: Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter. . Stuttgart 2009 : Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-09393-4 189 S. € 39,00

: Arbeit – ein Weg zum Heil?. Vorstellungen und Bewertungen körperlicher Arbeit in der spätantiken und frühmittelalterlichen lateinischen Exegese der Schöpfungsgeschichte. Frankfurt 2009 : Peter Lang/Frankfurt am Main, ISBN 978-3-631-58173-5 299 S. € 49,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine von Heusinger, Seminar für mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim

Das Themenfeld „Arbeit im Mittelalter“ wird seit Jahrzehnten stetig beackert und nicht nur einschlägige deutsche, sondern auch international grundlegende Beiträge sind dabei entstanden.1 In den Quellen wird „Arbeit“ in den Wortfeldern von opus, labor und ars diskutiert. Bisher wurde in der Forschung das Frühmittelalter recht stiefmütterlich behandelt – mit den beiden hier vorliegenden Untersuchungen wird diese Lücke deutlich verringert. Zwei unterschiedlich arrivierte Autoren haben sich mit der Frage nach „Arbeit im Mittelalter“ auseinandergesetzt: Verena Postel arbeitet seit Jahren zu diesem Thema2; Fabian Rijkers legt hier seine Dissertation vor, die in Marburg am Lehrstuhl Postel entstanden ist.

Der Aufbau der beiden Arbeiten ist sehr ähnlich gewählt: Jedem untersuchten Autor wird ein Unterkapitel gewidmet, wobei nur in zwei Fällen, bei Augustinus und Hrabanus Maurus, dieselben Autoren in beiden Büchern untersucht werden. Bei Augustinus sind die widersprüchlichen Einstellungen zur Arbeit, die jede weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema prägten, bereits vorhanden: Einerseits dient Arbeit der positiven Erfüllung des Schöpfungsauftrags und der Mensch kann damit Anteil am Erwerb von Heil nehmen. Andererseits kam Arbeit überhaupt nur als Sündenstrafe in die Welt (und durch den Sündenfall war das ursprüngliche Heil für immer verdorben) (vgl. Postel S. 9, Rijkers S. 19).

Der Vollständigkeit halber (und im Hinblick auf moderne „Such“-Funktionen) nenne ich im Folgenden kurz die wichtigsten untersuchten Autoren und gehe auf den Aufbau der beiden Studien ein: Nach einer sehr knappen Einleitung untersucht Postel Augustin und Ambrosius, Cassian von Marseille, Fulgentius von Ruspe und Caesarius von Arles, Hrabanus Maurus, Lupus von Ferrières, Hinkmar von Reims und Johannes Scotus Eriugena, Rather von Verona, Petrus Abaelard, Johannes von Salisbury und als Schlusspunkt Thomas von Aquin; damit deckt sie einen Zeitraum von der Spätantike bis ins Hochmittelalter ab. Ein kurzer Ausblick und eine knappe Zusammenfassung runden die Studie ab. Auch Rijkers beginnt in der Antike, greift aber weit in die griechische und römische Antike zurück und zieht auch Philon von Alexandria als jüdisch-hellenistischen Theologen heran. Anschließend untersucht er Autoren von der Spätantike bis zur Karolingerzeit: Er beginnt mit den vier sancti doctores Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Gregor dem Großen; danach folgen Isidor von Sevilla, Eugenius, Julianus und Taio, der Intexuimus genannte Kommentar, Beda Venerabilis mit Pseudo-Beda, Wigbod, Alkuin, Claudius von Turin, Hrabanus Maurus, Angelomus von Luxeuil, Haimo und Remigius von Auxerre sowie die Glossa ordinaria. Diesem Hauptteil geht eine etwas längere Einleitung voran, am Ende steht eine kurze Zusammenfassung.

Obwohl die beiden Bücher sehr ähnlich aufgebaut und strukturiert sind, so haben sie doch unterschiedliche Herangehensweisen: Verena Postel geht von der „zeitlos aktuellen“ Frage nach der Willensfreiheit aus (S. 7); diese soll für „die mittelalterliche Diskussion um die Willensfreiheit in ihrem engen Zusammenhang mit der Bewertung von Arbeit aufgezeigt werden. […] Arbeit wurde geradezu als Betätigungsfeld des freien Willens verstanden und gewann so eine zentrale Bedeutung für die Selbstverwirklichung des Menschen, die in einer christlich geprägten und theokratisch verfassten Gesellschaft nur als Heilsweg zu Gott verstanden werden konnte.“ (S. 8) Rijkers hingegen konzentriert sich ausschließlich auf die zahlreich überlieferten Genesiskommentare, wobei „nur das aus den Kommentaren in Betracht gezogen wird, was sich mit der Schöpfungsgeschichte beschäftigt […], dabei sollen nicht nur einzelne besonders aussagekräftige Stellen ausgewählt werden, sondern alle Stellen, die sich mit dem Aspekt Arbeit befassen“ (S. 11f.).

