C. Schindler: Per carmina laudes

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Titel
Per carmina laudes. Untersuchungen zur spätantiken Verspanegyrik von Claudian bis Coripp


Autor(en)
Schindler, Claudia
Reihe
Beiträge zur Altertumskunde 253
Erschienen
Berlin u.a. 2009: de Gruyter
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Syrbe, Historisches Institut, FernUniversität in Hagen

Zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert n.Chr. durchlief die römische Welt nicht nur einen politischen, sondern vor allem auch einen weitreichenden kulturellen Transformationsprozess. Dieser Wandel wird beispielsweise in der spätantiken Literatur deutlich, die in intensiver Auseinandersetzung mit „klassischen“ antiken Vorbildern neue Formen hervorbrachte.1 Eine für die Spätantike charakteristische Literaturgattung sind die „panegyrischen Epen“, die die Philologin Claudia Schindler in ihrer Tübinger Habilitationsschrift untersucht. Diese Literaturgattung definiert Schindler als Gruppe von Gedichten, „in deren Mittelpunkt eine Herrscherpersönlichkeit oder eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens steht und die anlässlich eines aktuellen politischen oder militärischen Ereignisses verfasst werden, das sie in hochpoetischer Form feiern“ (S. 2). Schindler verfolgt in ihrer Studie primär literaturgeschichtliche Fragestellungen; Ziel ist, an prägnanten Fallbeispielen die Entwicklung und Funktion der panegyrischen Epen sowie deren Verhältnis zur Traditionen der vorausgehenden panegyrischen und epischen Literatur herauszuarbeiten (S. 3 u. 12f.).2 Die von Schindler analysierten Gedichte sind wegen ihrer zeitgeschichtlichen politischen Bezüge aber auch wichtige historische Quellen für ihre Entstehungszeit, so dass die in der vorliegenden Arbeit gebotene Analyse der kompositorischen Techniken dieser Literaturgattung auch aus Sicht des Historikers relevant ist.

Den Fallstudien ist ein Kapitel zu den Voraussetzungen und Kontexten der spätantiken panegyrischen Epik vorangestellt (Kapitel II, S. 15–58). Schindler verweist hier zum einen auf die Wirkmächtigkeit des unter dem Namen des Menander Rhetor überlieferten Regelwerks des Herrscherlobs (S. 16–21), zum anderen umreißt sie den äußerst komplexen kulturellen Kontext der spätantiken panegyrischen Epik. Das Verständnis dieser Dichtungen mit ihrer vielschichtigen Rezeption „klassischer“ Vorbilder stellte eine „intellektuelle Herausforderung und ein gelehrtes Spiel“ dar (S. 54), das ein außerordentlich hohes Maß an literarischer Bildung erforderte und sich daher von vornherein an eine hochgebildete Elite wandte.

Den weitaus größten Teil der Studie nimmt wegen seines umfangreichen und richtungweisenden Werks „Claudius Claudianus. Der Archeget spätantiker Verspanegyrik im lateinischen Westen“ ein (Kapitel III, S. 59–172). Claudians frühestes politisches Gedicht, der Konsulatspanegyricus für Olybrius und Probinus aus dem Jahr 395 (S. 60–76), zeigt einerseits charakteristische strukturelle Merkmale eines Panegyricus (S. 61), andererseits bricht der Dichter die Konventionen dieses Genres bewusst auf: So überspielt Claudian das nach konventionellen panegyrischen Maßstäben negativ behaftete geringe Alter der Familie der Gepriesenen, indem er deren Anfänge durch Rekurse auf epische Vorbilder in eine mythische Vorzeit entrückt. Kaiser Theodosius I. integriert Claudian über eine aus der Epik entlehnte Götterhandlung, die aber panegyrisch umgedeutet wird, denn Theodosius erscheint als den Göttern überlegener Herrscher und Zentrum, von dem alle Macht ausgeht. Der Panegyricus „reflektiert somit in subtiler Weise die tatsächlichen Machtverhältnisse“ (S. 75f.). Diese Technik entwickelte Claudian im 396 gehaltenen Panegyricus auf den dritten Konsulat des Kaisers Honorius weiter (S. 76–91). Epische und panegyrische Elemente gehen hier deutlich stärker ineinander über (S. 79), das gesamte Geschehen wird in einen ahistorischen, mythischen Raum entrückt und der jugendliche Honorius als Herrscher präsentiert, der selbst epische Helden überragt (S. 90f.).

