kapiteln richtet sich der Blick zunächst auf die Bedeutung der Georgsfigur für die englischen Souveräne (S. 52–94), gefolgt von der Darstellung der Georgsverehrung im breiten Volk (S. 95–121). Die nachmittelalterliche Verehrung des Heiligen ist Gegenstand des letzten Kapitels (S. 122–154).

Die früheste Erwähnung, die Georg als specialis protector des Königreichs ausweist, datiert von 1351 – und Good weist zu Recht auf das Besondere dieses Vorgangs hin, hätte doch eine Vielzahl von Heiligen zur Verfügung gestanden, deren Verbindung zum Königreich ungleich enger als diejenige Georgs war. Doch unterscheidet sich die englische Situation in sanctis von derjenigen auf dem Kontinent in einem entscheidenden Punkt: Jedes Teilkönigreich verfügte über eigene (Märtyrer-)Heilige, so zum Beispiel Northumbria über den heiligen Oswald oder East Anglia über den heiligen Edmund – lokale Kulte, deren gesamtenglisches Identifikationspotential begrenzt war. Einzig Edward dem Bekenner kam eine Art regionenübergreifende Ausstrahlungskraft zu. Dass er den Sprung zum Landespatron nicht schaffte, ist dem Umstand zuzuschreiben, dass er stets ein Heiliger der Eliten und einzelner Mönchskommunitäten, insbesondere derjenigen von Westminster, blieb. Thomas Becket, schon drei Jahre nach seiner Ermordung 1170 kanonisiert, kam schon allein wegen seiner Fundamentalopposition zum König für die Position des Landespatrons nicht in Frage. Die Wahl eines Heiligen von außen lag somit nahe. Nachdem der heilige Georg bereits Edward I. Ende des 13. Jahrhunderts zur Legitimierung seiner Kriege gegen Wales und Schottland gedient hatte, griff sein Enkel Edward III. dieses Konzept erfolgreich wieder auf – und das Schlachtenglück schien zu belegen: Der heilige Georg ist mit dem König und seiner Armee. Georgs Funktion als Militärheiliger lässt sich im Westen seit dem 11. Jahrhundert belegen – zuvor galt er dort als exemplarischer Märtyrer und – der Etymologie von geos und ergon sei Dank – als Patron der Landwirtschaft. Diese funktionale Spannbreite verengte sich zunehmend auf das militärische Element. Mit der Verbreitung der Legenda aurea kam ein weiteres Element hinzu: Wenn Georg eine schutzlose, dem sicheren Tod preisgegebene Dame rettet, dann ist dies als eine Form heldenhaften Ritterhandelns zu werten – etwas, was in England im 13. und vor allem 14. Jahrhundert außerordentlich geschätzt wurde. Die englischen Könige ergriffen beherzt die Chance, die sich ihnen bot: Georg konnte in herrschaftsstabilisierender Absicht instrumentalisiert werden.

Auffällig dabei ist, dass es vor allem die erfolgreich regierenden Monarchen waren, die als Georgsförderer in die Geschichte eingingen, während schwache Monarchen in ihrer Georgsbegeisterung auffällig gehemmt wirken. Dieser Befund wird insbesondere mit Blick auf Edward III. und – als Gegenpart – Richard II. eindrucksvoll belegt. Edward I. hatte das identifikatorische Potential des Heiligen als erster konsequent genutzt, als er auf die Lanzenspitzen seiner Fußsoldaten Wimpel mit dem Georgskreuz setzen ließ. Ob dieses Markierungszeichen tatsächlich zu einer Art „democratization“ (S. 54) des Heiligen führte, sei dahingestellt, doch begann zu diesem Zeitpunkt tatsächlich ein Prozess der Vereinnahmung des Heiligen durch die Mitglieder des königlichen Heeres. Um 1300 stand Georg jedenfalls bereits auf einer Stufe mit den beiden wichtigsten Heiligen des Königreichs, Edward und Edmund – und dies nicht nur in Kriegszeiten, was eine Vielzahl von königlichen Schenkungen mit Georgsbezug belegt. Die vom König am Georgstag verteilten Almosen überstiegen bereits 1297 diejenigen aller anderen Heiligenfeste. Die Rolle, die der heilige Georg am Hof, im Militär und im öffentlichen Leben um die Mitte des 14. Jahrhunderts spielte, wurde mit der Gründung des Hosenbandordens durch Edward III. gleichsam institutionalisiert und durch weitere Maßnahmen wie die Aufnahme Georgs in das königliche Siegel flankiert.

