M. Borutta u.a. (Hrsg.): Die Präsenz der Gefühle

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Titel
Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne


Herausgeber
Borutta, Manuel; Verheyen, Nina
Reihe
1800/2000. Kulturgeschichte der Moderne 2
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Meissner, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Die Historisierung der Gefühle ist – obwohl die Ausrufung des entsprechenden wissenschaftlichen „Turns“ mittlerweile erfolgte1 – nach wie vor ein Desiderat. Zum einen kann so den Verengungen psychologischer oder biologischer Sichtweisen der Einblick in die historische Variabilität und soziokulturelle Bedingtheit von Emotionalität entgegengesetzt werden. Zum anderen kann auch die Geschichtswissenschaft selbst zu einer Neujustierung ihrer kausalen Erklärungen gelangen, wenn sie Gefühle als eine Basiskomponente der Kognition, des Handelns und der sozialen Interaktion berücksichtigt. Nicht zuletzt legt es die Emotionsforschung nahe, die Vorannahme zu überdenken, dass Menschen primär rational bzw. interessengeleitet handeln. Damit stehen zugleich die „grand narratives“ der westlichen Moderne zur Debatte – sei es Norbert Elias’ These einer zunehmenden intrinsischen Affektkontrolle, sei es die Annahme Max Webers, mit der Modernisierung würden Rationalisierungsprozesse einhergehen.

Hier setzt der vorliegende Sammelband an: Er macht darauf aufmerksam, dass diese Selbstbeschreibungen der Moderne gerade die Emotionalität von Männern ausblendeten, weil sie sich, „wenn auch implizit, vorwiegend auf maskuline Subjekte als Agenten ‚okzidentaler‘ Modernität bezogen“ (S. 13). Hinzu kam seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Konstruktion polarer Geschlechtscharaktere, wodurch Rationalität zur männlichen, Emotionalität hingegen zur weiblichen Domäne erklärt wurde. Das männliche Gefühlsleben geriet seither oft nur in seinen pathologischen Manifestationen in den Blick, insbesondere im Kontext nationalistischer und faschistischer Aggressivität.

Diesen überkommenen Annahmen und Perspektiven setzt der aus einer Tagung des Arbeitskreises Geschichte + Theorie in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hervorgegangene Band eine Reihe empirischer Fallstudien zur deutschen (und österreichischen) Geschichte seit dem 19. Jahrhundert bis in die 1990er-Jahre entgegen. Sie werden von zwei programmatischen Aufsätzen (Manuel Borutta / Nina Verheyen und Ute Frevert) sowie von zwei Überblicksartikeln (Catherine Newmark und Andreas Reckwitz) flankiert.

Einleitend erläutern die beiden Herausgeber das zu Grunde gelegte Konzept von Emotionalität, das sie als „gemäßigt sozialkonstruktivistisch“ bezeichnen (S. 18). Gefühle seien immer sozial geformt, wenngleich sie aufgrund ihrer physiologischen Komponenten nicht beliebig modelliert und verändert werden könnten. Wie es Frevert in ihrem Beitrag formuliert, liegt die Pointe in der Annahme, dass auch „die Intensität und die Kraft, mit der Menschen Gefühle empfinden“, kulturell und sozial bestimmt seien (S. 312). In der Praxis der Gefühlsexpression werden, wie Borutta und Verheyen im Anschluss an jüngere performanztheoretische Konzepte betonen, Emotionen modelliert oder überhaupt erst hergestellt. Die sozialen Normen, denen das Fühlen gehorcht, sind jeweils geschlechtsspezifisch, doch ist das Ausmaß, in dem unterschiedliche Gefühlsregeln für Männer und Frauen entworfen werden, historisch wiederum variabel (darauf macht der Beitrag von Reckwitz aufmerksam): Auf Phasen eines „gendering“ der Emotionalität folgen Phasen, in denen die Geschlechtsspezifik des Fühlens im sozialen Regelwerk in den Hintergrund tritt, während Kategorien wie Alter, Generation, soziale Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit, Ethnizität oder Konfessionalität bedeutsamer werden.

Solche sozialen Differenzierungen wirken sich auch auf die Emotionalitätsnormen aus. Deshalb sprechen die Autorinnen und Autoren analog zur jüngeren Geschlechterforschung vielfach von „Männlichkeiten“ im Plural; unterschieden wird zwischen historisch hegemonialen und subkulturellen bzw. subalternen Maskulinitätsmodellen. Implizit wird dabei zumeist von der Vorherrschaft bürgerlicher Männlichkeit ausgegangen. Mit dieser beschäftigen sich Catherine Newmark und Stefan-Ludwig Hoffmann, die beide die Ambivalenz der im Bürgertum geltenden Gefühlsregeln herausarbeiten: Newmark zeichnet nach, wie sich im späten 18. Jahrhundert die Dichotomisierung von Verstand und Gefühl in der Philosophie mit der Polarisierung der Geschlechtscharaktere überlagerte. Doch auch die gegenläufige philosophische Tradition, Männern eine überlegene Empfindungsfähigkeit zuzuschreiben, sei nicht abgerissen. Hoffmanns quellennahe Studie revidiert das Stereotyp des in emotionaler Kälte erstarrten Bürgers. Vielmehr sei es in den Freimaurerlogen möglich gewesen, eine „spielerische Intimität“ (S. 98) mit anderen (bürgerlichen) Männern zu pflegen. Allerdings bedurfte diese Erfahrungswelt des Schutzes durch das Geheimnis. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts erhöhte sich der Rechtfertigungsdruck auf die Logen, dass sie die Liebe zu den Frauen nicht beeinträchtigten und dass sie nichts mit Homosexualität zu tun hätten.