Im Bellum Gildonicum (S. 91–109) ist im Unterschied zu den Konsulatspanegyriken ein spezifisches Ereignis – die Niederschlagung der Separationsbestrebungen des nordafrikanischen Heermeister Gildo 3 im Jahr 398 – Gegenstand der claudianischen Dichtung. Der Aufbau des Gedichts folgt nicht dem panegyrischen Schema, sondern der Chronologie der Ereignisse, so dass ein „Erzähl- und Handlungskontinuum“ entsteht (S. 93). Seinem panegyrischen Anliegen wird der Dichter mit den in den Konsulatspanegyriken entwickelten Stilmitteln gerecht (S. 109). Claudian wählt den präsentierten historischen Stoff äußerst selektiv, macht nur vage Zeitangaben, um ein konsequentes Handeln des weströmischen Hofes gegen den abtrünnigen Militärkommandanten zu suggerieren, überhöht die Person des Kaisers Honorius ins Übermenschliche und schmäht dessen Gegner.

Die zu Stilichos Konsulat im Jahr 400 verfassten laudes Stilichonis nehmen innerhalb des claudianischen Werks eine besondere Stellung ein (S. 109–137). Ihre Wirkung basiert vor allem auf geschickten Selbstreferenzen des Dichters (S. 118). Im Vergleich der Darstellungen des Krieges gegen Gildo im bellum Gildonicum und in den laudes Stilichonis zeigt Schindler, wie Claudian intertextuelle Referenzen nutzt, um den Verlauf des Krieges im Sinne einer konsequenten Überhöhung der Leistungen Stilichos neu zu interpretieren. Thema des Bellum Geticum (S. 137–167) ist wiederum ein Krieg, nämlich der gegen die im Winter 401/02 nach Norditalien vorgedrungenen Goten. Da Claudians ‚Held‘ Stilicho an der militärischen Lösung dieser Krise unmittelbar beteiligt war, gab dies dem Dichter die Möglichkeit, Stilicho eindeutig in das Zentrum seines Werks zu rücken. Das Bellum Geticum steht daher, so Schindler, den Konsulatspanegyriken deutlich näher als dem Bellum Gildonicum. Claudians literarische Technik zeigt sich hier am weitesten entwickelt. Der Dichter verweist implizit immer wieder auf seine eigene vorausgehende Dichtung, die somit zum entscheidenden Referenzpunkt wird. Klassische literarische Vorlagen sind dagegen nur noch „Gefäße für eine eigene spätantike Gedankenwelt“ (S. 167).

Der zweite Teil von Schindlers Untersuchung behandelt Claudians Epigonen: „Flavius Merobaudes, Sidonius Apollinaris, Priscianus: Hexametrische Dichtung in der Nachfolge Claudians“ (Kapitel IV, S. 173–226). Wie sehr das Vorbild Claudians stilbildend wirkte, zeigen besonders Merobaudes’ und Sidonius’ Dichtungen. Merobaudes griff in seinem vermutlich 446 anlässlich des dritten Konsulats des magister militum Aëtius verfassten, nur fragmentarisch überlieferten Panegyricus nicht nur Gleichnisse, Topoi und Argumentationsformen aus claudianischen Panegyriken auf (S. 177), sondern orientiert sich in seiner Aufzählung der militärischen Erfolge des Aëtius auch konsequent an Claudians Darstellung der Kriegstaten Stilichos in den laudes Stilichonis (S. 177). Diese Imitation „hat nicht nur eine literarische, sondern zugleich eine politische Dimension“ (S. 178), Aëtius wird zu einem „besseren Stilicho“ (S. 181).

Auch für die Panegyrici des Sidonius Apollinaris zum Lobpreis der Kaiser Avitus und Anthemius war Claudians Dichtung Vorbild und Referenzpunkt. Beide Kaiser waren in der italischen senatorischen Elite kaum verankert. Avitus stammte wie Sidonius selbst aus der gallorömischen Aristokratie, Anthemius wurde Anfang 467 als Kandidat des oströmischen Kaisers Leo I. aus Konstantinopel nach Italien entsandt und vor Rom zum Augustus des Westens akklamiert.4 Sidonius’ „Wahl der claudianischen Form des Panegyricus“ interpretiert Schindler als „bewußte Entscheidung“, um Avitus und Anthemius den von Claudian idealisierten Kaiser des späten 4. Jahrhunderts gleichzustellen, um sie so den italischen Eliten nahezubringen; „die literarische Form transportiert eine politische Ideologie“ (S. 214). Bewegen sich Merobaudes und Sidonius in den durch Claudian etablierten Bahnen, bedeutet der Panegyricus, den Priscian von Caesarea wohl um 513 auf den oströmischen Kaiser Anastasios verfasste, laut Schindler eine entscheidende Weiterentwicklung des Genres. Priscian nutzt den gezielten Bruch mit den literarischen Konventionen der Panegyrik als Stilmittel. Er verzichtet bewusst auf mythifizierende Darstellungselemente im Stil Claudians und betont stattdessen die besondere Wertschätzung Gottes für den gepriesenen Kaisers (S. 221) – Priscian leistet somit die „Christianisierung des Panegyricus“ (S. 226).

