Rollo-Koster, Joëlle; Izbicki, Thomas M. (Hrsg.): A Companion to the Great Western Schism (1378-1417). . Leiden 2009 : Brill Academic Publishers, ISBN 978-90-04-16277-8 497 S. € 152,00

: Raiding Saint Peter. Empty Sees, Violence, and the Initiation of the Great Western Schism (1378). Leiden 2008 : Brill Academic Publishers, ISBN 978-90-04-16560-1 288 S. € 99,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Anlässlich der sechshundertjährigen Wiederkehr des Ausbruchs des Großen Abendländischen Schismas erschien vor drei Jahrzehnten ein gewichtiger Sammelband.1 Danach aber rückten die Anfänge der Kirchenspaltung weitgehend aus dem Fokus der Forschung. Umgekehrt fanden die Bemühungen um die endgültige Überwindung des Schismas, die in den Konzilien von Pisa, Konstanz und – unter verändertem Blickwinkel – Basel ihren Höhepunkt erlebten, sowie die Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Papst und Konzil ein ungleich größeres Interesse, das sich in zahlreichen Publikationen niederschlug.2 Die intensive Beschäftigung mit dem Schisma-Ende machte jedoch deutlich, dass dieses Papstschisma sowie dessen Entstehung noch keineswegs befriedigend erklärt werden konnten. Neue methodische Forschungsansätze und innovative Fragestellungen „that focus on economic, social, artistic and anthropological readings of sources“ (A Companion to the Great Western Schism, S. 7) lassen jetzt Antworten auf bislang offene Problemstellungen erwarten. Mit dem von Izbicky/Rollo-Koster publizierten Sammelband US-amerikanischer Forscher liegt nun ein erstes greifbares Ergebnis dieser Bemühungen vor.

Als zentraler Bezugspunkt zur Beurteilung des Schisma-Ausbruchs wurde in der Historiografie die Bewertung der Ereignisse rund um die Wahl Urbans VI. im April 1378 in Rom genommen. Entsprechend steht zu Beginn der Beitrag von Rollo-Koster („Civil Violence and the Initiation of the Schism“, S. 9–65), der den Begleitumständen des Wahlgeschehens nachspürt. Dabei handelt es sich quasi um einen Auszug aus ihrer im Jahr zuvor erschienenen Studie, in der sie die Ergebnisse mehrjähriger Forschungen präsentierte. Das Buch „Raiding St. Peter“ ist in vier Abschnitte unterteilt. Nach einer den Forschungskontext umreißenden Einleitung untersucht Rollo-Koster im ersten Kapitel („The Empty Seat“) den historischen Befund, das heißt die Ereignisse und Verhaltensweisen bei eintretender Vakanz und warum sich Plünderung und Gewaltakte zu einem ritualisierten Brauch entwickelten. Im zweiten Abschnitt geht sie dem Problem von Gewalt in Ausnahmesituationen („Liminal Phenomenon“) nach. Im dritten Abschnitt untersucht sie das Phänomen des Plünderns in früheren Zeiten („Looting the Empty Seat“), um im vierten Abschnitt die Ereignisse des Aprils 1378 systematisch zu analysieren. Zum Schluss gibt Rollo-Koster einen weit über die Schisma-Epoche hinausreichenden Ausblick auf „liminal violence“, auf Raub und Plünderungen bei Sedisvakanz bzw. Papstwahlen.

Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Vakanzen, sozusagen als Grenzzonen des geordneten Alltags, seit frühester Zeit von Gewaltausbrüchen, Raub und Plünderung begleitet wurden, die Kirche auch darum wusste und diese fürchtete. Rollo-Kosters Blick richtet sich ebenso auf die Träger der Gewalt wie auf diejenigen, die sie erlitten. Dabei stellt sich ihr die Frage, wie die Träger dieser Gewalt ihr Handeln legitimierten. Ausführlich analysiert sie die während einer Vakanz geltenden Liturgieordnungen auf Hinweise, die das Bewusstsein potentieller Gewalt widerspiegeln, sowie auf dagegen getroffene Vorkehrungen.

