P. Boden u.a. (Hrsg.): Populäres Wissen im medialen Wandel

Cover
Titel
Populäres Wissen im medialen Wandel seit 1850.


Herausgeber
Boden, Petra; Müller, Dorit
Reihe
LiteraturForschung Bd. 9
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 22,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hedwig Pompe, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der zu besprechende Band geht auf eine Tagung über „Wissenspopularisierung“ am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung im Frühjahr 2007 zurück, die von den beiden Herausgeberinnen, Petra Boden und Dorit Müller, veranstaltet wurde.1 Die historische Positionsmarkierung: ab „1850“ wurde für den Band beibehalten, unter anderem mit der Begründung, da ab dieser Zeit der Aufschwung der Massenpresse zur „Dynamisierung des Medienwandels“ (S. 10) beigetragen habe, dessen Auswirkungen bis heute andauerten. Ohne die Stichworte Medien und (Massen-)Kommunikation, die ihrerseits auf weitläufige Forschungskonzepte und -einsichten verweisen, ist über Popularisierung wohl nicht zu sprechen, weder im Blick auf aktuelle Felder von Wissen noch in historischer Sicht.

Im Unterschied zum leitenden Stichwort der Tagung, „Wissenspopularisierung“, macht der Band nun „populäres Wissen zum Ausgangspunkt“ (S. 8). Denn, so Petra Boden und Dorit Müller, „Popularisierung [...] impliziert immer schon bzw. immer noch den Prozess der gezielten Übertragung und schreibt damit die hierarchisierende Tendenz der Wissensbereiche ‚wissenschaftlich’ und ‚populär’ fort.“ (S. 8) Angeschlossen wird stattdessen an kurrente Positionen der Wissenssoziologie und -epistemologie, die von permanenten Austauschprozessen in gesellschaftlich verteilten Wissenskontinua ausgehen und die die Vermischtheit allen Wissens hervorheben und in seiner Gesellschaft stiftenden Funktion analysieren.2 Gegen diese integrative Sichtweise ist überhaupt nichts einzuwenden; nur zeigt sich dabei, dass der Begriff „populär“ mit Bezug auf Wissen in der Einleitung dann doch eher gesetzt wird, als dass klar würde, wo populäres Wissen seine Grenze finden sollte, wenn im Prinzip immer schon alle Menschen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, an der Erzeugung von gemeinschaftlichen Wissen der Vielen beteiligt sind. Auch die Schlussbemerkungen der Einleitung treffen im Prinzip auf alle Wissensformen zu, denn es gilt ja nicht nur für „populäres Wissen“, dass es „bestimmt [wird] durch Aushandlungsprozesse, in denen unterschiedlich sozialisierte Akteure mit je konkreten Vorannahmen, Interessen und Geltungsansprüchen agieren und bestimmte Aufzeichnungs- und Darstellungspraktiken nutzen, um Wissen in differierenden Verwendungskontexten zu präsentieren bzw. an ein heterogenes Publikum mit je eigenen Erwartungen zu kommunizieren.“ (S. 14)

Geht es um Analysen und Differenzierungen, müssen also weiterhin Gegenbegriffe zum populären Wissen gefunden werden und die Wissensvermittlung von a nach b als Operationen im Rahmen von markierten Wissensdifferenzen diskutiert werden; dabei sollten allerdings, dem ist zuzustimmen, die Fallstricke von Konzepten, die unaufgeklärte Vorurteile gegenüber populären Formen des Wissens einschließen, vermieden werden. In diesem Sinne tragen auch die Beiträge des Bandes als historische Studien zu einzelnen Formen von populärem Wissen zur Tiefenschärfung dieses „komplexe[n] Feldes“ (S. 14) bei. Auch Diskurse, die an unterschiedlichen Orten im gesellschaftlichen Ganzen generiert werden, stehen im Rahmen von Wissenserzeugung in Wechselbeziehungen; und berücksichtigt man schließlich noch den Transfer von einem Medium in andere und die intermedialen Referenzen, wie es in der Einleitung konzeptuell vorgeschlagen wird, so sind die Forschungskontexte, die mit dem Thema populäres Wissen angerissen sind, entsprechend umfangreich. Hier sind dann mindestens die Wissenssoziologie, die Unterhaltungs- und die Medien- bzw. (Massen-) Kommunikationsforschung mit eigenen Wissenschaftsgeschichten beteiligt. Der Forschungsabriss im ersten Teil des Bandes, von Carsten Kretschmann, der mehrfach zur Wissenspopularisierung und damit verbundenen Forschungskonzepten gearbeitet hat 3, ist hier hilfreich und bietet einen Überblick über aktuelle Ansätze. Man möchte angesichts der Vielfalt möglicher Zugänge und der Beteiligung verschiedener Wissenschaften mit je unterschiedlichen Akzentuierungen von der offenen Forschungsbaustelle des Populären mit Potenzierungsleistung sprechen.