Verena Postel kann überzeugend zeigen, dass Arbeit im Mittelalter „durchgehend auch als gottgefällige Bestätigung der Willensfreiheit des Menschen gesehen“ werden konnte (S. 171), und weist damit auf einen Aspekt in den Überlegungen zum Arbeitsbegriff hin, der bisher übersehen wurde. Neben die bekannten Funktionen von Arbeit als Mittel der Askese und zur Erfüllung des Schöpfungsauftrags, aber auch als Voraussetzung für Autarkie und Ausübung von caritas stellt sie nun den Aspekt der Willensfreiheit. Sie kann zeigen, dass Hrabanus Maurus Arbeit als „Bestandteil religiöser Bewährung im Diesseits, [als] Betätigungsfeld des freien Willens“ verstand (S. 84), und zwar unabhängig davon, ob es sich um geistige oder körperliche Arbeit handelt. Das Verdienst Abaelards war es fast zweihundert Jahre später, dem menschlichen Handeln, zu dem auch die Arbeit zählt, ein höheres Maß an Selbstverantwortung in der Ausübung der Willensfreiheit zuzuschreiben. Postel betont: „Abaelards Deutung des Begriffs labor als menschliche Bemühung um eine rationale Lebensführung, die sich am Willen Gottes ausrichtet und für das Heil unabdingbar ist, weist der menschlichen Betätigung im Diesseits eine erhebliche Dignität zu.“ (S. 119) Ihr gelingt es zudem, die gängige Meinung zu widerlegen, John Lock sei der Stammvater der Arbeitswerttheorie: Überzeugend kann sie Thomas von Aquin diesen Ehrenplatz zuweisen (S. 149-162).

Fabian Rijkers legt bereits mit seiner Eingrenzung auf die Genesiskommentare einen Schwerpunkt auf körperliche Arbeit und schließt mit diesem methodischen Ansatz grundlegende Beiträge der gewählten Autoren, zum Beispiel De opere monachorum von Augustinus, von seiner weiteren Untersuchung aus (vgl. S. 91f.). Die facettenreichen Ergebnisse, die er im Folgenden erzielt, rechtfertigen jedoch das gewählte Vorgehen. Insgesamt kann Rijkers vier Themenfelder identifizieren, die in Verlauf der Studie eingehender untersucht werden: Herrschaft und Arbeit, Arbeit im Paradies, Arbeit als Strafe, Arbeit und Ruhe. Sein Ziel ist es nicht, „eine wortgeschichtliche, sondern […] eine geistes- bzw. mentalitätsgeschichtliche Arbeit“ vorzulegen (S. 24). Seine Untersuchung zeigt, dass das Thema „körperliche Arbeit“ bei den untersuchten Autoren in der Spätantike und den folgenden Jahrhunderten immer mehr in den Hintergrund geriet. Eine Wende trat mit Beda ein, der den heilswirksamen Charakter von Arbeit betonte, denn „die Mühen im Leben [sind] der Weg, zum einen am Göttlichen teilzuhaben und zum anderen in den Himmel zu kommen, wo der Mensch die ewige Ruhe findet“ (S. 193). Für die Karolingerzeit kann Rijkers (vor allem anhand der Glossa ordinaria) die These von Jacques Le Goff modifizieren, es habe eine „Renaissance“ von körperlicher Arbeit stattgefunden.3 Vielmehr bleibt das Urteil der untersuchten Autoren zu Arbeit ambivalent, auch wenn sich eine „Tendenz zum Positiven“ feststellen lässt (S. 268).

Bei beiden Bänden muss leider bemängelt werden, dass der Forschungsüberblick äußerst mager ausgefallen ist; dieser muss keineswegs „klassisch“ im Einleitungsteil geboten werden, aber die Nennung und Einordnung der wichtigsten Vorarbeiten zum Thema „Arbeit“ hilft jedem Leser und jeder Leserin, die sich nicht tagtäglich damit beschäftigen. Die chronologische Aneinanderreihung von einem Autor an den nächsten in jeweils einem neuen Unterkapitel ist bei der Lektüre recht ermüdend; bei Rijkers werden zudem immer wieder viel zu viele wörtliche Zitate aus der Sekundärliteratur aufgelistet (zum Beispiel S. 26f., 90f., 159, 197f.). Beide Bücher bieten nur äußerst knapp gehaltene Einleitungs- und Schlussteile, die eine weitergehende Einordnung des so reichhaltig Gebotenen vermissen lassen. Hier wären übergeordnete Fragestellungen und umfangreichere Vergleiche wünschenswert gewesen. Insgesamt ist es aber beiden Studien gelungen, bisher fehlende Grundlagen zur Diskussion von „Arbeit“ vor allem zur Spätantike und zum Frühmittelalter bereitzustellen. Fabian Rijkers greift dabei weit in die heidnische Antike zurück und kann Argumentationsstränge zu „Arbeit“ aufzeigen, die über die vermeintliche Epochengrenze von Antike und Frühmittelalter reichen. Verena Postel ist es zu verdanken, den Forschungsstand zum Hochmittelalter, vor allem zu Petrus Abaelard und Thomas von Aquin, weiter vorangetrieben und differenziert zu haben. Trotz ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte haben beide Bücher wichtige Beiträge zur Arbeitsproblematik im Mittelalter geleistet, die in zukünftigen Studien berücksichtigt werden müssen.

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. den anregenden Überblicksartikel von Hans-Werner Goetz, „Wahrnehmung“ der Arbeit als Erkenntnisobjekt der Geschichtswissenschaft, in: Verena Postel (Hrsg.), Arbeit im Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2005, S. 21-33.
2 Verena Epp, Herrschaft und Eigentum bei Wilhelm von Ockham und John Locke, in: Mittellateinisches Jahrbuch 34 (1999), S. 63-75; Verena Postel, Conditoris imago: Vom Bilde menschlicher Arbeit im frühen Mittelalter, in: Saeculum 55 (2004) S. 1-18; dies. (Hrsg.), Arbeit im Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2005; der Sammelband wurde u.a. rezensiert von Uta Kleine in: <http://www.sehepunkte.de/2007/03/8436.html> (03.08.2010).
3 Jacques Le Goff, Travail, techniques et artisans dans les systèmes de valeur du haut Moyen Age (Ve-Xe siècles), in: ders, Pour un autre Moyen Âge, Paris 1977, S. 108-130.

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