Rollo-Koster beobachtet dabei eine Zunahme ritualisierter Gewaltakte bei päpstlichen Vakanzen, die sie als Folge der Monopolisierung des Wahlaktes in den Händen der Kardinäle im Konklave (seit 1274) und dem gleichzeitigen Partizipationsverlust des römischen Volks interpretiert. Ausführlich analysiert sie das Geschehen von 1378, die von ritualisierter Gewalt begleitete Wahl Urbans, welche quellenmäßig breit dokumentiert ist. Zwar lässt sich hier erstmals die Plünderung der Zellen der Papstwähler nachweisen, aber: „The exceptional element of 1378 was the utilization of this ‚usual‘ violence for political maneuvering and the dramatic invalidation of the election“ (Raiding Saint Peter, S. 17).

Das Ergebnis ist eindeutig: Der später erhobene Vorwurf der sich von Urban distanzierenden Wähler, sie hätten nur unter Druck die Wahl vollzogen, ist so kaum aufrecht zu erhalten. Die Begleitumstände der Vakanz und der anschließenden Wahl, die in Aufruhr und Plünderung ausarteten, waren den Kardinälen durchaus bekannt und auch nicht neu, wie vergleichbare Vorgänge bei zurückliegenden Papstwahlen in Avignon zeigen. Dass, trotz mancher Ungereimtheiten, die Wahl Urbans ungültig gewesen sein soll, diese Idee kam den Kardinälen erst, als sie den mittlerweile ungeliebten Papst dadurch glaubten loswerden zu können.

In Hinblick auf die ritualisierten Gewalttätigkeiten, die die Papstwahlen begleiteten, ist die Situation in Konstanz 1417 bemerkenswert, umso mehr als sie in der Forschung kaum registriert wurde. König Sigmund als Repräsentanten der weltlichen Autorität gelang es im Zusammenspiel mit dem Konzil, ähnliche Vorkommnisse wie bei der Wahl von 1378 zu unterbinden. Konstanz war nicht Rom und die Rahmenbedingungen gewiss andere, das ändert jedoch nichts an den Fakten: Den „chaotischen“ Anfängen bei Ausbruch des Schismas stand – nach fast vierzig Jahren – immerhin eine geordnete Abwicklung bei dessen Überwindung gegenüber. Die Frage nach der Bedeutung der weltlichen Autorität wird von Rollo-Koster allerdings nicht weiter verfolgt.

Im Schatten dieses Beitrags stehen in dem Sammelband weitere anregende Studien, die es allein durch den ungewöhnlichen Zugriff ihrer Autoren auf längst bekanntes, teilweise aber nur wenig beachtetes Material wert sind, genauer betrachtet zu werden. Mit dem Thema „Luxury and Extravagance at the Papal Court in Avignon and the Outbreak of the Great Western Schism“ (S. 67–87) beschäftigt sich Stefan Weiß und verweist damit auf die Wurzeln eines Kernproblems in der späteren Auseinandersetzung zwischen Urban und den Kardinälen. Ein rigides Reformprogramm verbunden mit Einschnitten in vermeintliche Privilegien und Erbhöfe gehörte zu den Zielsetzungen des Neugewählten. Das schroffe Vorgehen machte ihm die Purpurträger und unter ihnen besonders die Franzosen, die der Rückkehr des Papsttums nach Rom nur wenig abgewinnen konnten, zu erbitterten Feinden. Dass Urban VI. sich seinen Namensvetter Urban V. zum Vorbild nahm, der versucht hatte, die höfischen Ausgaben einzuschränken, war aufgrund der miserablen Einnahmelage vielleicht noch hinnehmbar, nicht aber, dass es der Papst auf die Einkünfte der Kardinäle abgesehen hatte. Sein Kampf gegen Simonie, das Bestehen auf Residenzpflicht und schließlich die hohe Zahl an Neuernennungen schmälerten massiv deren Einnahmen und ließen sie umso leichter zur Neuwahl schreiten.3 Clemens VII. orientierte sich demgegenüber schon in der Namenswahl an Clemens VI., „under whom the Avignonese Papacy had become a synonym for luxury and extravagance“ (S. 81). Große Teile der Kurie folgten den abtrünnigen Kardinälen, nicht aber die breite Masse, die Urban letztlich das Überleben in Italien sicherte und eine militärische Exekution des Schismas verhinderte.

An diesen Beitrag kann Cathleen A. Fleck („Seeking Legitimacy: Art and Manuscripts for the Popes in Avignon from 1378 to 1419“, S. 239–302) anschließen, die anhand ausgewählter architektonischer und künstlerischer Objekte das Bestreben des fortbestehenden Avignoneser Papsttums verfolgt, durch die Förderung von Kunst und Buchmalerei ihren Legitimitätsanspruch zu unterstreichen. In „Local Experiences of the Great Western Schism“ (S. 89–121) beschäftigt sich Philip Daileader mit der unterschiedlichen Wahrnehmung der Spaltung und dem Umgang mit ihr. Durch den vergleichenden Blick auf einzelne geografische Regionen, Diözesen und Orden sowie Städte und Universitäten gelingt es ihm zu verdeutlichen, wie die Neigung zu pragmatischem Handeln sich verstärkte. Dieses Verhalten endete schließlich nicht einmal vor dem Konzil; bekanntlich hat der Geist des Pragmatismus das Constantiense massiv geprägt. Faviers Einsicht, dass das Schisma die Masse der Gläubigen solange vergleichsweise wenig berührte, wie Messen gefeiert, Beichten gehört, Taufen und Begräbnisse stattfinden konnten und damit die individuelle Heilserwartung nicht gefährdet wurde, wird nachdrücklich bestätigt.

Renate Blumenfeld-Kosinski fragt nach „The Conceptualization and Imagery of the Great Schism“ (S. 123–158), also wie zeitgenössische Autoren, Kleriker wie Laien, über das Schisma gedacht und was für Lösungsvorschläge sie gemacht haben. Die Beiträge von Michael Hanly „Witness to the Schism: The Writings of Honorat Bovet“ (S. 159–195) und Michael A. Ryan „Byzantium, Islam, and the Great Western Schism“ (S. 197–238) beschreiben die Wahrnehmung des Schismas aus unterschiedlichen Blickwinkeln, wobei mit dem Benediktiner Bovet ein Zeitzeuge vorgestellt wird, der die gesamte Schismazeit aus unmittelbarer Anschauung wahrnahm und diese in den Brüchen und Wendungen der eigenen Karriere hautnah zu spüren bekam. Ryan wirft in seinem Beitrag einen Blick über den Tellerrand der abendländischen Kirche hinaus und lässt Stimmen zu Wort kommen, die in der Schismaforschung bislang wenig wahrgenommen wurden. So verfasste der Mallorquiner Turmeda, seit 1405 in Tunis und dort zum Islam konvertiert, eine Vision, die versucht, das Ungeheure des Ereignisses in Worte zu fassen und einzuordnen. Es muss allerdings offen bleiben, inwieweit die von Ryan herangezogenen Zeitzeugen repräsentativ oder eher zufällige Funde einer verschlungenen wie lückenhaften Überlieferung sind.

Theologische Probleme werden aufgegriffen von Christopher M. Bellitto („The Reform Conquest of the Great Western Schism“, S. 303–331) und David Zachariah Flanagin („Extra ecclesiam salus non est – sed quae ecclesia? Ecclesiology and Authority in the Later Middle Ages“, S. 333–374). Bellitto gibt einen Überblick über die Strömungen der Reformhistoriografie des letzten halben Jahrhunderts, einen Forschungsbericht, der gleichermaßen die Reform des Haupts wie auch die seiner Glieder in den Blick nimmt. Zu Recht sieht er die Reformbestrebungen der Schismazeit in einer langen Reformtradition der Kirche verwurzelt. Sein besonderes Interesse gilt darüber der Reform, die auf jeden Einzelnen und auf Veränderung des alltäglichen Lebens zielte, wie sie sich etwa in den Reformvorstellungen Wyclifs und Hus’ ebenso widerspiegelt wie in zeitgenössischen Reformbewegungen der Laien, in der Reform von Schulbildung und Theologiestudium. Vielen dieser Ideen und Vorstellungen sowie deren Trägern begegnen wir schließlich in Konstanz wieder, wo Reform zentrales Thema war. Deren Umsetzung scheiterte jedoch an den unterschiedlichen, teils antagonistischen Vorstellungen.