Die Genesen von populärem Wissen, darauf weißt Kretschmann noch einmal hin, hingen seit dem späten 18. Jahrhundert zunächst und dann für lange Zeit eben mit der Betonung einer Fallhöhe zwischen Wissenschaftswissen und nicht wissenschaftlichem Wissen zusammen. Die Beiträge des Bandes zeigen als historische Fallstudien, was in definierbaren, sozial, medial und ästhetisch ausgeloteten Kontexten als populäres bzw. davon unterschiedenes Wissen galt und welche vielfältigen Austauschprozesse zwischen verschiedenen Operatoren des Populären zu beobachten sind. So schreibt Angela Schwarz über die kulturelle Praxis der Weltausstellungen, wo Wissenschaft und Technik sich an eine breite Öffentlichkeit wandten, nationale Konkurrenten aufeinander trafen und um den Erfolg beim Publikum stritten. Die Beobachtung von publikumswirksamen Inszenierungen des Wissenschaftswissens für viele neue Teilnehmer trifft auch auf andere Bereiche und Vermittlungsstrategien zu. Stefania Samida zeigt, wie Heinrich Schliemann seine Troia-Ausgrabungen in der deutschen Presse erfolgreich vermarktet hat. Umgekehrt lernt auch Wissenschaftswissen von populären Formen seiner Zeit, um eigenes Wissen an möglichst viele Leser weiter zu leiten, dabei aber natürlich auch zu verändern (vgl. Manuela Günters Beitrag über Literaturwissenschaft und populäre Printmedien am Beispiel Goethe). Dass die Produktion von Wissen immer in mindestens zwei, wenn nicht in vielen Richtungen verläuft, zwischen den so genannten ‚populären’ Formen des Wissens und deren in Differenz gesetzten Anderem, lässt sich schließlich noch überbieten, wenn das Andere als ein Ähnliches angesehen wird und die Vermischung von Formen, Diskursen und Medien auf potenzierter Stufe zu neuen Formen führt. Dies erschließt sich aus weiteren Beiträgen des Bandes, etwa wenn Thomas Wegmann verfolgt, wie es gelang, bakteriologisches Wissen im frühen 20. Jahrhundert über Reklame allgemein zu verbreiten, oder Barbara Wurm zeigt, wie die frühe russische Filmkunst mit Techniken und Formen experimentierte und Dokumentarisches und Unterhaltsames zu einer reflexiven Form zusammenband.

Insgesamt liegt das Gewicht der Beiträge auf historischen Szenen des Wissens zwischen dem mittleren 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie auf den Medien Schrift, Bild, Film oder Ausstellung; ein Beitrag von Nicolai Hannig geht schließlich noch der „Aufbereitung des Religiösen in der frühen Bundesrepublik“ nach, ein Gegenstand, bei dem es um zeittypische Austauschbeziehungen zwischen Politik, Religion und Massenmedien geht. Dieser offene Schluss korreliert mit der Unabschließbarkeit einer offenen Geschichte des Populären, worauf in der Einleitung bereits vorausgreifend hingewiesen wird. Dass hier nur ein Ausschnitt aus einem komplexen Feld geliefert werden konnte, versteht sich, denke ich, von selbst.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Tagungsbericht von Soenke Myrda, in: H-Soz-u-Kult, 25.03.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2047> (02.07.2010).
2 Vgl. Hans-Jörg Rheinberger, Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007.
3 Carsten Kretschmann (Hrsg.), Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel, Berlin 2003; vgl. die Rezension von Thomas Etzemüller, in: H-Soz-u-Kult, 16.06.2003,<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-156> (02.07.2010).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension