K. Dröge u.a. (Hrsg.): Museum revisited

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Titel
Museum revisited. Transdisziplinäre Perspektiven auf eine Institution im Wandel


Herausgeber
Dröge, Kurt; Hoffmann, Detlef
Reihe
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Thiemeyer, BMBF-Projekt wissen&museum, Marbach am Neckar

Lange Zeit war die Museumsanalyse und Ausstellungskritik ein Feld der Praktiker, die in Museen ausgebildet wurden und arbeiteten. Inzwischen erfolgt der Zugang zum Museum zunehmend über museumsbezogene Studiengänge an Hochschulen in Berlin, Graz, Leipzig oder Oldenburg, die ihre Studenten praktisch wie theoretisch mit dem Museum vertraut machen. Eine dieser Hochschulen hat nun, unter der Herausgeberschaft von Kurt Dröge und Detlef Hoffmann und dem Titel „Museum revisited. Transdisziplinäre Perspektiven auf eine Institution im Wandel“ im transcript-Verlag einen Sammelband herausgegeben. Er vereint Zusammenfassungen von 30 Masterarbeiten, die in den Jahren 2002 bis 2009 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Studiengang „Museum und Ausstellung“ entstanden sind. Sie sollen Erfahrungen der praktischen Museumsarbeit darstellen und exemplarische Einsichten in einzelne Museen, Ausstellungen oder verwandte museale Themen vermitteln.

Die Zusammenstellung der verschiedenen Beobachtungen und Analysen dient dem Zweck, die mutmaßlich neue Museumswelt zu vermessen, die sich seit den 1970er-Jahren entwickelt hat. Denn es gebe, so die einleitende These der Herausgeber, eine Dichotomie zwischen alter Museumswelt – dem „Elfenbeinturm“ als Ort der Eliten mit stark disziplinärer Trennung und wenig Außenwirkung – und neuer Museumswelt – der „Fußgängerzone“, die Kultur für alle verspreche (und dabei zuweilen zu oberflächlich bleibe), sich anderen Disziplinen sowie einer breiten Öffentlichkeit öffne und das Museum stärker als Medium mit eigenen Gesetzen wahrnehme (Stichwort Inszenierung) (S. 10-12).

Der Band ist in die sechs Themenblöcke „Ausstellungskonzepte im Wandel“, „Museumssammlungen und Institutionengeschichte“, „Innenansichten – Analysen, Novationen, Vergleiche“, „Ausstellungen im Medienkontext und -konflikt“, „Umgang mit Kunst und Künstlern“ sowie „Museums- und Gedenkstättenlandschaften“ unterteilt und behandelt von der Institutionenforschung über exemplarische Ausstellungs- und Sammlungsanalysen bis zur Wissensvermittlung in Schule und Museum alles Mögliche im und um das Museum. Dieser rote Faden soll zusammenbinden, was an Masterarbeiten über das Museum in Oldenburg in den letzten Jahren entstanden ist.

Irreführend ist dabei der Titel: Von „Museum revisited“ kann keine Rede sein, allenfalls von „Museum visited“, denn außer Fakten rund um ihre Fallbeispiele bieten die meisten Beiträge nicht viel. Eine Einbettung in die übergreifenden Debatten zum jeweiligen Thema, so dass ein Museum als pars pro toto einer gesamtmusealen Entwicklung stehen könnte, erfolgt nur ab und an und geht selten über Gemeinplätze à la „Diese [Wissensvermittlung] erfolgt durch die Präsentation eines ausgefüllten Wissenskorpus auf der Grundlage eines durchdachten Konzepts“ (S. 136) hinaus. Angaben zu Methoden und Leitfragen, die durch den Text führen und am Ende auch beantwortet werden, sind selten. Der Erkenntnisgewinn ist entsprechend gering.

Das mag damit zusammenhängen, dass etliche Autoren versuchen, ihre Forschungsarbeiten in ganzer Breite auf wenigen Seiten zusammenzufassen, statt einen besonderen Aspekt in entsprechender Tiefe zu entfalten. Das gilt beispielsweise für den Text von Anette Dittel mit dem schönen Titel „Zwischen Wunderkammer und Pictorial Turn“ (S. 73-80), der in einem Teil der Dauerausstellung des Landesmuseums für Natur und Mensch in Oldenburg das Prinzip der Wunderkammer erkennt und diesen Teil dann mit W. J. T. Mitchells Bildtheorie in Verbindung bringt. Ein vielversprechender Ansatz, der leider weder die Wunderkammer noch Mitchells Bildtheorie (die nur mit einem ins Deutsche übersetzten Aufsatz von 1997 in der Fußnote ausgewiesen wird) hinreichend vorstellt (was bei acht Seiten Umfang verständlich ist), weshalb die Hypothesen in der Luft hängen.