Ausgehend von Flandern, das in seiner Obödienzzugehörigkeit gespalten war und wo es mehrfach zu Obödienzwechseln kam, verweist Flanagin auf die Probleme vieler Gläubigen mit dem Schisma. Das eigene Heil zu sichern, wurde zum Alptraum, führte zur Verunsicherung und weckte Glaubenszweifel. Es schwand die Gewissheit, die eine wahre und heilsnotwendige Kirche zu erkennen. Damit verlor die papstgeleitete Kirche ihre unangreifbare Autorität, die aus ihrer Vermittlungsinstanz zwischen den Gläubigen und Gott resultierte. Auf diesem Boden gewann die konziliare Idee zunehmend an Gewicht und aus dieser Wurzel speiste sich die ekklesiologische Grundlage, die dem Konstanzer Konzil, wie das sich in Haec sancta spiegelnde Selbstverständnis zeigte, zum Erfolg verhalf. Der Paradigmenwechsel ist unverkennbar.

Ein theologischer Aspekt beschäftigt ebenfalls Thomas Izbicky („The Authority of Peter and Paul: The Use of Biblical Authority during the Great Schism“, S. 375–393). Er weist auf eine wechselnde Wertschätzung biblischer Texte und ihre unterschiedliche Auslegung hin. Dies macht er am Fallbeispiel der Auseinandersetzung zwischen den Aposteln Petrus und Paulus in deren Streit um die Zulassung von Unbeschnittenen zur Gemeinde und den dahinter stehenden Vorstellungen von Gemeinde fest. Die Zurechtweisung des Petrus durch seinen Mitapostel wurde von den Anhängern konziliarer Vorstellungen als Argument für die Superiorität der gesamten Kirche über den Papst interpretiert. Gerade dieser Beitrag zeigt auf beeindruckende Weise, dass unter innovativer Fragestellung mit dem Rückgriff auf vernachlässigte Quellen durchaus neue Facetten für das Verständnis der Schisma-Epoche abzugewinnen sind.

Den Band beschließt ein Beitrag von Phillip H. Stump („The Council of Constance and the End of the Schism“, S. 395–442), eine konzise Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands zur Überwindung der Spaltung. Auf begrenztem Raum gelingt ihm weit mehr als nur eine Fokussierung auf „the Council’s practical efforts that led to success“ (S. 397), sondern eine Geschichte der via concilii von ihren Anfängen bis zu ihrem Erfolg auf dem Constantiense zu schreiben und dabei die Gründe für den späten Erfolg dieses Königswegs überzeugend darzustellen.

Mit diesem Sammelband ist es Herausgebern und Autoren zweifellos gelungen, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Schisma-Ausbruchs und seines Verlaufs zu liefern. Die auch methodisch ambitionierten Ansätze zeigen Wege auf, wie es möglich ist, lange schon ungelöste Probleme auf innovative und produktive Art und Weise anzugehen. Es bleibt zu hoffen, dass die konkreten Hinweise auf bestehende Forschungslücken am Ende einzelner Beiträge zu weiteren Untersuchungen anregen mögen.

Anmerkungen:
1 Michel Hayet (Hrsg.), Genèse et débuts du Grand Schisme d’Occident, Paris 1980.
2 Es genügt ein Verweis auf die beiden Forschungsberichte von Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431–1449, Köln 1987, und Ansgar Frenken, Die Erforschung des Konstanzer Konzils (1414–1418), Paderborn 1995 [= Archivum Historiae Conciliorum 25 (1993), S. 1–512]. Ferner Walter Brandmüller, Das Konzil von Konstanz, 2 Bde., 2. Aufl., Paderborn 1999 (1. Aufl. 1997). Einen aktuellen Überblick über den Stand der Forschung vermittelt zuletzt: Johannes Helmrath / Heribert Müller (Hrsg.), Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449), Ostfildern 2007.
3 Vgl. zuletzt Walter Brandmüller, Die kanonistischen Hintergründe der Wahl von Fondi, in: Archivum Historiae Conciliorum 39 (2007), S. 125–130.

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