Diese literarische Christianisierung schreitet mit dem aus Nordafrika stammenden Corippus voran, dem das letzte Kapitel der Studie gilt (Kapitel V, S. 227–309). Die Iohannis, Coripps erster Verspanegyricus, ist dem byzantinischen Feldherrn Johannes Troglita gewidmet, der 546 vom byzantinischen Kaiser Justinian I. zur Bekämpfung der Mauren nach Nordafrika gesandt wurde (S. 228–273). Die 566/67 entstandenen laudes Iustini sind Justinians Nachfolger Justinus II. gewidmet (S. 273–304). Beide Werke nehmen für Schindler innerhalb der spätantiken lateinischen Verspanegyrik eine Sonderstellung ein, da sie „nicht mehr nur einzelne Elemente der heroischen Epik im Sinne des Herrscherlobs“ funktionalisieren, sondern „das heroische Epos insgesamt als Panegyrisches Epos“ gestaltet wird (S. 304). Diese dichte Anlehnung an die heroische Epik der klassischen Antike wirkt zwar auf den ersten Blick „konventionell“, in der Traditionslinie der spätantiken politischen Dichtung handelt es sich nach Schindler aber um eine „höchst innovative Form“, die einen „strukturellen Neuanfang“ wagt (S. 309).

Am Schluss der Arbeit wäre zwar ein die vielfältigen Einzelergebnisse zusammenführendes und strukturell bündelndes Fazit wünschenswert gewesen, dies tut aber Schindlers ertragreicher und lesenswerter Studie insgesamt keinen nennenswerten Abbruch.5 Schindler zeigt klar die Techniken der Komposition der panegyrischen Epen auf, sie arbeitet heraus, wie spezifische Entstehungskontexte sowie die Rezeption klassischer literarischer Werke einerseits und intertextuelle Bezüge zwischen den panegyrischen Epen andererseits die in den spätantiken Dichtungen präsentierten Bilder politischer Ereignisse und Persönlichkeiten prägen. Schindler verdeutlicht somit, wie wichtig das Verständnis dieser Techniken nicht nur für die literarische, sondern auch für die historisch-quellenkritische Erschließung dieser spätantiken Literaturform ist.

Anmerkungen:
1 Zur spätantiken Literatur vgl. Manfred Fuhrmann, Rom in der Spätantike, 2. Aufl., Zürich 1995. Speziell zum Wandel der Literatur in der Spätantike vgl. Marco Formisano, Towards an aesthetic paradigm of Late Antiquity, in: Antiquité tardive 15 (2007), S. 277–284, hier bes. S. 281–283.
2 Schindler konzentriert sich auf Fallbeispiele der Verspanegyrik von Claudius Claudianus (um 400) bis Fl. Cresconius Corippus (um 550/70). Nicht analysiert werden aus dieser Zeitspanne Claudians Panegyriken auf den vierten und den sechsten Konsulat des Honorius (in den Jahren 398 und 404) und den Konsulat des Fl. Manlius Theodorus (399) sowie Sidonius’ Panegyricus auf Maiorian (458), vgl. zu diesem die in erster Linie historische Auswertung von Dirk Henning, Periclitans res publica, Stuttgart 1999, S.140–147 (mit weiterer Literatur).
3 Schindler bezeichnet Gildo als „nordafrikanische[n] Fürst[en]“ (S. 91); das sitzt aber gewissermaßen der invektivischen Diktion Claudians auf. Als comes Africae und magister militum dürfte Gildo als ähnlich romanisiert wie Stilicho anzusehen sein.
4 Zu Avitus und Anthemius vgl. Henning, Periclitans, S. 32–36 u. 42–46.
5 Zwei untergeordnete Kritikpunkte sollen noch erwähnt werden: Zum einen fehlen im Inhaltsverzeichnis des Buches die Kapitel III.1. „Der Panegyricus auf Olybrius und Probinus“ (S. 60ff.) und IV.1.1 „Der Verspanegyricus auf Aëtius (Panegyricus 2)“ (S. 174ff.); zum anderen ist die Angabe, Honorius sei zum Zeitpunkt des Vortrages von Claudians Panegyricus zu dessen drittem Konsulat erst acht Jahre alt gewesen (S.49), nicht richtig: der 384 geborene Honorius war 396 immerhin schon elf.

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