Der Schwerpunkt der Fallstudien liegt insgesamt eher auf sub- oder gegenkulturellen Männlichkeiten. Abgesehen von Ellinor Forsters Beitrag zur Gefühlssemantik in Ehescheidungsprozessen der Tiroler und Vorarlberger Landbevölkerung im 19. Jahrhundert spiegelt der Sammelband besonders die Pluralisierung und Ausdifferenzierung der Subkulturen und Lebensstil-Milieus in Westdeutschland seit den 1960er-Jahren wider: Aribert Reimann widmet sich den „Kulturrevolutionären“ der 1960er- und 1970er-Jahre, Benno Gammerl den Homosexuellen zwischen 1960 und 1990 sowie Pascal Eitler dem Typus des „Neuen Mannes“ in der New-Age-Bewegung. Hierzu setzt Sylka Scholz einen Kontrapunkt, indem sie den Veränderungen männlicher Leitbilder und Emotionalitätsnormen in der DDR nachgeht.

Die politische und militärische Funktionalisierbarkeit der Gefühle von Männern wird in drei Aufsätzen zur Epoche der Weltkriege untersucht: Nikolaus Buschmann erläutert die Verwertung der Semantik von Treue und Verrat in der antirepublikanischen Propaganda nach 1918. Daniel Morat zeigt in Auseinandersetzung mit den „Klassikern“ zur Emotions- und Männlichkeitsgeschichte der Weimarer Republik von Klaus Theweleit und Helmut Lethen, woraus das in den Intellektuellendiskursen ventilierte Leitbild einer „kalten persona“ seine Attraktivität bezog: Zum einen diente es dem Angstmanagement angesichts von Krieg und überstürzter Modernisierung, zum anderen wurde die Gefühlskälte gegenüber der Außenwelt durch intensive Nahbeziehungen im Zirkel der „Kameraden“ austariert, aber auch durch die exzessive Emotionalität der Gewaltpraxis. Diese Ambivalenz habe dann auch, so Thomas Kühne in seinem Beitrag, die Folgebereitschaft der Wehrmachtsangehörigen im Vernichtungskrieg aufrechterhalten. Dabei verweist Kühne auf überraschend „weibliche“ und auch homoerotische Gefühlslagen, welche im Rahmen der „Kameradschaft“ ausagiert werden konnten und zu ihrer Kohäsion beitrugen. Gleichzeitig baute sich hier jedoch ein enormer Konformitätsdruck auf, der es nicht mehr zuließ, Kritik an den kollektiven Normverletzungen zu üben, die vom gemeinsamen Besäufnis bis hin zu Gewaltexzessen reichten.

In der Erklärung von Gruppendynamiken und Handlungen, die sich auch gegen das elementare Eigeninteresse an der persönlichen Integrität richten konnten, liegt die besondere Relevanz einer geschlechtersensiblen historischen Emotionsforschung, wie sie der Sammelband mit initiiert. Die Beiträge verdeutlichen, wie wichtig es ist, zwischen verschiedenen „Männlichkeiten“ zu differenzieren, aber auch zwischen unterschiedlichen Praxisfeldern und institutionellen Rahmungen, innerhalb derer je spezifische, teilweise konkurrierende oder widersprüchliche Gefühlsregeln Geltung beanspruchen.

Natürlich kann ein solcher Band nicht alles einlösen, was von einer Kultur- und Geschlechtergeschichte der Emotionen zu erhoffen wäre: So konzentrieren sich viele Beiträge auf eine Rekonstruktion von Diskursen, in denen philosophische, literarische oder politische Eliten über Männer und die Emotionen, die sie haben sollen, sprechen. Ob jedoch beispielsweise die bürgerlichen Leitbilder als hegemonial vorausgesetzt werden können, ob für die Gefühlskultur der Weimarer Republik die Schriften Ernst Jüngers relevanter sind als etwa diejenigen des Bestsellerautors Hans Fallada (die als Quellen ein ganz anderes Bild ergeben würden), wäre noch zu prüfen. Auch die Medialität von Emotionsdiskursen verdiente mehr Aufmerksamkeit: Lässt sich zum Beispiel aus einer Kriminalserie im DDR-Fernsehen auf politische Intentionen schließen, oder fließen hier – aus dem Westen importierte – genrespezifische Konventionen wie die Figur des „hard-boiled detective“ ein? Wie werden solche Diskurse subjektiv angeeignet, und welche Verbindlichkeit haben sie für individuelles Handeln? Fühlten Menschen in der Vergangenheit anders, welche Artikulationsmöglichkeiten boten sich ihnen, und beeinflussten diese wiederum das emotionale Erleben? Solche Fragen, die sich mit den konstruktivistischen und performanztheoretischen Postulaten der Emotionsforschung verbinden, lassen sich mittels Egodokumenten und Mikroanalysen beantworten, wie es in einigen der Beiträge (von Ellinor Forster, Thomas Kühne und Benno Gammerl) geschieht. Besonders solche quellennahen Forschungen sollten weiter ausgebaut werden.

Anmerkung:
1 Vgl. Thomas Anz, Emotional Turn? Beobachtungen zur Gefühlsforschung, in: literaturkritik.de, Nr. 12, Dezember 2006, <http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10267> (30.08.2010). Von einem „affective oder emotive turn“ spricht Florian Weber, Von den klassischen Affektenlehren zur Neurowissenschaft und zurück. Wege der Emotionsforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften, in: Neue Politische Literatur 53 (2008), S. 21-42, hier S. 21. Zur aktuellen Forschungslage siehe außerdem Ute Frevert, Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 183-208.