Wo die Konzentration auf das Wesentliche gelingt und Mut zur These besteht, bietet der Band die ein oder andere Trouvaille. Das gilt etwa für den Beitrag von Ulfert Tschirner (S. 97-112) zu einem „Bilderrepertorium“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, das aus mehr als 200 Schlagkassetten nicht katalogisierter Bilder (Fotos, Zeichnungen, Aquarelle, Kupferstiche, Zeitungsausschnitte etc.) besteht, deren Provenienz und Entstehungszusammenhang unklar ist. Am Beispiel zweier Fotos von einer Gipsreproduktion der so genannten Bronzetaufe im Dom von Hildesheim, eines spätrömischen Taufbeckens – den Gipsabguss erwarb das Germanische Nationalmuseum im 19. Jahrhundert und stellte ihn in der Kapelle des angegliederten Kartäuserklosters aus –, schreibt Tschirner einen bislang nicht erforschten Teil der Sammlungsgeschichte. Dabei gelingt ihm eine inspirierende sammlungsarchäologische Grabung, die vom Großen (der Sammlungsgeschichte des Museums) ins Kleine (dem Bedeutungswandel der beiden Fotografien) führt und den unterschiedlichen Umgang mit Fotografien als musealem Objekt bzw. als Quelle und Hilfsmittel der Inventarisierung ebenso erhellt wie – leider nur en passant – den Umgang mit Originalen in verschiedenen Ausstellungen des Nationalmuseums. Dieses habe im 19. Jahrhundert „Objekte und Repräsentationen nahezu gleichwertig betrachtet und gleichermaßen primär als Informationsträger behandelt“ (S. 112). Hier hätte man sich weitere Ausführungen gewünscht, vor allem eine Einordnung in den größeren historischen Kontext, denn im 18. und 19. Jahrhundert waren Original und Reproduktion in vielen Kontexten (nicht nur im Museum) gleichermaßen für Auratisierungsprozesse offen.

Tschirners Beitrag ist mit seiner konsistenten Struktur und den theoretischen Funken, die er aus seinen empirischen Steinen schlägt, die rühmliche Ausnahme in einem Band, dessen Beiträge vor allem eine Diskrepanz zwischen Empirie und Theorie auszeichnet (auch wenn das Vorwort das Gegenteil behauptet, S. 14). Diese Lücke zeigt sich auf drei Ebenen: Erstens ergehen sich die meisten Autoren vor allem in Deskription und kaum in Analyse. Zweitens fügen sich in den meisten Aufsätzen Theorie und Beobachtungen nicht zusammen, sondern stehen bindungslos nebeneinander. Auf die Beschreibung von Ausstellungen, Museen oder Gedenkstätten folgt unvermittelt ein theoretischer Block, der Trends und Thesen formuliert, die nur partiell oder gar nicht aus dem zuvor Geschriebenen hervorgehen. Drittens schließlich ist die Literaturkenntnis der meisten Autoren ebenso überschaubar wie die Kenntnis ähnlicher Fälle außerhalb ihres direkten Untersuchungsgebiets. Beispielhaft wird das an dem Beitrag von Annika Hossain deutlich, der das Konzept der Musealisierung auf eine ganze Landschaft, die Abruzzen, anzuwenden versucht (S. 323-336) und diese als angeblich „innovative Form der historischen Aufarbeitung“ (S. 336) herausstellt, ohne auf die französischen Ecomusées hinzuweisen, die seit den 1970er-Jahren ähnliche Ansätze verfolgen.

Viele der Kritikpunkte sind für Masterarbeiten verzeihlich (falls sie für die ausführlichen Versionen überhaupt zutreffen), Arbeiten mithin, die am Ende der Ausbildung und in vergleichsweise kurzer Zeit entstehen – Zeit, die von Feldforschung und Quellenstudium aufgefressen wird. Und handwerklich sind die Beiträge in der Regel solide – mehr aber nicht. Stellt sich die Frage, ob man den Autoren und Lesern einen Gefallen tut, wenn man sie als Kurzversionen veröffentlicht.

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