Georg als Königsheiliger und Schutzheiliger Englands: Nach Edward III. öffnete sich der Graben zwischen beiden Funktionen, der erst in der Regierungszeit Heinrichs V. ab 1413 wieder geschlossen werden konnte – nicht zufällig im Zuge der Wiederaufnahme von Kriegshandlungen gegen Frankreich. In der Schlacht von Azincourt konnte 1415 so zum ersten Mal der Ruf „In the name of Almyghti God and Saynt George“ erklingen.1

Deutlich wird, dass sich die Georgsverehrung nicht ausschließlich von oben nach unten, sondern auch horizontal, das heißt von der Armee ausgehend, ausbreitete. Die Wertschätzung des Heiligen durch den König ermöglichte eine engere Anbindung des Souveräns an seine Untertanen.

Good untersucht – methodisch nicht unproblematisch – die Popularität des Heiligen im Volk anhand der in Quellen bzw. real fassbaren Kirchenpatrozinien, Bruderschaften und Kunstwerke, darunter Glasfenster und Skulpturen. Deutlich wird hierbei nicht nur, wie populär Georg tatsächlich war, sondern auch weshalb: Seine Präsenz als Krieger und Drachentöter ist erdrückend. Wenn er aber am häufigsten bildlich in Verbindung mit dem heiligen Christophorus dargestellt wird, ist die vom Autor gezogene Schlussfolgerung überzeugend, Georg habe als einer der 14 Nothelfer einen Teil des Aufgabenspektrums des Christophorus okkupiert: Der Kampf gegen den Drachen würde dann für das Wirken gegen die Unbilden des täglichen Lebens, Krankheit und Tod, stehen. Georg zog seine enorme Popularität im breiten Volk jedenfalls nicht aus seiner Stellung als Nationalheiliger, sondern aus seinem Wirken als Interzessor vor Gott.

Good bildet den aktuellen Forschungsstand relativ zuverlässig ab – erfreulicherweise wurden dabei auch die maßgeblichen deutschen Beiträge zur Thematik zur Kenntnis genommen (wenn auch nicht in jedem Falle fehlerfrei zitiert). Auf die Schwierigkeit, zwischen privater Frömmigkeit des Königs und politischer Symbolik trennscharf unterscheiden zu können, wird dabei zu Recht immer wieder hingewiesen. Freilich bieten die englischen Quellen noch sehr viel mehr als Good uns Glauben macht. Allein die noch niemals erfolgte systematische Auswertung der im Archiv von Windsor Castle verwahrten Precentor’s Rolls, Abrechnungen des Küsters der St. George’s Chapel, verspräche einen substantiellen Erkenntniszugewinn in Hinblick auf den liturgisch-zeremoniellen Umgang mit Georg und seinen Reliquien. Letztere wurden immerhin in einer Kirche verehrt, die spätestens zu Beginn des 15. Jahrhunderts neben Westminster Abbey zur zweiten Herrscherkirche Englands aufsteigen sollte. Als weitere Quellengattung harren die zum Georgstag überlieferten, volkssprachigen bzw. lateinischen Predigten ihrer Erschließung. Die 18 Abbildungen (schwarz-weiß) sind zwar gut gewählt, in ihrer Qualität jedoch leider nicht in allen Fällen überzeugend. Hier hätte eine zusätzlich beigefügte CD-Rom sehr gute Dienste geleistet.

Summa summarum: Ein angenehm lesbarer, mit Gewinn zu benutzender Einstieg in die hagiographische Wunderwelt des spätmittelalterlichen England und die besondere Rolle, die dem heiligen Georg darin zukam. Good liefert damit einen soliden Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen.

Anmerkung:
1 Friedrich W. D. Brie (Hrsg.), The Brut or the Chronicles of England, Bd. 2, London 1908, S. 378.

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